Warum die christliche Kirche unter das Kreuz gelegt sei? (Examen ordinandorum, 1552)
Von Philipp Melanchthon
Dieser Schein macht die Vernunft irre, dass zugleich Gottes Volk im Leiden und Elend ist wie andere heidnische Völker, die die christliche Lehre öffentlich verachten – als Heiden und Türken etc. Darum ist es hoch nötig, die Leute wohl zu unterrichten, dass sie wissen, warum die Kirche unter das Kreuz gelegt und sie also elendiglich zerstreut ist in die Welt unter allerlei Völker und weltliche Herrschaften. Und obgleich Gott bei Zeiten eine friedliche Herberge gibt unter einer Herrschaft, die auch Gott und den Herrn Christus recht erkennt und recht anruft, so ist doch die Kirche nicht ein Königreich, das eigene weltliche Macht und Schutz habe, wie sich der Papst zu einem König macht.
Und es ist wunderbarlich: Gott erhält für und für seine Kirche auf Erden und lässt sie gleichwohl in Verfolgung bleiben. Als da Abel getötet ward und nun Kain von Gott abgefallen war, da war die Kirche viel enger geworden, und waren Adam und nun Eva selbst in tiefer Betrübnis. Aber sie blieben die Kirche und wurden durch Gott im Glauben gestärkt und im Leben erhalten. Und gab ihnen Gott hernach wiederum einen Sohn, der zu Gott bekehrt ward und in rechter Bekenntnis blieb. Also für und für erhält Gott eine Versammlung, obgleich viele Glieder getötet werden und die übrigen auch in Betrübnis leben.
Hier sollen wir Ursache und Trost wissen, damit wir nicht gedenken wie die Heiden: Weil alle Völker mancherlei Elend haben und alle Menschen des Todes gewärtig sind, dass Gott ein Volk achte wie das andere. Und sollen die Leute wider die heidnischen Gedanken durch göttliche Lehre fleißig unterrichtet und gestärkt werden.
Erstlich ist wahr: Alle Menschen – Heiden und Gottes Kinder – sind alle zugleich in den Tod gesteckt, wegen der Erbsünde.
Dazu straft Gott die Heiden und seine Auserwählten äußerlicher Sünden mit vielen leiblichen Strafen: Hunger, Krankheiten, Krieg, Zerstörungen. David wird verjagt wegen des Ehebruchs und Totschlags, wie andere heidnische Könige: Thyestes, Tarquinius Superbus etc. Jerusalem wird grausam zerstört wie Troja oder Theben etc. Diese Strafen gehen also durch die Welt – Heiden und Gottes Volk. Denn Gott hält seine Regel: Äußerliche Sünden straft er auch mit leiblichen Plagen, um alle Menschen zu erinnern, dass er weise und gerecht sei und einen ernsten, wahrhaftigen, großen Zorn wider die Sünde habe.
Aber wie ein Unterschied ist zwischen den zwei Schächern, die neben dem Herrn Christus hangen, also ist Unterschied zwischen den Heiligen und Gottlosen in diesem leiblichen Elend und Strafen. Der bekehrte Mörder und der Spötter sterben beide leiblich, aber der Gottlose fällt in ewige Strafe. Der andere kommt in ewige Seligkeit und fühlt im Herzen Freude an Gott und den Anfang ewiger Seligkeit.
Also: Obgleich Abel und die armen Kindlein in Ägypten oder zu Bethlehem grausam ermordet werden, so kommen sie doch in ewige Seligkeit. Aber das Volk zu Sodom etc. fällt nach der leiblichen Strafe in ewige, größere Strafen. Oft wird auch die zeitliche Strafe den Bekehrten gelindert, wie Gott spricht: „Ruf mich an in der Trübsal, so will ich dich erretten“ etc.
Also ist nun die erste Ursache, warum die Kirche dem leiblichen Tod und andern Strafen noch unterworfen ist, dass diese menschliche Natur sündig ist, und Gott will das sündige Wesen zerbrechen. Darum bleibt der leibliche Tod. Dies ist also geordnet und verkündigt im ersten Buch Mose, im dritten Kapitel, da Adam und Eva wiederum angenommen sind und gleichwohl dem leiblichen Tod unterworfen.
Und fallen oft die Heiligen – wie David – in äußerliche Sünden, so kommen andere leibliche Strafen dazu.
Die andere Ursache: Der Heiligen Elend in diesem Leben ist Zeugnis, dass ihre Natur noch sündig ist, kalt in Gottesfurcht und schwach im Glauben, hat viel Zweifel und viel unordentliche Neigung. Diese Sünden achtet die Welt nicht, aber Gott will, dass wir in der Kirche seinen Willen lernen, und nicht stolz werden und uns selbst sehr klug und ganz rein dünken und aus eigener Klugheit Lehre oder Regiment machen wollen – wie Samosatenus, Arius und sehr viele Menschen sich oft aufgeblasen haben. Und das sieht man zu dieser Zeit auch bei vielen aufgeblasenen Reformatoren.
So sollen wir nun unsere Schwachheit, Torheit und innerliche Unreinigkeit mehr und mehr erkennen, beklagen und nicht so gering achten, sondern wissen, dass Gott wahrhaftig wider die Sünde zürnt, ob er gleich die Person um des Herrn Christus willen aus Barmherzigkeit angenommen hat. Er will dennoch sein Gericht nicht unerachtet haben und will, dass die Sünde ganz zerstört werde. Dazu dienen allerlei große Betrübnis, mit der die Heiligen überfallen werden – wie Adam, Eva, Abraham, Isaak, Jakob, Hiob, Jeremia etc.
Solche Exempel gehören alle in diese Regel im Psalm: „Es ist mir gut, dass du mich demütigest, damit ich dein Gesetz lerne.“ Wir sollen anders nicht gedenken, denn: Was hoch begabt ist, wird auch wiederum tief gedemütigt. Denn Gott will, dass wir unsere Sünde und sein Gericht nicht gering achten. Es muss einem jeden auch dahin kommen, dass er von Herzen spreche: „Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute und Verachtung des Volks.“
Und es bleibt gewisslich die Regel in Lukas, Kapitel 16: „Was bei den Menschen hoch ist, das ist ein Gräuel vor Gott.“ Dies sind so hohe Worte, dass sie keine Kreatur genugsam betrachten kann. Doch sollen wir den Herrn Christus ansehen: Dieser ist das vollkommene Exempel der Demut. Er liegt vor Gott und fühlt den unaussprechlichen Zorn Gottes wider deine und meine Sünde – als hätte er sie selbst getan – und sieht gründlich des ewigen Vaters Weisheit und Willen und demütigt sich unter ihn.
Diese großen Dinge kann niemand widerlegen. Aber dabei sollen wir gleichwohl lernen, wie kleine Kindlein, dass Gottes gerechter Wille ist, dass wir uns unter ihn wahrhaftig demütigen sollen und dem Herrn Christus in seinem Leiden nach unserer geringen Maß folgen, und danach in Ewigkeit um seinetwillen göttlicher Weisheit, Gerechtigkeit und Freude teilhaftig sein.
Die dritte Ursache ist das Wüten des Teufels, der wider die Kirche grimmiger ist als wider andere Völker. Denn sie sind Gott und dem Herrn Christus Feind und suchen, wie sie Gott lästern und schänden können und viele Menschen von Gott reißen und verderben. Dies ist ein besonderer Streit und soll uns tröstlich sein, wie es auch allen christlichen Menschen ist, dass der Herr Christus spricht: „Niemand wird mir meine Schäflein aus meinen Händen reißen.“
Weil uns die Teufel Feind sind, vornehmlich darum, dass sie Gott und den Herrn Christus und den Heiligen Geist schänden und lästern wollen, so sollen wir gewisslich wissen, dass Gott uns armen Menschen helfen will um seiner Ehre willen. Denn die Teufel suchen unser Elend vornehmlich darum, dass sie Gott dadurch schänden. Das ist oft zu bedenken, und wir sollen uns trösten mit dem Spruch: „Der Sohn Gottes ist erschienen, dass er des Teufels Werk zerstöre.“
Die vierte Ursache ist das besondere Exempel, damit nicht alle Heiligen beladen werden. Dass die hohen Häupter in der Kirche – Christus, Abel, Jesaja, Jeremia, Petrus, Paulus etc. – getötet werden, ist ein öffentliches Zeugnis, dass ein anderes Leben und Gericht nach diesem irdischen Leben folgen wird.
Denn weil ihnen Gott zuvor Zeugnis gegeben hat mit vielen öffentlichen, gewissen Zeichen – mit Auferweckung der Toten und anderen Wundern –, dass gewisslich Gott ist und dass sie Gott zugehörig sind und ihre Lehre recht sei, und sie nun von den Feinden ermordet werden, muss folgen, dass noch ein anderes Gericht sei, in dem Gott wiederum erklären wird, dass diese seine Prediger recht hatten, welchen er zuvor Zeugnis gegeben hat, und dass die Feinde unrecht hatten und bestraft werden.
Die fünfte Ursache ist: Gott will, dass viele Heilige leiden, Verfolgung und Tod, welche sie um der Bekenntnis willen tragen, Zeugnis dafür sind, dass sie die Lehre gewisslich für wahrhaftig halten und nicht zweifeln, dass Gott ihr in Ewigkeit seiner Wahrheit Zeugnis geben werde.
Denn wenn man sieht, dass sie um der Lehre willen solch Elend und den Tod leiden, ist daraus zu merken, dass sie die Lehre gewisslich für wahrhaftig halten. Denn wer willentlich den Tod leidet, hofft auf ein anderes, besseres Leben.
Und in Summa: Göttlicher Rat und Wille ist, dass die Kirche unter dem Kreuz sei. Und es ist solches durch göttliche Weisheit und Gerechtigkeit also beschlossen, wenn wir auch nicht alle Ursachen betrachten können. Doch ist die vornehmste Ursache klar: Nämlich, dass Gott will, dass die sündige Natur zerbrochen werde. Von dieser Ursache redet Paulus, Römer 8: „Der Leib steckt im Tod um der Sünde willen.“
Dies alles ist geredet von unserem Leiden. Aber das Leiden und der ganze Gehorsam des Herrn Christus hat eine besondere Ursache: Nämlich, dass es die Bezahlung sein soll für uns alle. Und alle Prediger sollen vom Unterschied zwischen dem Leiden Christi und unserem gemeinen Leiden die Leute fleißig unterrichten.
Nachdem nun dies gesagt ist, dass die Kirche unter dem Kreuz liegt, sollen wir auch wissen, welcher der vornehmste und kräftigste Trost sei. Denn die Heiden müssen auch viel leiden, und – wie zuvor gesagt – der gottlose Schächer hängt am Kreuz wie der andere. Sie haben aber keinen Trost, der Leben und Freude an Gott bringt. Nun ist es Gottes Wille gewisslich, dass die Bekehrten nicht in der Angst verstrickt bleiben und in ewige Schmerzen fallen.
Wie nun die menschliche Vernunft bei den Heiden Trost sucht, davon zu reden ist hier zu lang. Aber wir sollen diese drei Artikel ordentlich merken:
Der erste Anfang des Trostes ist dieser: Unser Elend kommt nicht ohne Gottes Rat, wie die blinde Vernunft der Heiden dichtet. Und es ist Gottes ernstlicher Wille, dass wir ihm in der Strafe oder Übung gehorsam sind – nicht wider ihn zürnen, sondern unsere Herzen dazu neigen, dass sie diese Last mit göttlicher Hilfe tragen wollen. Also spricht Petrus: „Ihr sollt euch demütigen unter die gewaltige Hand Gottes“ – verstehe: die gewaltig strafen kann und wiederum gewaltig alle retten kann, die bekehrt werden und ihn anrufen – wie in Davids Strafe und Rettung zu sehen ist. Und solche Beispiele soll man anschauen.
Zum anderen muss man betrachten das Ende, warum Gott die Strafen oder das Elend über uns kommen lässt. Nämlich nicht, dass wir ewiglich verstoßen werden, sondern dass wir zur Bekehrung ermahnt und getrieben werden, und im Elend uns bekehren und Vergebung der Sünden um des Herrn Christi willen begehren und sie mit wahrhaftigem Glauben annehmen. Wie in diesem Eid zugesagt ist: „So wahr ich lebe“, spricht Gott, „ich will nicht, dass der Sünder sterbe, sondern dass er bekehrt werde und das Leben habe.“ Wie Manasse und Nebukadnezar durch große Strafen zur Bekehrung und ewiger Seligkeit berufen wurden. Und dies ist der gemeine Weg zur Bekehrung. Darum spricht Paulus: „Wenn wir gestraft werden, werden wir von Gott gezüchtigt, damit wir nicht mit dieser Welt ewiglich verworfen werden.“ Und die ganze Kirche spricht in Micha: „Ich will des Herrn Zorn tragen, denn ich habe wider ihn gesündigt. Ich will aber in der Strafe Trost von ihm hoffen.“
Zum dritten: So wir nun Vergebung der Sünden empfangen, soll der Glaube mehr und mehr gestärkt werden und festlich schließen, dass Gott uns erhören wolle, bei uns sei und uns stärke. Und diese Hoffnung soll leuchten, dass Gott das Elend auch in diesem Leben gnädiglich lindern oder ganz wegnehmen wolle. Und ob du gleich in diesem Leben nicht ganz erlöst wirst, so bist du dennoch ein Erbe ewiger Seligkeit.
Wer also im Elend Gottes Gegenwart, Hilfe, Erlösung und ewige Seligkeit sieht, der sieht das höchste Gut. Darum kann das Herz wiederum Freude haben und wird also durch Gott wiederum aus dem Tod gerissen und fühlt Leben und Linderung der Angst. Von diesem Trost wissen die Heiden und Gottlosen ganz und gar nichts. Aber wir sollen Gottes Verheißung anschauen und glauben und die Hoffnung damit erwecken und stärken.
Psalm 34: „Der Herr ist nahe bei denen, die ein zerbrochenes Herz haben.“
Jesaja 57: „Gott wohnt in den betrübten Herzen, dass er sie wiederum lebendig mache.“
Psalm 50: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, und du sollst mich preisen.“
Nahum 1: „Der Herr ist gütig und stärkt in der Trübsal und erkennt die, die auf ihn vertrauen.“
Diese und dergleichen Sprüche soll man kennen und oft betrachten und als wahrhaftige göttliche Verheißungen annehmen – und nicht in den Wind schlagen als vergebliche Reden.
Wir sollen auch die Beispiele anschauen, wie Gott vielen geholfen hat: Adam, Eva, David, Manasse, Nebukadnezar, dem kananäischen Fräulein etc. Also will er gewisslich allen helfen, die ihn anrufen, obgleich die leibliche Hilfe nicht auf eine Weise geschieht.
Denn wir müssen diesen Unterschied auch merken. Die endgültige Errettung in ewiger Seligkeit sollen wir alle zugleich gewiss hoffen – wenn es schon Gottes Wille ist, dass wir in diesem Leben nicht leiblich ganz erlöst werden. Wie Jonathan, Judas Makkabäus und viele andere: Obwohl sie von Feinden getötet wurden, sind sie dennoch Gott verbunden und Erben ewiger Seligkeit, und empfinden Trost in ihren Herzen. So spricht Hiob im 13. Kapitel: „Auch wenn er mich tötet, will ich dennoch auf ihn hoffen.“
Die zeitliche Errettung in diesem Leben ist nicht gleich für alle. Denn Gott hat dies aus besonderem Ratschluss so beschlossen, dass die Kirche in diesem Leben unter dem Kreuz sein soll. Auch will er den Glauben in uns üben. Darum sollen wir ihm weder Zeit noch Maß vorschreiben. Ebenso will er in der Strafe auch seine Gerechtigkeit zeigen – und lindert dennoch den Zorn mit Barmherzigkeit.
Psalm 77: „Er hat nicht den ganzen Zorn entfacht.“
Hosea 11: „Mein Herz ist von Barmherzigkeit bewegt, und ich will die Glut meines Zorns nicht ausschütten.“
Joel 2: „Der HERR ist barmherzig und lässt sich die Strafe gereuen.“
Habakuk: „Im Zorn gedenkst du an deine Barmherzigkeit.“
Darum – obgleich die leibliche Errettung ungleich ist – so ist doch dein Glaube, dein Gebet und deine Hoffnung nicht vergeblich, sondern erlangt gewiss Linderung der Strafe und des Elends und oft auch völlige Errettung, wie David und Manasse, die wieder zum Königtum gelangten.
Und in allen diesen Trostartikeln sollen wir zugleich den Herrn Christus anschauen. Erstens ist er das höchste Beispiel von Demut und Geduld. Da er dem ewigen Vater im schrecklichsten Leiden gehorsam war, sollen auch wir nach unserem geringen Maß gehorsam sein.
Danach sollen wir wissen, dass er eben deshalb unsere Strafe getragen hat, damit wir in der Strafe nicht versinken und ewig verworfen werden, sondern dass wir allein um dieses Mittlers willen Vergebung unserer Sünden und Gnade durch den Glauben haben.
Zum Dritten, was die Hilfe betrifft, sollen wir wissen: Der Sohn Gottes hat eben darum die menschliche Natur angenommen, dass er ihr Hilfe leiste und sie in zeitlicher Trübsal und im Tod erhalte. Denn wie ein menschlicher Leib verwest und zerfällt, wenn die Seele ihn verlässt, so wäre die ganze menschliche Natur ewiglich verderbt gewesen, wenn sie der Sohn Gottes nicht ergriffen und angenommen hätte, um ihr Leben und Gerechtigkeit zu geben.
Darum ist er bei uns und unser Immanuel. Und dies ist ein hoher Trost in aller Betrübnis: zu bedenken, dass deine Natur auch dem Herrn Christus anhangt – der nicht nur die Strafe für dich getragen hat, sondern selbst der Erhalter dieser schwachen Natur ist, da er sie selbst an sich genommen hat.
Quelle: Philipp Melanchthon, Examen ordinandorum, 1552.