Johann Amos Comenius, Das Testament der sterbenden Mutter der Brüderunität (1650): „Wie es so mit jedem einzelnen Menschen in seiner Person bestellt ist, so ist es auch mit jeder menschlichen Gemeinschaft in Häusern, Städten, Königreichen und Kirchen: überall vergeht das eine und das andere entsteht. Und was sich nun unter dem Himmel vollzieht, seht ihr: Königreiche vergehen und verändern sich, und mit ihnen die Nationen, die Sprachen, die Rechte, die Religionen. Darum ohne Zweifel: es tritt ein neues Zeitalter ein. Auch die Kirchen der Einigkeit vergehen – darum ohne Zweifel, weil Gott das Antlitz seiner Erde erneuern will.“

Das Testament der sterbenden Mutter der Brüderunität (Kšaft umírající matky Jednoty bratrské, 1650)

Von Johann Amos Comenius (Komenský)

DAS TESTAMENT DER STERBENDEN MUTTER DER BRÜDERUNITÄT,
in welchem sie (in ihrem eigenen Volk und in ihrer besonderen Eigenart vollendend) die ihr einst von Gott anvertrauten Schätze unter ihre Söhne, Töchter und Erben verteilt.

Im Jahre des Herrn 1650.
J. A. K.

Einleitung

Das Werk von Jan Amos Komenský Das Testament der sterbenden Mutter der Brüderunität, wenn auch nicht von großem Umfang, gehört seiner Bedeutung und seinem Wert nach doch zu seinen wichtigsten Schriften. Präsident Masaryk selbst deutete im ersten Kapitel seiner Weltrevolution an, dass es jenes berühmte Prophezeiung aus Komenskýs Testament war, die ihm in der ausländischen Widerstandsbewegung als Leitstern diente.

Das Testament entstand nach dem Dreißigjährigen Krieg, der dem tschechischen Volk die Unterjochung unter Fremdherrschaft brachte, und durch den Westfälischen Frieden (1648) die Hoffnungen unserer Exulanten auf eine Rückkehr in die Heimat zunichtemachte. Trotz aller Versprechen des schwedischen Kanzlers Axel Oxenstierna und trotz des flehentlichen Briefes Komenskýs an den Kanzler vor Abschluss des Friedens wurden die Tschechen von den Schweden verlassen, und zugunsten der Exulanten geschah nichts.

Eine schwache Hoffnung blieb noch, als die Kriegsparteien Anfang 1650 in Nürnberg über die Durchführung des Friedens verhandelten, dass doch noch an die tschechischen Vertriebenen gedacht würde. Als aber auch diese Hoffnung trügte, erkannte Komenský, dass die Brüderunität, da sie nicht in die Heimat zurückkehren konnte, dem Untergang in der Fremde geweiht sei.

1648 wurde Komenský in Leszno zum Bischof der Brüderunität. Deshalb schrieb er zu Beginn des Jahres 1650 im Namen seiner Kirche das ergreifende und tief empfundene Testament, in dem sich die Brüderunität von ihren Gläubigen und auch vom tschechischen Volk verabschiedete. Es war auch nötig, den Mitgliedern der Kirche Weisungen zu geben, wie sie sich im Falle des Untergangs der Brüderunität verhalten sollten. (Die Einheit erlosch jedoch damals noch nicht, da im selben Jahr 1650 auf der Synode in Leszno beschlossen wurde, sie weiter bestehen zu lassen.)

I.

Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Meine lieben Söhne und ihr alle, die ihr vielleicht diese meine Stimme vernehmt, höret mich!

Was in der Heiligen Schrift verkündet ist, dass ein Geschlecht vergeht und ein anderes kommt, wiewohl die Erde ewiglich bleibt (Pred. 1,4), das hat sich erfüllt an allen, die vor uns waren, es erfüllt sich an uns, die wir jetzt sind, und es wird sich erfüllen an allen, die nach uns kommen: dass wir, indem wir auf die Welt treten von dort, wo uns der allmächtige Herr herausführt, aus dem Ort des ewigen Schweigens, und hier eine Zeit weilen, so wie einem jeglichen die Dauer seines Lebens auf Erden zugemessen ist, dann wieder dorthin zurückkehren, wohin er uns führt (ach, dass er es recht führe!), an den Ort unserer ewigen Wohnung.

Und wie es so mit jedem einzelnen Menschen in seiner Person bestellt ist, so ist es auch mit jeder menschlichen Gemeinschaft in Häusern, Städten, Königreichen und Kirchen: überall vergeht das eine und das andere entsteht. Und was sich nun unter dem Himmel vollzieht, seht ihr: Königreiche vergehen und verändern sich, und mit ihnen die Nationen, die Sprachen, die Rechte, die Religionen. Darum ohne Zweifel: es tritt ein neues Zeitalter ein. Auch die Kirchen der Einigkeit vergehen – darum ohne Zweifel, weil Gott das Antlitz seiner Erde erneuern will (Ps. 104,30).

II.

Unter diesen Veränderungen sehe auch ich meine eigene Veränderung und mein Hinschwinden und Erlöschen, dass ich nämlich wegen meiner Sünden in Gottes Zucht genommen und aus meinem Volk und meiner Sprache unter Fremde verstoßen bin, und auch schon von meinen Nachbarn verlassen, die, da sie sich Ruhe verschafften, meiner und meines Landes vergaßen. So dass ich – wenn der Herr das bestätigt, was die Menschen tun – sehe, dass ich, nachdem ich zu meiner Zeit Gottes Willen gedient habe, entschlafen soll (Apg. 13,36).

Darum will ich tun, was nach der Gewohnheit der Vorsichtigen in der Welt zu tun ist: dass, wenn sie etwas zu hinterlassen haben, sie sich bemühen, ihre Erben einzusetzen und den Segen Gottes, der ihnen verliehen wurde, unter ihnen zu teilen, damit er nicht verloren gehe oder zerrissen werde und sie keinen Streit hinterlassen. Dazu drängt auch der Befehl Gottes an Hiskia: „Bestelle dein Haus, denn du wirst sterben“ (Jes. 38,1). Und wer immer von Gott ein Haus anvertraut bekommen hat, der soll nicht ohne Verfügung aus dieser Welt scheiden.

III.

So kommet denn, meine Söhne, und stellt euch rings um mein Sterbelager und achtet auf meine Worte, die ich, die euch geboren habe, nun zu euch reden werde:

Siehe, meine Söhne, mit Freude habe ich euch aufgezogen, doch verliere ich euch mit Weinen und Traurigkeit; denn ihr habt gesündigt vor dem Herrn, eurem Gott, und getan, was böse ist vor ihm. Nun aber – was soll ich mit euch tun? Ich bin eine Witwe und Verlassene; gehet hin, meine Söhne, und bittet den Herrn um Erbarmen (2. Esra 2,3–4)!

IV.

Ich will euch aber in vier Scharen einteilen, und indem ich zu einer jeden von euch rede, was nötig ist, werde ich meine Rede auch an die Einheiten anderer Kirchen richten, die meine Schwestern sind, ältere wie jüngere, unter denen und mit denen mich der Herr hat wohnen lassen, und die er nun vor anderen zu sich ruft, damit ich unter euch allen verteile, was mir von seiner Barmherzigkeit anvertraut war.

Denn obgleich meine äußere Gestalt so war, dass ich mein Leben lang mit dem Apostel sprechen konnte: „Silber und Gold habe ich nicht“ (Apg. 3,6), da ich auf Erden fast wie mein Herr keinen Ort hatte, wo ich mein Haupt hätte niederlegen können; und wenn ich auch etwas Kleines an irdischen Dingen hatte – Häuschen, Kapellchen, Äckerlein, Weinberglein –, so haben mich meine Feinde dessen beraubt (mich verjagend), wie auch meinen Herrn seines Gewandes, als sie ihn ans Kreuz schlugen und es unter sich verteilten.

Doch habe ich Grund, mich in Christus Jesus in göttlichen Dingen zu rühmen, der mich mit geistlichem Reichtum beschenkt hat, damit in mir sein Wort wohne. Von diesen seinen mir nach seinem Willen anvertrauten Schätzen will ich nun vermachen, was ich erkenne, dass es jemand von euch, meinen Söhnen und Freunden, nötig hat.

V.

Euch, meine Söhne, die ich geboren und erzogen habe, sehe ich nicht alle in gleicher Weise; und deshalb kann ich nicht mit denselben Worten zu euch allen reden, sondern unterschiedlich. Denn etliche von euch sind mir und dem Vater der Geister, in dem ich euch geboren habe, untreu geworden, da ihr in meinen Anfechtungen nicht ausgeharret, sondern mich verlassen habt. Andere aber habt ausgehalten und vielleicht haltet ihr es noch heute, wenn auch nur halb, indem ihr meinen Feinden schmeichelt und euch an ihrem Feuer wärmt, dennoch aber euch immer wieder nach mir, eurer Mutter, umschaut, voller Sehnsucht, ob euch der Herr nicht noch einmal aus der Gewalt meiner Feinde entreiße und ihr wieder in den Schoß der Mutter zurückkehren könntet.

Andere von euch aber habt einen tapfereren Geist gezeigt und seid mir gefolgt, als ich unter dem Kreuz niedersank, habt nicht gescheut, an meinen Leiden teilzuhaben, ja, ihr trankt mit mir den Kelch der Bitterkeit, den der Herr mir eingoss, um durch die Bitterkeiten dieser Zeit zu den Süßigkeiten des kommenden Zeitalters zu führen, und habt euch daran nicht gestoßen. Doch wieder andere sehe ich, sei es durch Alter oder durch Elend, geschwächt und hinschwindend; bei manchen aber hege ich die Hoffnung, dass der Herr sie für künftige Zeiten aufbewahre und erhalte.

VI.

Euch nun, die ihr bisher treu geblieben seid, in dieser Treue beständig ausharrt und schon fast das Ziel eures Glaubens erreicht, will ich trösten mit demselben Trost, mit dem uns unser treuer Herr getröstet hat, als er mit seinen heiligen Worten sprach:
„Ihr seid es, die mit mir ausgeharrt haben in meinen Anfechtungen. Und ich will euch ein Reich verleihen, wie es mir mein Vater verliehen hat, damit ihr esset und trinket an meinem Tisch in meinem Reich.“ (Luk. 22,28–30).

Nehmt diesen Trost an, o Söhne, und betrübt euch nicht länger über den Verlust des irdischen Vaterlandes, eurer Wohnstätten und der Gotteshäuser auf Erden; denn zu herrlicheren Dingen führt uns der, der gesagt hat:
„Verkündige meinem Volk, dass ich ihm das Reich des ewigen Jerusalem geben will, das Israel verheißen ist. Ich will ihre Herrlichkeit an mich nehmen und ihnen ewige Wohnungen geben, die ich ihnen bereitet habe. Sie werden den Baum des Lebens haben statt wohlriechender Salben, und sie werden nicht mehr arbeiten noch müde werden.“ (4. Esra 2,10–12).

Seid bereit für den Lohn des Reiches; denn ein ewiges Licht wird euch leuchten auf immer und ewig. „Flieht nur die Schatten dieser Weltzeit, nehmt die Tröstung eurer Herrlichkeit an“ (ebd. V. 35–36), da ihr nach eurem Scheiden eingereiht werden sollt in jene große Schar, die vor dem Thron und vor dem Angesicht des Lammes steht, bekleidet mit weißen Gewändern und mit Siegespalmen in den Händen; von ihnen spricht die Stimme des Himmels:
„Dies sind die, die aus großer Trübsal kommen und ihre Kleider gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht haben. Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel“ (Offb. 7,9.14–15).

VII.

Diesen Trost, der kostbarer ist als die ganze Welt (denn was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Mt. 16,26), habt ihr euch berauben lassen, ihr Furchtsamen, die ihr der Prüfung nicht standgehalten habt und gefallen seid – weint und klagt über euch selbst!

Denn sollte es so sein, dass ihr „eine Zeitlang glaubt“ und in der Zeit der Anfechtung abfallt, und euch so erweist als solche, „die auf Felsen gesät wurden und keine Wurzeln haben“ (Luk. 8,13)? Ach, nicht wenige von euch haben mit Petrus gesagt: „Herr, wenn es sein muss, will ich mit dir in den Tod gehen und dich nicht verleugnen“ – und wo ist das nun? Ihr seid zerstreut, als der Sturm über den Herrn und sein Evangelium hereinbrach.

Ach, habt ihr denn nicht auf die früheren Zeiten geachtet, ob je jemand, der sich dem Herrn anvertraute, zuschanden wurde? Ob je jemand, der in seiner Furcht verharrte, verlassen ward? Ob je jemand ihn anrief, und er verschmähte ihn?

Wehe den furchtsamen Herzen, den erschlafften Händen und dem Sünder, der auf zwei Wegen wandelt! Wehe dem verzagten Herzen, denn es glaubt nicht – darum wird es keinen Schutz haben! Wehe euch, die ihr die Geduld verloren habt: was wollt ihr tun, wenn euch der Herr heimsucht? (Sir. 2,10–16).

Doch noch ist Rat vorhanden: Tut, was Petrus nach seinem Fall tat! Besinnt euch, geht hinaus von den Palästen der Bischöfe an einen Ort, wo sich andere Jünger verbergen. Weint und klagt mehr als andere, weil ihr mehr als andere gesündigt habt! Wollt ihr nicht herausgehen, solange die Hähne Gottes noch krähen und solange der gebundene Herr, vor seinen falschen Richtern stehend, sich nach euch umschaut – wann denn? Wollt ihr warten, bis euer Gewissen euch wie Judas überfällt? Dann wird es zu spät sein.

Heute, ja heute, wenn ihr seine Stimme noch hört, verhärtet eure Herzen nicht, sondern erweicht sie; demütigt euch, bessert euch, und festigt euch auf dem Weg der Wahrheit, solange ihr noch darauf seid! Solche Fußstapfen des Petrus, um durch sie wieder zur Schar zurückzukehren, die ihr verlassen habt, hinterlasse ich euch, ihr verirrten Söhne.

VIII.

Euch aber, den übrigen, die ihr noch in welcher Zahl auch immer im Volk der Brüderunität übrig seid – was soll ich euch vermachen? Ich vermache euch Weinen, Buße und Besserung vor dem Angesicht des allmächtigen Herrn.

IX.

Das Weinen befehle ich euch in der Weise, wie es einst dem ganzen Hause Israel befohlen wurde, als der Herr seine Priester mit Feuer im Heiligtum verzehrte, weil sie fremdes Feuer vor den Herrn gebracht hatten. Da gebot Gott, dass nicht die Priester, sondern das Volk weinen solle (3. Mose 10,1–6).

So auch jetzt: meine Erstgeborenen, die Wächter meines Heiligtums, haben gesündigt, indem sie in das Zelt der Brüderunität ein fremdes Feuer eintrugen oder eintragen ließen – das Feuer weltlicher Weisheit, das Feuer fleischlicher Eitelkeiten, das Feuer des Stolzes, der Prachtliebe, des Schmucks, der Ausschweifung, des Eigenwillens, der Habsucht und Gleichgültigkeit.

Darum, siehe: sie sind gestorben und sterben noch vor euren Augen wegen ihrer Sünden. Ihr aber weint, denn diese Plage trifft auch euch und eure Nachkommen.

X.

Zur Buße und zu Gebeten befehle ich euch dasselbe, was Gott gebot in Zeiten seines großen Zorns: dass sich alle zum Herrn bekehren von ganzem Herzen, mit Fasten, mit Weinen und mit Klagen, dass sie ihre Herzen zerreißen und nicht nur ihre Kleider; dass eine Versammlung einberufen werde, Alte wie Kinder, ja sogar Säuglinge; dass der Bräutigam aus seiner Kammer gehe und die Braut aus ihrem Gemach; dass die Priester, die Diener des Herrn, weinen usw. (Joel 2,12–17).

So auch, wie das Volk unter Ahasver in der Stadt Susan Buße tat, aus Furcht vor der Vernichtung: sie aßen und tranken nichts, Tag und Nacht, drei Tage lang (Est. 4,16); und wie die Niniviten, vom König bis zum Hirten, vom Menschen bis zum Vieh, von den Alten bis zu den Kindern, nichts anderes taten, als zum Himmel zu schreien mit Fasten und Weinen (Jona 3,5–8); oder wie die Juden, die den barmherzigen Herrn drei Tage lang unaufhörlich mit Fasten, Weinen und Ausbreitung der Hände anriefen (2. Makk. 13,12).

O Söhne, bisher habt ihr zu solcher Buße und Inbrunst nicht gefunden, sondern viele von euch habt es gehalten wie die Judäer in ihrer Zerstreuung: dass ihr sogar an den Orten, wohin euch der Herr an jenem Tage zerstreut hat, weiterhin gesündigt und den Namen seiner Heiligkeit entehrt habt vor denen, unter denen ihr ihn hättet heiligen sollen.

Die Israeliten, die nur zweimal besiegt wurden, setzten sich vor den Herrn, weinten, fasteten und brachten Opfer dar (Richter 20,26). Ihr aber, die ihr in diesen 30 Jahren mehr als zwanzigmal besiegt wurdet, ja, die ihr immer wieder in eine Grube fielt, aus der kein Aufstehen mehr war, seid dennoch nicht dahin gekommen, dass ihr in besonderer Weise eure Buße gezeigt hättet.

Darum kehrt wenigstens jetzt von ganzem Herzen zum Herrn zurück; denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Gnade, und ihn reut das Unheil. Wer weiß, ob er sich nicht noch abwendet und es ihn gereut (Joel 2,12–14), sodass es noch Rettung gibt – wie der Herr gesagt hat –, nämlich „in den Übriggebliebenen, die der Herr beruft“ (ebd. V.32).

XI.

Ferner vermache ich euch dies: Wollt ihr noch die Gnade des Herrn erlangen, ihr und eure Nachkommen, dann müsst ihr mutig zur wahren Besserung greifen und zur ersten, verlassenen Liebe zurückkehren.

Denn womit der Herr mich vor anderen Kirchen geehrt und mit welchen Kleinodien er meine Söhne und Töchter geschmückt hat, dessen erinnere ich mich jetzt erst unter Tränen, da ich alles dessen beraubt bin.

Denn die brennende Liebe zu Gott und zu seiner Ehre, der Hass gegen die Welt und ihre Eitelkeiten, die Schlichtheit und Aufrichtigkeit aller meiner Kinder – das alles hat euch verlassen. An deren Stelle ist Misstrauen getreten, Argwohn, Streit und Zwietracht, das Suchen des Eigenen, daraus Stolz gegeneinander und Zerspaltung unter euch fast allen.

Und wie ihr damit schon daheim angefangen habt, so habt ihr auch im Exil nicht aufgehört, sondern seid in eurer Zerstreuung im Sinn noch mehr zerstreut worden. Manche von euch, die zu Stellen gekommen seid, wo man euch etwas zutraut, seid in Stolz und Aufgeblasenheit verfallen; andere seid dem Geiz nachgelaufen, schlimmer als daheim, und habt vergessen, weshalb ihr vor allem ausgezogen seid, nämlich um des Wortes Gottes willen.

Wieder andere seid in das Gegenteil verfallen: in Eitelkeit, Faulheit, Trägheit, bis hin zur Bettelei, wodurch ihr nicht nur euer Schicksal als Exulanten, sondern euch selbst und mehr noch das ganze Volk in Schande und Verachtung gebracht habt. Einige habt das Joch der Zucht abgeworfen, habt euch an Orten niedergelassen, wo ihr tun konntet, was euch beliebte.

Ach, Kinder, ist das euer Gedächtnis dessen, wozu ihr berufen und auf welchen Weg ihr geführt worden seid? Wir sind nicht um dieses Lebens und seiner Dinge willen hier, das sind nur Bürden und gewöhnliche Dinge für Pilger; unser Vaterland ist im Himmel, und daher muss auch unser Trachten nach himmlischen Dingen sein.

Hier auf Erden ist nur der Libanon, nur Sukkot und Zarepta, wo der himmlische Salomo, der für seinen ewigen Tempel lebendiges Holz und Stein sammelt und vorbereitet, uns hobeln, schneiden, spalten und behauen lässt und uns, seine Metalle, schmelzen und zu passenden Gefäßen gießen lässt – hier, vor dem Jordan, im lehmigen Land, wo wir nur im Staub wälzen. Aber das Ziel, zu dem unser ewiger Salomo uns führen will, ist das obere Jerusalem, wo, wenn wir uns hier seinem Willen recht formen lassen, alles gut geraten wird.

XII.

Vor allem aber du, geliebte Tochter, polnische Brüderunität, die mir der Herr mitten in den Tagen meines Lebens, da ich noch in der Kraft stand, dazu entstehen ließ – wie ich jetzt sehe – damit du, herangewachsen, eine Pflegerin meiner übrigen Kinder werdest: du hast wohlgetan, dass du sie, die aus der Heimat vertrieben waren, in deinen Schoß aufgenommen und genährt hast. Der Herr vergelte dir dies, und er lasse dich niemals Verlassenheit und Verwaisung erfahren!

Doch bitte ich dich: gedenke, aus welchem Stamm du hervorgegangen bist, dass du als ein Weinberg erscheinst, gepflanzt mit guten Reben, und dich nicht in eine wilde Rebe verwandelst (Jes. 5). Denn Christus hat von jenen Abgefallenen gesagt: „Sie sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern lügen“ (Offb. 3,9). So sieh denn zu, dass es nicht auch von deinen Leuten heißen müsse: „Sie sagen, sie seien Same der böhmischen Brüder, und sind’s nicht.“

Jetzt ist die Zeit, geliebte Tochter, solches Zerrbild zu verhindern; denn es schleicht sich in Wahrheit ein, wenn etliche deiner Söhne fleischlich übermütig werden, sich aus dem Joch der Zucht herauswinden und sich gefallen an leiblicher Freiheit, zeitlichem Wohlleben, reichen Einkünften und am Haufen Geldes. So ist bei vielen das Hirtenamt nur noch zum Mietlingsamt geworden – bei euch nicht minder als anderswo. Ihr habt euch daran gewöhnt, das Haus Gottes weder aufzuschließen noch zu verschließen umsonst, entgegen Gottes Verbot und dem Beispiel der Väter, sondern seid fremden Vorbildern nachgegangen. Auch die Jüngeren, die noch bei den Älteren, die Söhne, die noch bei den Vätern verweilen, verlangen Lohn und nehmen ihn.

Die Älteren aber – was tun sie? Man sieht deutlich, dass der Geist meiner Väter von euch, meinen Söhnen, gewichen ist. Denn ihr habt den Schlüssel der Kunst verloren, von dem Lasitius schrieb, dass eure Väter besonders Meister darin gewesen seien: die Ordnung, die Zucht, die Heiligkeit und die innere Gnade untereinander zu bewahren – ohne äußeren Zwang oder Hilfe des weltlichen Armes.

Mit euch aber, ihr meine (sowohl vom polnischen als auch vom böhmischen und mährischen Volk), ist es nun dahin gekommen, dass ihr weder euch selbst, noch eure Priester, noch das Volk in Ordnung halten könnt – ja, nicht einmal eure Jugend. Damit ihr selbst weniger Mühe mit ihr habt, habt ihr sie (und sendet sie noch) in fremde Schulen geschickt, damit man sie euch „poliere“. Doch was bringen sie von dort zurück, außer Verwilderung, Fremdartigkeit in den Sitten, Verzerrtheit in der Kleidung, Spitzfindigkeit im Kopf und alles andere, was ganz im Gegensatz steht zu der Schlichtheit Christi und eurer Väter? So handeln sie, bis schließlich alles seinen ursprünglichen Geruch verloren hat und sich kaum noch ähnlich sieht.

Daher kommt es, dass auch das Volk, die Hörer und die Patronen zum größten Teil schal und lau werden und nicht wenige wie Bäume, denen die echten Wurzeln fehlen, vom Wind allerlei Versuchungen entwurzelt und umgestürzt werden. So erlahmt bei euch alles allmählich und droht mit dem Fall.

Darum besinnt euch, meine Söhne, ehe auch euch der Herr umstürzt, und kommt ihm zuvor mit wahrer Besserung und Erneuerung in allem Guten, damit er nicht auch eure Leuchter von ihren Stätten wegbewege!

XIII.

Wenn er es aber tut und euch auch dies widerfahren lässt – er, der, da er beim Hause Gottes beginnend, Gericht hält, niederreißt, was ihm missfällt, bis er es völlig niedergerissen hat, damit er vom Grund aus neu bauen könne – und wenn dadurch meine Ordnung, meine Zucht, meine Nachfolge und alles kirchliche Amt erlischt: was werdet ihr dann tun, ihr übrigen Reste meiner Kinder, ob Priester oder vom Volk? Hier gebe ich euch diesen Rat, meine Söhne!

Wenn etliche von den Predigern übrigbleiben und ihr niemanden mehr zu Hause habt, dem ihr predigen und dienen könnt, so dienet Christus, wo ihr könnt, in irgendeiner evangelischen Kirche, die eures Dienstes begehren wird. Nur gedenket daran, dass ihr in meiner Schlichtheit, in der ich euch gezeugt und erzogen habe, euch selbst bewahrend, auf dem geraden Mittelweg wandelt; dass ihr nicht der einen Partei gegen die andere schmeichelt und euch nicht gebrauchen lasst zur Bestätigung der früheren Spaltungen unter ihnen, sondern vielmehr Liebe, Eintracht und alles gemeinsame Gute in der Kirche fördert. Im Volk aber, das euch anvertraut wird, sollt ihr allein den reinen Glauben an Christus, eifrige Frömmigkeit und die Hoffnung auf das süße zukünftige Zeitalter aufbauen und dadurch wahrhaft zeigen, woher ihr hervorgegangen seid.

Und ihr, die ihr aus den verwaisten Hörern seid – wenn es dahin kommt, dass ihr der bisherigen kirchlichen Dienste nach der Ordnung der Brüderunität nicht mehr teilhaft werden könnt –, so habt diesen Rat: haltet euch an die, „die so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild habt“ (Phil. 3,17). Das heißt: an die, die euch nicht lehren, sich auf Erden Meister, Väter, Führer zu machen, sondern euch zu jenem einen führen, der im Himmel ist, zum Meister, Vater und Führer (Mt. 23,8). Schließt euch der Gemeinschaft an, in der ihr die Wahrheit des Evangeliums Christi seht; betet für ihren Frieden und sucht ihr Gedeihen im Guten – indem ihr durch ein gutes Beispiel den anderen leuchtet, so auch durch wahrhaftige Gebete, damit der Zorn des Allmächtigen, der über das ganze in so viele Irrtümer und Spaltungen ausgelieferte Christentum mit Recht ergangen ist (3. Makk. 7,38), wenigstens an mir und euch, meinen Söhnen, stille werde.

XIV.

Auch euer kann ich nicht vergessen, ihr geliebten Schwestern, die ihr evangelische Gemeinschaften seid – und auch deiner nicht, unsere Mutter, römische Kirche, aus der wir hervorgegangen sind! Du bist uns Mutter gewesen, bist uns aber zur Stiefmutter, ja zur wilden Bestie geworden, die das Blut ihrer Kinder aufsaugt. Ich wünsche dir, dass du in deinem Alter doch noch zur Buße besonnen werdest und aus Babylon, deinen Gräueln, hinausgehst.

Worin ich dir, wenn es dir zu etwas helfen könnte, mein eigenes Beispiel hinterlasse: ich habe Gott Ehre gegeben, der sich unser in unserer Verlorenheit erbarmt hat, und bin, dem Licht seines Wortes folgend, aus dem Dunkel deines Götzendienstes durch seine Barmherzigkeit hinausgegangen.

Willst du aber nicht, so hinterlasse ich dir nichts, als den bösen Wurm des Gewissens inwendig; und äußerlich stelle ich dir zum Zeugnis gegen dich das Blut meiner Söhne und anderer Zeugen Jesu Christi, die du zwischen Tempel und Altar hingeschlachtet hast.

Du gibst dich als geistliches Jerusalem aus – und bist es wohl auch –, aber gleich dem Jerusalem zur Zeit der Propheten, Christi und der Apostel. Was der Herr als Zeugnis gegen sie sprach, das hinterlasse ich dir als Erbe:
„Jerusalem, Jerusalem, du tötest die Propheten und steinigst die, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt! Siehe, euer Haus wird euch wüst gelassen“ (Mt. 23,37).

Das ist nun dein Urteil, Jerusalem des Neuen Gesetzes: harre auf seine Vollstreckung! Deinen Söhnen aber hinterlasse ich als Erbe jenes Recht, das Gott ihnen gegeben hat: dass sie, sich für die Ehre des ewigen Vaters (von dem sie von dir gezeugt sind, Hes. 23,37) erhebend, Widerstand gegen dich, ihre Mutter, leisten und beweisen, dass du nicht seine Braut bist, es sei denn, du legst deine Hurerei von deinem Angesicht ab (Hos. 2,2).

Willst du dich auch dann nicht bessern und erfreust du deine Söhne nicht durch ihre Rückkehr zu ihrem Vater, so überlasse ich dich den Königen der Erde, die dich bisher auf ihrem Rücken getragen haben: dass sie, vom Eifer Gottes bewegt, dich verabscheuen und wie eine Unreine mit Feuer verbrennen (Offb. 17,16).

XV.

Auch zu euch rede ich, ihr geliebten Schwestern, die ihr nach Gottes Willen (Hos. 2,2) Widerstand gegen jene unsere Mutter leistet und die ihr euch (entgegen dem Willen jener treulosen Mutter) wieder dem ewigen Bräutigam im Glauben verloben ließet, wie auch ich, damit wir den Herrn erkennen (Hos. 2,20).

Freuet euch mit mir, dass uns dies aus Gnaden um Christi willen gegeben ist: dass wir nicht allein an ihn glauben, sondern auch um seinetwillen leiden dürfen (Phil. 1,29)! Gnade, Gnade, Gnade ist uns geschehen, dass der ewige Bräutigam uns durch seine zu uns gesandten Freunde rufen und sich zur Braut verloben ließ.

Zu mir wurde der treue Freund des Bräutigams gesandt (Joh. 3,29), Meister Johann Hus, dessen Zeugnis ich umso lieber annahm, da er es mit seinem Blut besiegelte.

Zu dir, deutsche Brüderunität, wurde Doktor Martin Luther gesandt, im Geist und in der Kraft des Elias (Lk. 1,17), und du hast wohlgetan, dass du die brennende und scheinende Leuchte nicht verachtet, sondern dich an ihrem Licht erfreut hast (Joh. 5,35).

Und zu dir, helvetische Brüderunität, wurde Johannes Calvin gesandt, damit er dich verlobte und übergab als eine reine Jungfrau demselben einen Mann, Christus (2. Kor. 11,2); und du hast wohlgetan, dass du, als du die Stimme der Turteltaube vernahmst, aufstandest und dich bereitetest, und dein Feigenbaum trieb seine Früchte hervor, und dein Weinstock in Blüte gab seinen Wohlgeruch (Hld. 2,12–13).

Lasst uns nun freuen im Herrn und frohlocken in Gott, unserem Heiland, der uns bekleidet hat mit Kleidern des Heils und uns den Mantel der Gerechtigkeit umgelegt hat, wie eine Braut, die sich mit ihrem Schmuck ziert (Jes. 61,10)!

Doch habe ich, da ich nun von euch scheide, als eure Schwester noch etwas zu euch zu reden, ihr geliebten Schwestern – hört mich an!

XVI.

Du, deutsche Brüderunität, warst meine liebste Schwester, die mir der Herr als Erste erweckte, da ich, in der Einsamkeit auf mich selbst zurückgeworfen, nach Trost Ausschau hielt. Dich habe ich von Herzen geliebt, auch wenn deine Liebe zu mir wegen meiner Schlichtheit bald erkaltete. Doch das Kostbarste Kleinod, das ich von meinem Herrn anvertraut erhalten hatte, unterließ ich nicht, dir gleich zu Anfang darzureichen, in dem Verlangen, mich mit dir zu teilen; und ich höre nicht auf, auch jetzt noch, dir Segen zu wünschen, so dass ich selbst im Sterben dir noch nützen möge. Was ich dir am meisten zu deinem Guten wünsche, das vererbe ich dir: mehr Ordnung, als du sie jetzt hast, eine besser geregelte Zucht und einen klareren Verstand im Artikel von der Rechtfertigung, ohne solch schändlichen Missbrauch, wie er sich bei deinen Söhnen ausgebreitet hat.

Gut begann jener, den dir der Herr als Führer gegeben hatte, um dich aus dem Dunkel herauszuführen; doch nicht gut führten es die fort, die nach ihm kamen. Seine Arbeit war beinahe das ganze Leben hindurch das Niederreißen Babylons; und anders konnte es nicht sein (denn es durfte kein Menschenwerk geduldet werden an dem Ort, wo die Stadt des Allerhöchsten beginnen sollte, sich zu zeigen – 4. Esra 10,54). Doch als es zum Aufbau Zions hätte kommen sollen und ihn der Herr von seiner Arbeit zur Ruhe rief, ließen es die Gehilfen, die hätten bauen sollen, bleiben. Sie hielten sich nur an das, was er getan hatte – und soweit er es getan hatte – und machten sich zur Beute, in den Ruinen zu wohnen. Denn ihr habt fast nichts anderes, als was er aus dem Papsttum nicht völlig niedergerissen, sondern für bestehenbleibend gehalten hatte; das sind eure Paläste, darin triumphiert ihr.

Was andere erkannten und erkennen, dass noch vieles niederzureißen sei, das wollt ihr weder zu Ende führen noch auch nur davon hören, geschweige denn, dass ihr euch dem Aufbau einer schönen Ordnung der ganzen Kirche widmetet, gegründet auf den Grund der Einmütigkeit, mit Mauern der Zucht umgeben, mit Toren versehen, und an diesen Toren Türen, Riegel und Schlösser mit den Schlüsseln Christi angebracht. Vielmehr: nachdem ihr im Geist angefangen habt, vollendet ihr im Fleisch, wie jene sonst eifrigen Galater (Gal. 3,3) – wenn auch in verkehrter Weise. Sie, nachdem sie im Glauben ihr Christsein begonnen hatten, wollten es mit den Werken des Gesetzes vollenden; ihr aber, nachdem ihr mit lebendigem Glauben begonnen habt, vollendet mit einem toten Glauben, der ohne Werke ist.

O meine Freunde, da ich in die Zucht des starken Gottes gestellt bin (Hiob 27,11), lehre ich euch und wünsche euch, dass ihr erkennt: die Erkenntnis Christi ohne die Nachfolge Christi, und das Rühmen im Evangelium ohne die Bewahrung des Gesetzes der Liebe, auf das doch das Evangelium hinausläuft, ist nichts anderes als ein Missbrauch des Evangeliums und eine gewisse, wenn auch dem ersten Papsttum entgegengesetzte, Verführung und Täuschung.

XVII.

Dir aber, helvetische Brüderunität, die mir als Liebhaberin von Ordnung und Zucht zu meinem Trost beigegeben war, was soll ich dir vermachen? Den Vorsatz zur Beständigkeit, ja mehr noch: zum Wachstum in allem Guten nach dem Gebot Christi: „Der Gerechte soll sich noch rechtfertigen, und der Heilige soll sich noch heiligen“ (Offb. 22,11); und seine Verheißung: „Wer da hat, dem wird gegeben werden, damit er Überfluss habe“ (Mt. 13,12).

Wenn du also, liebe Schwester, auch zu denen gehörst, denen es gegeben ist, Gaben und Gnaden Gottes zu empfangen, so lasse auch mich dir noch etwas hinzufügen: wenigstens den Wunsch, dass du, wenn du meinst, etwas Kostbares zu besitzen, es auch in Wahrheit habest, und dich nicht mit bloßer Einbildung täuschest; dass du dich nicht mit Schalen ernährst, sondern bis zum Kern durchdringest.

Darum wünsche ich dir vor allem, in der Bewahrung der Frömmigkeit und der dazu dienenden Zuchtordnung einen eifrigeren Vollzug, so dass es nicht bloß Farbe, sondern Sache sei. Im Sinn aber wünsche ich dir mehr Schlichtheit, weniger Grübelei, und ein schonenderes Reden von Gott und seinen tiefen Geheimnissen, als es einige deiner Söhne getan haben. Denn dadurch haben sie sich und dich zu einer traurigen Zerrissenheit gebracht, indem sie sich gegen dich und untereinander zusammenscharten: Täufer, Sozinianer, Arminianer und anderes vielgestaltiges Gewürm, das aus dir hervorgegangen ist (besonders jetzt in England, da die Schrecken der weltlichen Macht nachgelassen haben), wie deine immer neue Dinge suchenden und sich auf nichts einigen könnenden Söhne der Kirche Gottes ein trauriges und ärgerliches Schauspiel und dir einen schlechten Namen unter den Völkern bereitet haben.

O liebe Schwester, möge Gott allen deinen Söhnen geben, dass sie mit David zu beten lernen: „Unschuld und Geradheit mögen mich behüten!“ (Ps. 25,21).

XVIII.

Allen christlichen Brüderunitäten zusammen vermache ich die Sehnsucht nach Einmütigkeit, nach Versöhnung und Vereinigung im Glauben und in der Liebe zum Geist der Einheit. O dass jener Geist, den mir von Anfang an der Vater der Geister verliehen hat, auf euch alle käme, so dass ihr ebenso herzlich verlangtet, wie ich verlangt habe, nach einer wahren Vereinigung im Christentum mit allen, die den Namen Christi in Wahrheit anrufen!

O dass Gott euch gäbe, die Unterscheidung zwischen wesentlichen, dienlichen und nebensächlichen Dingen zu treffen, wie er sie mir zu treffen gegeben hat, damit ihr alle erkennt, worüber man eifern soll oder nicht soll, oder mehr oder weniger soll – und damit ihr jenem Eifer, der ohne Einsicht ist und nicht Aufbau, sondern Zerstörung der Kirche mit sich bringt, ausweicht, und wiederum dort, wo leidenschaftlicher Eifer nötig ist, leidenschaftlich um der Ehre Gottes willen eifern dürftet (bis hin zur Hingabe eures Lebens)!

O dass ihr alle verlangtet nach der wahren Teilhabe an Gottes Barmherzigkeit, nach der wahren Teilhabe am Verdienst Christi, nach der wahren Teilhabe an den süßen inneren Gaben des Heiligen Geistes, die man durch wahren Glauben, wahre Liebe und wahre Hoffnung auf Gott erlangt – worin das Wesen des Christentums besteht!

Diese erlangt man wiederum durch den Dienst der von Gott eingesetzten Hilfsmittel: Wort, Schlüssel und Sakramente, deren Kraft sich am besten durch die innere Kraft des Geistes erweist, wenn man sie schlicht und aufrichtig, demütig und vertrauensvoll gebraucht, als von Gott gegebene Mittel, ohne von Menschen erdachte Formen und Schmuckwerke.

O dass ihr alle verstündet, was unser Herr gesagt hat: „Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten kann; denn sehet, das Reich Gottes ist inwendig in euch“ (Lk. 17,20–21); und wiederum: „Eines ist not“ (Lk. 10,42) – dass ihr euch alle diesem einen widmetet, nämlich jenem guten Teil, den Maria erwählt hatte, als sie sich still zu den Füßen des Herrn setzte und das unruhige Umherlaufen beiseite ließ. O dass ihr endlich dahin gelangtet, womit das Herz unseres Barmherzigen erfreut würde, der sich für uns alle so zum Vater betete: „dass sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns eins seien“ (Joh. 17,21).

Damit ihr alle, die ihr euch zum Hause der Kirche bekennt, ein einziges Gotteshaus seid, in sich wohl geordnet und von allen Seiten verbunden, und eine einzige Hausgemeinschaft Gottes in diesem Hause, die unter derselben göttlichen Ordnung in Eintracht, Liebe und gegenseitiger Hilfe steht wie ein Leib, der zwar aus vielen Gliedern besteht, aber doch durch alle Gelenke der Versorgung zusammengefügt ist zum Wachstum und zur Erbauung in Liebe (Eph. 4,16).

Damit es endlich auch für die christliche Kirche und zugleich für die Engel Zeit werde zu singen: „Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ (Ps. 133,1).

XIX.

Auch dich, tschechisches und mährisches Volk, geliebte Heimat, kann ich bei meinem nun vollendeten Abschied von dir nicht vergessen; vielmehr wende ich mich vor allem zu dir und mache dich zum Erben und Haupterben meiner Schätze, die mir der Herr einst anvertraut hat – nach dem Vorbild mancher reichen römischen Bürger und auch ihrer Grenzkönige, die, als sie starben, die Stadt Rom, die die Herrschaft über den Erdkreis übernahm, in ihren Testamenten zu Erben einsetzten.

Auch ich glaube Gott, dass nach dem Vorübergehen der Wetterstürme des Zornes (die wir durch unsere Sünden über unsere Häupter gebracht haben) die Herrschaft deiner Dinge wieder zu dir zurückkehren wird, o tschechisches Volk! Und um dieser Hoffnung willen mache ich dich zum Erben all dessen, was ich von meinen Vorfahren geerbt und trotz schwerer und harter Zeiten bewahrt habe, ja auch dessen, was ich an Gutem durch die Arbeit meiner Söhne und durch den Segen Gottes mehrte. Dies alles vererbe und übergebe ich dir gänzlich, besonders:

Erstens: Die Gnade zur reinen göttlichen Wahrheit, die uns der Herr vor anderen Völkern zuerst durch den Dienst unseres Meisters Hus zu zeigen begann, die er mit seinem Gehilfen und vielen treuen Tschechen mit ihrem Blut besiegelte, und von der dich der Antichrist damals mit seinen Listen auf dem Basler Konzil, nun aber durch grausame Kriegsmacht, abführte. Ich aber habe mit meinen Söhnen, die dem Licht folgen wollten, mich bis jetzt an sie zu halten gesucht. Dies ist dein Erbe, dir vor anderen Völkern gegeben, o geliebte Heimat – ergreife dein Recht wieder als das deine, wenn der Herr, dein Erbarmer, dir Barmherzigkeit erzeigt und seiner Wahrheit wieder Durchgang verschafft!

Zweitens: Ich befehle dir das eifrige Verlangen nach immer vollerem und klarerem Verständnis derselben göttlichen Wahrheit, damit du, den Herrn kennend, dich bemühst, ihn reichlicher zu erkennen (Hos. 6,3). Und da unser Herr geboten hat, die Heilige Schrift zu erforschen (Joh. 5,39), vererbe ich dir als Erbe das Buch Gottes, die Heilige Bibel, die meine Söhne aus den ursprünglichen Sprachen (in denen Gott sie zu schreiben befohlen hatte) mit großem Fleiß ins Tschechische übertrugen (fünfzehn Jahre lang arbeiteten mehrere gelehrte Männer daran). Und Gott segnete dies so, dass es nur wenige Völker gibt, die so wahrhaft, eigen und klar die heiligen Propheten und Apostel in ihrer Sprache reden hören. Nimm dies also als deinen eigenen Schatz, geliebte Heimat, und gebrauche ihn zur Ehre Gottes und zu deiner Erbauung im Guten! Und obgleich die Feinde die Exemplare dieses göttlichen Buches verbrannten, wo sie sie fanden, so vertraue doch auf die Barmherzigkeit dieses Gottes, der die von dem gottlosen Jojakim zerschnittenen und verbrannten Bücher Jeremias aufs Neue schreiben ließ (Jer. 36) und auch das vom Tyrannen Antiochus zerrissene und verbrannte Gesetz bald darauf durch Erweckung des frommen Ptolemäus in die griechische Sprache übersetzen und anderen Völkern kundmachen ließ (2. Makk. 1,59). So wird auch dir dieses Buch Gottes erhalten bleiben – vertraue und zweifle nicht!

Drittens: Ich befehle dir besonders die Liebe zu kirchlicher Ordnung und zu jener liebevollen Zucht (die unter den Kindern Gottes sein muss), damit Christus bei euch nicht nur als Prophet der Kanzel, nicht nur als Priester und Bischof des Altars, sondern auch als König auf Thron und Szepter zur Ausübung des Gerichts über die Ungehorsamen herrsche. Was mir der Herr aus seiner Gnade verlieh, habe ich nicht verborgen, sondern ans Licht gebracht. Auch du, geliebte Heimat, gebrauche es zu deinem Guten – sei es, wie es bei mir war, oder wie es aus der Heiligen Schrift und dem Vorbild der ersten apostolischen Kirche am besten gesucht werden kann. Denn auf alten Fundamenten zu bauen, wenn der Tempel Gottes erneuert wird, ist das Sicherste (Esra 3,3)!

Viertens: Ich übergebe dir den Eifer, dem Herrn Gott zu dienen und ihm mit einer Schulter zu dienen (Zeph. 3,9) – wonach ich von Anfang an verlangt habe, wie das Gedächtnis meiner Vorfahren und die von Jan Łasicki verfasste Geschichte meiner Sachen bezeugen. Zwar konnte ich dies nicht völlig verwirklichen, außer dass ich mich im Jahre 1575 dem gemeinsamen Bekenntnis meines Volkes unter beiderlei Gestalt und im Jahre 1610 der gemeinsamen Konsistorium anschloss. Aber Gott gebe aus seiner Barmherzigkeit (welchen Wunsch ich mit meinem Leben oder meinem Tod, wie es der Herr befiehlt, besiegele), dass die dritte Vereinigung die vollkommenste werde – die Vereinigung aller Überreste meiner Kinder mit allen anderen Überresten treuer Tschechen. Damit das Holz Judas und das Holz Ephraims (Hes. 37,16–17) ein Holz werde in der Hand Gottes, wenn der allmächtige Herr unsere zerstreuten Gebeine wieder sammelt, mit Fleisch und Haut überzieht und mit dem Geist des Lebens erfüllt, dem nichts unmöglich ist!

Fünftens: Ich überlasse dir und deinen Söhnen auch den Eifer, unsere liebe und gnadenreiche väterliche Sprache zu reinigen, zu läutern und zu pflegen. Darin war der Fleiß meiner Söhne in vergangenen Zeiten bekannt, da die Verständigeren sagten, dass es kein besseres Tschechisch gebe als unter den Brüdern und in ihren Büchern. Einige haben sich nun noch fleißiger daran gemacht, da sie jetzt aus der Heimat vertrieben wurden, um durch die Vorbereitung nützlicher Bücher und durch in feinerem Stil geschriebenes Werk deinen Söhnen zu helfen, desto leichter jede edle Zierde in Dingen wie in der Rede, in Weisheit wie in Beredsamkeit einzuführen, zur glücklichen Ersetzung der jetzigen Verwüstung, wenn der Herr die Zeiten zur Erquickung bringt. Alles also, was sich da findet – alte oder neue Bücher – nimm von meinen Söhnen und halte es als dein eigenes Erbe, um es so gut wie möglich zu gebrauchen!

Sechstens: Ich vererbe dir eine bessere, fleißigere und erfolgreichere Erziehung der Jugend als bisher. Ich habe hier versagt, indem ich mich Fremden anvertraute, die meine Söhne verdarben und verführten. Wenn es Gott gefallen hätte, mich zu freieren Zeiten zurückzuführen, hätte ich hierin eine Verbesserung gesucht. Doch da ich selbst diese Hoffnung verloren habe, bitte ich dich, geliebte Heimat, mit allem Ernst, dass du dies besserst. Auch in dieser Sache haben einige meiner Söhne gearbeitet und Methoden für eine bessere Erziehung der Jugend erarbeitet, die bereits andere Völker ohne Unterschied des Glaubens zu gebrauchen begannen. Aber dir gehört dies vor allem – vernachlässige nicht dein Erbe, das dir meine Söhne übergeben werden, wenn die Zeit kommt!

Summa: All meinen Nachlass, wie Asche nach meinem Verbrennen, befehle ich dir, geliebte Heimat, damit du dir daraus Lauge zur Reinigung der Flecken deiner Kinder bereiten mögest – wie mir der Herr in meinen Anfängen tat, da er mich und meine Kinder aus der Asche des Hus erweckte.

XX.

Was soll ich noch mehr sagen? Ich muss aufhören und Abschied von dir nehmen, geliebte Heimat! Doch wie? – Wie Jakob, der Patriarch, auf seinem Sterbebett Abschied nehmend seine Söhne segnete; wie auch Mose, als er von seinem Volk schied. Aus ihrem Munde nehme ich die Worte und verkünde dir, tschechisches Volk, zum Abschied den Segen vom Herrn, deinem Gott:

Dass du eine fruchtbare Rebe seist und bleibest, eine Rebe, die wächst an Quellen, eine Rebe, die über die Mauer rankt. Und obgleich sie dich mit Bitterkeit erfüllt und auf dich geschossen haben, dich in geheimer Feindschaft verfolgend – bleibe dennoch fest in der Stärke deines Bogens, und es erstarke die Arme deiner Hände durch die Hände des Mächtigen Jakobs, von dem starken Gott, dem deine Väter dienten, der dir hilft, und von dem Allmächtigen, der dich segnet mit dem Segen des Himmels von oben, mit dem Segen der Tiefe, die unten liegt, mit dem Segen der Brüste und des Mutterschoßes! Mächtigere Segnungen seien über dir als die Segnungen meiner Väter bis zu den Grenzen ewiger Hügel (1. Mose 49,22 ff.).

Lebe, Volk, das Gott geweiht ist, und stirb nicht; deine Männer sollen zahllos sein! Segne, o Herr, sein Kriegsvolk und habe Wohlgefallen am Werk seiner Hände! Zerschmettere die Lenden seiner Feinde und derer, die ihn hassen, damit sie nicht wieder aufstehen! Komme deine Zeit, dass die Völker sprechen: Gesegnet bist du, Israel! Wer ist dir gleich, Volk, das durch den Herrn erlöst ist, der dein Schild der Hilfe und dein Schwert deiner Herrlichkeit ist? Deine Feinde werden gewiss fallen, aber du wirst auf ihre Höhen treten (5. Mose 33,6.11.29).

Dein ist die Rettung, o Herr, und über deinem Volk ist dein Segen. Sela. (Ps. 3,9)

Hier der Text als pdf.

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