In der Diskussion um die Frage nach den Grundlagen unseres Verfassungsstaates meldet der Münchener Professor für Systematische Theologie Friedrich Wilhelm Graf Vorbehalte gegenüber einem christlich-jüdischen Erbe an, wenn er in einem SZ-Interview erklärt:
„Der moderne Verfassungsstaat, und speziell der Rechtsstaat in Deutschland, ist weithin gegen die Kirchen durchgesetzt worden. So wurde etwa noch weit bis in die fünfziger Jahre in den Diskursen beider großen Kirchen der Begriff ‚Menschenrechte‘ eher kritisch gesehen, als liberalistische Verirrung des modernen Menschen.“
Ähnlich schreibt der katholische Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde über die kirchlichen Vorbehalte in Sachen Religionsfreiheit:
„Hatte die Kirche durch Verlautbarungen ihrer Päpste noch im 19. Jahrhundert und bis ins 20. Jahrhundert hinein Religionsfreiheit als äusseres Recht im Rahmen staatlicher Rechtsordnung strikt abgelehnt und später allenfalls als zu tolerierendes Übel erklärt, das in bestimmten Situationen um höherer Güter willen akzeptiert werden kann, so hat sie mit der Erklärung zur Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) eine positive und nach ihrer Begründung endgültige Wendung genommen. Vor dem Konzil brauchten die Katholiken sich nicht zur Religionsfreiheit (als Prinzip) zu bekennen, durften sogar für den «katholischen Staat als These» eintreten, wie er in der Staatslehre Papst Leos XIII. grundgelegt war, und den religiös neutralen Staat der Neuzeit zur «nationalen Apostasie» erklären, wie Klaus Mörsdorf in seinem Lehrbuch des Kirchenrechts noch 1964; sie mussten nur die Religionsfreiheit als gesetzlich bestehend respektieren und sich entsprechend verhalten. Das haben sie getan und ihre Vorbehalte im Laufe der Zeit abgebaut.„