Karl Barth, „So wahr mir Gott helfe!“ Die Frage des Führereides und ihre Behandlung in der Bekennenden Kirche in Deutschland im Sommer 1938: „Der neudeutsche Führereid ist ein Totalitätseid, mit wel­chem sich der Schwörende mit Haut und Haar, mit Leib und Seele dem unerforschlichen Willen einer ihm gänzlich unübersichtlichen anderen Instanz ver­schreibt. Treue und Gehorsam gegen Adolf Hitler be­deutet eo ipso (und eo ipso ohne jede Möglichkeit ir­gend eines Vorbehaltes!) die Inanspruchnahme des ganzen Menschen für den Dienst dieser mit allen Merkmalen einer Gottheit ausgestatteten Persönlichkeit.“

„So wahr mir Gott helfe!“ Die Frage des Führereides und ihre Behandlung in der Bekennenden Kirche in Deutschland im Sommer 1938[1]

Von Karl Barth

Die im Amt stehenden deutschen evangelischen Pfarrer mit Einschluß der Mehrheit derer, die sich zur Bekennenden Kirche rechnen, haben im Lauf die­ses Sommers vor den staatlich anerkannten Kirchen­behörden einen Eid folgenden Wortlautes abgelegt: (Sperrungen nach dem Original des den Pfarrern zur Unterschrift vorgelegten amtlichen Formulars.)

Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein. Ich werde die Gesetze be­achten und meine Amtspflichten gewissenhaft er­füllen. So wahr mir Gott helfe.“

Wie ist es zu diesem Ereignis gekommen? Wie ist es zu verstehen?

I.

Feierliche Massenvereidigung gehört (wie z. B. die tunlichst allgemeine Uniformierung) zu der symboli­schen Apparatur des Dritten Reiches, die ihrerseits nur eines von den Instrumenten ist, mittelst derer sich der Nationalsozialismus möglichst jedes ihm er­reichbaren deutschen Menschen total zu versichern sucht. Der vorhin zitierte oder ein im entscheidenden Punkt gleicher Eid wurde und wird seit 1933 in Deutschland so ziemlich ununterbrochen geschworen: von den Führern und Mitgliedern der unzähligen Or­ganisationen der Partei über die staatlichen Beamten und das Militär bis herunter zu den zehnjährigen „Pimpfen“. Kein Wunder, daß die Vereidigung der Pfarrer von mehr als einer Seite schon seit Jahren gefordert worden war. Für die römisch-katholische Kirche war die Frage damit erledigt, daß ihre Bi­schöfe (zugleich stellvertretend für ihren Klerus) den Eid schon 1933 anstandslos geleistet haben. Es war der Anschluß Österreichs, wo die evangelischen Pfar­rer von ihren Superintendenten sofort auf das neue Regime vereidigt wurden, der die Frage auch in der evangelischen Kirche in Fluß brachte: in der Weise, daß einzelne Landeskirchenregierungen (zuerst Thü­ringen, Braunschweig, Hannover) die Vereidigung jetzt von sich aus verfügten und durchführten. Sie machten dabei Gebrauch von dem § 174 des staatlichen Beamtengesetzes, laut dessen die „Körperschaften öf­fentlichen Rechtes“ die Bestimmungen dieses Geset­zes (zu denen auch die Vereidigung gehört) auch auf ihre Angestellten anwenden können.

Die Frage wurde kritisch, als am 20. April d. J. — man bemerke das Datum! es sollte sich um ein dem Führer dargebrachtes „Geburtstagsgeschenk“ handeln — Dr. Werner, der derzeitige Präsident des Oberkir­chenrats der altpreußischen Landeskirche (des Gebie­tes, das im Entscheidenden der Schauplatz des bis­herigen „Kirchenkampfes“ gewesen war) einen Erlaß herausgab, laut dessen alle ihm verwaltungsmäßig unterstellten Pfarrer — nach § 4 unter Androhung der Absetzung! — zur Leistung des Führereides be­fohlen wurden. Eine diesem Erlaß beigegebene „Ei­desbelehrung“, deren Verlesung einen integrierenden Bestandteil der Eidesleistung bilden sollte, erklärte in dürren Worten, daß die Begriffe „Treue“ und „Ge­horsam“ in der Eidesformel mehr bedeuteten als die dem Christen nach dem Neuen Testament gebotene Unterordnung unter die „Obrigkeit“, nämlich: „inner­ste Verbundenheit“ mit dem nationalsozialistischen Dritten Reiche. Es wurde außerdem darauf aufmerk­sam gemacht, daß irgendwelche Bemerkungen, Fra­gen, Vorbehalte bei der Eidesleistung nicht zugelassen seien.

Entsprechend diesem Erlaß und seinen Beilagen ist der Eid in der altpreußischen Kirche im Mai und Juni von der Mehrzahl der Pfarrer (d. h. von den Deutschen Christen und allen Neutralen) so unbe­denklich geschworen worden wie von denen in Thü­ringen usw. und in den übrigen inzwischen ebenfalls von der steigenden Flut erreichten deutschen Ländern. Der Moment eines neuen Aufwogens nationaler Be­geisterung war zu diesem Zweck gut gewählt. Für die Deutschen Christen war alles selbstverständlich. Viele, die nicht zu ihnen gehörten, ergriffen doch gerne die Gelegenheit, sich bezw. den Pfarrerstand von dem immer wieder erhobenen Vorwurf der Staats­feindlichkeit oder Volksfremdheit zu reinigen. An­dere hielten es für wichtig, sich bei diesem Anlaß noch und noch einmal zu dem alten Ideal der Volks- oder Landeskirche zu bekennen und sich darum jetzt mit ihren in irgend einer Eigenschaft längst diesem Eid unterworfenen Gemeindegliedern solidarisch zu erweisen. Wieder andere fragten überhaupt nicht lange, sondern taten als gute Lutheraner, was ihnen die „Obrigkeit“ (die doch „mehr“ als Obrigkeit sein wollte!) nun einmal befohlen hatte. Man hat auch Stimmen eines trotz der allgemeinen Eidesinflation bei Pfarrern immerhin erstaunlich offenen Zynismus gehört: „Den Eid möchte ich sehen, den ich nicht schwören könnte!“ „Was die Pimpfe können, können wir auch!“ Und es spielte andererseits der Verweis auf die evangelische Freiheit und auf die Sünden­vergebung, im Blick auf die man wohl auch dieses wagen könne, von Anfang an eine nicht unbeträcht­liche Rolle. Man wird aber endlich die höchst real wirksame Kraft jenes § 4 des Erlasses nicht leicht überschätzen können. Sie war nachher zweifellos das geheime aber umso kräftigere Agens bis tief auch in die Verhandlungen der Bekennenden Kirche hin­ein: die Erklärung für viele Wunderlichkeiten. Der Vers aus der Interimszeit des 16. Jahrhunderts: „Schreib, Vater, schreib, daß du bei der Pfarre bleib!“ ist noch in dem vorläufigen Schlußstadium der Angelegenheit allen Ernstes auf den Plan ge­führt worden!

Im Mai hat die Bekennende Kirche die ihr zuge­hörigen Pfarrer zunächst angewiesen, der Aufforde­rung zu dieser Eidesleistung fürs erste nicht Folge zu leisten, und es waren über 2000 preußische Pfar­rer, die dieser Parole tatsächlich nachkamen. Aber die Absage war zum vornherein nur vorläufig und in keinem Sinn — wie die Gegner und doch auch man­che Freunde der Bekennenden Kirche auf den ersten Blick vermuten konnten — grundsätzlich gemeint. Man fand eine neue Erklärung von Matth. 5, 33 f., laut welcher das Schwören „im Raume der Kirche“ den Christen verboten, nur im ausgesprochen zivilen Raum erlaubt sei. Man stieß sich an der Abwesen­heit einer klaren Forderung des Führereides durch die staatlichen Organe. Man verlangte eine aus­drückliche Sicherung des durch das Ordinationsge­lübde gegebenen Vorbehaltes gegenüber der neuen Verpflichtung. Man wollte mit der Eidesleistung auf keinen Fall eine Anerkennung der Legitimität des derzeitigen Oberkirchenrates und der ihm unterge­ordneten Kirchenbehörden vollziehen. Zu einer grund­sätzlichen Prüfung der Frage, ob dieser Eid, der neudeutsche Führereid als solcher und vermöge sei­nes besonderen Inhalts, ein christlich möglicher und erlaubter Eid sein möchte, ist es unter den Pfarrern der Bekennenden Kirche so wenig gekommen wie in den Jahren vorher unter den unzähligen Christen an­deren Standes, die diesen Eid in dieser oder jener Eigenschaft ebenfalls zu schwören hatten. Die Er­klärungen der führenden Organe der Bekennenden Kirche begannen und endigten vielmehr mit großer Selbstverständlichkeit und Regelmäßigkeit mit der Beteuerung, daß man „bereit“ sei, zu schwören, wenn — nun eben wenn nur jene Bedenken aus dem Weg geräumt, bessere Formen gefunden seien, unter denen dies geschehen könne. War man wirklich bereit dazu? Die gewisse Ungewichtigkeit der erhobenen Ein­wände hat der Bekennenden Kirche den Vorwurf ein­getragen, sie mache nur darum Schwierigkeiten, weil sie im Grunde nicht schwören und sich die Sache durch jene Einwände vom Leibe halten möchte. Es könnte doch ebensogut gefragt werden, ob man nicht im Grunde nur allzu bereit war und mehr zur Beru­higung der Gewissen und zur Wahrung des Gesichtes zunächst jene Schwierigkeiten machte ohne die Ab­sicht, dies allzulange und allzu gründlich zu tun. Die Entwicklung hat leider gezeigt, daß diese zweite Deu­tung des damaligen Verhaltens der Führer der Be­kennenden Kirche der Wahrheit mindestens näher kommen dürfte. — Wie dem auch sei: eine am 12. Juni abgehal­tene erste Tagung der 6. Preußischen Bekenntnissynode faßte einen Beschluß, der die Erklä­rung jener „Bereitschaft“ wiederholte, zugleich aber jene Bedenken in vier bestimmten Bedingungen so zusammenfaßte, daß man annehmen konnte, daß we­nigstens jene Bedenken ernsthaft gemeint seien. Ge­fordert wurde:

  1. das klare Vorliegen einer staatlichen Forderung des Führereides,
  2. die Annahme und Anerkennung einer christlich tragbaren Eidesauslegung durch die den Eid abneh­menden Stellen,
  3. die öffentliche Anerkennung der bleibenden Bin­dung der Pfarrer an ihr Ordinationsgelübde,
  4. die öffentliche Zurücknahme der Wernerschen „Eidesbelehrung“.

Zu dem doch wahrhaftig wichtigen § 4 des Erlas­ses hatte schon diese 1. Tagung der Synode eine For­derung — etwa die Forderung, daß allererst und vor aller Verhandlung diese Daumenschraube zu ver­schwinden habe! — nicht zu stellen.

Es folgten lange Wochen der Verhandlung inner­halb der Bekennenden Kirche selbst und vor allem mit allerlei anderen Instanzen. Ihr Ergebnis wurde sichtbar an der am 31. Juli abgehaltenen 2. Tagung derselben Bekenntnissynode, die mit 26 Ja gegen 16 Nein und 9 Enthaltungen den Beschluß faßte: die am 12. Juni aufgestellten Bedingungen seien jetzt er­füllt, die Bedenken gegenüber der Eidesleistung so­mit „ausgeräumt“, die Pfarrer hätten sich bis zum 10. August bei den Behörden zur Eidesleistung bereit zu erklären, es sei aber zugunsten der etwa noch nicht Überzeugten beim Oberkirchenrat eine Fristverlän­gerung hinsichtlich des eigentlichen Vollzugs der

Aktion zu erwirken. Die Begründung dieses überra­schenden Beschlusses war diese:

  1. eine ausdrückliche staatliche Forderung des Eides liege zwar nicht vor, wohl aber wiesen gewisse Anzeichen (worunter die Aussprüche und „Überzeugungen“ verschiedener prominenter Persönlich­keiten in und außerhalb der Bekennenden Kirche und ein Vorkommnis in Hamburg) darauf hin, daß ein diesbezüglicher „Wunsch“ des Staates tatsäch­lich vorhanden sei,
  2. eine christlich tragbare Eidesauslegung dürfe bei der Eidesleistung durch die Schwörenden zu Pro­tokoll gegeben, sie solle überdies dem Führer und Kanzler brieflich bekannt gegeben werden,
  3. eben damit sei die „öffentliche Anerkennung“ des Ordinationsgelübdes als vollzogen anzusehen,
  4. die Wernersche Eidesbelehrung solle inskünftig nicht mehr „Eidesbelehrung“ genannt und bei der Eidesleistung nur als Ansprache verlesen werden, nach einer unverbindlichen Zusage eventuell sogar überhaupt wegfallen.

Die Synode, die die Pfarrer mit dieser Begründung anwies, sich nunmehr den Behörden zur Eidesleistung zu stellen, erklärte übrigens: sie könne „nicht darüber hinweggehen, daß zahlreiche Pfarrer im gegenwärti­gen Augenblick die hiefür erforderliche Klarheit noch nicht gewonnen haben, vielmehr ernste, vom Bekennt­nis her begründete Bedenken (sonderlich zu Punkt 1) geltend machen“ und erachtete es „als ihre (der Sy­node) kirchenleitende Aufgabe und brüderliche Pflicht, diese Gewissensbedenken ernst zu nehmen und die Brüder in ihrem Gewissen zu lösen“. Was aber sollte aus diesen „Brüdern“ werden, wenn sie etwa bei ihren „Bedenken“ blieben und wenn nun jener § 4 gegen sie in Anwendung gebracht wurde? Die Synode hat sich zu dieser Frage nicht geäußert! Sie hatte es ja schon am 12. Juni nicht getan.

Dieser Beschluß scheint weithin wie eine Art Be­freiung gewirkt zu haben. Man meinte wohl schwören zu müssen und war nun froh, sich mit der Autorität einer Synode, wie dunkel deren Argumentation im­mer sein mochte, sagen zu lassen, daß man mit gutem Gewissen schwören dürfe und sogar schwören solle. Von der evangelischen Freiheit und von der Gewißheit der Sündenvergebung, in der nun eben dieser Weg zu gehen sei, wurde jetzt auch in der Bekennenden Kirche rasch und viel geredet. Die verlangte Frist­verlängerung bis zum 30. September wurde von dem offenbar sehr erleichterten Oberkirchenrat umgehend bewilligt. Es hatten aber doch Viele solche Eile mit dem Schwören, daß die kirchlichen Behörden z. B. im Rheinland sich eine Weile des Zudrangs derer kaum erwehren konnten, die diese Frist gar nicht erst ab­warteten, sondern ihren „Anschluß“ nur schleunigst definitiv machen wollten.

Immerhin: Man beachte die Minorität, die jenem Synodalbeschluß widersprochen oder doch nicht zu­gestimmt hat! Auf ihre Seite stellte sich mit dring­lichen Fragen, Einwänden und Warnungen der Mo­derator des Reformierten Bundes. Auf ihre Seite, wie es scheint, auch ein großer Kreis innerhalb der Ge­meinden. Und wie sich in allen deutschen Ländern Gruppen und Grüppchen von solchen Pfarrern ge­funden hatten, die trotz allem bei der Verweigerung des Eides blieben, so geschah es nun auch im Gebiet der altpreußischen Union. Wiederum im Rheinland sind zuletzt immerhin 184 solcher Entschiedener ge­zählt worden. Es ist also gesorgt dafür, daß der Eid auch am 30.September gerade nicht von der gan­zen deutschen Pfarrerschaft geschworen sein wird.

II.

Es gab und gibt Leute in Deutschland und vielleicht auch anderwärts, nach denen in der geschilderten Ent­wicklung der Dinge „ein Sieg der Bekennenden Kir­che auf der ganzen Linie“ zu erblicken wäre. Nach der Basler „Nationalzeitung“ vom 29. August verhielte es sich vielmehr so, daß „die protestantische Opposition“ jetzt „sang- und klanglos die Waffen gestreckt“ habe. Beide Urteile können einer ruhigen Betrachtung der Dinge unmöglich standhalten.

1. Man wird sich auf der einen Seite darüber klar sein müssen, daß der 31. Juli 1938 einer der schwär­zesten, vielleicht der schwärzeste Tag in der Ge­schichte der Bekennenden Kirche in Deutschland, der Tag einer schweren und gründlichen Niederlage gewesen ist.

Dies gilt zunächst und entscheidend schon im Blick auf seine Vorgeschichte. Man hat an diesem Tag ge­erntet, was man durch eine gänzlich ungrundsätzliche Behandlung dieser wichtigen Frage zuvor gesät hatte. Der neudeutsche Führereid erforderte — nachdem ihn Millionen von anderen Christen, nachdem ihn Tau­sende von deutschchristlichen oder neutralen Pfar­rern mehr oder weniger gedankenlos (oder eben mit verkehrten Gedanken) geschworen hatten — mindestens von den Pfarrern der Bekennenden Kirche eine inhaltliche Prüfung und eine auf diese Prüfung begründete Entscheidung. Dieser Prüfung und Entscheidung hat sich auch die Bekennende Kirche entzogen. Schon darum bedeuten die Ereignisse die­ses Sommers eine Niederlage der Bekennenden Kirche. Sie ist in diesem Sommer — mit Ausnahme jener We­nigen — als ob es 1934 kein Barmen und kein Dahlem gegeben hätte, gerade nicht Bekennende Kirche gewesen.

Der neudeutsche Führereid ist nach der durchaus korrekten Erklärung von Dr. Werner seiner Natur nach etwas Anderes als der von alters her bekannte und auch bei uns übliche Obrigkeits- oder Beamten- oder Fahneneid, mit dem sich der Schwörende zur Respektierung einer bestimmten, ihm vorher bekann­ten, in sich begrenzten und also übersichtlichen Ord­nung verpflichtet. Als im Jahre 1934 von einem da­maligen preußischen Beamten das Experiment ge­macht wurde, den Führereid in einen solchen „ge­wöhnlichen“ Eid umzudeuten, da ist das sofort als unzulässig erklärt und mit Absetzung beantwortet worden. Konnte man damals noch zweifeln, so kann man heute keinen Moment mehr daran zweifeln: der neudeutsche Führereid ist ein Totalitätseid, mit wel­chem sich der Schwörende mit Haut und Haar, mit Leib und Seele dem unerforschlichen Willen einer ihm gänzlich unübersichtlichen anderen Instanz ver­schreibt. Treue und Gehorsam gegen Adolf Hitler be­deutet eo ipso (und eo ipso ohne jede Möglichkeit ir­gend eines Vorbehaltes!) die Inanspruchnahme des ganzen Menschen für den Dienst dieser mit allen Merkmalen einer Gottheit ausgestatteten Persönlichkeit. Daß dieser Eid so verstanden werden muß und in jeder anderen Deutung, bei jedem möglichen „Vor­behalt“ schlechthin mißverstanden ist, das weiß nun in Deutschland wirklich jeder „Pimpf“! Es braucht aber nicht bewiesen zu werden, daß er in diesem allein möglichen Verständnis christlich unerträglich ist. Man kann nicht „so wahr mir Gott helfe“ beschwören, silberne Löffel stehlen und man kann nicht „so wahr mir Gott helfe“ beschwören, sich einem anderen Gott verschreiben zu wollen. Keine von Gott eingesetzte Obrigkeit kann das verlangen. Verlangt sie das, dann verhöhnt sie eben diese ihre göttliche Einsetzung, dann ist der Moment da, wo man ihr gegenüber Gott mehr gehorchen muß als den Menschen, dann kann und darf eben nicht geschworen werden. Kann es über den Sinn des nationalsozialistischen Anspruchs für ein ehrliches Denken heute so wenig mehr eine Diskussion geben wie darüber, daß zweimal zwei vier ist, so und noch viel weniger über den Sinn des ersten Gebotes. In und mit der Eid­forderung — dieser Eidforde­rung — kommt es zwischen den beiden Ansprüchen zu einem Widerspruch, der als solcher getragen und in Form einer Entscheidung ausgetragen werden muß: einer Entscheidung, deren Inhalt dann für den Christen wieder keinem Zweifel unterliegen kann.

Es ist nicht einzusehen, wie sich die Bekennende Kirche — als Bekennende Kirche! — dieser Er­wägung entziehen konnte. Sie hat es aber getan. Sie war zum vornherein „bereit“ zum Schwören. Und sie hat es getan, ohne sich auch nur im Geringsten mit der grundsätzlichen Frage auseinanderzusetzen. Weil sie sich dem dann unvermeidlichen Resultat entziehen wollte! Weil eine allgemeine Eidesverweigerung zu gefährlich gewesen wäre? Wir werden es unterlassen, den Brüdern von jenseits der Grenze her das „Wer glaubt, flieht nicht!“ entgegenzuhalten, ohne uns zu fragen, ob wir in derselben Lage nicht auch geflohen wären. Es darf aber ruhig gesagt werden, daß, hätte man jene 2000 marschieren lassen, statt sie in die Quartiere zurückzurufen, die Gefahr so groß unmög­lich hätte werden können. Das Einzige, was die Ty­rannen, seit die Welt steht, gefürchtet, dann aber auch wirklich gefürchtet haben, ist eine Handvoll Män­ner, die an einer bestimmten Stelle nicht auch an­ders können. Diese Handvoll — immerhin 2000 — Män­ner hätte die Bekennende Kirche in diesem Sommer ohne allzu große Furcht vor einem allzu großen Ri­siko auf den Plan stellen können. Das, die Schaffung dieser schlichten Tatsache, wäre „das Wort an den Staat“ gewesen, über dessen Notwendigkeit und Mög­lichkeit in den Kreisen der Bekennenden Kirche nun schon seit Jahren meditiert wird. Auch um ihres Vol­kes und Vaterlandes willen mußten die Pfarrer der Bekennenden Kirche dieses Wort — das Wort der Tat — jetzt laut werden lassen. Es wäre nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt gehört, es wäre in der ganzen Kirche Jesu Christi als ein Zei­chen des Trostes und der Verheißung dankbar auf­genommen worden. Man hätte sich damit wirklich noch keiner Werkgerechtigkeit und keines schwärme­rischen Aktivismus schuldig gemacht — es hätte nicht die geringste Einschränkung des Glaubens an Gottes Sünden vergebende Gnade bedeutet, wenn man dieses nach links und rechts klare Wort der Tat ausgespro­chen hätte. Dieses Wort blieb aus. Nur auf dem Hin­tergrund grundsätzlicher Prüfung und Entscheidung wäre es ja möglich gewesen. Und eben an diese wollte man ja nicht herantreten. Statt dessen erfand und diskutierte man mit großem Ernst und Tiefsinn jene Nebenfragen, jene sachlich letztlich belanglosen vier Forderungen oder Bedingungen hinsichtlich des Mo­dus der Eidesleistung und setzte sich damit auf die schiefe Ebene, auf der man dorthin abgleiten muß­te, wohin man am 31. Juli gelangt ist.

Oder wäre dieses Abgleiten vielleicht zu vermeiden gewesen? Man wird nicht leugnen kön­nen, daß die vier Forderungen vom 12. Juni an sich belangvoll hät­ten sein können — dann nämlich, wenn sie belangvoll gemeint waren und jetzt in dieser Meinung vertreten wurden. Die in der ersten Verteidigungsstellung ver­säumte Grundsätzlichkeit konnte in der zweiten nach­geholt und erst recht sichtbar gemacht werden. Die eigentliche Katastrophe dieses Sommers fällt aber dämm auf den 31. Juli, weil an diesem Tag auch die zweite Stellung überrannt, weil es an diesem Tag sichtbar wurde, daß man in dieser Sache überhaupt nicht grundsätzlich zu denken und zu reden, über­haupt nicht ernstlich zu prüfen und zu entscheiden, sondern überhaupt nur zu lavieren gedachte und eben damit dem Gesprächspartner, dem nationalsozia­listischen Staat gegenüber zum vornherein verloren war. Der Synodalbeschluß vom 31. Juli zeigt nämlich unwiderleglich, daß die Mehrheit der Führer der Be­kennenden Kirche auch jene von ihnen selbst aufge­stellten vier Forderungen so wenig ernst nahm, daß sie es wagen konn­te, deren Erfüllung durch die Ge­genseite zu proklamieren, wo es für jedes einfältige Auge klar ist, daß sie gerade nicht erfüllt sind: Die staatlichen Instanzen haben sich trotz dringendster an sie gerichteten Bitten nicht bereit gefunden, auch nur mit einem einzigen verbindlichen Wort zu erklä­ren, daß sie den Führereid von den Pfarrern verlang­ten und damit der Eidesleistung den von der Beken­nenden Kirche gewünschten Charakter einer zivilen Aktion zu geben. Vermutung und Gerede ist alles, was die Synode schon an dieser Stelle namhaft zu machen weiß. Von einer „öffentlichen Anerkennung“ des ver­langten Vorbehaltes des Ordinationsgelübdes bezw. der bekenntniskirchlichen Eidesauslegung kann ohne Verdrehung aller Begriffe gar keine Rede sein. Was den schwörenden Pfarrern in dieser Hinsicht bei der Eidesleistung — nicht zu sagen, sondern schriftlich zu deponieren gestattet ist, das geht zu ihren „Perso­nalakten“, wie es zuvor durch Dr. Werner aus den Händen des Bruderrates „entgegengenommen“ und wo es gleichzeitig an die Reichskanzlei (für den dor­tigen Papierkorb!) abgesendet worden ist. Heißt das „Anerkennung“? Heißt das „Öffentlichkeit“! Aner­kannt und öffentlich ist vielmehr nach wie vor — mit oder ohne Titel „Eidesbelehrung“ — das, was Dr. Wer­ner (ich wiederhole: unwiderleglich korrekt!) als den Sinn des Führereides bekanntgegeben hatte. — Die Bekennende Kirche aber erklärt: „Aus dieser Fest­stellung ergibt sich, daß die von der Synode auf Grund von Schrift und Bekenntnis erhobenen Ein­wendungen gegen die Ableistung des Treueides als ausgeräumt angesehen werden dürfen!“ So läßt sich nur abspeisen, wer zum vornherein entschlossen war, sich so oder so abspeisen zu lassen! „Auf Grund von Schrift und Bekenntnis erhobene Einwendungen“ konnten so nicht erledigt werden, sondern eben nur Schein-Einwendungen, bei denen man zum vornherein darauf bedacht war, sie faktisch fallen lassen zu kön­nen. Es war eine Scheinerledigung von Scheineinwen­dungen und mit der Aufführung dieses Scheingefech­tes wagte man es, die Verkündigung, die „Anweisung“ an die Pfarrer ergehen zu lassen, daß sie sich nun zur Eidesleistung bereit erklären könnten und sollten, wagte man es, den etwa immer noch Dissentierenden (in das faltige Gewand „kirchenleitender Aufgabe und brüderlicher Pflicht“ gehüllt) jene seelsorgerliche Be­arbeitung in Aussicht zu stellen, während von irgend einer Überlegung zugunsten dieser Brüder hinsicht­lich des drohenden § 4 nicht die Rede war. So primi­tive Dinge hatte man vergessen, wie wenn es sich von selbst verstünde, sie zu vergessen! Wie man ja von Anfang an zwei andere primitivste Dinge vergessen hatte: einmal die Unmöglichkeit, mit einem Kirchen­regiment — N.B. in einer wahrhaftig geistlichen, qua­lifiziert theologischen Angelegenheit! — überhaupt zu verhandeln, auf die Aussagen und Andeutungen eines Kirchenregiments nun auch noch ganze Häuser zu bauen, dessen Legitimität man seit bald vier Jahren in aller Form in Abrede gestellt hatte. Und sodann die Unmöglichkeit, sich hinsichtlich eines Eides auf den Namen Adolf Hitler auch nur auf eine Unterhaltung einzulassen, wo die Spatzen es von den Dächern rie­fen, daß die gesetz- und rechtlose Gefangenhaltung Martin Niemöllers im Konzentrationslager auf dem persönlichen Willen und Befehl eben des Mannes be­ruht, dem „Treue und Gehorsam“ zu schwören den Brüdern, für die Niemöller sich seit fünf Jahren mit Leib und Leben eingesetzt, jetzt zugemutet wurde. Man meint, diese beiden Unmöglichkeiten hätten noch in letzter Stun­de jenseits aller erwogenen und nicht erwogenen, richtig oder falsch erwogenen grundsätz­lichen und praktischen Erwägungen, quer hindurch durch alle Theologie und durch alle „Er­messensfra­gen“ automatisch wirksam werden und das Ganze verhindern müssen. Es geschah nicht. Das Abgleiten ist offenbar in der Tat unvermeidlich gewesen.

Was nun? Ich weiß nicht, was das für ein Optimis­mus ist, der den Mut hat, in dieser Sache auch noch einen „Sieg der Bekennenden Kirche“ zu sehen. Nein, es besteht Anlaß zu ernster Sorge. Daß Jemand den Führereid geschworen hat, das braucht zwar noch nicht zu bedeuten, daß er sich nun wirklich für gebun­den hielte, jene Treue und jenen Gehorsam im eigent­lich gemeinten, d. h. im totalitären Sinn zu bewähren, und also ein Höriger Adolf Hitlers und also ein armer Heide zu -werden. Wiederum kann aber kein Zweifel bestehen darüber, daß der Eid für die, die ihn ge­schworen haben, tatsächlich eine in der Richtung je­nes Totalitarismus eingegangene Bindung mehr be­deutet, kein Zweifel auch darüber, daß die, die ge­schworen haben, in den Augen der deutschen Öffentlichkeit, des Staates, der Partei, der Polizei, aber auch des Volkes nun tatsächlich doch als solche dastehen werden, die mit allen andern Schwörenden unter jener Bindung stehen. Es kann nicht anders sein, als daß die Bekennende Kirche es so oder so zu fühlen be­kommen wird, was sie sich damit aufgeladen hat. Es braucht im heutigen Deutschland Männer, die in je­ner Richtung weder gebunden sind, noch auch nur gebunden scheinen. Solche Männer wird die Beken­nende Kirche dem künftigen Deutschland nun nur wenige zu stellen haben. Aber schwerer als der prak­tische wiegt der nicht wegzustreitende grundsätzliche Sinn dieser Niederlage. Es war — man darf die Be­deutung symbolischer Akte nicht über-, aber auch nicht unterschätzen — das Weihrauchkorn vor dem Cäsarenbild, das die Mehrzahl der deutschen Pfarrer, auch derer der Bekennenden Kirche, nun eben doch dargebracht hat. Was das innerlich und äußerlich nach sich ziehen kann, ist unübersehbar. Denn es ist nun einmal in der Kirchengeschichte wie in der Staaten- und Kriegsgeschichte nicht anders: Wie ein an sich vielleicht kleiner Sieg die begründete Aussicht auf weitere größere Siege, so gibt eine an sich vielleicht kleine Niederlage begründete Aussicht auf weitere größere Niederlagen. Konnte die Bekenntniskirche in dieser Frage so gänzlich versagen, wie soll sie dann in anderen, vielleicht noch schwereren, bestehen kön­nen? Eine solche andere, sehr schwere Frage ist eben jetzt akut geworden: Die Wernerschen Kirchenbehör­den suchen sich der bisher zur Bekennenden Kirche sich haltenden, zum großen Teil stellenlosen oder doch einkunftslosen jungen Hilfsgeistlichen, Vikare und Kandidaten in der Weise zu versichern, daß sie ihnen für ihren bisherigen Widerstand eine Art Generalpar­don anbieten unter der Bedingung, daß sie ihre bei der Bekennenden Kirche abgelegten Prüfungen nach­träglich vor den Wernerschen Kirchenbehörden „le­galisieren“ lassen und sich diesen formell unterord­nen. Dann (und sonst nicht!): Anstellungsmöglich­keit, Pfarrhaus, Besoldung, gesicherter Wirkungs­kreis, Heiratenkönnen usw.! Es ist an sich ganz klar, daß die Annahme dieses Angebots, vom bis­herigen Weg der Bekennenden Kirche her gesehen, keine Frage des „Ermessens“ des Einzelnen, sondern glatt eine kirchliche Unmöglichkeit ist. „Legal“ waren nach den ganzen bisherigen Voraussetzungen der Be­kennenden Kirche gerade die vor ihren eigenen Prü­fungsbehörden abgelegten Prüfungen. Wer sich heute von einer Wernerschen Kirchenbehörde im Sinne die­ses Angebotes „legalisieren“ läßt, der erklärt mit seiner bekenntniskirchlichen Prüfung die ganze Be­kennende Kirche für „illegal“. Aber wer kann sich wundem, daß sich heute manche von diesen längst schwer bedrängten jungen Leuten fragen, ob sie, nach­dem sich die älteren Pfarrer durch ihr beschriebenes Verhalten in der Eidesfrage ihr Amt erhalten haben, nicht das Recht haben sollten, sich durch eine ähnliche Konzession ein Amt zu verschaffen. Sollte es nicht ganz ähnliche Wege wie dort zur Eidesleistung, so hier zu einer ebenso fatalen „Legali­sierung“ geben? Ist es nicht zu viel verlangt, daß die Einen leiden sollen, wo die Anderen offenbar nicht leiden wollen? Sollten im Schatten der evangelischen Freiheit und der Sündenvergebung nicht auch Jene das Nicht-Leiden dem Leiden vorziehen dürfen? Aber selbst wenn solche Fragen unberechtigt wären, und von allen Ernsthafteren dieser jüngeren Generation sicher nicht erhoben werden — das ist sicher, daß die Behandlung der Eidesfrage die rei­ne Luft nicht ge­schaffen hat, die gerade jetzt, im Herbst dieses schick­salhaften Jahres, zur Behandlung dieser weiteren Frage nötig gewesen wäre. Die Sorge besteht zu Recht: Wann denn endlich, nachdem man in der Eidesfrage kapituliert hat, des weiteren Kapitulierens ein Ende sein, das faktisch praktische Bekennen, zu dem man sich 1934 mit Recht entschlossen hatte, seinen Anfang nehmen möchte?

Und das müssen wir Freunde der Bekennenden Kirche in der Schweiz uns offen eingestehen — das müssen aber auch unsere Brüder in Deutschland sel­ber wissen: daß die Sache der Bekennenden Kirche bei uns und in der ganzen Welt durch die Ereignisse dieses Sommers einen ernsten Schlag erlitten hat, daß viel Hoffnung, mit der der deutsche Kirchenkampf in der Kirche aller Länder begleitet wurde, getrübt ist, daß es überall eines ganz neuen Anlaufs bedürfen wird, die Bekennende Kirche zu verstehen und uns fernerhin für sie einzusetzen. In dieser Sache können wir sie, d. h. ihre Führer, ihre Mehrheit, entschieden nicht verstehen. Die angerichtete Verheerung ist drin­nen und draußen tatsächlich keine geringe.

2. Gegen die Auffassung, daß die beschriebenen Ereignisse das Ende der Bekennenden Kirche und damit, was den Protestantismus betrifft, das Ende des Kirchenkampfes bedeuten — für die Auffassung, daß diese Niederlage eine Etappe gewesen ist, die überwunden werden, nach der der Kampf erst recht weitergehen wird, läßt sich auf der Ebene menschlich geschichtlicher Beobachtung und Erwägung, die wir diesmal nicht verlassen wollen, Folgendes sagen:

Es ist eine überaus erfreuliche und hoffnungsvolle Tatsache, daß es nach allen aus Deutschland eintref­fenden persönlichen und schriftlichen Zeugnissen mit Ausnahme der unverbesserlichen Optimisten und Schönredner Niemandem bei der gefallenen Fehl­entscheidung wohl ist. Die Verteidigungen des Be­schlusses vom 31. Juli klingen überaus matt und unüberzeugt. Von irgendwelcher Glaubensfreudigkeit kann z. B. in den mir vorliegenden „Eidespredigten“, mit denen man die Gemeinde über die Vorgänge unterrichten wollte, keine Rede sein. Da ist vielmehr ein Hin und Her, ein Ja und Nein, ein Ja und Aber, das deutlich genug verrät, daß gerade die Besten unter denen, die jetzt diesen Irrweg gegangen sind, ihr Herz und ihren Glauben trotz aller Berufung auf die evan­gelische Freiheit usw. nicht bei dieser Sache haben, sondern sich selbst und Anderen mühsam und verle­gen einreden müssen, daß und inwiefern sie eine gute Sache sei. Es ist mit Händen zu greifen, daß sie sich zwar verlaufen, aber doch noch nicht verrannt haben und vielleicht bald wieder auf verheißungsvolleren Wegen anzutreffen sein werden.

Ebenfalls aus den erwähnten Predigten geht her­vor, daß die Prediger nicht ohne Mühsal und Kunst gegen einen ihnen von der Gemeinde her begeg­nenden, offenbar nicht unbeträchtlichen Widerstand zu kämpfen haben. Der Außenstehende vergißt leicht, daß die für uns nicht hörbaren Gemeinden in Deutsch­land faktisch auch da sind und sich (im Guten wie im Bösen) geltend machen. Diesmal scheinen sie es we­nigstens teilweise auch im Guten zu tun.

Alle jüngeren, d.h. bisher nicht von den Wernerschen Kirchenbehörden „legalisierten“ Theolo­gen der Bekennenden Kirche — ihre Zahl geht in die Tausende — haben schon darum nicht geschworen, weil sie von jenen Behörden gar nicht dazu aufgefor­dert werden konnten. Eben diese jungen Theologen waren und sind aber bis jetzt, wenn nicht die Träger, so doch die wirksamsten Koeffizienten des Kirchen­kampfes gewesen. Daß gerade sie von jener drohen­den inneren und äußeren Bindung wenigstens durch den Führereid nicht erreicht sind, erlaubt und gebietet die Ansicht: der Kampf wird weitergehen.

Die Minorität der definitiv nicht schwörenden älteren Pfarrer läßt sich heute zahlenmäßig noch nicht übersehen. Sie hat in allen preußischen Provinzen und in allen deutschen Ländern ihre Vertreter. Sie kann und auch wir können und wollen uns von den Schwö­renden nicht scheiden, schon darum nicht, weil ihr Irrtum jedenfalls zum größeren Teil der ihrer Lei­tung war, der zu vertrauen und sich anzuschließen sie bis jetzt im Ganzen Grund hatten. Man darf es uns aber nicht verargen, wenn wir heute jener Nicht- Schwörenden in besonderer Teilnahme und Verbun­denheit gedenken. Ihre Existenz sorgt dafür, daß der Faden der Geschichte der wirklich Bekennenden Kirche auch in diesem Moment und in dieser Sache nicht abgebrochen ist. Von den Anderen hoffen und erwarten wir, daß auch sie sich zu diesem Faden, zu der Fahne, die in diesem Moment und in dieser Sache nur von Wenigen verteidigt wurde, wieder zurückfin­den werden, sich zurückzufinden vielleicht schon im Begriff stehen.

Wir hören in allen aus Deutschland hereinkommen­den Zeugnissen (auch in denen aus dem Lager der Schwörenden) die ausdrückliche Versicherung: Wir denken gar nicht daran, es ist uns gar nicht mög­lich, den Kampf aufzugeben. Eine „Waffenstreckung“, verehrte schweizerische Zuschauer dieser Vorgänge! müßte nun doch wohl noch etwas andere Dimensionen haben als das, was bisher geschehen ist. Eine Stimme unter vielen mag hier zu Gehör gebracht sein:

„Der Weg war eben von Anfang an nicht grund­sätzlich genug, obwohl gute Ansätze dazu da waren. Es war so, daß man bei jeder Entscheidung, die im Laufe der Wochen gefällt wurde, froh war, wenn es kein Unglück gegeben hatte. Bei einer solchen Holzerei mußte der Wagen schließlich umkippen. Sie dürfen aber einigermaßen beruhigt sein: die Mannschaft hat keinen Schaden genommen. Sie wird — nun durch Erfahrung klug geworden — weiter fahren. Die geschehene Sache wird daran nichts hindern. Das weiß auch Jedermann …“

Mag es uns schwer fallen, einzusehen, inwiefern die geschehene Sache die Mannschaft in diesem Weiter­fahren tatsächlich nicht hindern wird, so wäre es doch töricht und unrecht, diese Versicherung nicht zu hö­ren und mit Vertrauen aufzunehmen und zu beant­worten. Wer weiß, um nochmals der Schwörenden zu gedenken, welche komplexe Fragestellungen, Verhält­nisse und Einflüsse den Einzelnen zu der bewußten Fehlentscheidung geführt haben mögen und wie we­nig er im Grunde dabei zu behaften sein mag? Und wer weiß, was für Kräfte vielleicht gerade diese schwere Niederlage für das Ganze der Kirche entbin­den und in Tätigkeit setzen kann? Über der confusio hominum wird auch diesmal — mit diesem Ausblick mag die gewählte Betrachtungsebene nun doch noch verlassen und relativiert sein — die providentia Dei ihr Wort und schließlich das letzte Wort sprechen.

Dies sind die Gründe, im Blick auf die auch unser Schweizerisches Evangelisches Hilfswerk für die Be­kennende Kirche in Deutschland seine Tätigkeit nicht einstellen kann, sondern nun erst recht auf der ganzen Linie fortsetzen muß.

Nachwort.

Etwa am 8. September, also einige Tage nachdem dieser Vortrag gehalten war, wurde, offenbar durch eine glückliche Indiskretion, folgendes Schriftstück bekannt:

Abschrift aus den Führerblättern der Gauleitung Sachsen der NSDAP! Folge 8.

8. August 1938.

Rundschreiben Nr. 87/38.

Betr. Vereidigung evang. Geistlicher.

An alle Gauleiter.

In der letzten Zeit haben verschiedene evangelische Landeskirchen von ihren Pfarrern den Treueid auf den Führer verlangt.

Die Kirchen haben diese Anordnung von sich aus erlassen, ohne vorher die Entscheidung des Führers herbeizuführen. Dem Eid auf den Führer kommt des­halb lediglich eine innerkirchliche Bedeutung zu. Par­tei und Staat nehmen zu dieser Vereidigung als einer rein kirchlichen Angelegenheit keine Stellung. Es darf in der Haltung der Partei den kirchlichen Stellen oder einzelnen Angehörigen des geistlichen Standes gegen­über kein Unterschied gemacht werden, ob ein Geist­licher den Eid auf den Führer geleistet hat oder nicht. Der Herr Reichskirchenminister hat ebenfalls veranlaßt, daß auf Grund einer etwaigen Verweigerung des Eides auf den Führer keine Disziplinarverfahren ge­gen Geistliche eingeleitet werden sollen.

Die Haltung der Partei diesen kirchlichen Dingen ge­genüber ist nach wie vor dieselbe. Die Partei kann nicht Stellung nehmen zu dieser oder jener Richtung inner­halb der einzelnen evangelischen Kirchen, auch nicht, wenn sich diese Richtungen dadurch voneinander un­terscheiden, daß die eine den Eid auf den Führer für zulässig hält, die andere aber nicht. Für die Partei spielt der Unterschied zwischen den Geistlichen, die den Eid auf den Führer nach 5 Jahren nationalsozia­listischer Erhebung geleistet haben und solchen Pfar­rern, die ihn nicht leisten, keine Rolle. Ein Eid auf den Führer hat vielmehr für die Partei und den Staat nur dann Bedeutung, wenn er auf Anordnung des Führers von der Partei oder von dem Staat dem Einzelnen abgenommen wird.

München, den 13. Juli 1938.

gez. M. Bormann.

Es wäre verlockend, aber eben allzu verlockend, eine Konstruktion zu wagen, die den Sinn und die Funk­tion dieses Schreibens, seiner zeitlichen und sachli­chen Daten, seiner Haltung und seiner Sätze im Rah­men der nationalsozialistischen Politik und Kirchen­politik zu erklären hätte. Ich würde doch jedermann raten, seiner Phantasie die Zügel gerade nicht schie­ßen zu lassen, oder aus dem dann entstehenden Bilde jedenfalls keine weiteren Schlüsse zu ziehen. Die na­tionalsozialistischen Dinge laufen manchmal sehr planvoll, manchmal aber auch sehr willkürlich und zufällig. Es ist also z. B.im vorliegenden Fall eben­so möglich, daß der von München aus die „Gauleiter“ der Partei instruierende Herr Bormann, der in seinem Schreiben erwähnte Reichskirchenminister Kerrl und der diesem unterstellte preußische Kirchenpräsident Dr. Werner einander in die Hände spielen, wie daß sie aus irgend einem Grund gegeneinander arbeiten. Man kann freilich in beiden Fällen sicher sein, daß die Ab­sichten wie über­haupt, so auch hinsichtlich der Kirche, irgendwo und irgendwie, von irgendwelchen noch hö­heren Instanzen her überwacht und dirigiert, dieselben sind. Aber inwiefern dies hier der Fall ist, das kann jedenfalls heute noch nicht ergründet werden und ist auch sachlich ziemlich gleichgültig. Klar ist nur dies, daß die Niederlage der Bekennenden Kirche in der Eidesfrage durch dieses Rundschreiben zu allem an­deren nun auch noch einen gewissen tragikomi­schen Charakter bekommen hat: der Druck, dem sie gewichen ist, auch der des § 4, war gar nicht so schrecklich wie es aussah; und irgend einen Gewinn — außer dem bösen Gelächter ihrer Gegenspieler — wird ihr dieses Weichen auch nicht verschafft haben. Es ist anzunehmen, daß die Zahl der Nicht-Schwören­den nach dem Bekanntwerden dieses Schreibens nun noch etwas größer werden oder bleiben wird, als man vorher annehmen konnte. Wohl denen, die diese etwas blutige Belehrung nicht erst nötig hatten, um zu wis­sen, was zu tun und nicht zu tun war. Ginge doch die Bekennende Kirche einen solchen Weg, auf dem es ihr möglich wäre, solchen Gauleiter-Überraschungen gegenüber ein gutes Gewissen und ein fröhliches Herz zu haben!

Noch ein Nachwort.

Die Kirche in der Schweiz und in den andern Län­dern außerhalb des Dritten Reiches über das in der dortigen Kirche Geschehene zu unterrichten, ist die Absicht der Veröffentlichung dieses Vortrags. Daß uns Orientierung über diese Sache nottut, weil hier die Versuchung und Gefährdung, in der die Kirche (nicht nur in Deutschland!) existiert, in exemplarischer Weise sichtbar wurde, das wird für viele Leser, die am deutschen Kirchenkampf schon bisher inner­lich Anteil genommen habe, außer Frage stehen.

Einige andere Leser könnten vielleicht auf den er­sten Blick der Meinung sein, daß diese in der verhält­nismäßigen Verborgenheit der deutschen Kirchenge­schichte sieh abspielenden Vorgänge durch das, was sich unterdessen in der grellen Öffentlichkeit der europäischen Staatengeschichte zugetragen hat, über­holt und zugedeckt sein möchten. Ihnen sei, bevor sie dieses kleine Heft beiseite legen, zu bedenken gege­ben, ob zwischen den Ereignissen hier und dort nicht doch eine sehr merkwürdige Parallele und gegensei­tige Beleuchtung stattfinden sollte.

Man wird es unterlassen, der Bekennenden Kirche in Deutschland aus ihrem Versagen in der Eides frage einen allzu schweren, einen selbstgerechten Vorwurf zu machen, wenn man sich vor Augen hält, wie — in Auseinandersetzung mit demselben Gesprächspart­ner! — die Regierungen der europäischen Westmächte, vermeintlich die Vertreter einer auf Recht und Freiheit gegründeten Lebens- und Gesellschaftsordnung, in einer Treulosigkeit, die sie selbst nur stammelnd zu entschuldigen wagen, in kaum verhüllter Preisgabe alles dessen, was sie selbst zuvor als politische Moral geltend gemacht haben, vor nichts anderem als vor der nackten Gewaltdrohung nun wirklich „sang- und klanglos die Waffen gestreckt“ und sich damit der bewußten Unmoral ihres Widerparts mitschuldig ge­macht haben. Man bedenke, daß diese Staatsregierun­gen immerhin über ganz andere Widerstandsmittel verfügten als die armen deutschen Bekenntnispfarrer, die wir in diesem Sommer so seltsam weichen sahen — und daß dennoch auch sie gewichen sind! Und wie besinnungslos ist der von ihnen geschlossene Friede um jeden Preis von ihren Völkern, auch von den Chri­sten, auch von den Kirchen in ihren Völkern gutge­heißen und bejubelt worden! Kann sich heute noch jemand der Einbildung hingeben, als ob sich die Chri­sten in England, in Frankreich, in der Schweiz in ähnlicher Anfechtung wie die, die seit 1933 über die Kirche in Deutschland gekommen ist, besser, treuer, tapferer verhalten haben würden? Oder sollte der westeuropäische Liberalismus dem deutschen wegen seines oft beklagten Umfalls und Zusammenbruchs heute noch irgend etwas vorzuhalten haben? Sollte in dieser letzten kummervollen Geschichte vom Führer­eid in der deutschen Bekenntniskirche nicht im vor­aus ein Spiegelbild unserer eigenen künftigen — in München sogar schon Gegenwart gewordenen — Ge­schichte zu erkennen sein?

Man kann und muß aber auch die umgekehrte Be­trachtung anstellen. Es hat keinen Sinn, sich über die notorisch gewordene Charakterlosigkeit und Schwäche — um nicht zu sagen Korruption — der europäischen Rechts- und Freiheitsstaaten zu wundern und zu be­klagen, wenn und solange es in und mit den Kirchen in Europa so steht, wie es im Verlauf der Eidesange­legenheit in Deutschland sichtbar geworden ist. So billig ist — nicht nur die „Welt“, sondern auch die Kirche zu haben! So vortrefflich versteht es nicht nur die „Welt“, sondern auch die Kirche, mit den Wölfen zu heulen — die Kirche, die doch im Unterschied zu den armen Politikern, die die Weltgeschichte „ma­chen“, immerhin die Heilige Schrift und die guten Bekenntnisse ihrer Väter hinter sich hat oder zu ha­ben behauptet! Gäbe es rechte, das Wort Gottes rein und öffentlich und praktisch bekennende Kirchen, dann könnten die Worte „Recht“ und „Freiheit“ auch in ihrer politischen Umgebung keine hohlen, keine beim ersten besten Anlaß schnöde zu vergessenden Worte sein. Rechten Kirchen gegenüber gäbe es auch rechte, ihr Wort haltende, ihre Ehre wahrende, ihrer Verantwortlichkeit nicht ausweichende, nach Röm. 13, 4 „das Schwert nicht umsonst führende“ Staatsregie­rungen, vor denen sich die Rechtsbrecher und Frei­heitszerstörer, die Feinde der Ordnung und des Frie­dens zu fürchten hätten und fürchten würden. Aber von den Disteln kann man keine Trauben lesen. Wir haben keine rechten Staatsregierungen, weil wir keine rechten Kirchen haben. Wir haben — wir, die wir bis jetzt noch keine Tyrannen haben! — Staatsregierun­gen, die zu ihrer eigenen Sache nicht zu stehen und darum am bösen Tage keinen Widerstand zu tun wa­gen. Es wäre unbillig, sie deswegen anzuklagen, wenn und solange die Christenheit — die Niederlage der Bekennenden Kirche mag uns zeigen, wie es mit der Christenheit steht — nichts Besseres vermag als ent­weder gedankenlos mit dem Strom zu schwimmen oder tatenlos in der Sphäre der Theorie und des Pri­vaten abseits zu stehen. Dieser Christenheit kön­nen keine ehrlich auf Recht und Freiheit bedachten Staatsregierungen gegenüberstehen. Wenn das, was dieser Christenheit gegenüber heute Staatsregie­rung heißt, morgen oder übermorgen zusammenbricht, um auch bei uns der Tyrannei Platz zu machen, so werden wir nicht staunen dürfen. Es gibt keine mili­tärische und es gibt keine geistige Landesverteidi­gung, wo es nicht allererst zu geistlichem Wider­stand und Angriff (Eph.6, 10-17) gekommen ist.

Dies ist der Zusammenhang, um dessen willen es mir nötig erscheint, daß möglichst Viele gerade au­ßerhalb des Dritten Reiches über das, was in die­sem Sommer in der dortigen Kirche geschehen ist, nachdenken sollten, gerade weil wir unterdessen auf dem politischen Feld auf den ersten Blick noch viel aufregendere Dinge erlebt haben.

Quelle: Karl Barth, „So wahr mir Gott helfe!“ Die Frage des Führereides und ihre Behandlung in der Bekennenden Kirche in Deutschland im Sommer 1938, Zollikon: Verlag der Evangelischen Buchhandlung, 1938.


[1] Vortrag gehalten in der Sitzung des Schweizerischen Evangelischen Hilfswerks für die Bekennende Kirche in Deutschland im Glockenhof in Zürich, am 5. September 1938.

Hier der Text als pdf.

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