Iwand, Hans Joachim (1899-1960)
Von Hans-Werner Surkau
1. Leben
Hans Joachim Iwand wurde am 11. Juli 1899 als Pfarrerssohn in Schreibendorf (Schlesien) geboren; er besuchte bis zum Abitur (1917) das Gymnasium in Görlitz. Danach studierte er mit Unterbrechungen durch Kriegsdienst und Grenzschutz in Breslau und Halle Theologie bei u.a. Erich Schaeder, Hans v. Soden und vor allem Rudolf Hermann. Nach dem 1. theologischen Examen (1922; wird er 1923 durch Generalsuperintendent Gennrich aus dem Predigerseminar Wittenberg zum Studieninspektor an das Lutherheim in Königsberg berufen. 1924 promoviert er (Zur methodischen Verwendung von Antinomien in der Religionsphilosophie. Dargestellt an K. Heims ‚Glaubensgewißheit‘) und habilitiert sich 1927 (Rechtfertigungslehre und Christusglaube). 1934 wird er auf den Lehrstuhl für Neues Testament am Herder-Institut in Riga berufen. 1935 wird ihm die so venia legendi entzogen und 1936 „Reichsredeverhot“ auferlegt. Als Leiter des illegalen Predigerseminars der Ostpreußischen Bekennenden Kirche in Bloestau wird er aus Ostpreußen ausgewiesen, verhaftet und beginnt in Dortmund mit dem Seminar von neuem. 1938 werden die Kandidaten ausgewiesen, Iwand selbst für vier Monate verhaftet. Dann übernimmt er eine vakante Pfarrstelle in Dortmund. Im Oktober 1945 folgt er nach Rückkehr des Stelleninhabers einem Ruf auf einen systematischen Lehrstuhl nach Göttingen. Er wird Vorsitzender des ostpreußischen Bruderrats, des Hilfskomitees evangelischer Deutscher aus Ostpreußen, begründet 1947 das Haus der helfenden Hände in Beienrode und regt die Göttinger Predigtmeditationen an, die er bis zu seinem Tode herausgibt. 1952 wechselt er auf einen systematischen Lehrstuhl nach Bonn. Er arbeitet im Dienst der Weltfriedensarbeit auf internationaler Basis mit, begründet die Christliche Friedenskonferenz (Näheres: Sänger, 307). Am 2. Mai 1960 stirbt Iwand in Bonn.
2. Werk
2.1. Lutherstudien. Die Habilitationsschrift wuchs aus Iwands schon vor dem 1. Examen begonnenen Lutherlektüre vor allem des Römerbriefes heraus; er nennt sie einen „Versuch nachdenkender Wiederholung des von Luther bei der Auslegung des Römerbriefes Erkannten“ (V). Iwand verfolgt die initia Lutheri als systematische Frage der Umgestaltung der Grundlagen der Theologie im Abbau scholastisch-aristotelischer Positionen und dem Ausbau seiner Theologie in „festen Formeln“ (123). Dabei entdeckt er den zwingenden Zusammenhang der Rechtfertigungslehre mit der dogmatischen Christologie. Trotz der protestantischen These vom „Fiasko der Werkgerechtigkeit“ kann man nicht von dem ausgehen, „was Luther erlebte, empfand und durchmachte“ (6); er ist in seinen vorreformatorischen Bibelstudien, die in den Vorlesungen über die Psalmen, den Römer-, Hebräer- und Galaterbrief vorliegen, als Schüler des Paulus zu verstehen. Die Sündhaftigkeit der Werke ist nicht ethisch auszumachen; Luther will vielmehr die mit der Leistung verbundene reputatio des Menschen treffen (18). Selbst- und Sündenerkenntnis ist nur mit Hilfe des Glaubens an Jesus Christus möglich; hier ist der Punkt, an dem Dogmatik und Ethik sich treffen. Christus ist so wenig „für sich“ wahrer Mensch, wie er „für sich“ wahrer Gott ist. Da der gerechte Gott zugleich auch der rechtfertigende ist handelt es sich in der Rechtfertigung nicht „nur“ um Gnade, sondern um Gottes Gerechtigkeit (35). Ohne Christus erreicht der Mensch Gott gerade nicht, den er erreichen will (43). Gesetz und Evangelium haben beide Christus zum Ziel: das Gesetz in der Form der Forderung: tu debes Christum habere, das Evangelium mit der Verkündigung: hic est Christus et Spiritus eius (127). Nur in Christus ist der Glaubende, der seinen Glauben von Gott als Geschenk empfängt, Gottes und seines Heils gewiß.
Die Schrift Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre (1941) hat, in der Notzeit Martin Niemöller gewidmet, ökumenische Dimension. Iwand hofft, über alte konfessionelle Spannungen hinwegzukommen, wenn man Luther fragt, „… einen Ausleger der Schrift, der uns dazu verhelfen will, an Christus glauben zu lernen“ (4). Iwand geht diesmal vom 1. Gebot aus: „Gott will zu seinem Recht kommen, darum offenbart er sich; so wie er in sich Wahrheit, Gerechtigkeit und Leben ist, will er es auch … in uns werden“ (11).
Zwei Aufsätze aus dem Jahr 1930 (Die grundlegende Bedeutung der Lehre vom unfreien Willen für den Glauben und Studien zum Problem des unfreien Willens [GA 1]) zeigen unter dem Gesichtspunkt der Taten Gottes, was es bedeutete, daß die Rechtfertigungslehre mit der Auffassung von einem unfreien Willen verbunden wurde. Hier taucht die Predigt in ihrer Bedeutung für das Problem auf: „Predigen heißt, die Wendung herbeiführen, die der Mensch nicht herbeiführen kann, ihm ein aus Gott geborenes Leben schenken“ (52).
In der Vorlesung über Gesetz und Evangelium in Bloestau nennt Iwand die Gerechtigkeit Gottes den eigentlichen Oberbegriff: „Gesetz und Evangelium unterscheiden, heißt die Gerechtigkeit Gottes verstehen“ (NW IV, 14). Das geschieht in der Predigt, denn „Predigt heißt also, durch die Verkündigung diesen Jesus Christus bringen“ (ebd. 18; vgl. TRE 13, 136,27ff). Die exegetische Auseinandersetzung mit Erasmus in De servo arbitrio läuft auf das persönliche Bekenntnis Luthers zu: Selbst wenn er könnte, möchte er den unfreien Willen nicht gegen den freien eintauschen … Um der Gewißheit willen müßte er daran festhalten; da Gott sich für ihn verantwortlich gemacht habe, sei er gewiß; „quod ille fidelis sit et mihi non mentietur“ [weil er zuverlässig ist und mich nicht belügt] (WA 18, 783,31). In der Lehre vom geknechteten Willen ficht Luther von Anfang an um die Glaubensgewißheit: „Tolle assertiones et christianismum tulisti“ [Hebe die verbindlichen theologischen Aussagen auf und du hast das Christentum aufgehoben] (603,28f). Die offenbar aus mehreren Vorlesungen (1956/57 u.ö.) zusammengearbeitete Vorlesung über Luthers Theologie zeigt die für Iwand hervorragende Rolle der Christologie bei Luther. Unter der Überschrift „Christus und die Seinen“ (NW V, 105ff) hat Iwand in einem großen Bogen von der Lehre von der Schrift bis zur Lehre vom Wort Gottes eine Fülle von Themen eingeschlossen: die christliche Existenz, die christliche Freiheit, Gesetz und Evangelium, die selbst gewählten Werke, Heiligung und Heiligkeit u.a.m.
In der ungedruckten Festschrift zum 60. Geburtstag von Schniewind 1943 (jetzt in EvTh 6 [1946/47]) entfaltet Iwand Luthers Glosse zu Röm 5,12, die Frage der Erbsünde: Sie ist ein Geschehen zwischen Gott und dem Menschen. Luther redet gerade „da vom Teufel …, wo wir erwarten würden, daß vom Menschen … die Rede sein würde, nämlich bei den Aktsünden, und da vom Menschen, wo wir erwarten würden, daß vom Teufel die so Rede wäre“ (33), und zeigt die Konsequenzen auf.
In Antwort (Festschrift zum 10.5.1956 für Karl Barth) zeichnet Iwand in einem weiten Überblick die Christologieentwürfe von I.A. Dorner u.a. über den Ausschluß der Christologie durch A. Harnack bis zu dem Neuansatz von Karl Barth nach, seinem Neuentwurf der Anthropologie von der Christologie her (187). Barth habe damit auch die Zwei-Naturen-Lehre aus dem Glauben heraus entwickelt und die altkirchliche Christologie gerechtfertigt (188).
Erwähnt sei hier, daß Iwand in einem Brief an Karl Barth 1959 (Sänger, Brief 30, 139-143) seine distanzierte Besprechung Jenseits von Gesetz und Evangelium korrigierte und Barths Umkehrung „Evangelium und Gesetz“ als „dialektisch mit Luther vereinbar“ (Gollwitzer, Tendenzen, 437) bezeichnete (s. auch NW IV, 404-407).
In dem Beitrag für Rudolf Hermann Die Freiheit des Christen und die Unfreiheit des Willens (in: Solange es ‚heute‘ heißt, 1957) verfolgt Iwand gegenüber Fehldeutungen die von Luther geprägte Form des Begriffs „unfreier Wille“. Dort findet sich eine charakteristische Randbemerkung: Die Formel „glaubst du, so hast du“ enthält „die kürzeste Fassung des Gewißheitsproblems … Gemeint ist sie im Sinne des extra nos“ (146 Anm.).
2.2. Glauben und Wissen. In einem Brief an R. Hermann hatte der junge Iwand „die Vereinigung von Glauben und Wissen“ als ein „mögliches Berufsziel“ genannt (Brief an Hermann Nr. 17 v. 15.4.25, NW VI,93); er meintdam.it die „conséquente Durchdringung der Lebensanschauung vom Standpunkt des Glaubens aus, … auch wenn das Los der Theologie sein wird, antiwissenschaftlich zu wirken“ (a.a.O., 93f). Die Dissertation hatte das Ergebnis gehabt (vgl. Steck, NW VI, 15, dagegen Burdach 145, Anm. 1), daß Glaubensgewißheit nicht religionsphilosophisch, sondern nur theologisch gewonnen werden kann; dabei schien das schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl Schleiermachers als Grundlage geeignet zu sein (a.a.O., 327).
Das Thema bleibt vorerst liegen; erst 1955 wird es wieder ausdrücklich aufgegriffen (vgl. NW I). Da lautet das Ergebnis, daß „fides und ratio nicht immer in Antithese stehen …das Evangelium von Jesus Christus (ist) die Aufhebung dieser Dualität“. Vielmehr ist „das Und zwischen Glauben und Wissen durchaus ein sachlich notwendiges, ein den Akt des Sehend-Werdens im Akt des Glaubens einschließendes“ (I, 298); beide stehen unter der Klammer der Gerechtigkeit Gottes in Jesus Christus (I, 24). Entscheidend ist für Iwand Joh 6,68 geworden: Gott ist nicht ein Dahinter der sichtbaren Welt, sondern „er ist, was er ist, sein Wort, sein Sohn, mitten unter uns!“ (I, 309).
Gegenüber der Divergenz von Exegese im Sinn einer historisch verstandenen Disziplin und Dogmatik betont Iwand, daß wir von einem Ist herkommen. „Christus ist Gottes Sohn … aber wir haben dieses Wissen nur in der Form des Glaubens und der Hoffnung …, sonst waren es nur kirchliche, aber nicht Gottes Sätze“ (Der Prinzipienstreit …, GAufs. I, 222ff, Zitat 244). „Wo aber Dogmatik dieses Est in der Schrift sucht, da legt sie nichts ein, sie sucht nur, was sie schon gefunden hat“ (a.a.O. 245).
Von dieser Grundlage aus entwickelt Iwand seinen grundsätzlichen Einspruch gegen Bultmann (Wider den Mißbrauch …: ThLZ 79 [1954] u.ö.). Gegenüber Gott gibt es kein „Vorwissen“; es ist durch die Offenbarung aufgehoben (NW 1,25). Die Schrift antwortet nicht, wenn sie von der menschlichen Existenz her befragt wird. Bei Mensch und Gott verwandelt das eine das andere ständig in sich: „Et ita nos in verbum suum, non autem verbum suum in nos mutât (Luther)“ (GAufs. I, 246). Von hier entfaltet Iwand seine „Theologie der Kultur“ (Sänger 169), deren Dokumente in den Nachgelassenen Werken I und II und den beiden Bänden der Gesammelten Aufsätze vorliegen. Dabei geht es nun vor allem um den Themenkreis der Ethik (vgl. die Schleiermacher-Aufsätze), speziell die politische Ethik (Sänger, 281-321) und das Friedensthema, das für ihn seit 1945 immer dringender wird. Es führt ihn zum Widerstand gegen die Restauration und zur Öffnung zum Osten (vgl. Beckmann). Iwand entdeckt die Verantwortung der Christen für die Gesellschaft (vgl. Bekennende Kirche, FS für Niemöller): Seit Pfingsten ist die Frage der Ethik nur lösbar auf dem Grund der Hoffnung, nicht mit der Kunst, in Spannungen zu leben. Evangelium ist der Ruf in das Heute Gottes und bringt den Frieden in die Welt. Zu dem Kampf Iwands gegen die wieder einsetzende Restauration (vgl. Kreck) zählt u. a. der Vortrag Die Neuordnung der Kirche und die Konfessionelle Frage auf der Brudurratssitzung vom 12.-16.10.1946 in Bad Boll (GAufs. I, 138-172). Das Friedensthema hatte Iwand schon 1945 in einem Rundbrief an die Evangelischen Ostpreußen als das dringendste unserer Zeit bezeichnet und bis in den Rundfunkvortrag wenige Tage vor seinem Tod immer wieder erörtert. Er prangert z.B. an, daß im Stuttgarter Schuldbekenntnis der Osten völlig ausgeklammert wurde, er ist der erste, der den Weg durch den Eisernen Vorhang mehrfach ging und drüben die Hand zur Versöhnung reichte, um dieses unheilvolle Versäumnis an seiner Stelle aufzuheben. Bei alledem treibt ihn die mehrfach ausgesprochene Erkenntnis, daß „Gott die Welt geliebt hat“ (Beckmann).
2.3. Die Predigtmeditationen (GPM). Nach dem Gottesgericht des Zusammenbruches von 1945 stellt sich für Iwand die vordringliche Aufgabe der Erneuerung der Predigt und der Hilfe für die Brüder, die ihre Bücher verloren hatten. Das Ergebnis sind die Göttinger Predigtmeditationen, die er anregte, seit 1947 bis zu seinem Tod selbst herausgab und zu denen er über 120 Meditationen beisteuerte, nachdem er sich schon von 1939 an von G. Eichholz hatte als Mitarbeiter gewinnen lassen. Wie er die Predigtaufgabe jetzt verstand, sagt er in dem Vortrag Die Neuordnung der Kirche (s. o.): Die Kirche müsse das ihr anvertraute Vermächtnis wahrnehmen, den Menschen die enge Pforte vergebener Schuld zu zeigen. Schon mancher habe enttäuscht den Kirchgang aufgegeben, und der Predigt drohe das Wort aus Am 8,11f (149). Gollwitzer hat in seinem Vorwort zu dem Sammelband der GPM (1963) dieses Buch den „reichsten Niederschlag seiner theologischen Arbeit“ genannt (6). In der Tat tritt dem Benutzer eine solche Fülle und Tiefe von Erkenntnis und Ringen um die Wahrheit entgegen, die einmalig und bis heute nicht überholt ist. Immer wieder gibt er in Vor- und Nachworten Rechenschaft, mit der er den Predigern Mut machen möchte. Deshalb berichtet er, wie die Meditationen „wachsend an Zahl und hoffentlich nicht abnehmend an Weisheit“ (a.a.O., 666) sich ausbreiten. Er ist nicht müde geworden, seine vielfältigen Beziehungen dafür einzusetzen, daß die Meditationen bis weit in den Osten hinein gelesen werden konnten; sie waren kurz vor seinem Tod die weitverbreitetste theologische Zeitschrift in deutscher Sprache. Er hat mit großer Weitherzigkeit Theologen verschiedenster Richtung zur Mitarbeit eingeladen und es begrüßt, wenn auch Nichttheologen sich dazu bereit fanden als Zeichen dafür, daß die Gemeinde zu erkennen beginnt, wieviel an der Verkündigung hängt. Gollwitzer hat das so als einen Dienst ebenso an der Einheit der Theologie wie an seinen Kollegen gedeutet, „als eine Anregung, Exegese in der Perspektive heutiger Verkündigung und nicht in der Abstraktion bloßer Historie zu treiben“ (Vorwort, 8).
Meditation ist für Iwand der Versuch, durch eine an der Kategorie der Verheißung orientierte Auslegung des Textes den Zugang zur Wortbewegung (zwischen Exegese und Verkündigung) für den Prädikanten freizulegen (Bizer 102; vgl. 91-96). Dabei hat Iwand selbst kein Schema und hat auch seine Mitarbeiter davon frei gelassen (GPM I, 59). Dennoch gelten die GPM als das Modell für den Weg vom „Text zur Predigt“, dem gegenüber zu Unrecht der Vorwurf erhoben wurde, daß der Hörer zu kurz komme (z. B. E. Lange; vgl. TRE 15, 550,8ff). Freilich hat Iwand immer dem widerstanden, daß erst die Befragung des Textes von der Existenz her den Text zum Sprechen bringe (vgl. Wider den Mißbrauch …). Vorrangig bleibt für Iwand das Ganze der Schrift gegenüber einem Abschnitt; er setzt sich scharf mit einer seiner Meinung nach die Gültigkeit eines Textes tangierenden Kritik auseinander (z.B. GPM I, 392ff. Meditation über Act 13,44-52). Ebenso wie seine Mitarbeiter läßt er seine Benutzer frei: „ohne die Mühe um den Buchstaben wird die Gabe des Geistes nicht empfangen“ (a.a.O., 94, s. auch das Vorwort zum Jahrgang 1949/50 [GPM] 194ff). Verfasser und Benutzer sind in der gleichen Situation des Anklopfens. Ohne Zweifel haben die GPM das Predigtverständnis und die Predigtpraxis der 50er Jahre entscheidend bestimmt. Für einen Vergleich von Meditation und Predigt vgl. die von Gollwitzer aufgeführten Texte (NW III, 12), für welche beides von Iwand vorliegt. Der Band III der Nachgelassenen Werke enthalt nur eine kleine Zahl von Iwands Predigten; eine Gesamtausgabe der vielen verstreut gedruckten steht noch aus.
3. Nachwirkung
Nach seinem jähen frühen Tod ist es um Hans Joachim Iwand still geworden. Nur die Comenius-Fakultät in Prag vollzog die ihm schon persönlich angekündigte Ehrenpromotion postum. Besonders die Lutherforschung ist über ihn hinweggegangen, wie er allerdings auch an ihrem Gespräch in seinen letzten Jahren nicht mehr teilnahm – weil ihn andere aktuellere Probleme bedrängten (s. Brief an R. Hermann vom 4.4.1953, besonders 307). Schon der Lebende war oft einsam, wie der soeben zitierte Brief zeigt. Unbestreitbar bleibt, daß er von der Sache getrieben und ihr ohne Rücksicht auf sich selbst gehorsam war. Daß er gelegentlich sagen kann (GPM I, 392), daß die Mitarbeiter dankbar wären, wenn die Leser „uns helfen würden, auf der Bahn zu bleiben, … und wir sind auch dankbar, wenn wir auch einmal ein anerkennendes Wort hörten“, macht ihn nur liebenswerter. Bisher gibt es zwei Arbeiten, die auf Iwand fußen: die Arbeit von J. Gandras und die von R. Heinrich (s. Literatur); daneben beginnen Akademietagungen (Arnoldshain) und Examensarbeiten sich mit ihm zu befassen. Auch eine Reihe von Aufsätzen deutet an, daß die Zeit Iwands erst noch kommt. Allerdings hat Schwarzwäller mit Recht zur nüchternen Besinnung gegenüber einer schnellen Iwand-Renaissance gerufen (KuD 1981). Dem „Ruf zur Sache“ (Gollwitzer, Tendenzen 4), dem Iwand als ein von ihr Gezeichneter diente, wird man nur mit einer ähnlichen Hingabe gerecht. Eine bleibende Anfrage ist sein Engagement in der Friedensfrage mit seiner unermüdlichen Bemühung um eine theologische Begründung; sie warnt vor einer vorschnellen Ideologisierung und Verketzerung, aber auch vor einem vordergründigen Mitmachen. Ist es wirklich zu überspielen, was Iwand über Gottes Liebe zur Welt mit Joh 3,16 sagen will, und kann man den Osten wie aus dem Stuttgarter Schuldbekenntnis auch heute noch herauslassen? Die Lutherforschung scheint in vielem sachlich über ihn nicht hinauszukommen; seine Ansätze zu einer Theologie der Kultur sollten diskutiert werden.
Übrig bleibt die Wirkung des Vaters der Heimatvertriebenen, des theologischen Lehrers, des Menschen. Daß er im „Haus der helfenden Hände“ verehrt wird, wie einst Zinzendorf, kann nur verstehen, wer ermessen kann, was die Begründung dieses Hauses für die Pfarrwitwen und Waisen, für die Emeriti und die Letzten aus Familien von Ostflüchtlingen als Heimat und Sterbezuflucht bedeutete. Es ist mehr als ein Symbol, daß er selbst dort neben seiner Frau seine letzte Ruhestatt fand.
Was von ihm als theologischem Lehrer zu sagen ist, hat er selbst seinem Lehrer R. Hermann im Festschriftbeitrag von 1957 geschrieben: „Damals fanden wir … einen Lehrer, der uns mehr bedeutete als einer, der uns nur unterrichtete, er bildete uns …, indem er uns lehrte, wie man die Strenge des Denkens mit der Unbedingtheit und Tiefe des Glaubens zu verbinden hat“ (GAufs. I, 247). Das sind Worte, die auch für ihn gültig sind. Seine Lutherheimer, Bloestauer, die ostpreußischen Pfarrer, die er in Freiheit theologisch geprägt hat, bleiben im letzten immer seine dankbaren Schüler.
Das führt zum Geheimnis der Persönlichkeit von Hans Joachim Iwand: Von ihm konnte eine Freimütigkeit ausstrahlen, die von Anfang an gewann, eine Herzlichkeit, die auch den Fremden nicht ausschloß, eine Offenheit zur Selbstkritik und Willigkeit zu einem neuen Anfang, die manchem den Weg zur verlorenen oder selbst verlassenen Bruderschaft ermöglichte. Wer ihn einmal so erlebt hat, trotz gelegentlicher Schroffheit, die nie persönlich bedingt war, der wird Hans Joachim Iwand unvergessen behalten.
Ausgewählte Hauptschriften
Rechtfertigungslehre u. Christusglaube 31966 (TB 14). – Glaubensgerechtigkeit nach Luthers Lehre, München 41964. – Um den rechten Glauben, GAufs. I, hg. v. K.G. Steck, 21965 (TB 9). – Glaubensgerechtigkeit, GAufs. II, hg. v. G. Sauter, 1980 (TB 64). – Nachgelassene Werke, München: I 1962; II 1966; III 21967; IV 1964; V 21983; VI 1964. – Predigt-Meditationen, Göttingen 41984. – Predigt-Meditationen, 2. E, Göttingen 1973.
Einander ergänzende Bibliographien: Um den rechten Glauben. GAufs. I, hg. v. K.G. Steck, 1965 (TB 9), 269-277. – Bibliograph. Hans Joachim Iwand: ThLZ 85 (1960), 877-880. – Glaubensgerechtigkeit, GAufs. II, hg. v. G. Sauter, 1980 (TB 64), 276-281. – J. Seim, Lutherstud. v. H.J. Iwand: EvTh 41 (1981), 181-183.
Literatur
Klaus-Martin Beckmann, Glaube u. politische Existenz des Christen in der Theo). H. J. Iwands: EvTh 31 (1971) 210-233. – Christoph Bizer, Unterricht u. Predigt, Gütersloh 1974 (Lit.). – Ernst Burdach, Hans Joachim Iwand. Ein Theologe zwischen den Zeiten. Ein Fragm. 1899-1937, Selbstverlag Beienrode 1982. – Hermann Dembowski/Joachim Mehlhausen/ Karl Georg Steck, Feier des 125 jähr. Bestehens des Ev.-theol. Stifts (Hans-Iwand-Haus) in Bonn 1979, Bonn 1980 (Bonner Akad Reden 52). – Martin Fischer, Zeuge Christi an unserer Zeit: KiZ 14 (1959), 272-275. – Joachim Gandras, Predigt als Zeugendienst bei H.J. Iwand, Göttingen 1975. – Helmut Gollwitzer, Hans Joachim Iwand: Hans Jürgen Schultz (Hg.), Tendenzen der Theol. im 20. Jh., Stuttgart/Berlin 21967, 435-441. – Rolf Heinrich, Verheißung des Kreuzes. Die Christologie H.J. Iwands, München 1982. – Karl-Jürgen Kaltenborn, Hans-Joachim Iwand, Berlin 1971 (R. Christ in der Welt 30). – Berthold Klappert, Iwands Engagement in der Friedensfrage: Berthold Klappert/Ulrich Weidner (Hg.), Schritte zum Frieden, Wuppertal 1983. – Walter Kreck, Reformation oder Restauration. H.J. Iwands Warnung an die Kirche: EvTh 36 (1976), 485-487. – Hartmut Ludwig, Das klare Wegzeichen. Hans Joachim Iwands Wirken für die Barmer Theol. Erklärung: ZdZ 38 (1984), 127-131. – Ders., Ein abgeschlagenes Fenster. Die Barmer Erklärung in der Sicht H.J. Iwands: Günther van Norden (Hg.), Aufs. z. Kirchenkampf in Rheinischen Gemeinden, Köln 1985, 71-88. – Peter Paul Sänger (Hg.), Hans Joachim Iwand, Briefe, Vortr., Meditationen, Berlin 1979 (Lit.). – Ders., Die eine Menschheit. Ein Argument H.J. Iwands gegen den Krieg: Berliner Theol. Zs. 3 (1986), 132-143. – Klaus Schwarzwäller, Von Zeit zu Zeit, Anleitung zur Unterscheidung von Gesetz u. Evangelium: KuD 27 (1981), 20-44. – Jürgen Seim, Der Grund des christl. Lebens. Über die Begründung ethischer Sätze in den Predigtmeditationen v. Hans Joachim Iwand: FS Johannes Harder, Wuppertal 1973, 45-52. – Ders., Israel u. die Juden in Leben u. Werk H.J. Iwands: H. Kremers (Hg.), Die Juden u. Martin Luther – Martin Luther u. die Juden, Neukirchen 1985, 249-286. – Ders., Luther-Stud. v. H.J. Iwand: EvTh 41 (1981), 171-184. – Ders., Überlegungen für eine mögliche Iwand-Biographie, PTh 72 (1983 ), 46-63. – Ders., Die Lehre v. Gesetz u. Evangelium bei H.J. Iwand: EvTh 44 (1984), 77-94. – Ders., Politische Predigt bei H.J. Iwand: Berliner Theol. Zs. 1 (1984), 81-96.
Quelle: TRE 16 (1987), S. 427-432.