
„Brich dem Hungrigen dein Brot“. Eine Fastenpredigt
Liebe Gemeinde,
Menschen sind auf der Suche nach dem guten Leben. Mit dem Lauf der Jahre entwickeln wir eine besondere Achtsamkeit für unseren eigenen Körper und fragen uns dabei: Wie kann ich mit mir und meinem Körper gut umgehen?
Da mag die Aufmerksamkeit der körperlichen Fitness gelten: Wir treiben Sport, machen Gymnastik, gehen zum Joggen oder zum Nordic Walking, fahren Rad oder wandern in den Bergen. Wer an die frische Luft geht, tut etwas für die eigene Gesundheit. Ja, die eigene körperliche Gesundheit behalten wir im Auge. Vorsorgeuntersuchungen werden gemacht, Massagen lindern Schmerzen und lösen Verspannungen. Die Sauna entschlackt und stärkt die Abwehrkräfte. Der Gang ins Thermalbad entspannt. Und wer es sich leisten kann, gönnt sich eine Spa-Behandlung in einem Wellness-Hotel oder geht auf Kur.
Schließlich achten wir auch noch auf die Ernährung – gesund soll sie sein, also viel Gemüse, Bio-Produkte, gar Vollwert-Kost. Gegenüber industriell gefertigte Lebensmittel zeigen wir uns skeptisch. Wer etwas auf sich hält, hält Diät. Bewusst essen wir weniger, wählen das aus, was nicht dick machen soll. Schließlich müssen wir uns immer wieder neu am Riemen reißen, um morgens auf der Waage bestehen zu können.
Ob Fitness, Massagen, Bio-Produkte oder Diät, alle haben das gleiche Ziel: Wir wollen dem eigenen Leben Gutes tun. Da könnte man ja in der Fastenzeit daran anschließen: Fastenzeit gilt heutzutage als die Zeit des selbstgewählten Verzichtes, mögen es Süßigkeiten sein, Alkohol, Zigaretten, Fernsehen, Internet oder das Auto. Zahlreiche Möglichkeiten des eigenen Verzichtens tun sich auf; sie alle habe ein gemeinsames Ziel: Durch Fasten wollen wir etwas für uns selbst gewinnen. Zumutungen sollen mit eigener Gesundheit belohnt werden. Fasten hat sich für das eigene Leben auszuzahlen. Wer fastet, will sich selbst etwas Gutes tun.
Gegenrede – das Wort des Herrn aus dem Munde des Propheten spricht in Sachen Fasten eine andere Sprache:
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe:
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,
lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast!
Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
(Jes 58,6f)
Das göttliche Wort stellt die Verhältnisse werden auf den Kopf: Für sich selbst fasten kann nicht gut gehen. Statt etwas für sich selbst tun fordert der Gott ein Tun und Handeln ein, das anderen zugutekommt. Mein Fasten hat dem Bedürftigen etwas zu geben: Brich dem Hungrigen dein Brot. Lass Menschen, die von dir abhängig sind, frei. Kleide nackte Mitmenschen neu ein. Bring Obdachlose in dein Haus.
Das soll das wahre Fasten sein, das sich auf Mitmenschen ausgerichtet. Vor dem Gott ist ein selbstloses Fasten angesagt; aber was trägt das für das eigene Leben aus? Da müssen wir zunächst die Fastenpraxis Israels in den Blick nehmen. Für Menschen im spätmodernen Europa ist deren Motivation nicht ohne weiteres verständlich. Wenn im Alten Testament von Fasten die Rede ist, geht es dabei nicht um Gesundheitsvorsorge oder um einen Zugewinn an Lebensqualität. Vielmehr ist man selbst in einer Not- oder Bedrohungslage geraten, wo weiteres Unheil abgewendet werden soll. Es gilt im eigenen Fasten die göttliche Gunst neu zu gewinnen; das Fasten dient als Wirkungsverstärkung des Betens gegenüber dem Gott:
„Wir fasten gemeinsam an einem Tag, werfen uns in Sack und Asche, treten als Trauergestalten auf: Du Gott schau auf uns, wie wir vor dir jetzt dastehen. Wir flehen doch so offensichtlich um deine Hilfe.“
Doch der Gott verweigert sich diesen Gefälligkeitsbezeugungen:
Soll das ein Fasten sein, an dem ich Gefallen habe,
ein Tag, an dem man sich kasteit,
wenn ein Mensch seinen Kopf hängen lässt wie Schilf
und in Sack und Asche sich bettet?
Wollt ihr das ein Fasten nennen und einen Tag,
an dem der Herr Wohlgefallen hat?
(Jes 58,5)
Solange Mitmenschen darben, geknechtet sind, hungern oder obdachlos auf der Straße stehen, verweigert sich der Gott seinem Volk:
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst
und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst,
dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen,
und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
(Jes 58,9f)
Dort wo Menschen ihren Mitmenschen in Not gerecht werden, wendet sich ihnen der Gott selbst zu:
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte,
und deine Heilung wird schnell voranschreiten,
und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.
(Jes 58,8)
Wer seinen Mitmenschen in Not hilft, dem hilft der Herr. Seine Zusage steht:
Dann wirst du rufen und der Herr wird dir antworten.
Wenn du schreist, wird er sagen: Siehe, hier bin ich.
(Jes 58,9)
Das ist stärkste Zusage, die Menschen von ihrem Gott erhalten können: „Hinenni, hier bin ich!“ Wo dieser Antwortruf ertönt, finden wir uns in Seiner Gegenwart wieder. „Hier bin ich!“ Ist dieser Gott mir zugegen, geht mein Leben nicht verloren.
Für ein gottgewolltes Fasten steht nicht die eigene Enthaltsamkeit, sondern die menschliche Zuwendung im Vordergrund:
Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
(Jes 58,7)
Die Frage stellt sich bei uns: Mit wem sollen wir denn unser Brot teilen, leben wir doch in Deutschland in einer Überflussgesellschaft. Nahrungsmittel sind überreich in den Läden und Supermärkten vorhanden. Wir leisten uns eine überschüssige Frischekultur. Untrügliches Zeichen hierfür ist das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) auf den Verpackungen. Für Nahrung gibt es einen eigenen Todestag; Unmengen von nicht verkauften oder nicht verzehrten Nahrungsmittel werden daher täglich bei uns vernichtet. Das heute gebackene Brot ist schon morgen nicht mehr verkäuflich.
Und dann wären da noch die Unmengen an Kleidung, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Billigimporte aus Asien angehäuft haben. Kleidung ist weithin zum Wegwerfprodukt geworden. Immer wieder neu muss im eigenen Kleiderschrank aussortiert werden. An den Recyclingplätzen sind die aufgestellten Kleidertonnen randvoll; Kleidersammlungen sind zu einem einträglichen Geschäft geworden. Bei uns in Deutschland muss niemand nackt und bloß da stehen. In letzter Not gibt es ja immer noch die Kleiderkammern bei Diakonie und Caritas.
Ja, in unseren Städten und Dörfern lebt eine Vielzahl von Menschen in ärmlichen und mitunter schwierigen sozialen Lebensverhältnissen – Kinder, Erwachsene und Alte, deren Zukunft nichts Gutes verheißt. Aber oft sind es gerade Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, die sich fehlernähren und demzufolge übergewichtig sind.
Brich dem Hungrigen dein Brot, kleide den Nackten ein. Diese Anweisungen lassen sich in unserer Gesellschaft nicht ohne weiteres nachvollziehen. Und doch hat die göttliche Fastenbotschaft ihre Gültigkeit, wenn unsere Lebensverhältnisse in einen weltweiten Zusammenhang gestellt werden. Unser Lebensstil hier in Deutschland hat mittelbar Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse und Ernährungsbedingungen in anderen Ländern vor allem in Afrika, Asien und Südamerika.
Stichwort Biogas und Biodiesel: Die Energieerzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen wie etwa Bioethanol aus Zuckerpflanzen oder Biogasanlagen auf Mais-Basis konkurriert weltweit mit der Produktion von Nahrungsmitteln. Die Nutzung von Ackerflächen zur Erzeugung nachwachsender Rohstoffe verringert die Anbaufläche für Nahrungsmittel. Schon jetzt haben sich in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Mexiko, Kolumbien, Afghanistan und Indien die einfachen Lebensmittel wie Mais oder Soja nachhaltig verteuert. Eine Verschärfung des Hungers und der Unterernährung ist die Folge.
Klimaschäden durch Fleischkonsum: Wir essen zu viel Fleisch. Empfohlen sind maximal 600 Gramm Fleisch pro Woche, doch gegessen wird deutlich mehr, im Durchschnitt mehr als 1,5 Kilogramm pro Kopf und Woche. Das hat Auswirkungen auf das Weltklima, stammen doch 29 Prozent aller menschengemachten Treibhausgase weltweit aus dem Nahrungsmittelsektor. Davon sind wiederum knapp 70 Prozent tierischen Produkten, vor allem dem Fleisch geschuldet. In Deutschland verursachen wir pro Person und Jahr elf Tonnen Treibhausgase. Eine Tonne davon verdankt sich unserem Fleischkonsum. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass der weltweit wachsende Fleischkonsum wesentlich dazu beiträgt, die Klimaerwärmung zu beschleunigen. So hat sich nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO die weltweite Produktion seit den Siebzigerjahren verdreifacht, auf inzwischen 300 Millionen Tonnen pro Jahr. Weltweit landet ein Drittel der Getreideproduktion inzwischen in Futtertrögen. Das verschärft nach Ansicht des UN-Welternährungsprogramms das Hungerproblem. Aufgrund der emissionsbedingten Klimaerwärmung werden die Erträge von Mais, Reis und Weizen demnach bis 2050 in vielen Entwicklungsländern um zehn bis 20 Prozent sinken. Eine zukünftige Hungersnot ist also zu erwarten.
Mit unserem energieintensiven Lebensstil und unserer fleischhaltigen Ernährung können wir der Menschen in anderen Teilen der Welt nicht gerecht werden. Wir sind Mitverursacher am Welthunger. Da trifft die göttliche Fastenbotschaft doch unser eigenes Leben:
Das aber ist ein Fasten, an dem ich Gefallen habe:
Lass los, die du mit Unrecht gebunden hast,
lass ledig, auf die du das Joch gelegt hast!
Gib frei, die du bedrückst, reiß jedes Joch weg!
Brich dem Hungrigen dein Brot.
(Jes 58,6f)
Hier in Deutschland müssen wir unsere Komfortansprüche in Sachen Energie und Ernährung zurücknehmen, damit wir Menschen in anderen Teilen der Welt nicht deren Lebensmittel vorenthalten. Über die Fastenzeit hinaus gilt uns das Gebot eines Energie- und Fleischfastens – um der weltweiten Gerechtigkeit willen. Nur so findet die göttliche Verheißung ihren Halt in unserem Leben:
Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte,
und deine Heilung wird schnell voranschreiten,
und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen,
und die Herrlichkeit des Herrn wird deinen Zug beschließen.
(Jes 58,6f)
Wo Fasten eben nicht auf das eigene Leben fixiert ist, sondern anderen zugutekommt, findet sich das göttliche Heil: Sich selbst etwas Gutes tun, geht nur dann auf Dauer gut, wenn es auch anderen gut tut. Nur im Blick auf unsere Mitmenschen kann unser Leben vor dem Gott heil werden. Wo unser Fasten das weltweite Heil der Menschen in den Blick nimmt, bricht bei uns das göttliche Lebenslicht hervor.
Noch einmal also die göttliche Fastenbotschaft in unseren Ohren zum Nachklingen über die vorösterliche Fastenzeit hinaus:
Brich dem Hungrigen dein Brot,
und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!
Wenn du einen nackt siehst, so kleide ihn,
und entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut!
(Jes 58,7)
Wenn du in deiner Mitte niemand unterjochst
und nicht mit Fingern zeigst und nicht übel redest,
sondern den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst,
dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen,
und dein Dunkel wird sein wie der Mittag.
(Jes 58,10)
Die Predigt wurde gehalten am 17. März 2013 in der Martin-Luther-Kirche in Vöhringen/Iller im Rahmen der Evangelischen Zeitansagen 2013 „Unser tägliches Brot gib uns heute … Was kann man heute noch mit gutem Gewissen essen?“