Ich bin Missionar. Richtet die Verbreitung der christlichen Botschaft Unheil an?

Johann Valentin Haidt - Erstlingsbild
Erstlingsbild von Johann Valentin Haidt (Herrnhuter Brüdergemeine)

In der Süddeutschen Zeitung vom 17. Oktober 2007 ist mein „missionsapologetischer“ Artikel Ich bin Missionar erschienen. Hier ist meine Urfassung:

Mission possible – Warum christliche Mission legitim und sinnvoll ist

Ich bin Missionar, zugegebenermaßen. Missionar sein war einmal eine respektable Berufung im 19. Jahrhundert. Die nach Übersee entsandten Missionare erfuhren allgemeines Wohlwollen in der deutschen Bevölkerung. Wer heute hingegen als christlicher Missionar tätig ist, sieht sich kritischen Anfragen ausgesetzt. Andere Völker für den christlichen Glauben zu gewinnen wird häufig als kulturzerstörisch angesehen. Das deutsche Spenderherz lässt sich für Katastrophenhilfe bewegen; in Sachen Seelenheil scheint jedoch niemanden zu helfen sein: Jeder muss nach seiner althergebrachten Fasson selig werden.

Als Missionar missioniert man nicht

Als Missionar in Hong Kong ist man heutzutage nicht an vorderster Front. Das persönliche Bekehrungszeugnis von jungen Chinesen im Freundeskreis ist viel gewinnender als Erklärungsversuche unsereins, denen das Christsein in die Wiege gelegt wurde. So besteht meine Tätigkeit an einer Kirchlichen Hochschule vor allem darin, die Grammatik der christlichen Lehre Theologiestudierenden aus Südostasien zu unterrichten. Als Missionar missioniert man nicht, sondern dient einer einheimischen Partnerkirche in deren Bemühungen, Mitmenschen für den christlichen Glauben zu gewinnen.

Konfrontiert man Christen in Hong Kong mit deutscher Missionskritik, so stößt man auf Unverständnis: Warum nicht die christliche Botschaft propagieren, die man selbst als heilvoll erfahren hat. So verwundert es nicht, dass unter Christen in Hong Kong ein starker missionarischer Impetus vorhanden ist: Gemeindeglieder nehmen in ihrer Urlaubszeit an Missionstrips nach China teil; verschiedene Kirchen entsenden Missionare in andere Länder. Damit folgen sie einem allgemeinen Trend. Während die Mission vormals das Werk von Europäern und Nordamerikanern gewesen ist, haben sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts die missionarischen Aktivitäten hin zu den Kirchen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas verlagert.

Warum die christliche Botschaft erfolgswirksam ist

Was sich volkskirchenentwöhnte Deutsche kaum vorstellen können, ist, dass die christliche Botschaft in anderen Kontinenten „heiß“ ist. Die christliche Lehre wird dort als etwas angenommen, womit man das eigene Leben nicht nur bewältigen, sondern vielmehr verbessern kann. Die Grundlage hierfür ist eine Wirklichkeitsdimension, die für außereuropäische Kulturen grundlegend ist: Außerhalb einer sichtbaren Welt, die naturwissenschaftlich beschrieben werden kann, existiert eine Sphäre von unsichtbaren, höchst einflussreichen Mächten und Geistern. Diese wirken sich in einem organischen Zusammenhang auf das Leben entweder positiv oder negativ aus. Man muss sich daher durch richtiges Tun und Verhalten in eine wohlgefällige Beziehung zu ihnen bringen.

Es ist dieser organische Lebenszusammenhang, der den Nährboden für Bekehrungen bildet. Die christliche Lehre erweist sich als effektive religiöse Wohlergehenslehre (Diätetik): Christus als Heiland annehmen heißt von einem selbst empfundenen Schuldverhängnis erlöst zu sein. Durch Christus haben Gläubige Zugang zu der Über-Macht des einen Gottes, der die Welt erschaffen hat. Im Gebet partizipieren sie an der göttlichen Vorsehung, die Schutz, Heilung und Wohlstand bewirkt. Und schließlich erfahren Christen eine bisweilen ekstatische Ermächtigung durch den Heiligen Geist sowie göttliche „callings“, was eine selbstgewisse Lebensführung ermöglicht.

Christliche Lehre als Lebensressource

Derartige Leistungen tragen weit mehr aus als Sinnstiftung oder Kontingenzbewältigung. Der christliche Glaube erscheint als Lebensressource und wird daher nicht aufoktroyiert. Menschen nehmen Christus für sich selbst an, weil das ihrer eigenen Lebensweise zusagt. Die biblische Lebensform ist der Lebenssituation in Afrika oder Asien weit näher als im postindustriellen Europa. Von daher genügt für die christliche Heilsbotschaft eine sprachliche Übersetzung ohne hermeneutische Allegoresen. Wenn dann noch Lebenszeugnisse aus dem Freundeskreis das Heil bewahrheiten, wird die eigenen Bekehrung von selbst nahe liegend. Umgekehrt bestätigt die Bekehrung eines Mitmenschen das eigene Christsein als richtigen Lebensweg. Von daher sind Christen selbst daran interessiert, ihre positiven Erfahrungen in gewinnender Weise „Nichtgläubigen“ gegenüber zu bezeugen.

Auffälligerweise ist die christliche Mission in Südostasien gerade unter Minoritäten erfolgreich gewesen, wie zum Beispiel die Chins in Birma oder die Montagnards in Vietnam. Teilweise wurde Mission entgegen dem Willen einer europäischen Kolonialverwaltung betrieben, wie im Falle der Nagas in Nordostindien, wo gegenwärtig mehr als 90 % der Bevölkerung Baptisten sind. Als Ex-Monty Python Michael Palin in seiner BBC Fernsehserie über den Himalaja seinen einheimischen Übersetzer fragte, warum die Konyaks, ein Naga-Stamm von ehemaligen Kopfjägern, die christliche Lehre angenommen haben, erhielt er die knappe Antwort: Wegen der Bildung.

Der kulturerhaltende Beitrag der christlichen Lehre

In der Tat ist die christliche Lehre ein wesentlicher Bildungsträger, basiert doch in vielen Ländern das Schulsystem auf vormaligen Missionsschulen. Im Unterschied zum Koran ist die Bibel von Anfang an in einheimische Sprachen übersetzt worden. Vor allem die protestantische Mission hat auf die Wirkung der gedruckten Bibel gesetzt und dazu die meisten Schriftsprachen durch Bibelübersetzungen geschaffen. Der eine Gott, der die Welt erschaffen hat, spricht die eigene Muttersprache. Um sein Wort für das eigene Leben zu erfahren, muss man die Bibel lesen können. Für Stammeskulturen entsteht ein Anreiz zum Erlernen der eigens geschaffenen Schriftsprache. Diese Schriftsprache wird wiederum dazu verwendet, die eigene Kultur zu verschriftlichen. Der Einfluss von Bibelübersetzungen für die Bewahrung des tribalen kulturellen Erbes kann daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Tribale Gesellschaften stehen durch Kolonialisierung, nationalstaatlichem Territorialismus sowie ökonomischer Globalisierung unter einem Assimilierungsdruck. Wo eine überkommene Götter- oder Geisterwelt als Schutzmacht solchem Veränderungsdruck nicht gewachsen ist, entsteht ein Machtvakuum, das zu einem kulturzerstörerischen Fatalismus führen kann. Der muttersprachlich assimilierte christliche Glaube hingegen versichert sich des Beistandes des einen übermächtigen Gottes. Mit derartigem göttlichen Rückhalt können Modernisierungseinflüsse von außen unter Beibehaltung der eigenen kulturellen Identität aufgenommen werden.

Entgegen dem gängigen Vorurteil ist die christliche Mission durch ihre Übersetzungsleistung nicht kulturzerstörerisch. Es ist gerade die indigenisierte christliche Lehre, die die Identität von tribalen Minoritäten gegen Assimilierungsversuche seitens dominanter „Staatsvölker“ wie beispielsweise die Birmanen in Burma bewahrt. Ohne Eigenstaatlichkeit sind Stammesgesellschaften von der internationalen Völkergemeinschaft ausgeschlossen, nicht jedoch von der christlichen Ökumene. Das weltweite Netzwerk der Partnerkirchen verschafft ihnen Protektion und Bildungsressourcen, die ihnen im eigenen Land verwehrt sind.

Wenn Europäer die christliche Mission ablehnen, ignorieren sie die eigene tribale Vergangenheit. Die europäische Zivilisation verdankt sich dem Umstand, dass die christliche Mission unter germanischen Stammesgesellschaften vor mehr als tausend Jahren erfolgreich gewesen ist. Ohne die Kirche sind Literalität und die Aneignung des antiken Bildungsguts kaum vorstellbar. Warum sollte man nicht anderen Kulturen eine ähnliche Bildungschance einräumen?

Verdeckter Paternalismus

Wenn gegenwärtig Mission das Werk einheimischer Christen ist, lässt der Paternalismusverdacht umkehren: Europäer, die die christliche Mission in Frage stellen, projizieren ihre neuheidnischen Vorbehalte in andere Kulturen: „Was für uns nicht (mehr) von Bedeutung ist, kann für Euch auch nicht gut sein.“ Nicht die Mission sondern deren Ablehnung stellt gegenwärtig einen eurozentristischen Versuch dar, andere Völker zu paternalisieren. Der Anspruch, eine „authentische“ Kultur schützen zu wollen, spiegelt einen GEO-Naturalismus wieder, der Menschen in deren eigenen Aspirationen nicht erst genug nimmt. Die propagierte Kulturauthentizität reduziert sie zu exotischen „Naturvölkern“, die als ethnologische Studienobjekte oder Tourismusattraktionen wahrgenommen werden. Ein solcher „Kulturauthentizitismus“ kann leicht eine rassistische Schieflage annehmen kann, wenn es darum geht, „Naturvölker“ zusammen mit Wildtieren in ihrer vermeintlichen Ursprünglichkeit schützen zu wollen.

Christliche Mission hingegen enthält eine Absage an jede Form von Rassismus, werden doch Menschen unabhängig von Rasse oder Geschlecht auf einen gleichen Status hin angesprochen, entweder als todbestimmte Sünder, die nicht rettungslos verloren sind oder als Schwestern und Brüder im Herrn. Missionare agieren nicht etwa aus einem Überlegenheitsgefühl heraus, sondern teilen das mit anderen, was sie selbst als heilvoll erfahren haben. Wo andere Menschen die christliche Botschaft für sich annehmen, entsteht eine Gemeinschaft mit Verpflichtungen, die nicht immer spannungsfrei ist. Exotische „Naturvölker“ kann man sich auf Distanz halten, nicht aber Menschen, von denen Jesus im Gleichnis vom Weltgericht sagt: „Wahrlich, ich sage euch, was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25,40)

Jochen Teuffel

Hier der Text aus der Süddeutschen Zeitung als pdf.

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