Was darf ich erwarten, wenn ich bitte und bete? Zwölf Thesen
1. In der Bibel gibt es kein ursprachliches Wort, das dem deutschen „Gebet“ vollumfänglich entspricht. Etymologisch betrachtet geht „Gebet“ auf „bitten“ zurück und entspricht damit am ehesten den lateinischen preces („Bitten“).
2. In der Alltagskommunikation werden Bitten gegenüber Handlungs- bzw. Entscheidungsmächtigen geäußert, verbunden mit der Hoffnung, dass die angesprochene Person diesen zu entsprechen weiß.
3. Ansprechendes Bitten findet seine Entsprechung in der persönlichen Gabe, die man erhält. Bitten lässt somit die Güte des jeweiligen Gebers erfahren.
4. Die gegenwärtige Krise des Betens ist auch eine Krise des Bittens, nehmen doch Marktwirtschaft und Wohlfahrtsstaat einem alltäglichen Bitten häufig seinen Anlass. Zustehendes bzw. Zukommendes wird nicht als Gabe empfangen.
5. Das stoische Konzept göttlicher Vorhersehung und Vorherbestimmung außerhalb des biblischen Kanons stellt eigenes Bitten grundsätzlich in Frage.
6. Wo im Gefolge der aristotelischen Metaphysik Natur und Moral kategorisch getrennt werden, sucht ein naturalistische Ursache-Wirkung-Dogma einem das Bitten gegenüber Gott auszureden.
7. In der gottesdienstlichen Praxis vollzieht sich mitunter erwartungsloses Beten in Gestalt von „lässlichen“ kognitiven bzw. pragmatische Bitten („Herr, lass uns erkennen, dass …“).
8. Zudringliches Bitten, das göttliches Handeln einfordert, erwächst aus Jesu Anweisung bzw. ist göttliches Gebot und richtet sich auf Gottes Reich aus.
9. Das Bitten, das sich auf den Namen Christi beruft, zielt auf die Integrität beschädigten Lebens mit dessen Leiden, das nicht vom dreieinigen Gott getrennt sein will.
10. Lebensnotwendendes Beten findet zu absichtsvollen Worten, die in Ehrfurcht vor dem gegenwärtigen Gott nicht dahergesagt werden.
11. Die göttliche Entsprechung eigenen Bittens lässt dessen Handeln und dessen Güte für das eigene Leben wirklich werden.
12. Aufrichtiges Beten findet beim dreieinigen Gott das eigene Amen.