Über die Wirklichkeit des Segens (Auslegung zu Genesis 27,28-29)
Von Martin Luther
In seiner Genesis-Auslegung zu 27,28f – Erstgeburtssegen, den Isaak (ungewollterweise) Jakob erteilt – kommt Luther auf die Wirklichkeit des Segens zu sprechen. Segensworte sind kein leerer Schwall von Worten, sie richten keinen Glückwünsch (exoptatio) aus, sondern sind tatsächliche Gabe (donatio), also „reale Segnungen“, die nicht imprekativ, sondern indikativisch zu verstehen sind:
Dieser Segen aber ist nicht nur ein leerer Schall von Worten oder ein Glückwunsch, mit dem einer dem anderen etwas Gutes zu wünschen pflegt. Zum Beispiel, wenn ich sage: „Gott gebe dir schöne und gehorsame Kinder.“ Das sind nur Worte, mit denen man einem anderen etwas Gutes wünscht, ohne ihm tatsächlich etwas zu geben – es bleibt lediglich ein Wunsch, ein Segen, der ungewiss ist und noch vom Erfolg abhängt. Der Segen des Patriarchen Isaak hingegen zeigt ein gegenwärtiges Gut und ist für immer gewiss. Es ist kein bloßer Wunsch, sondern eine tatsächliche Gabe des Guten, wenn er spricht: „Siehe, nimm die Gaben hin, die ich dir mit Worten verspreche.“
Etwas anderes ist es, wenn ich sage: „Ich wünschte dir, dass du einen starken und gesunden Leib hättest, dass du einen guten Verstand besäßest“, wobei das Wort „haben“ nicht folgt. Und wiederum etwas anderes ist es, wenn ich dir einen Sack mit Geld darbiete und sage: „Siehe, nimm hin, da hast du tausend Gulden, die ich dir schenke.“ Oder wenn Christus zum Gichtbrüchigen sagt (Matthäus 9,6): „Steh auf, nimm dein Bett und geh heim!“ Hätte er nur einen gewöhnlichen Segenswunsch ausgesprochen, so hätte er gesagt: „Ach, wollte Gott, dass du gesund und stark wärst.“ Doch damit wäre die Krankheit nicht beseitigt worden, und es hätte nicht zur Wiederherstellung der Kräfte geführt. Darum wäre es nur ein bloßer Wortsegen geblieben.
In der Heiligen Schrift jedoch gibt es tatsächliche Segnungen – nicht bloße Segenswünsche, sondern wirksame Segnungen, die das wirklich schenken und bewirken, was die Worte sagen. So haben wir im Neuen Testament solche Segnungen durch das Priestertum Christi, das unser Segen ist. Wenn ich sage: „Nimm hin die Absolution deiner Sünden“, so ist dies ein tatsächlicher Segen. Würde ich aber nur sagen: „Wollte Gott, dass dir deine Sünden vergeben wären; ach, dass du fromm und in Gottes Gnade wärest“, oder: „Ich wünsche dir von Gott Gnade und Barmherzigkeit, das ewige Reich und Erlösung von deinen Sünden“, so könnte man das einen Segen der Liebe nennen. Doch der Segen der Verheißung, des Glaubens und der gegenwärtigen Gabe lautet folgendermaßen: „Ich absolviere dich von deinen Sünden im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Das bedeutet: Ich versöhne deine Seele mit Gott, nehme von dir seinen Zorn und seine Ungnade, setze dich in Gottes Gnade, gebe dir das Erbe des ewigen Lebens und das Himmelreich.
All dies geschieht durch eine Macht und Kraft, die dir dies gegenwärtig und wahrhaftig verleiht, wenn du glaubst. Denn es sind nicht unsere Werke, sondern Gottes Werke durch unser Amt und unseren Dienst. Darum sind es nicht bloße Wunschsegnungen, sondern solche, die tatsächlich etwas mitteilen. Wenn ich dich taufe im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, so ist das gleichbedeutend mit den Worten: „Ich reiße dich dem Teufel aus den Händen und bringe dich zu Gott“ – und das geschieht wahrhaftig und in der Tat.
In gleicher Weise hatten die Patriarchen Macht und Gewalt zu segnen, das heißt, mit einer bestimmten Verheißung denen, die sie segneten, die Nahrung, das Königtum und das Priestertum zuzusprechen. Es war, als hätte Isaak gesagt: „Ich gebe dir Korn, ich gebe dir das Reich und das Priestertum.“ Die Juden jedoch behandeln diese Segnungen allzu oberflächlich, denn sie verstehen sie nur auf menschliche Weise, als ob sie bloße Segenswünsche wären – und nicht als eine tatsächliche Übertragung der verheißenen Güter an jene, die gesegnet wurden. Ein wahrer Segen aber ist ein endgültiger Spruch oder ein Urteil, das mit Gewissheit festlegt, dass die im Segen verheißenen Güter auch tatsächlich folgen müssen.
Und eine solche Gewalt ist wahrlich eine große Sache, denn sie verleiht und gewährt wirklich leibliche Güter für das Haus, zeitliche Güter für die Herrschaft und ewige Güter für das Priestertum. Für eine solche Macht haben die Menschen Gott gepriesen, der sie ihnen verliehen hat – durch die er segnet und alle Arten von Gaben und Wohltaten schenkt und erweist.
Quelle: Johann Georg Walch, Dr. Martin Luthers Sämmtliche Schriften, Bd. 1: Auslegung des ersten Buches Mose, Erster Teil, St. Louis 1880, S. 298-300.
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