Als in der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ vom 27. Oktober 1938 der Gebetsgottesdienst anlässlich drohender Kriegsgefahr am 30. September 1938 der Bekennenden Kirche scharf angeriffen wurde und die Bischöfe der „intakten“ Landeskirchen Hannover, Bayern, Württemberg und Baden, Marahrens, Meiser, Wurm und Kühlewein, am 29. Oktober 1938 gegenüber dem Reichskirchenminister Kerrl ebenfalls die Gebetsliturgie „aus religiösen und vaterländischen Gründen“ missbilligt hatten, gab die Kirchlich-Theologische Sozietät in Württemberg am 12. November 1938 folgende Erklärung ab:
Erklärung der Sozietät zum Gebetsgottesdienst der Vorläufigen Leitung der DEK
Die VL der DEK hat am 27. Sept, in einem Augenblick, als ein Weltkrieg fast unvermeidlich schien, eine Ordnung für einen Gebetsgottesdienst herausgegeben, der am 30. Sept gehalten werden sollte, wegen der inzwischen in München erfolgten Einigung aber ausfiel. Es geht nicht an, sich der hier von uns geforderten Entscheidung dadurch zu entziehen, daß man die ganz andere Frage nach dem Leitungsanspruch der VL damit verquickt. Zu den bekannten Angriffen gegen die für diesen Entwurf verantwortlichen Brüder stellen wir fest:
1. Wenn die christliche Gemeinde betet, so tut sie das im Angesichte ihres erhöhten Herrn und wird in Bekenntnis und Bitte getragen von dem Gebet, mit dem ihr himmlischer Herr vor dem Thron des Vaters selbst unaufhörlich für sie eintritt. Von dorther bekommt das Gebet der Gemeinde Vollmacht und Verheißung und damit auch Inhalt und Weisung.
In der vorliegenden GO wird darin recht gebetet, daß die Besinnung, wie und wofür gebetet werden soll, ausschließlich im Blick auf den Herrn der Gemeinde und das Gebet für die Seinen geschieht: Es wird für alle Menschen gebetet, für die Christus gestorben ist; es wird gebetet in Gemeinschaft mit der gesamten Christenheit auf Erden und es wird gebetet nach der Weisung, die unser Herr selbst uns im Vaterunser gegeben hat.
Daß die GO sich nicht durch die Rücksicht auf die nichtchristlichen Mithörer des Gebetes der Gemeinde und ihre etwaigen Wünsche beeinflussen ließ, kann nicht beanstandet werden. Sie konnte das gar nicht tun, weil sie dann, wenn sie nur ihrem Herrn gehorcht, von selbst auch das Beste des Nächsten sucht.
2. Weil wir vor Gott nur treten können mit dem Bekenntnis unserer Unwürdigkeit, beginnt nach liturgischem Brauch die GO mit einem Sündenbekenntnis. Es werden zuerst die Sünden der Gemeinde und dann die des Volkes bekannt, die konkret genannt sind an Hand des „sachlichsten“ Maßstabes, den es gibt, nämlich nach den Zehn Geboten.
Dieses Bekenntnis für die Sünden des Volkes durfte aus zwei Gründen nicht fehlen, weil die Gemeinde sonst 1. ihren priesterlichen Dienst, den sie nach Gottes Auftrag an dem Volk hat, in dem sie lebt, verleugnet hätte, und 2. sich selbst von der Mitschuld an der Sünde des Volkes ausgeschlossen hätte.
Ein Einwand gegen die Nennung der konkreten Sünden könnte nur dann gemacht werden, wenn die Gemeinde bei dem Bekenntnis der Sünden des Volkes nur an die andern gedacht und nicht zugleich sich selbst der Übertretung der Gebote schuldig bekannt hätte.
3. Die christliche Gemeinde bittet auf Grund des Vaterunsers zuerst um das Kommen des Reiches Gottes. Indem die GO alle ihre Bitten dem Ausblick auf das Ende aller Dinge und den Sieg des Reiches Gottes unterordnet, entspricht sie den Weisungen des NT.
4. Die christliche Gemeinde, die in der Welt auf Gottes Reich wartet, bittet auf Grund des Vaterunsers auch um die Gabe des täglichen Brotes. Zum täglichen Brot gehört der zeitliche Friede und gutes Regiment, das ihn erhält. Die Gemeinde handelt darum nach Gottes Wort, wenn sie nach dieser GO in drohender Kriegsnot bittet, Gott wolle den Krieg von uns abwenden und den Regierenden in allen Völkern das Herz lenken, daß sie ihre Völker zum Frieden regieren.
Wer hier beanstanden wollte, daß für unsere eigene Regierung hier nicht besonders gebetet wurde, der müßte sagen, um was für sie denn anders gebetet werden sollte als für die anderen Regierungen. Dabei sollte er sich hüten, der Gefahr zu erliegen, eine politische Ovation in Gebetsform dazubringen.
5. Die Gemeinde weiß, daß jeder Krieg, auch der um einer gerechten Sache willen geführte, ein Zeichen des Zornes Gottes über die Sünde der Welt ist und mithin ein Stück seiner Strafen, unter denen wir auf Erden stehen. Angesichts dessen muß zu dem Sündenbekenntnis die Anleitung der Gemeinde zu Buße und Umkehr kommen. Das geschieht in der GO konkret darin, daß um Abwendung nicht bloß der besonderen Gefahren, sondern auch der besonderen Versuchungen gebetet wird, die im Krieg dem Volk, der Kirche und jedem einzelnen in Volk und Kirche drohen. Auch das geschieht im Gehorsam gegen die Zehn Gebote und gemäß den weiteren Bitten des Vaterunsers.
Was dagegen eingewandt werden könnte, ist nicht einzusehen. Wenn hier um Bewahrung vor Haß und Rachsucht gebetet und der Menschen gedacht wird, „deren Land der Krieg bedroht“, so muß hier selbstverständlich für alle Betroffenen diesseits und jenseits der Grenzen gebetet werden, weil man im Angesichte Jesu Christi nicht anders beten kann.
6. Die Verwendung der Bibelstellen in der GO lag in der Freiheit der Verfasser. Von dieser Freiheit ist in einem solchen Fall in derselben Weise Gebrauch zu machen wie von der Freiheit der Textwahl zur Predigt: Die Entscheidung für bestimmte Texte wird bestimmt sein müssen durch das Urteil des Predigers, der in einer konkreten Situation die Bibel liest und diesen bestimmten Text als an sich und seine Gemeinde gerichtet hört; insofern ist seine Freiheit keine Willkür. Eine etwaige Einrede gegen die Textwahl der Verf. der GO müßte begründen können, daß die Verf. diese Texte nicht so gehört und darum gewählt haben. Es genügt nicht zu sagen, daß man selbst lieber andere Texte gehabt hätte, sondern man müßte zeigen, daß diese Texte nicht gewählt werden durften.
Aber auch dann, wenn den Verf. nicht bestritten werden kann, daß sie die Freiheit hatten, diese Texte zu wählen, müßte abgelehnt werden, daß sie ihre Textwahl ebenso wie die ganze GO für alle Pfarrer verbindlich machen wollten. Das geschah gewiß im vermeintlichen Interesse der einzelnen Pfarrer, die bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und angesichts der zu erwartenden Anfechtung durch die nichtchristlichen Mithörer vor Entgleisungen geschützt und gegen etwaige Angriffe gedeckt werden sollten. Wenn man aber in dieser Weise den einzelnen Pfarrern und Gemeinden die Freiheit und Verantwortlichkeit abnimmt, bringt man sie in Gefahr, nicht mehr in ihrer konkreten Situation und der ihrer bestimmten Gemeinde, und darum nicht mehr echt zu beten, d. h. so, daß ihre Gemeinde wirklich mitbeten kann. Dieser Einwand richtet sich nur gegen die Verbindlichmachung der GO für alle Pfarrer, kann aber den Verf. in keiner Weise das christliche Recht bestreiten, in ihren Gemeinden so zu beten. Hätten sie ihren Entwurf bloß als „Handreichung“ herausgegeben, so wäre nicht das mindeste gegen ihn einzuwenden.
7. Auf Grund dieser Feststellungen müssen wir die Erklärung der Bischöfe auf das tiefste bedauern; wir können in ihr nur einen Sieg des Versuchers sehen, der die Kirche durch die Rücksicht auf die Erhaltung zeitlicher Güter immer wieder verleitet, sich des Zeugnisses ihres Herrn und seiner Gebundenen zu schämen (2. Tim. 1, 8). Als solche, die sich selbst oft genug solcher Verleugnung schuldig gemacht haben, bitten wir unsere Bischöfe, in die Gemeinschaft mit den angefochtenen Brüdern zurückzukehren und ihre Erklärung zurückzunehmen.
Erklärung: Die durch das DNB unter dem 10. XI. verbreitete Notiz über die Maßnahmen gegen die VL der DEK veranlaßt die unterzeichneten württ. Geistlichen, dem Herrn RKM folgendes zu erklären: Wir können in dem beanstandeten Entwurf zu einem Gebetsgottesdienst nichts erblicken, was uns zu einer Aufhebung der Gemeinschaft mit den Verf. veranlassen könnte, sondern sehen darin ein im Worte Gottes begründetes Zeugnis. Unsern Gemeinden haben wir im Sinne der beifolgenden Erklärung von unserer Stellungnahme Kenntnis gegeben.
Quelle: Joachim Beckmann (Hrsg.), Kirchliches Jahrbuch für die evangelische Kirche in Deutschland 1933-1944, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn, 21976, S. 262f.