Blutspritzer auf den Schuhen. Eine Weihnachtsbesinnung zu Lukas 2,7
Von Rolf Wischnath
Als Fakt geschieht nicht mehr als eine dörfliche Geburt. Unter freiem Himmel. Bethlehem ist ein Dorf. Was für ein Leben bei einer Geburt im Dorf erlitten wird, schildert der Schriftsteller Erwin Strittmatter im Buch, durch das die Lausitz einmal mehr einen guten Klang bekommen hat – IM LADEN:
Mein jüngster Bruder schickt sich an, an einem Hochsommertag in die Familie einzufahren. Bevor er einfährt, lässt er schon die Puppen tanzen. Er verursacht meiner Mutter Wehschmerzen, und die Wehen treiben meinen Vater über die Felder zur Hebamme. Die Hebamme, die Sudler-Anna, erkundigt sich, wieviel Wehen das Weib, das sie bewehmuttern muss, schon gehabt hat, und sie bemisst danach die Eile oder Uneile, mit der sie auf ihrem Fahrrad durch die Felder trämpelt.
Strittmatter berichtet dann, wie die Hebamme eintrifft und ihre barschen Anweisungen an die Familienmitglieder gibt. Und über den Geburtsakt des jüngsten Bruders schreibt er:
Mein Vater hockt am Küchentisch, hält seine Ohren mit den flachen Händen bedeckt und filtert die Wehschreie der Mutter. Er wird von der Sudler-Anna hinaus in die Ställe beordert. Mannsen sind bei der Geburt bloß im Wege! Großvater ist durch seine Altersschwerhörigkeit davor geschützt, sich solche Schreie, mit der neues Leben in die Welt fährt, anzuhören. Inzwischen sind die meisten Dorfleute (durch das Wehgeschrei) indirekt an den Vorgängen in unserem Haus beteiligt. Eine schwere Geburt, heißt es. Aber dann tritt der neue Junge doch hervor, wiegt neun Pfund und verlangt schon etwas aus der Apotheke.
Strittmatters Geburtserzählung schildert dann, wie sein Vater und Doktor Tschibulka, der zum Schluss der Niederkunft auch noch mit hochgekrempelten Ärmeln zupackend dabei war, sich mit der großen Kümmel-Flasche gehörig betrinken, – und dann sieht er etwas: Auf dem Oberleder der Doktorschuhe gewahre ich Blutspritzer: Das Blut meiner Mutter, also auch mein Blut, also auch das Blut, das in meinem neuen Bruder ist.
Mit dieser Szene öffnet Strittmatter die Ohren dafür, was der Glanz, den wir so oft um die Weihnachtsgeschichte des Lukas legen, uns meist nicht sehen und hören lässt: die raue und blutige und schreiende Realistik einer Menschen-Geburt; die damit verbundene leidvolle, körperliche Erschöpfung der Gebärenden und des Geborenen. Damals: Unter freiem Himmel. Allein. Es gibt keinen Anlass, uns die Geburt des Jesus von Bethlehem anders vorzustellen:
An eine Hebamme und an einen Arzt in Bethlehem ist somit überhaupt nicht zu denken. Auch nicht an ein fürsorglich beteiligtes Dorf oder an einen mitzitternden älteren Bruder. Aber auch um Josef, den Verlobten mit Maria, den noch nicht verheirateten Mann ist es merkwürdig still. Mannsen sind bei der Geburt bloß im Wege, heißt es bei Strittmatter. Aber nicht nur die geburtsscheue Männlichkeit steht dem Josef im Wege. Auch von seiner religiösen Herkunft war er als Geburtshelfer denkbar schlecht vorbereitet:
Nach jüdischer Vorstellung hatten Männer nichts mit der Geburt zu schaffen. Ja, sie waren dazu erzogen, sich von einer Frau mit Blutungen fernzuhalten. Wohl bezeugt der Evangelist Lukas die vorbehaltlose Zuwendung des verlobten Josef zu Maria – obwohl sie doch auf eine so zwielichtig erscheinende Art schwanger geworden ist. Josef hat dieses Kind Jesus nicht gezeugt.
Der einzige und wesentliche Unterschied zwischen beiden Geburtsgeschichten liegt darin, dass das just geborene Kind von Lukas als der Erstgeborene der Maria qualifiziert wird. Und die Erstgeburt ist nach jüdischem Religionsgesetz dem ewigen Gott geweiht. Der Erstgeborene gehört ganz Gott. Er soll ganz in seinem Dienst stehen. Christen verstehen diesen Hinweis noch radikaler:
Der Erstgeborene der Maria gehört nicht nur Gott. In ihm ist vielmehr der EWIGE selber Mensch geworden. Die Bibel erzählt die Geburtsgeschichten als Geschichten der Menschwerdung Gottes, als Zeitenwende. Nur deswegen werden nach dieser Zeit die Jahre gezählt. Weil in ihr die Menschen- und Gotteswende stattgefunden hat. Gott wird Mensch, dir Mensch zugute, Gottes Kind, das verbindt sich mit unserm Blute. Das singt 1653 ein anderer großer Dichter aus Brandenburg: Paul Gerhardt. Und er singt es so in im Weihnachtslied Fröhlich soll mein Herze springen. Das Blut diese soeben Geborenen, diese Entbindung mischt sich mit unserem Blut, dem Blut jedes Menschen – in einer merkwürdigen Vorwegnahme der Blutspritzer-Anmerkung Strittmatters.
Christi Blut für dich vergossen wird im Abendmahl gesagt. Es kann nichts Beachtenswerteres zu und von uns ausgesprochen werden.