LIEBER HONZA,
dein Brief enthält eine Menge verschiedener Fragen und Themen, aber mir scheint, dass alles aus einer einzigen Frage hervorgeht: Wo finde ich die Gewissheit für mein Leben?
Ungewissheiten und Zweifel haben wir auch im gewöhnlichen Leben mehr als genug, und das ist normal, denn so gelangen wir zur Wahrheit. Die Ungewissheit im Hinblick auf den Glauben ist noch normaler, weil sie zum Weg der Erkenntnis gehört – nicht von Wahrheiten, die in Reichweite liegen, sondern der wesentlichen Wahrheit über unsere Lebensaufgabe, die dem Leben Wert und Sinn verleiht. Der Glaube öffnet den Blick in eine Welt, von der unsere Welt mit allem, was dazugehört, ihre Existenz hat. Es ist völlig normal, dass diese Über-Welt unsere Sinne mit all ihren wissenschaftlichen Instrumenten und auch unseren rechnerisch arbeitenden Verstand übersteigt. Dagegen genügt es, die Seele und das Herz für die feinen Signale zu öffnen, die die ganze riesige Wirklichkeit um uns her aussendet, um schlicht, aber erfahren sagen zu können: Wenn es den im wahrsten und tiefsten Sinn Unendlichen nicht gäbe, dann gäbe es das Universum nicht, gäbe es mich nicht, gäbe es gar nichts.
Der Wissenschaftler und Philosoph Pascal schrieb in sein Tagebuch: „Diese Tiefen des Universums erschrecken mich.” Damit hielt er nur die schwindelerregende Erfahrung der Größe des materiellen Seins fest, über der erst die Sphäre des absoluten Seins, des Urseins, des Urlebens beginnt.
Im strengen Sinn gibt es keine Beweise dafür, dass es Gott gibt. Wir können Gott nicht auf den Forschungstisch der Wissenschaft legen. Gott ist nicht Teil der Welt wie wir. Niemals werden wir der Unermesslichkeit seines Seins gewachsen sein, darum bleibt er für uns immer ein Geheimnis. Dennoch muss er nicht unbekannt bleiben, wenn wir fähig sind, still zu staunen beim Blick auf die Sterne, auf das Wunder des lebendigen Organismus oder auf den guten Menschen. Da müsste sich der Mensch schon Gewalt antun, um glauben zu können, dass es über uns nichts gibt.
Und hier beginnt bereits der Glaube: Ahnung, Verständnis, Überzeugung in der Tiefe des Geistes, dass die gegenteilige Vorstellung nicht vernünftig denkbar ist. Manche schreiten nicht weiter, aber wenigstens diesen Glauben hat meiner Überzeugung nach die Mehrheit derer, die die Rubrik „ohne Bekenntnis“ ausgefüllt haben.
Wir Christen fühlen uns durch den Glauben beschenkt, den uns Gott durch die Worte und Taten Jesu Christi mitgeteilt hat. Wer ihn ehrlich und ganz annimmt, befindet sich in der Lage des Menschen aus dem Gleichnis, der eine kostbare Perle gefunden hat und alles verkaufte, was er hatte, um sie zu gewinnen. Ausnahmsweise wird jemandem dieser Glaube wie durch eine plötzliche Begegnung mit Gott geschenkt; vielleicht hast du von der Bekehrung Paul Claudels oder André Frossards gehört, der es in dem Buch „Gott existiert, ich bin ihm begegnet“ beschrieben hat. In solchen Fällen handelt es sich um einen außergewöhnlichen Eingriff in die menschliche Psyche, durch den sich Gott in der Tiefe der Seele meldet. Ich muss hinzufügen, dass es auch dann etwas anderes ist als die Gefühle, die etwa in der aufgeheizten Atmosphäre von Massenversammlungen von Sekten erzeugt werden.
In der Regel wächst der Glaube allmählich, wenn der Mensch die angebotene Hand Gottes ergreift, und er verwandelt uns, wenn wir mit Gott durch den energischen Willen zu einem guten Leben zusammenarbeiten. Untrennbar gehört dazu auch das Gebet, das Gespräch des Herzens mit dem lebendigen und wahren Gott. Echtes Gebet kann auch nur aus dem echten Verlangen nach Glauben hervorgehen: „Gott, wenn du bist, hilf mir zu glauben.” Übrigens baten auch die Apostel Jesus: „Stärke unseren Glauben.” Aber selbst der Glaube „wie ein Senfkorn” eröffnet solche Horizonte, dass der Mensch auch in einer verzweifelten Situation nicht am Ende zu sein braucht: er ist nicht allein, er ist nicht machtlos.
Der Glaubende ist nicht allein, denn der durch Christus erkannte Gott bietet ihm etwas Überwältigendes: die Beziehung zwischen Vater und Kind. Wenn du zu Hause die Geborgenheit der Liebe erfahren hast, hast du eine Vorstellung, die dir die Größe des göttlichen Angebots näherbringt. Wenn nicht, dann hilft dir das unerfüllte Verlangen, dich dieser Beziehung zuzuwenden. Und sollte dir ein unruhiges Gewissen dabei im Weg stehen, erinnere dich an den verlorenen Sohn – das bist doch du, das sind wir alle, denen sich im Evangelium die Arme des Vaters geöffnet haben.
Gott lässt sich nicht durch einen logischen Gedankengang beweisen, nicht nur weil er ein Geheimnis ist, sondern auch, weil er Liebe ist. Liebe können wir entdecken, wenn wir nach ihr verlangen und wenn wir sie mit Demut und Offenheit suchen.
Lieber Honza, ich denke, dass deine Unruhe dich in die richtige Richtung führt. Ich wünsche dir, dass du beginnst, „im Geist zu leben“, wie uns der heilige Paulus ermahnt, und dass du inzwischen wenigstens eine verwandte Seele findest. Wenn wir jetzt „wie in einem Spiegel sehen“, wie derselbe Paulus treffend sagt, dann dürfen wir uns in Demut freuen, dass wir einst von Angesicht zu Angesicht sehen werden.
Brüderlich grüßt dich
Oto Mádr
Velehrad, 1/1992.
Quelle: Oto Mádr, V zápasech za Boží věc. Vzpomínky, texty a rozhovory [In den Kämpfen für Gottes Sache. Erinnerungen, Texte und Gespräche], Prag: Vyšehrad, 2007.