Dietrich Bonhoeffers Brief an Karl Barth über seinen Weggang nach London 1933: „Ich fühlte, daß ich mich unbegreiflicherweise gegen alle meine Freunde in einer radikalen Opposition befände, ich geriet mit meinen Ansichten über die Sache immer mehr in die Isolierung, obwohl ich persönlich in nächster Beziehung mit diesen Menschen stand und blieb – und das alles machte mir Angst, machte mich unsicher, ich fürchtete, daß ich mich aus Rechthaberei verrennen würde.“

Nachdem Dietrich Bonhoeffer am 17. Oktober 1933 den Pfarrdienst für zwei deutschsprachige Auslandsgemeinden in London übernommen hatte, schrieb er an Karl Barth folgenden Brief:

Brief Dietrich Bonhoeffers aus London an Karl Barth

London, den 24. Okt. 33

Lieber Herr Professor!

Nun schreibe ich Ihnen den Brief, den ich schon vor 6 Wochen schreiben wollte und der vielleicht damals einen völlig anderen Lauf meines persönlichen Lebens zur Folge gehabt hätte. Warum ich ihn damals nicht schrieb, ist mir jetzt fast unverständlich. Ich weiß nur noch, daß zwei Dinge mitspielten. Ich wußte, daß Sie mit 1000 anderen Sachen beschäftigt waren und es schien mir in jenen erregten Wochen ein persönliches äußeres Schicksal so ungeheuer belanglos zu sein, daß ich es einfach nicht für wichtig genug halten konnte, um an Sie zu schreiben. Zweitens aber glaube ich zu wissen, daß ein Stück Angst mit im Spiel war; ich wußte, daß ich doch hätte tun müssen, was Sie mir gesagt hätten, und ich wollte frei bleiben; darum entzog ich mich wohl einfach. Ich weiß heute, daß das falsch war und daß ich Sie um Verzeihung bitten muß. Denn ich habe mich nun „frei“ entschieden, ohne im Blick auf Sie frei sein zu können. Ich wollte Sie fragen, ob ich als Pfarrer nach London gehen sollte oder nicht. Ich hätte Ihnen einfach geglaubt, daß Sie mir das Richtige sagen würden, Ihnen allein, bis auf einen Menschen, der aber an meinem persönlichen Schicksal so fortwährend Anteil nimmt, daß er in meine Unsicherheit mit hineingerissen wurde.

Ich wollte immer gern Pfarrer werden, das hatte ich Ihnen ja schon ein paarmal gesagt. Im Juli kam die Londoner Sache an mich heran. Ich sagte mit Vorbehalt zu, reiste für 2 Tage hierher, fand ziemlich verwahrloste Gemeindeverhältnisse und blieb unsicher. Als im September die Sache entschieden werden mußte, sagte ich zu. Die formelle Bindung ist leicht. Halbjährige Kündigung. Von der Universität nahm ich nur Urlaub. Wieweit die Bindung an die Gemeinde fester wird, ist heute noch nicht abzusehen. Es war mir gleichzeitig in Berlin ein Pfarramt im Osten angeboten worden, die Wahl war sicher. Da kam der Arierparagraph in Preußen und ich wußte, daß ich das Pfarramt, nach dem ich mich gesehnt hätte gerade in dieser Gegend, nicht annehmen durfte, wenn ich nicht die Haltung unbedingter Opposition gegen diese Kirche aufgeben wollte, wenn ich mich nicht von vornherein meiner Gemeinde unglaubwürdig machen wollte, wenn ich nicht aus der Solidarität mit den judenchristlichen Pfarrern – mein nächster Freund gehört zu ihnen und steht gegenwärtig vor dem Nichts, er kommt jetzt zu mir nach England – heraustreten wollte.

So blieb die Alternative Privatdozent oder Pfarrer, und Pfarrer jedenfalls nicht in Preußen. Ich kann Ihnen nun die Fülle der Für und Wider gar nicht aufzählen, obwohl ich sie noch längst nicht überwunden habe, vielleicht nie überwinden werde. Ich hoffe, daß ich nicht aus Verdruß über unsere kirchlichen Zustände und auch über die Haltung gerade unserer Gruppe gegangen bin. Es hätte allerdings wahrscheinlich nicht lange gedauert, bis ich mich von meinen Freunden förmlich hätte lossagen müssen – aber ich glaube wirklich, daß das alles viel stärker gegen London sprach als dafür. Wenn man überhaupt in solchen Entscheidungen nachher ganz bestimmte Gründe ausfindig machen will, so war, glaub ich, einer der stärksten, daß ich mich den Fragen und Ansprüchen, die an mich herantraten, einfach innerlich nicht mehr gewachsen fühlte. Ich fühlte, daß ich mich unbegreiflicherweise gegen alle meine Freunde in einer radikalen Opposition befände, ich geriet mit meinen Ansichten über die Sache immer mehr in die Isolierung, obwohl ich persönlich in nächster Beziehung mit diesen Menschen stand und blieb – und das alles machte mir Angst, machte mich unsicher, ich fürchtete, daß ich mich aus Rechthaberei verrennen würde – und dabei sah ich garkeinen Grund dafür, daß ich jetzt gerade diese Dinge richtiger und besser sehen sollte, als so manche ganz tüchtige und gute Pfarrer, zu denen ich einfach aufsehe – und so dachte ich, es wäre wohl Zeit, für eine Weile in die Wüste zu gehen und einfach Pfarrarbeit zu tun, so anspruchslos wie irgendmöglich. Die Gefahr, in der gegenwärtigen Stunde eine Geste zu machen, schien mir größer als die, sich in die Stille zu begeben. So ist es dann gekommen. Ein Symptom war mir außerdem noch, daß für das Betheler Bekenntnis, an dem ich wirklich leidenschaftlich mitgearbeitet hatte, so fast garkein Verständnis aufgebracht wurde. Daß mich das nicht persönlich verstimmt hat, glaube ich bestimmt zu wissen; dazu war auch wirklich nicht der geringste Anlaß. Ich wurde einfach sachlich unsicher.

Dann kam noch 10 Tage vor meiner Abreise ein Anruf von der Kirchenkanzlei, meine Entsendung mache Schwierigkeiten wegen meiner oppositionellen Haltung den D. C. gegenüber. Es kam zum Glück zu einer Unterredung mit Müller, dem ich sagte, ich könne selbstverständlich davon nicht zurück und ich bliebe viel lieber hier als unter falscher Flagge zu segeln, könne auch draußen die D. C. nicht vertreten. Das alles wurde auf meine Bitte zu den Akten genommen. M[üller] machte einen unsäglich dürftigen Eindruck, sagte mir zur Beruhigung: „im übrigen habe ich bereits angeordnet, daß die bestehenden Gegensätze ausgeräumt werden.“ Er blieb aber in meiner Sache unsicher und ich hoffte, die Entscheidung komme nun einfach von außen und war sehr froh. Am nächsten Tag kam die Nachricht, ich solle ausreisen. Angst vor der Ökumene – widerwärtig.

Jetzt bin ich seit 8 Tagen hier, muß jeden Sonntag predigen und bekomme fast täglich Nachrichten aus Berlin über den. Stand der Dinge. Das zerreißt einen innerlich fast. Und nun sind Sie bald in Berlin und ich kann nicht da sein. Es kommt mir auch so vor, als sei ich Ihnen durch mein Weggehen persönlich untreu geworden. Sie werden das vielleicht nicht einmal verstehen. Mir ist das aber eine sehr große Realität. Und bei alledem freue ich mich unendlich in einer Gemeinde zu sein, auch so ganz abseits. Und dann hoffe ich ja auch, daß sich mir hier nun die Fragen der Ökumene wirklich klären werden. Denn diese Arbeit will ich hier weitertreiben. Vielleicht kann man auf diesem Wege der deutschen Kirche noch einmal wirklich in etwas beistehen.

Noch weiß ich nicht, wie lange es mich hier hält. Wenn ich wüßte, daß ich drüben wirklich gebraucht würde, – es ist so unendlich schwer zu wissen, was wir tun sollen. „Wir wissen nicht, was wir tun sollen, aber…“ 2 Chr [20,12].

So, nun ist dieser Brief geschrieben. Es sind nur persönliche Dinge; aber solche, von denen ich gern wollte, daß Sie sie wüßten. Wenn ich je wieder ein Wort von Ihnen hören würde, wäre es sehr schön. Ich denke sehr viel an Sie und Ihre Arbeit und wo wir wären, wenn die nicht wäre. Würden Sie mir einmal ganz offen Ihre Meinung zu alldem schreiben? Ich wäre auch für ein scharfes Wort offen und dankbar, glaube ich. – Zur Sache möchte ich Ihnen ein andermal schreiben, wenn meine Maschine da ist. So ist’s zu mühsam für Sie.

In alter Dankbarkeit bin ich Ihr treu ergebener

Dietrich Bonhoeffer.

Quelle: Dietrich Bonhoeffer Werke, Band 13: London 1933-1935, hrsg. v. Hans Goedeking, Martin Heimbucher und Hans-Walter Schleicher, München: Chr. Kaiser Verlag 1994, S. 11-15.

Hier der Brief als pdf.

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