Stewart W. Hermans Gespräch mit Bischof Hans Meiser vom Oktober 1945: „Der Bischof stellt klar, dass es für die Kirche wichtiger denn je ist, ihrem bestürzten Volk beizustehen und der Regierung als loyale Institution die Gefühle des Volkes zu vermitteln, die einen Einfluss auf die zivile Verwaltung haben könnten. Deshalb ist die Kirche nicht nur daran interessiert, ihre eigenen Geistlichen zu schützen, deren Verliebtheit in den Hitlerismus wirklich geheilt ist, sondern auch gute Kirchenleute, deren Existenz jetzt durch den Verlust von Stellung und Gehalt bedroht ist.“

Stewart Winfield Herman, Jr. (1909-2006), US-amerikanischer lutherischer Pastor im Dienst des Office of Strategic Services (OSS) über sein Gespräch vom Oktober 1945 mit bayerischen Landesbischof Hans Meiser:

Gespräch mit Bischof Meiser, jetzt wohnhaft in der Paulastraße 1, München-Solln, 16. Oktober

Von Stewart W. Herman

In einem ausführlichen Gespräch, das fast drei Stunden dauerte, habe ich mit Bischof Meiser viele der größeren Probleme erörtert, vor denen die Kirche derzeit steht. Der Bischof legt allen seinen Überlegungen in Bezug auf nationalsozialistische und antinazistische Aktivitäten die Tatsache zugrunde, dass sich die Kirche nicht von Veränderungen in der politischen Szene beeinflussen lassen darf. Daher ist er nicht geneigt, strenge Maßnahmen gegen Geistliche zu ergreifen, die aus politischem Idealismus Mitglied der Nazipartei wurden, aber weiterhin die Botschaft des Evangeliums gemäß der kirchlichen Lehre verkündeten und sich darüber hinaus in vielen Fällen als bessere Verfechter des christlichen Glaubens erwiesen als andere Geistliche, die nie der Partei beigetreten sind, aber gleichzeitig nichts unternahmen, um ihre Übergriffe auf das Leben ihrer Gemeinden zu verhindern. Der Bischof ist der Meinung, dass die Pfarrer, die Parteimitglieder waren, mit Ausnahme der unverbesserlichen Deutschen Christen, mehr als genug für ihren Irrglauben an Hitler gelitten haben und dass man sich darauf verlassen kann, dass sie sich auch in Zukunft für die christlichen Interessen einsetzen werden.

Ich wies darauf hin, dass die breite Masse der Deutschen, die wegen ihrer Identifikation mit der Nazipartei ihren Arbeitsplatz verlieren, kaum in der Lage wäre, die Zurückhaltung der Kirche zu verstehen, ihre Geistlichen zu bestrafen, die sich erlaubt hatten, mit der Nazibewegung in Verbindung zu treten. Außerdem schien es mir, dass Geistliche, die ihren eigenen Fehler zugeben, zu den ersten gehören würden, die darauf bestehen würden, dass ein Teil ihrer Buße eine Degradierung oder eine Änderung ihres Status sein sollte. Darüber hinaus war es nicht logisch, darauf zu drängen, dass die Kirche sich nicht von den politischen Veränderungen unter den Alliierten beeinflussen lassen sollte, während die Anwesenheit von Nazipfarrern darauf hindeutet, dass die Kirche in der Vergangenheit tatsächlich von den politischen Veränderungen im Zusammenhang mit der Machtergreifung Hitlers betroffen war. Ich habe meine eigenen Äußerungen hier nur deshalb notiert, weil sie anscheinend eine gewisse Wirkung auf den Bischof hatten, der offenbar allein dafür verantwortlich ist, dass die bayerische Kirche nicht offensiv gegen den Nazi-Einfluss vorgegangen ist.

Bischof Meiser will vor allem die radikalen Auswüchse vermeiden, die üblicherweise mit einem tiefgreifenden Politikwechsel verbunden sind. Er geht zu Recht davon aus, dass die nationalsozialistische Ideologie in Bayern weniger stark Einzug gehalten hat als in anderen Bundesländern. Andererseits ist er sich nicht bewusst, dass die deutsche Kirche, was die amerikanische Militärbehörde betrifft, noch nicht ganz „auf dem Boden der Tatsachen“ steht und daher nicht sofort damit beginnen kann, lange und detaillierte Beschwerden über die Behandlung von Personen einzureichen, die auch nur nominell mit Hitler-Organisationen in Verbindung stehen. Der Bischof stellt klar, dass es für die Kirche wichtiger denn je ist, ihrem bestürzten Volk beizustehen und der Regierung als loyale Institution die Gefühle des Volkes zu vermitteln, die einen Einfluss auf die zivile Verwaltung haben könnten. Deshalb ist die Kirche nicht nur daran interessiert, ihre eigenen Geistlichen zu schützen, deren Verliebtheit in den Hitlerismus wirklich geheilt ist, sondern auch gute Kirchenleute, deren Existenz jetzt durch den Verlust von Stellung und Gehalt bedroht ist. Er wies auf einen Fall hin, in dem ein langjähriger Beamter, der jetzt 23 Personen unterstützt, wegen einer entfernten Nazi-­Verbindung aus seinem Beruf gedrängt wurde. Er nannte weitere Fälle, in denen ältere Angestellte nun gezwungen seien, als einzige Alternative zum Hungertod körperliche Arbeit zu verrichten, und wies darauf hin, dass diese Politik diese Menschen praktisch zum Tode verurteile.

Ich habe keinen Zweifel daran, dass Bischof Meiser aufrichtig um das Wohl seines Volkes besorgt ist und dass er die allgemein als römisch-katholisch angesehene Haltung in Bezug auf die Kirchenzucht und die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten durch kirchliche Organe teilt. Er will verhindern, dass fremde, ehemals nationalsozialistische Einflüsse in Gestalt von Flüchtlingspfarrern nach Bayern kommen, und man kann sich darauf verlassen, dass er vor allem alles unterstützt, was den Namen des orthodoxen Luthertums trägt, nicht aber eine Ausweitung der Bewegung, die aus der Bekenntniskirche hervorgegangen ist.

Quelle: Clemens Vollnhals (Hrsg.), Die Evangelische Kirche nach dem Zusammenbruch. Be­richte ausländischer Beobachter aus dem Jahre 1945, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1988, S. 178-180.

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