Brief an Hans von Soden, Marburg, vom 5. Dezember 1934 in Sachen Treueid auf Adolf Hitler
Von Karl Barth
Prof. D. Karl Barth, D. D.
Bonn a. Rhein,
Siebengebirgstr. 18
Fernsprecher 8166
5. XII. 1934
Sehr verehrter, lieber Herr von Soden!
Haben Sie herzlichen Dank für Ihren guten Brief, auf den ich Ihnen gerne Punkt für Punkt antworten will, um Ihnen, wenn es geht klar zu machen, wie sich die ganze Angelegenheit für mich darstellt.
Mir war allerdings vom ersten Augenblick an, da ich in der Schweiz von der Forderung dieses Eides erfuhr, ganz deutlich, daß ich sowie mich diese Forderung erreichen werde, so konkret und aktuell wie nur möglich in den status confessionis versetzt sein werde. Angesichts des besondern Inhalts dieses Eides konnte ich mich nämlich durchaus nicht dabei beruhigen: es sei dem evangelischen Christen selbstverständlich, daß er auch nachdem er diesen Eid geschworen, im Konfliktsfall Gott mehr gehorchen werde als den Menschen. Mir schien und scheint nämlich der besondere Inhalt dieses Eides («dem Führer des deutschen Reiches Adolf Hitler treu und gehorsam zu sein») im Unterschied zu dem Eid, den wir auf die Verfassung geschworen und den ich N. B. auch auf den Kaiser ohne Widerrede geschworen haben würde, diese «Selbstverständlichkeit» gerade auszuschließen. Er schien und scheint mir nämlich überhaupt nicht auf eventuell in irgend einer Zukunft eintretende problematische Verpflichtungen, sondern auf eine mit der ganzen Zukunft sofort meine Gegenwart, meine «Existenz» als solche in Anspruch nehmende Verpflichtung hinzublicken. Sie erklären sich selbst einverstanden mit dem Satz, daß die Verpflichtung eines Eides stets im Sinne dessen, dem der Eid geschworen wird, auszulegen ist. Eben diesen Satz habe ich mir hier zur hermeneutischen Grundregel gemacht: ich habe ihn im Sinne eines hundertprozentigen Nationalsozialismus interpretiert, wie er sich damals im August nach dem Tode Hindenburgs offen genug (ich erinnere an die Ausführungen des Staatssekretärs Lammers!) hat vernehmen lassen, wie er aber auch ohne das aus den Reden wie aus den Taten unsrer derzeitigen Machthaber als der Sinn und Wille des heutigen «Staates» eindeutig zu erkennen ist. Der Sinn und Wille des Nationalsozialismus ist aber der, daß wir es in Adolf Hitler mit einem Zaren und Papst in einer Person, theologisch genau genommen würde man zweifellos sagen müssen: mit einem inkarnierten Gott zu tun haben. Ein Eid auf Hitler nach nationalsozialistischer und also maßgeblicher Interpretation bedeutet, daß sich der Schwörende mit Haut und Haar, mit Leib und Seele diesem einen Manne verschreibt, über dem es keine Verfassung, kein Recht und Gesetz giebt, dem ich zum vornherein und unbedingt zutraue, daß er ganz Deutschlands und so auch mein Bestes unter allen Umständen weiß, will und vollbringt, von dem auch nur anzunehmen, daß er mich in einen Konflikt führen könnte, in dem er Unrecht und ich Recht hätte, schon Verrat wäre, dem ich mich also, wenn ich ihm Treue und Gehorsam schwöre, entweder den Einsatz meiner ganzen Person bis auf meine verborgensten Nachtgedanken oder eben gar nichts zuschwöre. Ein Vorbehalt bei diesem Eid ist nicht nur nicht selbstverständlich sondern unmöglich. Es ist ihm wesentlich, daß er mich auf eine schlechthin unendliche, schlechthin unübersichtliche Weise verpflichten will. Da ich den Eid so verstehen muß, werden Sie mir zunächst zubilligen, daß ich ihn so wie er lautet (Adolf Hitler an Stelle (!) der Verfassung bezw. des ebenfalls «übersichtlichen» Monarchen) nicht leisten kann. Beschwören kann man nur eine irgendwie übersichtliche Verpflichtung. Dieser Eid aber verlangt von mir was ich nur – im Glauben eben Gott darbringen kann. Insofern ist er nun doch ein Novum gegenüber dem, was in meinem Beamtenverhältnis schon bisher von mir gefordert gewesen ist. Habe ich nicht das Glück selbst ein hundertprozentiger Nationalsozialist zu sein, der im Sinn und Willen diesen Eid fordernden Staates seinen eigenen Sinn und Willen wiederzuerkennen in der Lage ist, was bleibt mir dann übrig, als entweder diesen Eid überhaupt zu verweigern oder eben – nach einer Ergänzung dieses Eides zu schreien, die ihn nun doch unter Vorbehalt stellt d. h. dem nationalsozialistischen Staate zuzumuten, im Hinblick darauf daß er ja vielleicht doch auch nicht hundertprozentig nationalsozialistische Beamte dulden und vielleicht sogar haben wollen könnte, bei dem diesen Beamten aufzuerlegenden Eid auf die eigentliche und strenge Interpretation des «Namens» Adolf Hitler ausdrücklich zu verzichten und also die Beamten doch nur in dem Sinn auf Hitler zu verpflichten, wie sie ehemals auf die Verfassung oder auf den Kaiser, kurz auf eine «Obrigkeit», die eben keine inkarnierte Gottheit war verpflichtet wurden. Ich bin nicht den Weg einfacher Verweigerung gegangen, sondern habe meinen Vorbehalt angemeldet, weil ich es allerdings für wichtig halte, daß dem nationalsozialistischen Staate das zugemutet wird – oder eben gegebenenfalles die Erklärung, daß er sich das nicht zumuten lasse, daß er also entsprechend seinen bisherigen Worten und Taten entschlossen sei, wirklich «totaler» Staat zu sein. Setzt er mich wegen dieser Klausel nicht ab, dann dokumentiert er, daß das mit dem totalen Staat so schlimm nicht gemeint sei. Er würde sich dann selbst auf den status einer «Obrigkeit» im Sinn von Röm. 13 etc zurückversetzen. Setzt er mich ab, dann dokumentiert er – auch diese Klarstellung könnte ja dankenswert sein – daß er eben doch antichristlich verstanden sein will, wobei ich das dann offenbar werdende Antichristliche natürlich nicht etwa darin sehen würde, daß er gerade meine «christliche» Ergänzung ablehnte, sondern darin, daß er ihr gegenüber seinen Absolutheitsanspruch d. h. die religiöse Bedeutung des Namens Hitler behaupten würde. Ich könnte mir in der Tat sehr wohl denken, daß einer von seinem wissenschaftlichen, ein zweiter von seinem juristischen, ein dritter von seinem künstlerischen, ein vierter von seinem humanen Gewissen aus eine entsprechende Ergänzung jener Formel fordern müßte. Man könnte sich ja wohl ein wenig darüber wundern, daß dies in dem Lande der Dichter und Denker offenbar nicht geschehen ist, daß nun wenigstens im Bereich der Universitätsprofessoren ausgerechnet nur die arme «theologische» Existenz hier protestieren zu müssen meinte. Aber wie dem auch sei: Angenommen, es hätte nun Proteste ähnlich dem meinen in allen Farben des Regenbogens nur so gehagelt – wäre dann die entstehende Absurdität dieser vielseitigen Durchbrechungen der Regel wirklich den Protestierenden, wäre sie nicht restlos dem Staate zuzuschreiben, der mit seinem Absolutheitsanspruch diese Absurdität notwendig auf den Plan gerufen? Dem Staate der sich eben nicht damit begnügte «Obrigkeit» zu sein, sondern wie jenes Fischers Frau durchaus der liebe Gott sein wollte. So kann ich nicht zugeben, daß mein Einspruch auch nur formal d. h. wegen seiner Subjektivität absurd sei: er wäre es, wenn der Staat der diesen Eid fordert, gewisse Einsprüche selbst als notwendig und selbstverständlich voraussetzte. Das tut dieser Staat nicht. Wie soll es da anders sein, als daß nun doch die Subjektivität gegen – nein für ihn in die Schranken tritt? Für ihn, sofern sie ihn mit ihrem Einspruch bittet, wieder Obrigkeit und damit wieder wirklicher Staat zu werden. Daß mein Einspruch unter Voraussetzung, daß die Absicht des totalen Führerstaat material nicht absurd, vielmehr der einzige wirklich durchschlagende Einspruch in dieser Sache ist, darüber brauchen wir uns ja nicht zu unterhalten. Sie haben sich nun darüber beklagt, daß ich mit meinem Vorgehen diejenigen die anders gehandelt haben als ich sozus. als weniger gewissenhafte Christen hingestellt habe. Ich möchte dazu vor Allem sagen dürfen, daß es um das «Gewissen», das ich ja auch in meiner Formel nicht erwähnt habe, auf der ganzen Linie nicht geht. Sondern offenbar zunächst und im Vordergrund um eine Sicht der nationalsozialistischen Wirklichkeit in die dieser Eid hineingehört. Und dann im Hintergrund um die Art der Verantwortung vor dem Evangelium, in der wir mit dieser bestimmten Sicht stehen. Sie meinen den nationalsozialistischen Anspruch in der Eidesformel nicht so verstehen und ernst nehmen zu sollen, wie ich es eben dargestellt habe und dementsprechend ist dann auch Ihre Verantwortung vor dem Evangelium eine andere. Was die erste Seite der Sache betrifft, so könnte ich ja immerhin erzählen, daß sowohl der hiesige nat. soz. Rektor wie der Untersuchungsrichter in meinem Disziplinarverfahren mir die Richtigkeit meiner diesbezügl. Voraussetzung ausdrücklich bestätigt haben. Hinsichtlich der Verantwortung vor dem Evangelium aber müssen und wollen wir uns zwar gegenseitig aufrichtig das Beste zutrauen ohne doch verhindern zu können, daß das Abweichen der Entscheidung des Einen von der des Andern herüber und hinüber eine Frage oder mehr als das bedeuten kann. Und ich bin als Einzelner da nicht eher schwerer dran als Sie alle, denen es doch in Ihrer Einmütigkeit viel leichter fallen muß, sich dessen für versichert zu halten, daß Ihre Stellung in der bewußten Entscheidung in Ordnung sei? Aus der Gefahr, daß ein Einzelner, der so etwas tut, wie ich jetzt, sich dabei irren und also die Andern fälschlich und unnötig vor die Frage oder gar unter die Anklage stellen könnte: Warum habt ihr das nicht auch getan? – aus dieser Gefahr darf doch wohl nicht gefolgert werden, daß solche Einzelvorstöße unter keinen Umständen stattfinden dürften.
Das eigentlich Abnormale der ganzen Situation scheint mir darin zu liegen, daß die evangelische Kirche es bis jetzt im Unterschied zu der katholischen (Fulda!) unterlassen hat, eine öffentliche Erklärung des Inhalts abzugeben, daß wie kein Eid so auch nicht der des dritten Reiches den Menschen zu einem Gegensatz zu Gottes Gebot verpflichten könne. Wenn eine derartige Bestreitung des totalen Staates gerade hinsichtlich des Eides seitens der Kirche bei uns vorläge ohne daß der Staat dagegen protestiert hätte, dann wäre die Situation auch für mich klar. Der selbstverständliche Vorbehalt wäre dann gültig auch ohne daß ich ihn persönlich aussprechen müßte. Da die ev. Kirche bis jetzt geschwiegen und damit den totalen Staat vielleicht doch anerkannt hat, muß ich persönlich gefragt auch persönlich antworten d. h. das, was normalerweise die Kirche für mich tun müßte, meinerseits für die Kirche tun. – Ich weiß nicht, ob Sie gehört haben, daß man von verschiedenen Ecken aus ausgerechnet das Kirchenregiment Marahrens um eine öffentliche Erklärung in diesem Sinn angegangen hat und nach meinen Nachrichten von gestern hätte darüber sogar gerade heute die Entscheidung fallen müssen. Wenn das in einem für mich annehmbaren Wortlaut geschehen ist und wenn dann der Staat eine Weile eindrucksvoll dazu geschwiegen hat und wenn – mein Disziplinarverfahren bis dahin nicht vollendet ist, dann würde ich mich ja in der Tat auf diese Tatsache beziehen und den unveränderten Eid schwören können. Und es wäre dann eine neckische Fügung, wenn ausgerechnet der Abt von Loccum mein Retter in der Not geworden wäre. Aber noch ist es nicht so weit und der «Wenn» sind wie Sie sehen, nicht wenige.
Mit den Phantasien der Basl. Nachr. über die Gründung einer freien theol. Hochschule habe ich nicht das Geringste zu tun.
Ich sende einen Durchschlag dieses Briefes an Herrn Bultmann, der mir sachlich gleichlautend wie Sie geschrieben hat. Aus nicht wenig andern Briefen sehe ich doch, daß Viele – auch solche die den Eid schon geschworen haben – ziemlich froh sind dar über, daß nun eben irgend jemand der Katze die Schelle angehängt hat.
Mit freundlichem Gruß
Ihr sehr ergebener Karl Barth
Quelle: Karl Barth – Rudolf Bultmann Briefwechsel 1922–1966, hrsg. v. Bernd Jaspert, Karl-Barth-Gesamtausgabe V/1, Zürich: TVZ, 1971, S. 273-279.