Martin Luther, Ein Sermon von dem Sakrament der Buße (1519): „Das dritte ist der Glaube, der fest annimmt, dass die Freisprechung und die Worte des Priesters wahr sind in der Kraft der Worte Christi: ‚Was du löst, soll los sein …‘ An dem Glauben aber ist alles gelegen. Der allein macht, dass die Sakramente bewirken, was sie bedeuten, und alles wahr wird, was der Priester sagt; denn wie du glaubst, so geschieht dir. Ohne solchen Glauben sind alle Freisprechungen, alle Sakramente zwecklos, ja scha­den mehr als daß sie nützen.“

Ein Sermon von dem Sakrament der Buße (1519)

Von Martin Luther

1. Im Bußsakrament sind zwei Arten Vergebung enthalten: Ver­gebung der Strafe und Vergebung der Schuld. Von der ersten Art, der Vergebung der Strafe oder Genugtuung, ist in der be­reits erschienenen Abhandlung vom Ablaß Hinreichendes ge­sagt worden. An ihr ist nicht so viel gelegen; sie ist bei weitem bedeutungsloser als die Vergebung der Schuld, die man einen Gottes- oder Himmelsablaß nennen könnte, den niemand an­deres als Gott vom Himmel geben kann.

2. Es besteht zwischen beiden Arten Vergebung dieser Un­terschied, daß Ablaß oder Vergebung der Strafe auferlegte Lei­stungen und die Mühe des Genugtuns erlaßt sowie den Men­schen mit der christlichen Kirche – äußerlich – versöhnt. Aber Vergebung der Schuld oder Himmelsablaß nimmt die Furcht und Kleinmütigkeit des Herzens Gott gegenüber fort und macht – innerlich – das Gewissen leicht und fröhlich, versöhnt den Menschen mit Gott. Und das heißt eigentlich und richtig Sün­den vergeben, daß den Menschen seine Sünden nicht mehr quälen und unruhig machen, sondern daß er eine fröhliche Zu­versicht erhalten hat, daß sie ihm von Gott für immer und ewig vergeben sind.

3. Wo der Mensch nicht in sich selbst ein solches Gewissen und ein fröhliches Herz zu Gottes Gnade auffindet und fühlt, hilft ihm kein Ablaß, auch wenn er alle Briefe und Ablässe ein­löst, die jemals ausgegeben worden sind; denn ohne Ablaß und Ablaßbrief kann man selig werden und die Sünde „bezahlen“ oder genugtun durch den Tod. Aber ohne fröhliches Gewissen und ohne erleichtertes Herz zu Gott hin – das ist: ohne Ver­gebung der Schuld – kann niemand selig werden. Und es wäre viel besser, daß man keinen Ablaß kaufte, als daß man diese Vergebung der Schuld aus den Gedanken verliert und sie nicht an erster Stelle, täglich, aufs ernsthafteste zu erlangen sucht.

4. Zu solcher Vergebung der Schuld und um das Herz vor den Sünden zu beruhigen gibt es verschiedene Wege und Verhal­tensweisen. Einige meinen, es durch Briefe und Ablässe zu er­reichen, laufen hin und her, nach Rom, nach St. Jakob, kaufen Ablässe hier und dort. Das ist alles umsonst und ein Irrtum. Es wird dadurch viel schlimmer; denn Gott muß selber die Sünden vergeben und dem [715] Herzen Frieden schenken.

Einige mühen sich mit vielen guten Werken ab, sowie über­mäßigem Fasten und Anstrengungen, so daß sie ihren Leib dar­über zerbrochen haben und wahnsinnig geworden sind, indem sie meinten, auf diese Weise durch die Kraft der Werke ihre Sünden abzutun und dem Herzen Ruhe zu verschaffen. Diese beiden gehen darin fehl, daß sie zuvor gute Werke tun wollen, ehe die Sünden vergeben sind, wohingegen doch zuvor die Sün­den vergeben sein müssen, ehe gute Werke geschehen. Außer­dem treiben nicht die Werke die Sünden aus, sondern die Aus­treibung der Sünden bewirkt gute Werke; denn gute Werke müssen mit fröhlichem Herzen und einem guten Gewissen zu Gott geschehen, daß heißt in der Vergebung der Schuld.

5. Der rechte Weg und die richtige Art, neben denen nichts anderes aufzufinden ist, ist das hochwürdige, gnadenreiche, heilige Bußsakrament, das Gott allen Sündern zur Ermutigung gegeben hat, als er St. Peter in Vertretung der ganzen christ­lichen Kirche die Schlüssel gab und sprach Matth. 16,19: „Was du auf Erden binden wirst, soll im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, soll im Himmel los sein.“ Diese heiligen, hilfebringenden, gnadenreichen Worte Gottes soll jeder Christ tief zu Herzen nehmen und mit großer Bereitwilligkeit sich einprägen, denn darinnen liegt das Buß­sakrament: Vergebung der Sünde, Zuversicht und Friede des Gewissens, alle Freude und Glückseligkeit des Herzens gegen alle Sünden, gegen jedes Erschrecken des Gewissens, gegen Verzweiflung und Beunruhigung durch die Pforten der Hölle.

6. Des näheren sind drei Dinge im heiligen Bußsakrament enthalten. Das erste ist die Freisprechung (Absolution), das sind die Worte des Priesters. Die zeigen dir an, sagen und ver­künden, du bist frei und deine Sünden sind vor Gott vergeben nach dem Wortlaut und infolge der Kraft der oben gesagten Worte Christi zu St. Peter. Das zweite ist die Gnade, die Ver­gebung der Sünden, der Friede und die Zuversicht des Gewis­sens ganz nach dem Wortlaut. Das Bußsakrament heißt darum ein Sakrament, ein heiliges Zeichen, weil man die Worte äußer­lich hört, die die geistlichen Güter inwendig bedeuten, durch die das Herz ermutigt und zum Frieden gebracht wird. Das dritte ist der Glaube, der fest annimmt, daß die Freisprechung und die Worte des Priesters wahr sind in der Kraft der Worte Christi: „Was du löst, soll los sein …“ An dem Glauben aber ist alles gelegen. Der allein macht, daß die Sakramente bewirken, was sie bedeuten, und alles wahr wird, was der Priester sagt; denn wie du glaubst, so geschieht dir. Ohne solchen Glauben sind alle Freisprechungen, alle Sakramente zwecklos, ja scha­den mehr als daß sie nützen. Dem entspricht ganz ein bei den Theologen verbreiteter Satz: Nicht das Sakrament, sondern der Glaube, der das Sakrament glaubt, schafft die Sünden ab. Entsprechend sagt St. Augustin: „Das Sakrament nimmt die Sünden nicht darum weg, weil es geschieht, sondern darum, weil man ihm glaubt.“ Deshalb ist mit allem Eifer auf den Glau­ben im Sakrament zu achten, und wir wollen ihn weiter hervor­heben. [716]

7. Daraus folgt erstens, daß die Vergebung der Schuld und der Himmelsablaß niemandem gegeben werden wegen der Würdigkeit seiner Reue über die Sünden oder der Leistungen der Genugtuung, sondern allein um des Glaubens willen an das Versprechen Gottes: „Was du löst, soll los sein …“ Obgleich die Reue und guten Werke nicht zu vernachlässigen sind, ist doch in keiner Weise auf sie zu bauen, sondern allein auf die zu­verlässigen Worte Christi, der dir gesagt hat, wenn dich der Priester freispricht, sollst du frei sein. Deine Reue und Leistun­gen können dich täuschen, und der Teufel wird sie sehr bald umstoßen im Tod und in der Anfechtung. Aber Christus, dein Gott, wird dir gegenüber nicht lügen noch schwanken, und der Teufel wird ihm seine Worte nicht umstoßen. Baust du mit einem festen Glauben darauf, so stehst du auf dem Fels, wo­gegen die Pforten und alle Gewalt der Hölle nicht angehen können.

8. Daraus folgt weiter, daß die Vergebung der Schuld auch weder in des Papstes, Bischofs, Priesters noch irgendeines Menschen Amt oder Macht auf Erden steht, sondern allein auf dem Wort Christi und deinem eigenen Glauben; denn er hat un­sere Stärkung, unsere Glückseligkeit, unsere Zuversicht nicht auf das Wort oder die Tat von Menschen bauen wollen, sondern allein auf sich selbst, auf seine Worte und Tat. Die Priester, Bi­schöfe und Päpste sind nur Dienende, die dir das Wort Christi vorhalten. Auf dieses sollst du dich mit festem Glauben werfen und stellen als auf einen Felsen. Dann wird dich das Wort hal­ten, und deine Sünden können so vergeben werden. Darum sind auch nicht die Worte um der Priester, Bischöfe und Päpste willen, sondern die Priester, Bischöfe und Päpste um des Wor­tes willen zu ehren als die, die dir deines Gottes Wort und Bot­schaft bringen, daß du von Sünden freigesprochen bist.

9. Daraus folgt außerdem, daß ein Papst oder Bischof im Bußsakrament und in der Vergebung der Schuld nicht mehr tut als der geringste Priester. Ja, wo kein Priester ist, tut jeder Christ genau soviel, und wäre es auch eine Frau oder ein Ju­gendlicher; denn wenn ein Christ dir sagen kann: „Dir vergibt Gott deine Sünde im Namen …“ und du kannst das Wort mit festem Glauben erfassen, als würde es Gott zu dir sprechen, dann bist du in einem solchen Glauben zuverlässig freigespro­chen. So hängt alles voll und ganz vom Glauben an Gottes Wort ab; denn der Papst, Bischof oder Priester können zu deinem Glauben nichts hinzutun. Somit kann auch keiner vor dem an­deren ein besseres Gotteswort anführen als das bekannte Wort, das er zu Petrus sagt: „Was du löst, das soll los sein“ (Matth. 16,19). Dieses Wort gehört zu allen Freispre­chungen, ja alle Freisprechungen hangen davon ab. Doch soll man die Ordnung der Kirche einhalten und nicht verachten, nur daß man nicht im Sakrament und seiner Wirksamkeit fehlgehe, als wäre es besser, wenn es ein Bischof oder Papst spende als bloß ein Priester oder Laie; denn wie die Messe und die Taufe des Prie­sters, seine Ausspendung des heiligen Leibes Christi genau so [717] viel wert sind, als wenn es der Papst oder Bischof selber taten, genau so auch die Freisprechung, das heißt das Buß­sakrament. Daß die Bischöfe bzw. der Papst sich aber in eini­gen Fällen das Freisprechen vorbehalten, macht ihr Sakrament nicht größer oder besser, sondern es ist dasselbe, als wenn sie die Messe, die Taufe und ähnliches jemandem begründet vor­behielten, womit der Taufe und der Messe weder etwas zu­wachst noch abgeht.

10. Darum, sofern du dem Wort des Priesters glaubst, wenn er dich freispricht – das heißt, er befreit dich im Namen und in der Kraft der Worte Christi und spricht: „Ich löse dich von deinen Sünden.“ –, dann sind die Sünden auch unstreitig vor Gott, vor allen Engeln und allen Kreaturen gelöst nicht um deinetwillen, nicht um des Priesters willen, sondern um des wahrhaftigen Wortes Christi willen, der dich nicht belügen kann, wenn er spricht: „Was du löst, soll gelöst sein“ (Matth. 16,19). Und wenn du nicht glaubst, daß es wahr ist, daß deine Sünden vergeben und abgetan sind, so bist du ein Heide, ein Nicht­christ, und glaubst deinem Herrn Christus nicht, was die allerschwerste Sünde gegen Gott darstellt. Gehe beileibe nicht zum Priester, wenn du seinem Freispruch keinen Glauben schenken willst. Du erwirkst dir mit deinem Unglauben einen großen Schaden. Denn mit solchem Unglauben machst du Gott zu einem Lügner, wenn er dir durch seinen Priester sagt: „Du bist von Sünden frei“, und du sprichst: „Ich glaube das nicht“ oder zweifelst daran, als wärst du mit deiner Meinung sicherer als Gott in seinen Worten, wo du doch alle Mutmaßun­gen fahrenlassen und dem durch den Priester gesagten Wort Gottes Raum geben sollst mit unerschüttertem Glauben. Denn was ist anderes gesagt, wenn du zweifelst, ob deine Frei­sprechung Gott angenehm ist und du von Sünden frei bist, als wenn du sagst: „Christus hat nicht die Wahrheit gesagt, und ich weiß nicht, ob ihm seine Worte angenehm waren, als er zu Petrus sprach: ‚Was du löst, soll los sein!‘“ O Gott, behüte alle Menschen vor solchem teuflischen Unglauben.

11. Wenn du von Sünden freigesprochen bist-ja auch wenn dir ein rechter Christ in deinem sündenbeschwerten Gewissen Zuversicht gibt, ob Mann, Frau, jung oder alt –, dann sollst du das mit einem solchen Glauben annehmen, daß du dich eher mehrmals todbringend zerreißen lassen, ja alles in der Welt ver­neinen wollest, als daß du daran zweifelst, daß es vor Gott gilt. Ist uns nämlich schon ohnedies geboten, an die Gnade Gottes zu glauben und zu hoffen, daß uns unsere Sünden vergeben sind, wieviel mehr sollst du dann glauben, wenn er dir dies­bezüglich durch einen Menschen ein Zeichen gibt. Es gibt keine größere Sünde, als daß man dem Artikel „Vergebung der Sün­den“ nicht glaubt, wie wir ihn im Apostolischen Glaubens­bekenntnis‘ beten. Solche Sünde heißt Sünde gegen den Heili­gen Geist. Sie stärkt alle anderen Sünden und macht sie für ewige Zeiten unvergebbar. Darum siehe, einen wie gnädigen Gott und Vater wir haben, der uns nicht nur Sündenvergebung verspricht, sondern auch bei Gefahr der allerschwersten Sünde befiehlt, wir sollen glauben, sie sind vergeben, und mit diesem Gebot uns zu einem fröhlichen Gewissen drängt und uns durch Angst vor schrecklicher Sünde von den Sünden und einem bö­sen Gewissen forttreibt. [718]

12. Es gibt einige, die uns gelehrt haben, man soll und muß in bezug auf die Freisprechung im Ungewissen sein und zwei­feln, ob wir in Gnaden angenommen und die Sünden vergeben sind, weil wir nicht wissen, ob die Reue ausreichend oder für die Sünden genug geschehen ist. Dieser Unsicherheit wegen könne auch der Priester keine gleichwertigen Bußstrafen auf­erlegen. Hüte dich vor diesen verführerischen und unchrist­lichen Schwätzern. Der Priester kann über deine Reue und deinen Glauben unsicher sein. Das macht nichts. Es genügt für ihn, daß du beichtest und die Freisprechung begehrst. Die soll er dir geben und ist er dir schuldig. Welche Folgen das aber hat, soll er Gott und deinem Glauben überlassen.

Du sollst aber nicht in erster Linie diskutieren, ob deine Reue ausreichend sei oder nicht, sondern gewiß sein, daß trotz deinem ganzen Eifer deine Reue ungenügend ist. Deswegen sollst du zur Gnade Gottes Zuflucht nehmen, sein zureichend sicheres Wort beim Sakrament hören, es mit freiem, fröhlichem Glauben aufnehmen und in keiner Weise zweifeln, daß du zu Gnaden gekommen bist, nicht durch deine Verdienste und Reue, sondern durch seine gnädige, göttliche Barmherzigkeit, die ganz umsonst Vergebung der Sünden zusagt, anbietet und vollzieht, damit du lernst, nicht dich oder dein Tun zu rühmen und darauf zu pochen, sondern auf die Gnade und Barmherzig­keit deines lieben Vaters im Himmel gegen alle Bedrängnis der Sünde, des Gewissens und der Teufel. Daraufhin hege um so starker Reue und leiste Genugtuung, so viel wie du kannst. Laß nur diesen reinen Glauben an die unverdiente, in Christi Worten zugesagte Vergebung vorangehen und Anführer im Kampf blei­ben.

13. Die aber nicht Frieden haben wollen, sie sind denn der Meinung, sie hatten ausreichend Reue und Leistungen er­bracht, nehmen – außer daß sie Christus Lügen strafen und mit der Sünde gegen den Heiligen Geist umgehen (Matt. 12,32), zudem das hochwürdige Bußsakrament unwürdig behandeln – ihren verdienten Lohn, nämlich daß sie auf Sand bauen (Matth. 7,26), sich selbst mehr vertrauen als Gott, woraus eine wach­sende Unruhe des Gewissens folgen muß, ein vergebliches Hinarbeiten auf unmögliche Dinge sowie das Suchen und Nichtfinden von Grund und Trost, bis das Ende einer solchen Verkehrung kommt: die Verzweiflung und ewige Verdammnis. Denn was suchen sie anderes als durch ihr Tun Gewißheit zu erlangen, als ob sie mit ihren Taten Gottes Wort festigen könn­ten, durch das sie im Glauben gefestigt werden sollten. Und sie fangen an, den Himmel zu stützen, an dem sie sich festhalten sollten. Das bedeutet, daß man Gott nicht barmherzig sein las­sen und nur als Richter haben will, als würde er nichts umsonst vergeben, es wäre ihm denn vorher bezahlt worden. Wo wir doch im ganzen Evangelium nicht von einem lesen, von dem Gott etwas anderes als den Glauben gefordert hat. Vielmehr le­sen wir, daß er alle seine Wohltaten den Unwürdigen um-[719] sonst und nur aus Gnade erwiesen und erst danach ihnen befohlen hat, ein rechtschaffenes Leben zu führen, in Frieden hinzugehen usw. (Mark. 5,34; Luk. 7,50; 8,48).

14. Laß es einerlei sein, daß ein Priester irrt, in Sünden gefan­gen oder leichtfertig in seinem Freisprechen ist. Wenn du nur mit offenem Herzen die Worte annimmst und glaubst, sofern du seinen Irrtum oder seine Gebundenheit nicht weißt oder geringachtest, bist du dennoch freigesprochen und hast das Sakrament vollständig. Denn wie gesagt, es liegt nicht am Prie­ster, nicht an deinem Tun, sondern ganz an deinem Glauben. So viel wie du glaubst, so viel hast du. Ware es möglich, daß du ohne einen solchen Glauben die Reue der ganzen Welt be­saßest, so wäre es doch eine Judasreue (Matth. 26,3-10), die Gott mehr erzürnt als versöhnt. Denn nichts versöhnt Gott bes­ser, als wenn man ihm die Ehre gibt, daß er wahrhaftig und gnädig ist. Das tut nur, wer seinen Worten glaubt. Auf diese Weise lobt ihn David: „Herr, du bist geduldig, barmherzig und wahrhaftig.“ Und eben diese Wahrheit erlöst uns auch von allen Sünden, wenn wir uns mit solchem Glauben an ihr halten.

15. folgt, daß die Schlüsselbefugnis St. Peters keine Herr­schergewalt, sondern ein Dienst ist und daß die Schlüssel nicht St. Peter, sondern dir und mir gegeben sind. Dir und mir ge­hören die Schlüssel, denn St. Peter bedarf ihrer nicht als Papst oder Bischof. Sie sind für ihn auch nicht notwendig noch nutz­bringend. Ihre ganze Macht besteht darin, daß sie den Sündern helfen, ihre Gewissen aufzurichten und zu stärken. Dement­sprechend hat Christus angeordnet, daß die Gewalt der Kirche eine Dienstbereitschaft sein soll, daß durch die Schlüssel die Geistlichen nicht im mindesten sich selbst, sondern allein uns damit dienen sollen. Deswegen sieht man also: Tut der Priester nicht mehr, als ein Wort sprechen, so ist das Sakrament schon da. Und dieses Wort ist Gottes Wort, wie er sich selbst verbürgt hat. Auch hat der Priester in ausreichendem Maße Anzeichen und Gründe zum Freisprechen, wenn er sieht, daß man die Frei­sprechung von ihm begehrt. Mehr zu wissen ist er nicht gehal­ten. Das sage ich darum, damit man die äußerst gnadenreiche Macht der Schlüssel liebhabe und ehre und nicht wegen verein­zeltem Mißbrauch verachte, der nichts weiter aus solcher liebenswerter, trostspendender Vollmacht als Bannen, Drohen, Plagen und bloßes Tyrannisieren macht, als hätte Christus mit den Schlüsseln nur ihre Willkür und Herrschaft eingesetzt in aller Unkenntnis, wozu man sie verwenden soll.

16. Damit mir niemand erneut Schuld gebe, ich verbiete gute Werke, sage ich, man soll mit allem Ernst Reue und Schmerz empfinden, Beichte und gute Werke tun. Dafür aber stehe ich ein, sosehr ich kann, daß man den Glauben an das Sakrament das Hauptvermögen und das Erbgut sein laßt, mit dem man Gottes Gnade erlangen kann, und erst danach viel Gutes tue, Gott allein [720] zur Ehre und dem Nächsten zum Nutzen, und nicht darum, daß man sich darauf verlassen soll, als könnte man dadurch für die Sünde ausreichend bezahlen; denn Gott gibt seine Gnade umsonst. Darum sollen auch wir ihm wie­derum frei umsonst dienen. Auch ist alles, was ich von diesem Sakrament gesagt habe, denen gesagt, die betrübte, unruhige, irrende, erschrockene Gewissen haben, die gern von der Sünde frei und gut sein wollen und nicht wissen, wie sie es anfangen sollen; denn auch diese haben wahre Reue, ja zuviel Reue und Kleinmütigkeit. Die tröstet Gott durch den Propheten Jes. 40,2: „Predigt den Kleinmütigen und sagt ihnen consolamini! Seid getröstet ihr Kleinmütigen! Seht, da ist euer Gott!“ und durch Christus Matth. 11,28: „Kommt her zu mir, die ihr beschwert und beladen seid, ich will euch stärken …“ Die Hartherzigen aber, die noch keine Stärkung des Gewissens begehren, haben auch nicht jene Qualen empfunden. Ihnen ist das Sakrament nutzlos, die muß man mit dem schreckenbringenden Gericht Gottes vorher weich und mürbe machen, damit auch sie eine solche Hilfe des Sakraments suchen und fähig werden zu seuf­zen.

17. Will man einen in der Beichte fragen oder selbst einer sich erforschen, ob er wahre Reue habe oder nicht, lasse ich das geschehen. Jedoch so, daß niemand vor Gottes Augen je­mals so frech sei zu sagen, er habe ausreichende Reue; denn das ist Vermessenheit und gelogen. Niemand hat für seine Sünden ausreichend Reue. Auch lasse ich es geschehen, damit viel mehr erforscht wird, ob er das Sakrament fest glaubt, daß ihm seine Sünden vergeben sind, so wie Christus zu dem Ge­lähmten sprach: „Mein Sohn, glaube, dann sind dir deine Sün­den vergeben.“ (Matth. 9,2) und zu der Frau:„Glaube, meine Tochter, dein Glaube hat dich gesund gemacht“ (Matth. 9,22). So ein Erforschen ist bei diesem Sakrament ganz selten gewor­den. Man ist nur mit der Reue, Sünde, Genugtuung und dem Ablaß beschäftigt. So führt immer ein Blinder den anderen (Matth. 15,14). In der Tat: Im Sakrament bringt der Priester mit seinem Wort die Botschaft Gottes von der Vergebung der Sün­den und der Schuld. Aus diesem Grunde sollte er wirklich auch am meisten fragen und sehen, ob der Mensch für die Botschaft auch empfangsbereit ist, der nie stärker als durch den Glauben und durch das Verlangen nach dieser Botschaft empfangs­bereit werden kann. Sünde und Reue und gute Werke soll man in Predigten vordem Sakrament und vor der Beichte behandeln.

18. Es kommt vor, daß Gott einen Menschen die Vergebung der Schuld nicht fühlen läßt, und das Zappeln und die Unruhe des Gewissens bleibt nach dem Sakrament, wie es vorher war. Hier muß man klug vorgehen, denn der Fehler liegt beim Glau­ben. Es ist unmöglich, daß das Herz nicht fröhlich ist, wenn es die Vergebung seiner Sünde glaubt, ebensowenig wie es mög­lich ist, daß es nicht betrübt und unruhig ist, falls es nicht glaubt, daß die Sünde vergeben ist. Nun läßt Gott den Glauben­den manchmal so schwach bleiben. Darüber soll man nicht ver­zagen, sondern es als eine Versuchung und Anfechtung auf­nehmen, wodurch [721] Gott den Menschen prüft, anreizt und antreibt, daß er desto mehr um solchen Glauben rufe und bitte und mit dem Vater des Besessenen im Evangelium sage: „O Herr, hilf meinem Unglauben“ (Mark. 9,24) und mit den Aposteln: „O Herr, mehr uns den Glauben“ (Luk. 17,5). Auf diese Weise lernt der Mensch, daß alles Gottes Gnaden sind: das Sakrament, die Vergebung und der Glaube – bis er Hände und Füße ruhen läßt, an sich selbst verzweifelt, auf die reinen Gnaden Gottes hofft und ohne Unterlaß an ihnen festhält.

19. Es sind zwei ganz verschiedene Dinge, die Buße und das Bußsakrament. Das Sakrament besteht in den drei oben­genannten Dingen: im Wort Gottes, das ist die Freisprechung, im Glauben an diesen Freispruch und im Frieden, das ist in der Vergebung der Sünden, die mit Sicherheit auf den Glauben folgt. Aber auch die Buße teilt man in drei Dinge: in die Reue, die Beichte und die Genugtuung.

So wie bei der Reue mancher Mißbrauch oben aufgezeigt worden ist, so steht es auch bei der Beichte und der Genug­tuung. Es sind ziemlich viel Bücher mit diesen Dingen voll­geschrieben worden und leider wenig Bücher über das Buß­sakrament. Wo aber dieses Sakrament richtig im Glauben ge­braucht wird, da ist die Buße, Reue, Beichte und Genugtuung ganz leicht und ohne alle Schwierigkeit, einerlei, ob davon zuwenig oder zuviel vorhanden ist; denn der Glau­be an das Sakra­ment macht alle Krümmung gerade und füllt alle Vertiefungen auf (Jes. 40,4). Und es kann keiner irren weder in der Reue und Beichte noch in der Genugtuung, der den Glauben an das Sa­krament hat. Und wenn er schon irrt, so schadet es ihm gar nichts. Wo aber der Glaube nicht vorhanden ist, da ist keine Reue, Beichte, Genugtuung ausreichend. Und daher kommen so viele Bücher und Lehren von der Reue, Beichte und Genug­tuung, womit viele Herzen sehr in Angst versetzt werden, oft beichten, weil sie nicht wissen, ob es sich um eine alltägliche oder um eine Todsünde handelt. In diesem Rahmen wollen wir nur wenig davon sagen.

20. Man braucht die alltäglichen Sünden nicht dem Priester zu bekennen, sondern nur Gott. Nun erhebt sich aber eine neue Frage: Was sind Todes- und was sind alltägliche Sünden? Es ist noch kein Doktor so gelehrt gewesen, noch wird er äs je­mals, der eine sichere Regel gibt, um die alltäglichen Sünden von den Todsünden zu unterscheiden, ausgenommen die gro­ben Stücke gegen die Gebote Gottes wie Ehebruch, Töten, Stehlen, Lügen, Verleumden, Betrügen, Hassen und derglei­chen. Es steht auch allein bei Gottes Gericht, welche anderen Sünden er für todbringend hält; der Mensch kann es nicht er­kennen, wie Psalm 19,13 sagt: „O Gott, wer kann alle seine Sünden erkennen? Mache mich rein von den verborgenen Sün­den.“ Darum gehören keine Sünden in die Einzelbeichte, als die, die allgemein als Todsünden gelten und die das Gewissen gerade bedrücken und ängstigen; denn sollte man alle Sünden beichten, so müß­te man alle Augenblicke beichten, so wie wir in diesem Leben niemals ohne Sünde sind. Auch unsere guten Werke sind nicht ganz ohne Sünde. Doch ist es nicht ohne Er­trag, wenn man auch geringe Sünden beichtet, besonders wenn man sonst keine Todsünden weiß. Denn wie gesagt, im Sakrament wird Gottes Wort [722] gehört und der Glaube mehr und mehr gestärkt. Und wenn einer schon nichts zu beichten hat, wäre es dennoch nützlich, den Freispruch und Gottes Wort dieses Glaubens wegen oft zu hören, damit man sich daran ge­wöhnt, an die Vergebung der Sünden zu glauben. Darum habe ich gesagt, der Glaube an das Sakrament tut es ganz, einerlei ob zuviel oder zuwenig von der Beichte vorhanden ist. Alles ge­reicht dem zum Nutzen, der Gottes Sakrament und Wort glaubt. Von der Genugtuung möge jetzt genügen, daß die beste die ist, nicht mehr sündigen und seinem Nächsten alles Gute tun, einerlei ob Feind oder Freund, was man allerdings selten be­handelt; nur mit auferlegten Gebeten will man alles bezahlen.

21. Das ist die Vollmacht, wovon er (Christus) Matth. 9,6-8 zu den ungläubigen Schriftgelehrten spricht: „Damit ihr wißt, daß der Menschensohn auf der Erde Macht hat, die Sünden zu vergeben‘, sprach er zu dem Gelähmten: ‚Stehe auf, nimm dein Bett und gehe nach Hause.‘ Und er ist aufgestanden und nach Hause gegangen. Als das Volk das gesehen hat, hat er sich darüber gewundert und hat Gott gelobt, der den Menschen solche Gewalt gegeben hat.“ Denn diese Gewalt, die Sünden zu vergeben, ist nichts anderes, als daß ein Priester, ja wenn es nötig ist, jeder Christ zum dem anderen sagen und, wenn er ihn in seinen Sünden betrübt und in Angst sieht, fröhlich Urteil sprechen kann: „Sei getrost, dir sind deine Sünden vergeben“ (Matth. 9,2). Und wer das annimmt und glaubt es als ein Wort Gottes, dem sind sie mit Sicherheit vergeben. Wo aber der Glau­be nicht vorhanden ist, hilft es nichts, auch wenn Christus oder Gott selbst das Urteil spräche; denn Gott kann es keinem geben, der es nicht haben will. Der aber will es nicht haben, der nicht glaubt, daß es ihm gegeben sei, und er tut dem Wort Got­tes eine große Unehre, wie oben dargelegt. Du siehst also, daß die ganze Kirche voll Vergebung der Sünden ist, aber es sind wenige, die sie annehmen und empfangen, weil sie es nicht glauben und sich lieber mit ihren Werken absichern wollen.

So ist es wahr, daß ein Priester in der Tat die Sünden und Schuld vergibt, aber er kann dem Sünder nicht den Glauben ge­ben, der die Vergebung empfängt und annimmt, den muß Gott geben. Nichtsdestoweniger ist die Vergebung wirklich, so wirklich als wenn es Gott selbst spricht, es bleibe haften durch den Glauben oder nicht. Und diese Vollmacht, die Sünden zu ver­geben und so ein Urteil an Gottes Statt zu fällen, hatten im alten Bund weder die obersten noch die untersten Priester, noch Könige noch Propheten noch irgend jemand im Volk, außer es wurde ausdrücklich von Gott befohlen wie Nathan über König David (2. Sam. 12,1). Aber im neuen Bund besitzt sie jeder Christ, wenn kein Priester da ist, durch die Zusage Christi, als er zu Petrus sprach: „Was du auf Erden lösen wirst, soll im Him­mel los sein“ (Matth. 16,19). Denn wenn das allein zu Petrus gesagt worden wäre, hätte er Matth. 18,18 nicht zu ihnen allen gemeinsam [723] gesagt: „Was ihr auf Erden löst, soll im Himmel los sein.“ Dort redet er zu der ganzen Christenheit und jedem einzelnen.

Eine so große Sache ist es also mit einem Christen, daß Gott nicht völlig geliebt und gelobt werden kann, wenn uns nicht mehr gegeben wäre, als einen zu hören, der mit uns dieses Wort redet. Nun ist zwar die Welt voller Christen, aber keiner achtet es und dankt Gott.

Zusammenfassung:

Wer glaubt, dem ist                alles zum Nutzen / nichts zum Schaden

Wer nicht glaubt, dem ist       alles zum Schaden / nichts zum Nutzen

WA 2, 714-723, übertragen von Helmar Junghans.

Hier der Text als pdf.

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