In Sachen Beschneidung: „Im Mittelalter und in der Neuzeit wird grundsätzlich an der theologischen Deutung (Bundeszeichen) festgehalten, zumal dieser in Verfolgungszeiten eine wichtige integrierende Funktion zukam.“

Beschneidung

Das Landgericht Köln hat in einem Urteilsspruch die Beschneidung eines vierjährigen Jungen aus religiösen Gründen für eine Körperverletzung und damit für strafbar erklärt. Die richterliche Argumentation folgt einem Aufsatz des Professors für Strafrecht Holm Putzke, den dieser 2008 unter dem Titel „Die strafrechtliche Relevanz der Beschneidung von Knaben“ publiziert hatte (vgl. außerdem den Beitrag „Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen“ im Deutschen Ärzteblatt). Zum Urteilsspruch hat Putzke selbst einen Kommentar online veröffentlicht.

Im Folgenden der immer noch lesenswerte Artikel „Beschneidung“ von Peter Schäfer aus der dritten Auflage des Evangelischen Kirchenlexikons (EKL):

Beschneidung

Von Peter Schäfer

1. Die Beschneidung war keineswegs auf das israelitische Judentum begrenzt, sondern auch bei anderen Völkern verbreitet (v.a. Ägypten; Jer 9,24f). Wahrscheinlich entstand sie in vorgeschichtliche Zeit als apotropäischer Akt und wurde ursprünglich kurz vor der Pubertät vollzogen (Gen 17,25). Das Alte Testament kennt noch die Beschneidung von Erwachsenen (Jos 5,2ff; Gen 34,13ff) und hat erst in der Priesterschrift die Beschneidung am achten Tag nach der Geburt verbindlich vorgeschrieben. Ebenfalls der Priesterschrift entstammt die für die weitere Entwicklung grundlegende theologische Deutung der Beschneidung als »Bundeszeichen« (Gen 17,10–14).

2. Im Frühjudentum wurde die Beschneidung eines der wichtigsten Gebote, das zusätzlich zur theologische Fundierung (Jub 15,25–27) nationalen Charakter erhielt und Israel von den anderen Völkern schied (1 Makk 1,15.48; 2,46). Mit dem Erstarken der makkabäischen Bewegung konnten Johannes Hyrkan (135–104) v.Chr.) und Aristobul I. (104–103 v.Chr.) die Beschneidung als Mittel der Judaisierung ein setzen und die Idumäer (Ant. XIII, 257f) sowie die Ituräer (ebd. 318) zur Beschneidung zwingen. Derart zum besonderen Kennzeichen des jüdischen Volkes geworden, wurde die Beschneidung zunehmend von anderen Völkern verurteilt und Gegenstand antijüdischer Polemik. Philo (ca. 25 v.–45 n.Chr.) führt denn auch neben der theologischen Motivierung erstmals hygienische Gründe für die Beschneidung an (De spec. leg. I, 1–12). Die Polemik römischer Satiriker gegen die Beschneidung (Horaz, Sat. I, 9,69f; Juvenal, Sat. XIV, 104) zeigt, daß diese auch in heidnische Kreise Eingang fand.

3. Im frühen Christentum setzte sich die Ablehnung der Beschneidung erst in einem längeren Prozeß durch. Während Paulus die Beschneidung am konsequentesten umdeutet und durch die Taufe abgelöst sieht (Phil 3,3; Kol 2,11f), wollten die Judenchristen offenbar an der Beschneidung festhalten (Gal 6,12–16; Act 15,1). Im Barnabasbrief (9,4) ist die jüdische Beschneidungspraxis dagegen bereits Objekt heftiger christlicher Angriffe.

4. Das rabbinische Judentum vertieft das theol. Verständnis der Beschneidung als »Bundeszeichen« (b Shab 137b) und »Abrahamsbund« (Av 3,11) und betont die Heilswirksamkeit des Blutes (TPsJ Ex 4,26), das mit dem »Bundesblut« gleichgesetzt wird (t Ned 2,6). Die fortdauernde Auseinandersetzung mit der heidnisch-christlichen Umwelt zeigen polemische Diskussionen darüber, warum die Beschneidung nicht schon Adam befohlen wurde (ARNA Kap. 2, S. 12) oder warum sie nicht im Dekalog enthalten ist (PesR 117 a).

5. Im Mittelalter und in der Neuzeit wird grundsätzlich an der theologischen Deutung (Bundeszeichen) festgehalten, zumal dieser in Verfolgungszeiten eine wichtige integrierende Funktion zukam (Maimonides, More III, 49; Albo, Ikkarim 4,45; Spinoza, Tract. theol. pol. III, 54); daneben treten rationalistische (Minderung der geschlechtlichen Lust) und hygienische Erklärungen. Radikale Bestrebungen innerhalb der frühen Reformbewegung (Frankfurter Reformgesellschaft 1843), die Beschneidung als überholt anzusehen, konnten sich nicht durchsetzen; dagegen verzichtet das moderne Reformjudentum weitgehend auf die Beschneidung zum Judentum übergetretener Erwachsener. Im heutigen Israel dominiert neben der theologischen die nationale Begründung, die auch säkularisierte Juden an der Beschneidung festhalten läßt.

Evangelisches Kirchenlexikon (EKL), Bd. 1/1 (1985), Sp. 441-442.

Hier der Lexikonartikel als pdf.

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