„Die Toten klagen im Wind – und niemand ist aufgewacht …“ – Siegfried Einsteins Schlaflied für Daniel

Siegfried Einstein
Siegfried Einstein (1919-1983)

Siegfried Einstein, am 30. 11. 1919 in Laupheim geboren, emigrierte 1934 in die Schweiz und kehrte 1953 nach Deutschland zurück. Er verstarb am 25. April 1983 in Mannheim. Ihm ist noch bis zum 6. Januar 2020 die Sonderausstellung „Siegfried Einstein: ‚Fremdling blieb ich’“ im Museum zur Geschichte von Christen und Juden in Laupheim gewidmet

Schlaflied für Daniel*

Lampertheim ab 19,29 – Frankfurt an 21,15

Wir fahren durch Deutschland, mein Kind.
Und es ist Nacht.
Die Scheiben klirren im Wind,
da sind die Toten erwacht,

die Toten von Ausschwitz, mein Sohn.
Du weißt es nicht
und träumst von Sternen und Mohn
und Sonn- und Mondgesicht.

Du darfst nicht schlafen, mein Kind.
Und es ist Nacht.
Die Toten stöhnen im Wind:
viel Menschen sind umgebracht.

Du darfst nicht schlafen, mein Sohn,
und träumen von seliger Pracht.
Sieh doch, es leuchtet der Mohn
wie Blut so rot in der Nacht.
Wir fahren durch Deutschland, mein Kind.
Und es ist Nacht.
Die Toten klagen im Wind –
und niemand ist aufgewacht …

* 1947 wurde Einsteins Sohn Daniel geboren.

Quelle: Siegfried Einstein, Das Wolkenschiff. Gedichte, Zürich 1950, S. 70.

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