Zur Phänomenologie des Verlierens
Um mit nötigenden – nicht nötigen – Verlusten zurechtzukommen, empfiehlt es sich dem Vorgang des Verschwindens bzw. des Verlierens phänomenologisch zu stellen.
Verschwinden bedeutet für sich gesehen noch kein Problem. Nicht nur Menschen, sondern auch Gepflogenheiten, Traditionen, Praktiken und Gewohnheiten können mit der Zeit verschwinden, ohne dass ihnen nachgetrauert wird. Veränderungen in Raum und Zeit bedingen, dass Dinge aus dem Blick geraten. Wo sie nicht vermisst werden, scheint alles gut zu bleiben. So vieles, was verschwunden ist, wird gar nicht vermisst. Um es an einem drastischen Beispiel darzustellen: Dem Hausmüll, der sich über zwei Wochen hinweg in der eigenen Mülltonne angesammelt hat und der schließlich durch die Müllabfuhr entsorgt worden ist, trauert niemand hinterher. „Aus den Augen – aus dem Sinn“ heißt es. Etwas oder jemand verschwindet aus dem eigenen Blickfeld, worüber man sich keine Gedanken macht und wo auch eigene Gefühle nicht davon betroffen sind.
Anders sieht es jedoch bei Dingen aus, deren Verschwinden mit eigenem Vermissen begleitet wird und damit zum Verlust wird. Was einem entgangen ist, findet sich im eigenen Bewusstsein wieder, ohne dass es einem verfügbar bleibt. Die intentionale Ausrichtung auf Entschwundenes zeitigt den Verlust. Hinsichtlich deren Konsequenz lässt sich noch einmal unterscheiden.
a. Man verlieren etwas, was sich (doch noch) wiederfinden oder wiedergewinnen lässt. In diesem Fall erweist sich der Verlust nur temporär. Das Vermissen hat zu einer erfolgreichen Suchbewegung geführt. Einiges, was einem verlorengegangen ist, muss eben nicht auf Dauer vermisst werden, so es sich wiederfinden lässt.
b. Der Verlust ist Teil eines Spiels bzw. eines Wettkampfs und – so Spielregeln nicht auch ein Unentschieden zulassen – von Beginn an für Teilnehmende vorgesehen. Verlieren in einem Wettbewerb generiert in der Regel kein bleibender Verlust. Erst am Ende der Saison lässt sich sagen, was eine Mannschaft tatsächlich verloren hat. Die Tragik hält sich in Grenzen, fängt doch schon bald eine neue Wettkampfsaison an, die selbst in Falle eines Abstiegs in der unteren Klasse von neuem bestritten werden kann. Nur da, wo im Spiel Geld oder Körperlichkeit eingesetzt sind, können sich Verluste geben, die aus dem Rahmen des jeweiligen Spiels fallen.
c. Anders hingegen verhält es sich mit Verlusten, die sich mit der Zeit als definitiv erweisen. Das war’s … Was uns vermissterweise verlorengegangen ist bzw. was man selbst verloren hat, gibt es nie mehr wieder.