
Predigt über die Versuchung Abrahams bzw. über das Opfer Isaaks (1.Mose/Genesis 22,1-19)
Kann ich dir wirklich vertrauen? Was wäre, wenn der Gott diese Frage einem von uns stellen würde? Da mag man vielleicht überrascht sein, gehen wir doch in Sachen Gottvertrauen in der Regel von uns selbst aus. Können wir Gott wirklich vertrauen? Aber eigentlich ist die Vertrauensfrage für den Gott selbst entscheidend. Denn bevor wir Geschöpfe uns auf die Gottessuche begeben, hat der Gott Israels, der HERR, schon längst Menschen für sich selbst erwählt. Am Anfang fällt seine Wahl auf Abraham, gefolgt vom Volk Israel. Und schließlich gilt in Jesus Christus seine Wahl auch uns. Damit stellt sich die göttliche Vertrauensfrage von selbst: Kann der HERR Gott eigentlich uns vertrauen?
Zwei Dinge sprechen sich in dieser Vertrauensfrage aus: Menschen, die der Gott auserwählt hat, sind diesem nicht gleichgültig. Sie sind kein Spielzeug seines Willens, einmal in die eigene Hand genommen, und dann nach kurzem Gebrauch achtlos zur Seite gelegt. Ihr seid mir bitter ernst mit meiner Erwählung, also frage ich mich: Kann ich euch wirklich vertrauen? Und noch ein Zweites zeigt sich mit dieser Vertrauensfrage: Der Gott manipuliert nicht unser Leben. Auch wenn wir als die Auserwählten in Gottes Hand sind, so agieren wir nicht als Handpuppen einer göttlichen Willkür. Wäre unser eigenes Leben nichts anderes als ein göttliches Puppenspiel, würde sich eine göttliche Vertrauensfrage erübrigen.
Die göttliche Frage, ob wir IHM wirklich treu sind, mag uns nicht ohne weiteres schmecken. Sie kann gar unser eigenes Misstrauen hervorrufen: Warum will denn dieser Gott wissen, ob wir ihm treu sind. Glaubt er uns etwas nicht? Will er uns jetzt auf die Probe stellen? In der Tat bedingt die göttliche Erwählung eine menschliche Erprobung: Du bist meine Wahl, ich habe mich für Dich entschieden; ich will sehen, ob du meiner Entscheidung Dein Vertrauen schenken kannst. So sind Menschen vom HERRN immer wieder auf die Probe gestellt worden. Und der erste, der solch eine Vertrauensprüfung zu bestehen hatte, war Abraham.
Mit einem göttlichen Anspruch seines Namens beginnt die Versuchung des Abrahams: Abraham! Wo der eigene Namen fällt, gibt es kein Weghören. Also antwortet der Angesprochene aufmerksam: Hier bin ich. Da trifft ihn die göttliche Stimme mitten ins Mark: „Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.“
Der Atem stockt – das darf nicht wahr sein, das kann er doch nicht verlangen, nicht mit mir, meinen Sohn gebe ich nicht her. So denkt sich unsere empörte Reaktion. Aber von all dem lesen wir in der Bibel nichts. Da heißt es vielmehr: „Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.“
Scheinbar emotionslos gehorcht Abraham und bereitet den geforderten Opfergang sorgfältig vor. Er macht sich auf den Weg, wie einst bei seiner Berufung in Haran, wo er auf ein göttliches Wort hin seine angestammte Heimat verließ und in ein unbekanntes Land, Kanaan, zog. Fünfundsiebzig Jahre alt war er damals schon, als er mit seiner Frau Sara und seinem Neffen Lot gemeinsam aufbrach.
Nun heißt es also noch einmal aufbrechen. Für den uralten Abraham steht ein langer Marsch an. Und diesmal wird sich vor ihm kein gelobtes Land auftun. Vielmehr führt dieser Gang auf ein Ziel hin, wo ihm alles genommen werden soll. Unmöglich, das geht nicht. Doch wenn wir in der biblischen Geschichte zurückgehen, zeigt es sich, dass Abrahams Gehorsam kein Fatalismus ist. Da fügt sich der göttliche Anspruch in eine Vertrauensgeschichte ein, die schon mehr als 30 Jahre währt. Abraham kennt seinen HERRN, wie sonst könnte er ihm jetzt vertrauen.
Als der HERR ihm und seiner Frau Sara, beide in einem hochbetagten Alter, die Geburt eines gemeinsamen Sohnes zugesagt hatte, da konnte sich Abraham ein ungläubiges Lachen nicht verkneifen: „Soll mir mit hundert Jahren ein Kind geboren werden, und soll Sara, neunzig Jahre alt, gebären?“ (Gen 17,17; vgl. 18,13). Da tritt jedoch das göttliche Gegenwort gegen dieses Lachen an: „Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?“ (Gen 18,14) Und siehe da, wider alle Natur wird Isaak geboren.
„Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?“ Das göttliche Fremdwort wird mit der Geburt des Isaaks zum eigenen Vertrauenssatz, das Lachen zum Eigenname: „Isaak“ bedeutet „er lacht“. Als Abraham erneut der Stimme des HERRN folgt, ist ihm das Lachen vergangen. Und doch zeigt er sich nicht schicksalsergeben, „Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?“ Der Herr kann von mir Unmögliches verlangen, weil IHM selbst nichts unmöglich ist.
Als sie am dritten Tage den Fuß des Berges Morija (»wo [Gott] gesehen wird«) erreicht haben, weist Abraham seine Knechten an: „Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.“ Da stehen die letzten Schritte zur Opferung des Sohnes an; und dennoch kündigt Abraham den unwissenden Knechten die Rückkehr mit seinem eigenen Sohn an: „Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein?“
Die Gefahrgüter Feuer und Messer nimmt Abraham selbst in die Hand; das Feuerholz vertraut er hingegen seinem Sohn Isaak an. Beim Aufstieg kommt Isaak die Frage: Mein Vater! Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?“ Was vermag der Vater darauf zu antworten? Er spricht das schier Unglaubliche aus: „Mein Sohn, der Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.“ Ja, dem HERRN ist nichts unmöglich. Abraham geht aufs Äußerste, zusammen mit seinem unwissenden Sohn. Nachdem beide auf der Bergkuppe die Opferstätte erreicht haben, spitzt sich das Geschehen in unerträglicher Weise zu: „Und als sie an die Stätte kamen, die ihm der Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.“

Abraham, wie kannst Du nur Hand an deinen eigenen Sohn legen? Die drohende Kindstötung erfasst uns mit Schrecken. Menschenopfer kann und darf doch niemand fordern. Da ruft der Bote des HERRN vom Himmel herab: „Abraham! Abraham! Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts.“ Der HERR hat schon längst zuvor einen Widder als Opfertier ersehen. Und siehe da, Abraham erblickt hinter sich den Widder, der sich mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen hatte, und er „ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.“
Der HERR selbst hat das Opfer ersehen, das Abraham mit seinem Sohn Isaak leben lässt. In der Tat, der HERR vermag von Menschen wie Abraham Unmögliches verlangen, weil IHM selbst nichts unmöglich ist. Und doch die Rückfrage, nachdem ein Widder geopfert und zwei Menschen unversehrt zurückkehren: Was hat dieses Schauspiel auf Leben und Tod gebracht – außer Furcht und Zittern?
Gewonnen hat nicht der Mensch, sondern der HERR, der dem Abraham zusagt: „Nun weiß ich, dass du den Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.“ Abraham, der Vater des Glaubens, hat seinen Sohn nicht für sich selbst behalten. Da waren für ihn alle Verheißungen, die ganze Lebenszukunft in Isaak zusammengefasst; und doch hat sich Abraham daran nicht festgemacht. Was ihm der HERR gegeben hat, kann er zurückgeben, um IHM treu zu bleiben. Da stimmt er auf dem Berg Morija in Hiobs durchlittenes Bekenntnis ein: „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!“ (Ijob 1,21) Doch bevor der HERR sich das Leben des Isaak nimmt, gibt ER ihm seinem Vater zurück.
Auf dem Berg Morija haben der Gott und Abraham für immer zueinander gefunden. So wird Abraham zum Vater des Glaubens geadelt und erhält die himmlische Verheißung mit einem göttlichen Schwur zugesagt: „Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der HERR: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dein Geschlecht segnen und mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast.“
Wer an den HERRN glaubt, muss nicht mit dem eigenen Leben oder dem seiner Kinder bezahlen. Das Opfer, das ausersehen worden ist, sind nicht wir, sondern der Gottessohn. Kann ich dir wirklich vertrauen? Da mag es für Menschen hier unter uns Zeiten und Situationen geben, wo ihr eigenes Gottvertrauen bis aufs Äußerste strapaziert wird, wo Dinge geschehen, die für andere untragbar erscheinen. Doch wenn da im eigenen Leben tatsächlich eine göttliche Prüfung ansteht, eine Prüfung, die über die eigenen Kräfte zu gehen scheint, dann ist diese Versuchung immer von der göttlichen Erwählung umschlossen. Die Absicht einer göttlichen Schicksalsprüfung ist nicht das Scheitern, sondern das Vertrauen, wo die Menschenbitte „führe mich nicht in die Versuchung“ zur durchlittenen Gottesbitte wird: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erde.“ Ja, „in deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.“ (Psalm 31,6).
Amen.
Und hier Gerhard von Rads Auslegung „Das Opfer des Abraham“.
Spannend!
Hat dies auf NAMENSgedächtnis rebloggt und kommentierte:
Da am kommenden Sonntag Judika 1Mose 22,1-13 als Predigttext vorgesehen ist, noch einmal die Predigt dazu.