Heiliger Zorn statt „lieber Gott“. Predigt zu Nahum 1,2-8: „Das Schicksal ist unveränderlich, kennt keine Versöhnung und auch keine Wiedergutmachung. Anders der göttliche Zorn, der von der göttlichen Barmherzigkeit zeitlich begrenzt wird.“

Foto Rogerio Pacheco, Wolkenformation auf Madeira, 25. Januar 2016
Foto Rogerio Pacheco, Wolkenformation auf Madeira, 25. Januar 2016

Heiliger Zorn statt „lieber Gott“. Predigt zu Nahum 1,2-8

Aus dem Buch des Propheten Nahum im ersten Kapitel:

Der HERR ist ein eifernder und vergeltender Gott, ja, ein Vergelter ist der HERR und zornig. Der HERR vergilt seinen Widersachern; er wird es seinen Feinden nicht vergessen. Der HERR ist geduldig und von großer Kraft, vor dem niemand unschuldig ist. Er ist der HERR, dessen Weg in Wetter und Sturm ist; Wolken sind der Staub unter seinen Füßen. Er schilt das Meer und macht es trocken; alle Wasser lässt er versiegen. Baschan und Karmel verschmachten, und was auf dem Berge Libanon blüht, verwelkt. Die Berge erzittern vor ihm, und die Hügel zergehen; das Erdreich bebt vor ihm, der Erdkreis und alle, die darauf wohnen. Wer kann vor seinem Zorn bestehen, und wer kann vor seinem Grimm bleiben? Sein Zorn brennt wie Feuer, und die Felsen zerspringen vor ihm. Der HERR ist gütig und eine Feste zur Zeit der Not und kennt die, die auf ihn trauen. Er schirmt sie, wenn die Flut überläuft. Er macht ein Ende mit seinen Widersachern, und seine Feinde verfolgt er mit Finsternis. (VV 2-8)

Was für eine Ansage: „Der HERR ist ein eifernder und vergeltender Gott, ja, ein Vergelter ist der HERR und zornig. […] Wer kann vor seinem Zorn bestehen, und wer kann vor seinem Grimm bleiben? Sein Zorn brennt wie Feuer, und die Felsen zerspringen vor ihm.“ Da vergreift sich eine unbändige Macht am Leben; vernichtende Herrlichkeit bricht in die Schöpfung ein. Nichts scheint vor dem göttlichen Zorn zu bestehen. Wie sollen wir uns da auf solch einen Gott beziehen können, gar auf ihn vertrauen?

Das ist nicht der Gott, wie wir uns ihn vorzustellen wissen. Ungläubig schütteln wir den Kopf und halten dagegen: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm“ wie es ja im ersten Brief des Johannes heißt. Gott ist Liebe – wie soll er also zornig sein? Ist ein zürnender Gott nicht ein archaisches Gottesbild aus dem Alten Testament, von dem wir uns freimachen müssen? Der Evolutionsbiologe und bekennender Atheist Richard Dawkins findet in seinem „Gotteswahn“ drastische Worte:

„Der Gott des Alten Testaments ist – das kann man mit Fug und Recht behaupten – die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“ (Richard Dawkins: »Der Gotteswahn«, Berlin 2007, S. 45.)

Manche Christen können solchen Gottesbeschimpfungen etwas abgewinnen und machen eine Ungleichung auf: Der zornige Despotengott gehört in das Alte Testament (womit er uns nicht länger etwas zu sagen hat), der liebende Vatergott hingegen zeigt sich uns im Neuen Testament durch Jesus Christus. Mitunter wird die Forderung erhoben, in der Kirche auf das Alte Testament als Heilige Schrift zu verzichten. Man will es nur mit Liebe zu tun kriegen: Gott ist einzig und allein die Liebe – was für eine Einladung an uns. Wer möchte nicht von wahrer Liebe berührt werden? Gemeinhin reden wir vom „lieben Gott“, obwohl diese Wendung in der Bibel und insbesondere im Neuen Testament nicht vorkommt. „Du lieber Gott“ entfährt es unseren Lippen halberschrocken, aber wer ist damit überhaupt gemeint?

Am besten legen wir uns noch einmal in das eigene Kinderbett, wo Eltern mit uns im „Gute-Nacht-Gebet“ den lieben Gott angesprochen haben. Dieser Gott sollte uns beschützen und behüten, wie dies ja im elternliebsten Taufspruch aus Psalm 91 angesprochen ist: „Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.“ (V 11). Der liebe Gott hat uns gut zu tun. Und wenn etwas Schmerzhaftes passiert ist, dann soll er uns trösten. Bildlich gesprochen liegt der „liebe Gott“ immer noch in unserem Kinderbett – gleichsam als weicher Teddybär im Kinderarm zur Brust genommen. So hat er auf unser eigenes Kinder- und Elternleben fixiert zu sein.

Schlafendes-Kind mit Teddybär

Ja, Kindern soll man den liebenden Gott vorstellen – unser Vater im Himmel. Aber wo nicht biblische Geschichten wie die Sintflutgeschichte oder die Kreuzigung Jesu hinzukommen, kann sich ein narzisstisches Gottesbild einstellen: Der „liebe Gott“ ist Gut-Tuer meines Lebens – mehr aber auch nicht. Wo einfach so vom lieben Gott die Rede ist, hat die göttliche Liebe keine eigene Geschichte. Sie gilt mir vielmehr als Zuckerguss meines eigenen Lebensentwurfes.

Auf Dauer kann uns der „kinderliebe Gott“ nicht erhalten werden. Er besteht keine Lebenskatastrophen, ist nicht enttäuschungsresistent. Wo ein Neugeborenes der plötzliche Kindstod ereilt, wo das Herz eines jungen Erwachsenen aus heiterem Himmel zum Tod stillsteht, hat der allgegenwärtig liebe Gott sich selbst erledigt, ist er seiner eigenen Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit überführt.

In drastischen Worten hatte es Wolfgang Borchert, kriegsversehrter und todesnaher Schriftsteller, 1946/47 in seinem Drama „Draußen vor der Tür“ mit dem lieben Gott abgerechnet. Der ehemalige Soldat Beckmann kommt nach dreijähriger sibirischer Kriegsgefangenschaft in seine Heimatstadt Hamburg zurück. Er besitzt nur noch eine Kniescheibe, humpelt, hungert und friert. Eingetaucht in einen alten Soldatenmantel und mit einer gespenstischen Gasmaskenbrille im Gesicht trifft Beckmann auf der Straße den lieben Gott und stellt ihn zur Rede:

„BECKMANN: Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? Warst du lieb, als du meinen Jungen, der gerade ein Jahr alt war, als du meinen kleinen Jungen von einer brüllenden Bombe zerreißen ließt? Warst du da lieb, als du ihn ermorden ließt, lieber Gott, ja?

GOTT: Ich hab ihn nicht ermorden lassen.

BECKMANN: Nein, richtig. Du hast es nur zugelassen. Du hast nicht hingehört, als er schrie und als die Bomben brüllten. Wo warst du da eigentlich, als die Bomben brüllten, lieber Gott? Oder warst du lieb, als von meinem Spähtrupp elf Mann fehlten? Elf Mann zu wenig, lieber Gott, und du warst gar nicht da, lieber Gott. […] Wann warst du denn eigentlich lieb, Gott, wann? Wann hast du dich jemals um uns gekümmert, Gott?

GOTT: Keiner glaubt mehr an mich. Du nicht, keiner. Ich bin der Gott, an den keiner mehr glaubt. Und um den sich keiner mehr kümmert. Ihr kümmert euch nicht um mich.“

Angesichts der unerträglichen Kriegskatastrophe zeigt sich der liebe Gott Beckmann (bzw. Borchert) als menschenverlassener Kümmerling, selbst therapiebedürftig, mit dem auf Zukunft hin nicht zu rechnen ist. Irgendwann spielt er in dem Schauspiel keine Rolle mehr, ist nicht dabei, als Beckmann lebensverzweifelt sein Ende ausruft:

Beckmann in Draußen vor der Tür
Florian Lange als Beckmann in „Draußen vor der Tür“ in der Inszenierung von David Bösch am Schauspielhaus Bochum 2012

„Wo ist denn der alte Mann, der sich Gott nennt?
Wo seid ihr denn alle?
Warum redet ihr denn nicht!
Gebt doch Antwort! […]
Gibt denn keiner, keiner Antwort???“

Wie anders klingt da die gewaltige Zornesansage beim Propheten Nahum – von göttlicher Hilflosigkeit oder Schweigen keine Spur:

Der HERR ist ein eifernder und vergeltender Gott, ja, ein Vergelter ist der HERR und zornig. Der HERR vergilt seinen Widersachern; er wird es seinen Feinden nicht vergessen. […] Die Berge erzittern vor ihm, und die Hügel zergehen; das Erdreich bebt vor ihm, der Erdkreis und alle, die darauf wohnen. Wer kann vor seinem Zorn bestehen, und wer kann vor seinem Grimm bleiben? Sein Zorn brennt wie Feuer, und die Felsen zerspringen vor ihm.

Was Menschen als erdgewaltiges Unheil am eigenen Leib erfahren, scheint sich göttlichem Zorn zu verdanken. Wie soll da ein Rechten mit einem zürnenden Gott möglich sein, wenn einem die gottentsprechende Augenhöhe fehlt?

Blitz

Wenn wir im Alten Testament vom göttlichen Zorn zu hören kriegen, geben sich weder willkürlicher Jähzorn noch blinde Wut die Blöße. Vielmehr geht dem jeweiligen Zorn eine Vorgeschichte voraus. Der Gott, der Israel aus den Völkern auserwählt und der es aus der Knechtschaft Ägyptens herausgeführt hat, dieser Gott muss erleben, wie ihm sein geliebtes Volk untreu wird und sich anderen Göttern zuwendet. So entfährt der göttliche Zorn einer enttäuschten Liebe – Zorn ist keine göttliche Eigenschaft, sondern verletzte Leidenschaft. Trifft dieser Zorn uns Menschen, werden wir uns der göttlichen Gegenwart in schmerzlicher Weise neu bewusst.

Das mag sich verwegen anhören: Eine Zornesbegegnung mit dem Gott ist für uns niemals hoffnungslos, im Unterschied zum anonymen Schicksal. Wo Unheil uns im Innersten trifft, lässt Schicksal nur ein Hinnehmen oder Abfinden zu. Das Schicksal ist unveränderlich, kennt keine Versöhnung und auch keine Wiedergutmachung. Anders der göttliche Zorn, der von der göttlichen Barmherzigkeit zeitlich begrenzt wird. So heißt es in Psalm 103, dem Hohelied der Barmherzigkeit Gottes:

8 Barmherzig und gnädig ist der HERR,
geduldig und von großer Güte.
9 Er wird nicht für immer hadern
noch ewig zornig bleiben.

Und in Psalm 30 lesen wir:

6 Sein Zorn währet einen Augenblick
und lebenslang seine Gnade.
Den Abend lang währet das Weinen,
aber des Morgens ist Freude.

gott.verlassen

Ergänzend die göttliche Zusage beim Propheten Jesaja an sein Volk im 54. Kapitel:

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen,
aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen,
aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen,
spricht der HERR, dein Erlöser.
9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs,
als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten.
So habe ich geschworen,
dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.
10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen,
aber meine Gnade soll nicht von dir weichen,
und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen,
spricht der HERR, dein Erbarmer.

Schlussendlich gilt für den Glaubenden nicht der Zorn wider die Sünde, sondern die göttliche Barmherzigkeit. Da gibt es den einen Ort, wo der göttliche Zorn auf die Liebe endgültig durchschaut und durchglaubt werden kann, nämlich das Kreuz Christi.

Nein, am Kreuz von Golgota wird kein göttlicher Zorn durch ein Menschenopfer besänftigt und damit ein göttlicher Stimmungswandel vollzogen. Göttliche Liebe führt ans Kreuz, wo sie sich in der Gemeinschaft des Sohnes mit dem Vater für uns hingibt. In Jesus Christus ist der Zorn zwar nicht verwandelt, jedoch durchdrungen auf die göttliche Liebe hin: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16)

Wir spüren Gottes Barmherzigkeit dort, wo wir von seiner Liebesgeschichte mit uns Menschen – also dem Evangelium – eingenommen sind. Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus ist uns nicht zu willen. Er ist kein lieber Gott, den wir für uns vereinnahmen können. Vielmehr nimmt er in Liebe unseren Lebensfaden auf und webt diesen in seine Geschichte mit dem wahren Menschen Jesus Christus ein.

Kreuz Versöhnungskirche Dachau
Wandkreuz in der Versöhnungskirche in Dachau

Wird ein lieber Gott als namenloser und gefälliger Gut-Tuer unseres Lebens verkündet, vermag dieser nicht dauerhaft unseren Glauben zu finden. Allzu schnell scheitern wir an eigenen Unheilserfahrungen. Gestehen wir uns hingegen göttlichen Zorn ein – „das macht dein Zorn, dass wir so vergehen, und dein Grimm, dass wir so plötzlich dahinmüssen“ (Ps 90,7) – vermögen wir uns dem Evangelium wirklich zu stellen. Im Evangelium Jesu Christi kannst du dich vertrauensvoll in den göttlichen Zorn hineinbegeben. Wird heilloses Geschehen vom Kreuz Christi erfasst, zerbricht deiner Selbsterfahrung der Gotteszorn. Du bist nicht von seiner Liebe verlassen. Er wird dich wider alles Unheil lieben um Christi willen, glaube es ihm.

Hier der Text der Predigt als pdf.

3 Kommentare

    1. Ich halte es für anmaßend, unheilvolle Ereignisse unvermittelt mit einem göttlichen Zorn „prophetisch“ zusammenzusprechen. Die einzige Möglichkeit wäre die menschliche Frage in der Gottesanrede, also im Gebet: „War es Dein Zorn, dass das geschehen ist?“ So lesen wir es beim Propheten Habakuk: „Warst du zornig, HERR, auf die Flut? Entbrannte dein Grimm wider die Wasser und dein Zorn wider das Meer, als du auf deinen Rossen rittest und deine Wagen den Sieg behielten?“ (Hab 3,8) Ansonsten würde ich bei einem plötzlichen Kindstod das Gottvermissen einklagen: „Wo warst Du?“ Und doch wäre für mich persönlich im Unglücksfall die Rede vom göttlichen Zorn zuträglicher als die Rede vom anonymen Schicksal oder von einer göttlichen Machtlosigkeit. Denn um Unterschied zur Endgültigkeit des Schicksals bzw. zu einer heillosen Ohnmacht Gottes, kann ich beim göttlichen Zorn ein „Danach“ erwarten, eingedenk der göttlichen Worte beim Propheten Jesaja: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.“ (Jes 54,7f)

      1. Sie schrieben ja: „Wo ein Neugeborenes der plötzliche Kindstod ereilt, wo das Herz eines jungen Erwachsenen aus heiterem Himmel zum Tod stillsteht, hat der allgegenwärtig liebe Gott sich selbst erledigt, ist er seiner eigenen Hilflosigkeit und Gleichgültigkeit überführt.“
        Und ich frage mich jetzt halt, worauf Sie damit hinauswollen. Wenn der allgegenwärtig liebe Gott sich damit erledigt hat, dann verstehe ich Sie so, dass in Ihrer Überzeugung ein Gott „zuträglicher“ ist, der im Zorn dann eben vorsätzlich Säuglinge tötet. Das überrascht mich erstens ganz grundsätzlich, und zweitens frage ich mich, inwiefern. Ist er denn in Ihrer Vorstellung zornig auf das Kind und tötet es deshalb, oder zürnt er wegen was Anderem und lässt das an Unschuldigen aus? Oder wie?

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