Grimms Wörterbuch (DWB) über den ‚lieben Gott‘: „Die heute gebräuchlichste Wendung ‚der liebe Gott‘ entspricht nicht dem biblischen Sprachgebrauch und kommt auch in der Lutherbibel nicht vor. Im Althochdeutschen erscheint liobi nur in Verbindung mit truhtîn (Herr), nicht aber mit got (Gott). Erst im Mittelhochdeutschen und besonders in älteren Volksliedern wird die Verbindung ‚der liebe Gott‘ gebräuchlich. Im eigentlichen Sinne des Attributs, also im Sinne von ‚gütig, gnädig, freundlich‘, wird es jedoch nur selten verwendet, wie etwa in dem Beispiel: ‚dass er vor sie den lieben Gott bat, damit er sie erlöse.'“

Über den „lieben Gott“ im Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB)

Kindersprache ist mitunter Elternsprache, wenn verharmlosend von „lieben Gott“ die Rede ist. Aufschlussreich ist, was in Sachen „lieber Gott“ das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (Bd. 8, Sp. 1048) schreibt:

α) der liebe gott als heute geläufigste verbindung (vgl. s. v. lieb 8 a, teil 6, 899) ist biblischem sprachgebrauch durchaus ungemäsz und auch der Lutherbibel fremd. ahd. (s. ob. sp. 1025) steht liobi nur neben truhtîn, nicht neben got (vgl. z. b. Otfrid L. 35; III 1, 31); erst das mhd., dann namentlich das ältere volkslied kennt die verbindung der liebe gott. im eigentlichen vollsinn des epithetons alsgütig, gnädig, freundlichnur selten: das der bete vor sy den libin got das her sy irloste Marco Polo 6, 29 Tscharner;

Printzel soll mit euch varen.
der liebe got musz euch pewaren,
der geb euch geluck und hail
Heinrich v. Neustadt Apollonius 4886 Singer;

dasz sie … jhre seelen dem lieben getrewen gott zu trewen händen bevehlen sollen Sandrub kurzweil (1618) 137. schon früh mit der neigung zu formelhaftem gebrauch, wobei die aktive vorstellungliebreich, gütigmehr oder minder zur passivengeliebt, teuerhinüberwechselt: wer deutsch kan, der weis wol, welch ein hertzlich fein wort das ist: die liebe Maria, der lieb gott, der liebe keiser, der liebe fürst, der lieb man, das liebe kind Luther 30, 2, 638 W.;

sie liebet mir vor allen,
das red ich auf mein eid;
der liebe got sol ir walten! (1533)
Uhland volkslieder (1881) 64;

(1547) ebda 159 u. ö.;

liebster gott, wie wunderbahr
ist die führung deiner wege
J. Chr. Günther s. w. 2, 258, 1 Krämer.

schon im 17. jh. kann die verbindung alles gewicht einbüszen, um den heute allgemein gültigen ton des vertraulichunverbindlichen anzunehmen, der auch einer ironisierung fähig ist. in diesem gebrauch verliert das epitheton, bezeichnenderweise und im unterschied zu allen übrigen adjektivverbindungen mit gott, in der gesprochenen sprache den sprechton: ein kerle, der den lieben gott danken solte, weil er ihn zu einem mannsbilde erschaffen Chr. Weise erznarren 59 ndr.; der liebe gott könnte uns recht in verlegenheit setzen, wenn er uns die geheimnisse der natur sämmtlich offenbarte Göthe IV 29, 203 W.; der liebe gott hatte sich ins mittel gelegt Storm s. w. (1898) 1, 58. in scherzhaften redensarten: und du denkst, mein herr würde es so mit ansehen, dasz du ihm den lieben gott von der stube treibest (ihm seine ruhe störst)? Lessing 1, 312 L.-M.; beim lieben gott sein im arrestlokal Horn soldatenspr. (1899) 121. in der kindersprache und in der mundart, hier neben (der) herrgott, häufiger als das einfache gott und in zahlreichen redewendungen, s. schweiz. id. 2, 508; 521; Fischer schwäb. 3, 763; Dähnert plattdt. wb. 156; Kück Lüneburg 595.

Quelle: Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm (DWB), Bd. 8 (1958), Sp. 1048.

Hier der Text als pdf.

Hinterlasse einen Kommentar