Verheißungen an Israel (Weissagung und Erfüllung)
Von Claus Westermann
Das AT ist von Anfang bis Ende durchzogen von einer Kette von Ankündigungen, Versprechen oder Zusagen Gottes. Es gehört zum Wesen dieser Verheißungen, daß ihre Erfüllung nach neuer Verheißung ruft, denn immer ragt die Verheißung über die Erfüllung hinaus (Gn 12, 3). Auch wenn gesagt werden kann, „es kam alles“, so steht in einem weiteren Horizont doch immer noch etwas aus. Dabei sind die Verheißungen so in die Geschichte des Gottesvolkes verwoben, daß man ihre Geschichte nachzeichnen kann.
1. Die Geschichte der Verheißungen
a) Die Grundverheißung. Untrennbar ist die Errettung aus Ägypten verbunden mit der Ankündigung Ex 3,7 f. Sie zeigt die Grundelemente aller späteren Verheißungen: α) Dem perfektischen Teil („Ich habe gesehen … gehört …“) entspricht die Heilszusage; als unbedingte Zusage der Errettung des Volkes Ex 3,7 f. und im babylonischen Exil bei Dtjs und Ez; örtlich und zeitlich begrenzt in den Jahwe-Kriegen (Jos 8,1), in der Heilszusage an einen König oder einen Propheten (2Sm7; Jr 1,18f.); an einen Einzelnen im Gottesdienst im sog. priesterlichen Heilsorakel (1Sm 1). ß) Dem futurischen Teil entspricht die Heilsankündigung, wie sie sich von hier durch das ganze AT zieht. Ihre Mitte ist das Eingreifen Gottes in einem rettenden (und bewahrenden) Tun oder in einem Geben (das Land, seine Güter, Ruhe, Leitung). γ) Ist das verheißene Heil eine Gabe des Stetigen, so geht die Heilsankündigung über in die Heilsschilderung, angedeutet schon Ex 3,8 b; ihre Wurzel ist vielleicht das Seherwort, ihr Schwerpunkt die Prophetie der späten Zeit; weitergeführt in der Apokalyptik.
b) Die Verheißung des Landes und der Mehrung an die Väter. In der Grundverheißung ist die Ankündigung der Rettung mit der des Hineinführens in das gute Land verbunden. Hier ist die in die Väterzeit zurückreichende Landverheißung, die wahrscheinlich im Glauben an den „Gott der Väter“ (A. Alt) wurzelt, mit der Verheißung der Rettung vereint. Der Jahwist hat durch den Einbau der Vätertraditionen in die Volksgeschichte den Bogen dieser alten Landverheißungen sehr erweitert: ursprünglich als zu Lebzeiten der Väter zu erfüllende gedacht Überspannen sie jetzt die ganze Vätergeschichte. Dabei wird der Segen der Verheißung eingeordnet: zur Landverheißung tritt die Verheißung der Mehrung zu einem großen Volk. Die Verbindung von Segen und Verheißung hat der Jahwist thematisch der Vätergeschichte vorangestellt (Gn 12,1-3) als der der Fluchgeschichte folgenden Segensgeschichte und damit gesagt: die dem Volk Israel geschenkten Verheißungen gelten in letzter Erstreckung der ganzen Welt. — Am Schluß der Vätergeschichte verzweigt sich der Segen über die 12 Söhne Jakobs, verbunden mit Verheißungen für einzelne Stämme (Gn 49; Dt 33). Nahe verwandt sind die Verheißungen in den Bileamsprüchen (Nm 23 f.; Wurzel der Heilsprophetie?). — Jos 21,43-45 schließt die Verheißungsgeschichte dieser Epoche ab mit der nachdrücklichen Feststellung, daß Gottes Verheißungen alle ohne Rest erfüllt wurden.
c) Die Verheißung für das Königtum. Mit der neuen Lebensform Israels im Staat verbindet sich eine neue Verheißung. Angesichts der Gefährdung des Volkes im Land leben auch Land- und Mehrungsverheißung weiter als Verheißung des Segens für das Land und der Ruhe vor den Feinden; bes. im Dt, in dem ein reicher Strom des Segens (28,3-14) dem gehorsamen, willig seinem Gott dienenden Israel verheißen wird. — Die Verheißung des stetigen Heils für Volk und Land bekommt eine neue Gestalt in der Nathan-Verheißung (2Sm 7) für das davidische Königtum. Die auf die Nathan-Verheißung folgende Geschichtsschreibung gründet weithin auf ihr. Auf ihr beruht auch die Ankündigung des neuen Königs der Heilszeit.
d) Die prophetische Verkündigung. Bei der Nathan-Verheißung ist ein Abschluß wie Jos 21,43 ff. nicht mehr möglich. Israel hat auf die erfüllten Verheißungen nicht mit ungeteiltem Gehorsam geantwortet, darum wird das ankündigende Gotteswort für die ganze Königszeit vorherrschend zum Gerichtswort. Es hat wieder den unbedingten, perfektischen Charakter. Seine Mitte ist die Ankündigung des Eingreifens Gottes; wie es sich historisch konkretisiert, ist daneben sekundär, die bloß voraussagenden Züge treten stark zurück. Die Zukunft, von der sie reden, ist Gottes Kommen. — Daneben aber verstummt die Heilsbotschaft niemals ganz. Allein die Tatsache, daß Gott Boten schickt, ist ein Zeichen seines Zugewandtseins; das Gericht als Läuterungsgericht, die Rettung eines Restes, örtlich und zeitlich begrenzte Heilsworte (Hos 2; Js 7 f.; Jr 32). Doch die Heilsbotschaft als solche ist nicht mehr eindeutig; in 1Kg 22 und Jr 28 steht das Wort des Heilspropheten gegen das des Gerichtspropheten.
e) Mitten im Zusammenbruch setzt die umfassende und unbedingte Heilsverheißung wieder ein bei den beiden Propheten des Exils: Ez und Dtjs. Bei beiden hat das Heilswort wieder perfektischen Charakter (Js 40,1-11; Ez 37), das Heil ist in Gottes Vergebung begründet (Js 40,2; 43,25; Ez 37,25). Im futurischen Aspekt weichen sie dagegen voneinander ab: in Ez 40-48 ist die Erneuerung des Volkes in der des Gottesdienstes verankert. Diese um den Gottesdienst kreisende Verheißung geht nach dem Exil bei Hagg und Sach weiter. Dtjs bleibt bei der Befreiung aus dem Exil und der Heimkehr stehen; von dem dann beginnenden Neuen redet er nur andeutend; stattdessen weist er in den Gottesknechtliedern auf ein ganz neues Heilsereignis: das stellvertretende Leiden eines, der nicht nur dem Gottesvolk, sondern auch den Völkern Heil bringt (vgl. Gn 12,3). Diese Linie findet in der nachexilischen Zeit so gut wie keine Fortsetzung.
f) Die nachexilische Prophetie ist überwiegend Heilsverkündigung, und zwar immer mehr in die Richtung der Heilsschilderung. Sie weist eine große Vielfalt und ganz verschiedene, auch divergierende Linien auf. Ein durchgehender Zug ist die allmählich immer stärkere Transzendierung des zukünftigen Heils. Damit geht die Prophetie über in die Apokalyptik, die ein jenseitiges, zur vollen Königsherrschaft Gottes führendes Heilsdrama in vielen einzelnen Akten entwirft.
2. Das verheißene Heil
Die Mitte allen verheißenen Heils bleibt von Anfang bis zu Ende: Gott wendet das Geschick seines Volkes (Am 9,14). Hierin berühren sich Gottesdienst und Prophetie: Wie im Gottesdienst der vergangenen Taten Gottes gedacht wird, so wird die wartende Gemeinde hier auch des kommenden Gottesheils gewiß (die Pss von der Königsherrschaft Gottes).
Von dem verheißenen Heil wird in drei Kreisen geredet:
a) weitaus im Vordergrund steht das Heil für das Volk Gottes. α) Das Verhältnis zu Gott wird von Grund aus heil (Jr 31,31-34; Ez 48,35; Js 60,19). ß) Segensverheißung (Am 9,13) überhöht im Frieden der Tierwelt (Hos 2,20; Js 11,6); γ) geschichtliche Verheißung; nach innen: Friede und Gerechtigkeit, beide garantiert der König der Heilszeit, der „Sproß“ (Js 9; 11); nach außen: Größe an Zahl und Ausdehnung, Ehren- oder Vormachtstellung unter den Völkern, Glanz, Reichtum. Besonders häufig die Wiedervereinigung der Getrennten und die Sammlung der Zerstreuten. Das Verhältnis zu den anderen Völkern bleibt unausgeglichen: Sieg über die Völker und deren Vernichtung (Ez 38 f.; Js 25,10 f.), Unterwerfung aller Völker, die dann Israel dienen müssen (Js 61,5), Teilhaben der Verheißung am Heil Israels (Js 2; 60,3), Sendung Israels an die Völker (Js 42,3).
b) Heil für die Welt: Friede unter den Völkern (Js 2,4); darüber hinaus Ankündigung einer kosmischen Katastrophe (JS24), aus der ein neuer Himmel und eine neue Erde hervorgehen (Js 65,17). Weltgericht und Welterneuerung wird das große Thema der Apokalyptik. Gott vernichtet alle feindlichen Mächte (Js 27,1 f.), auch das Leid und den Tod (Js 25,8).
c) Heil für den Einzelnen: vom Exil ab (Ez) tritt ganz allmählich das zukünftige Heil des Einzelnen in den Blick. Grundlegend ist die künftige volle Zugehörigkeit jedes einzelnen zum Gottesvolk (Jr 31,34); später wird die Voraussetzung der Teilnahme auch der schon Gestorbenen an der kommenden Gottesherrschaft die Auferstehung zunächst der Frommen, dann aller Toten zu Gericht und Seligkeit (Js 26,19.21).
Lit.: Vgl. d. Lehrb. d. Bibl. Theol. (AT) von Procksch, Eichrodt, Köhler, v. Rad — Ferner: EvTheol H. 1-2, 1953, bes. d. Aufs. v. W. Zimmerli: Verheißung u. Erfüllung, u. G. v. Rad: Typologische Auslegung d. AT; dazu: Vergegenwärtigung, hrsg. v. H. Urner, Berlin 1955 (dieselben Aufs., dazu R. Bultmann: Weissagung u. Erfüllung [vorher in ZThK 1950, S. 360-383], u. C. Westermann: Zur Auslegung d. AT) — F. Baumgärtel: Verheißung, 1954.
Die beste Darstellung d. früheren Sicht: F. Delitzsch: Messianische Weissagungen, 1890 — Dazu neuer: H. W. Wolff: Herrschaft Jahwes u. Messiasgestalt im AT, in: ZAW NF 13, 1936, S. 168-201 — H. Greßmann: Der Messias, 1929 — Th. C. Vriezen: Prophecy and Eschatology, VTSuppl 1, 1953 — Weitere Lit. b. Th. C. Vriezen: Theol. d. AT, 1957, zu Kap. XI, S. 325 ff.
EKL2, Bd. 3 (1962), Sp. 1645-1648.