Von Günther Franz
1. Vorgeschichte
a) Der erste Bauernkrieg in Europa, der mehr als ein örtlicher Aufstand war, brach 1323 in Flandern aus. Er wandte sich gegen Landesherrn und Adel, aber auch gegen die Kirche, die sich mit Bann und Interdikt auf Seite der Herren stellte. Priester wurden vertrieben, der Zehnt verweigert und der Anbruch eines neuen Zeitalters verkündet. Auch die Jacquerie, die 1356 Nordfrankreich erschütterte, erstrebte »die alte Freiheit des Landes wiederherzustellen«, indem sie sich gegen Kirche und Adel wandte, den König aber als Herrn anerkannte. Im Englischen Bauernkrieg 1381 verband sich besonders nachhaltig der Kampf gegen die feudale Reaktion für das alte Recht mit der religiösen Erregung. John Ball, der die Leibeigenschaft verwarf und die ursprüngliche Gleichheit der Menschen verkündete, war abhängig von der Armutslehre der Franziskaner. Er berief sich nicht auf das relative, sondern auf das absolute Naturrecht des biblischen Urzustandes: »Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann.« Wiclif stellte neben Balls Lehre vom natürlichen Recht das Göttliche Recht. Sein Satz »Nullum est civile dominium, nisi in iustitia evangelica sit fundamentum« machte die lex Dei zum Maßstab auch für die Welt. Die Bauern übertrugen den von Wiclif auf die kirchliche Herrschaft begrenzten Satz auch auf den sozialen Bereich und prüften jedes Recht auf seinen biblischen Ursprung. Sie verlangten die Einziehung des Kirchenguts und die Einsetzung eines Bischofs für ganz England. Wenngleich Wiclif dem Aufstand fernblieb, schlossen sich ihm eine Reihe seiner Schüler an. Unter Führung Balls und Wat Tylers, eines Ziegelbrenners, eroberten die Bauern London, wurden jedoch bald niedergeworfen. Durch die Hussiten kam Wiclifs Lehre vom Göttlichen Recht nach Mitteleuropa und wirkte auf den Bundschuh ein. Auch in Ungarn (1515) und Spanien kam es im ausgehenden Mittelalter zu Bauernkriegen, in denen sich religiöse und politische Forderungen verbanden.
b) In Deutschland standen zunächst Aufstände, die sich auf das alte und solche, die sich auf das göttliche Recht beriefen, nebeneinander. Die erste Erhebung für das alte Recht ist der Freiheitskampf der Schweizer gegen die Habsburgischen Landvögte im 13. Jh. Ebenso beriefen sich um 1400 die Appenzeller und im 15. Jh. die Untertanen zahlreicher Klöster und Herren in örtlichen Unruhen auf das alte Recht. 1514-17 kam es fast gleichzeitig in Württemberg (Armer Konrad), Osterreich (Steiermark, Kärnten, Krain) und der Schweiz zu größeren Aufständen. Die Bauern wandten sich dagegen, daß der sich ausbildende Territorialstaat, gestützt auf das römische Recht, die bäuerliche Selbstverwaltung einschränkte und die Nutzungen an Weide, Wasser und Wald einengte wie auch vielfach die Abgaben erhöhte und (etwa in Kempten) die Leibeigenschaft verschärfte. Die Unruhen wurden fast stets durch einen Rechtsspruch beigelegt, der wesentliche Forderungen der Bauern anerkannte (z. B. Tübinger Vertrag 1514).
Die ersten Unruhen, die sich nicht auf eine einzelne Herrschaft beschränkten und nicht nur begrenzte rechtlich begründete Forderungen erhoben, waren gegen die Juden gerichtet. Bereits 1338 wollten oberdeutsche Bauern unter einem »König Armleder« die Juden als Feinde Christi vernichten. Im Wormser Bauernaufstand 1431 machte sich zuerst hussitisches Gedankengut bemerkbar. Offener trat dies noch bei der von Hans Böhm verkündeten Wallfahrt nach Niklashausen 1476 hervor. Böhm verwarf alle Abgaben, forderte, daß die Herren mit dem gemeinen Mann teilen sollten, und rief zum Pfaffensturm auf.
Der Bundschuh (der gebundene Schuh des Bauern im Gegensatz zu dem Stiefel des Ritters) begegnet schon im 13. Jh. als volkstümliches Symbol. Um 1450 (Armagnaken) ist er Zeichen der Volksabwehr wie des sozialen Aufstandes. Der erste größere Bundschuh-Aufstand (1493 in Schlettstadt) richtete sich gegen das geistliche Gericht und die Juden, wollte aber auch die Klöster abschaffen und die Pfarrbesoldung ausgleichen. In der Folge organisierte der Speyerer Bauer Joß Fritz 3 Bundschuhe (1502 Bistum Speyer, 1513 Breisgau, 1517 Oberrhein). Fritz forderte unter Berufung auf das Göttliche Recht, das er durch die Flugschrift »Reformation des Kaisers Siegmund« kennengelernt hatte, die Aufhebung der Leibeigenschaft, die Freigabe von Jagd- und Fischfang, Wasser und Weide. Er wollte die weltliche Herrschaft der Kirche beseitigen und die Klöster zerstören. Ein neuer Kaiser Friedrich sollte die Bauern führen.
War das 15. Jh. wirtschaftlich eine Krisenzeit (Bevölkerungsrückgang, Wüstungen), so brachte das 16. Jh. eine allgemeine Besserung, so daß von einer Notlage der Bauern vor dem Bauernkrieg nicht grundsätzlich zu sprechen ist. Führer der Aufstände wie später des Bauernkrieges waren nicht etwa die Dorfarmen, sondern die Dorfehrbarkeit. Unmittelbar vor 1517 befand sich Deutschland in allgemeiner Erregung. Bauernaufstände und Städteunruhen wurden immer gefährlicher. Die ersten Verbindungen zwischen den altrechtlichen Aufständen und dem Bundschuh zeigten sich. Durch Luthers und Zwinglis Auftreten wurde die geistliche und weltliche Autorität vollends erschüttert. Der gemeine Mann wurde zur Stellung aufgefordert. Zahlreiche Flugschriften wandten sich an ihn. Seine Forderungen galten als berechtigt. Fast notwendig mußte das Volk das Evangelium »fleischlich« verstehen und in der Bibel die Rechtsgrundlage auch für das irdische Leben suchen. An die Stelle der Lex Dei trat das Evangelium. In dieser Umdeutung wurde das Göttliche Recht zum massenmitreißenden Schlagwort. In ihm verband sich reformatorische Gesinnung mit dem Streben nach einer neuen, biblisch begründeten, zugleich aber den alten Rechtsstand wiederherstellenden Ordnung. Die Reformation schlug die Brücke zwischen altem und göttlichem Recht.
2. Verlauf
Der Bauernkrieg begann im Juni 1524 in der Landgrafschaft Stühlingen im südl. Schwarzwald. Von hier aus breitete sich die Bewegung, deren Unterdrückung anfangs versäumt wurde, stetig aus. Die »Christliche Vereinigung im Schwarzwald« unter Hans Müller von Bulgenbach verband sich mit dem Pfarrer Hubmayer in Waldshut, der den Täufern nahestand. Im Dezember griff der Bauernkrieg auf Oberschwaben über. Ende Febr. 1525 stellte der Memminger Kürschner Sebastian Lotzer auf Grund der Beschwerden der Baltringer Bauern die »Zwölf Artikel gemeiner Bauernschaft« zusammen, die Programmschrift der ganzen Bewegung. Sie verlangten unter Berufung auf zahlreiche Bibelstellen die reine Predigt, die Wahl der Pfarrer durch die Gemeinden, die Verwendung des großen Zehnten für die Pfarrbesoldung und die Aufhebung des kleinen Zehnten, die Beseitigung der Leibeigenschaft, da Christus alle Menschen erlöst habe und sie daher frei sein sollten, freie Jagd und Fischfang und die Abstellung von allerlei Neuerungen. Im letzten Artikel verpflichteten sich die Bauern, auf alle Forderungen zu verzichten, die nachweislich dem Wort Gottes nicht gemäß wären. Der Memminger Prediger Schappeler, ein Zwinglianer, erwies einleitend die Forderung der Bauern als evangelisch und gab ihnen damit eine religiöse Weihe. Anfang März bildete sich auch in Schwaben eine »Christliche Vereinigung«, die auf der Grundlage des göttlichen Rechtes ein neues ev. Gemeinwesen bilden wollte. Die »Gelehrtesten deutscher Nation«, Luther, Melanchthon, Zwingli und andere Prädikanten, sollten über die Rechtmäßigkeit der bäuerlichen Forderungen entscheiden. Doch führten die Verhandlungen mit dem Schwäbischen Bund zu keinem Ergebnis. Inzwischen breitete sich der Bauernkrieg auf ganz Oberdeutschland vom Elsaß und der Schweiz bis nach Steiermark und Tirol (mit Ausnahme Bayerns) und auf Thüringen aus. Allerorten beriefen sich die Bauern auf die »12 Artikel«. Burgen und Klöster wurden vielfach zerstört. Die Franken forderten unter Führung Wendel Hiplers und Florian Geyers, daß sich alle Stände nach gemeinen Bürger- und Bauernrechten halten sollten. Auf einem Bauernlandtag in Heilbronn sollte ein von F. Weigandt stammender Reichsreformentwurf beraten werden. Auch in Tirol erstrebte Michael Gaismair in seiner »Landesordnung« die Aufrichtung eines Bauernstaates auf christlicher Grundlage. In Thüringen vertraten die Bauern unter dem Einfluß Müntzers und Heinrich Pfeiffers kommunistische und chiliastische Forderungen. Mühlhausen sollte eine Theokratie werden. Die zahlreich erhaltenen Forderungen erweisen, daß der Bauernkrieg weder ein Religionskrieg (Erhebung zum Schutze der Reformation gegen die beginnende Gegenreformation, wie Stolze meinte) noch ein sozialer Aufstand der Dorfarmut, des Proletariats, war. Vielmehr erstrebte die bäuerliche Ehrbarkeit im Bunde mit den Städten ihre gleichberechtigte Eingliederung in das staatliche Leben und den Schutz ihrer Autonomie. Sie setzte gegen das Landesfürstentum ihre Hoffnung auf den Kaiser und vor allem auf Luther.
Nach anfänglichen großen Erfolgen der Bauern gelang es im Juni/Juli 1525 in Oberdeutschland dem Schwäbischen Bund unter Georg Truchsess von Waldburg, im Elsaß Herzog Anton von Lothringen, in Thüringen Landgraf Philipp von Hessen und den sächsischen Fürsten in einer Reihe blutiger Schlachten (Böblingen, Königshofen, Zabern, Frankenhausen), die Erhebung niederzuwerfen. Letzte Ausläufer waren ein Aufstand in Preußen im Herbst 1525 und eine erneute Erhebung in Salzburg im Frühjahr 1526.
3. Luthers Stellung; Folgen
a) Nachdem die Bauern in den »12 Artikeln« sich auf das Evangelium berufen und später Luther wie andere Reformatoren als Richter angerufen hatten, nahm dieser zunächst in seiner »Ermahnung zum Frieden auf die 12 Artikel der Bauernschaft in Schwaben« Stellung. Er bezweifelt, daß ein so großer Haufe »allesamt rechte Christen« wären, und mahnt die Bauern nachdrücklich, Gottes Namen nicht zu mißbrauchen. Der Christ solle Unrecht leiden, nicht aber sich gegen die Obrigkeit empören. Die Forderungen der Bauern seien »eitel Raub und öffentliche Strauchdieberei«. Nachdrücklich mahnt er aber auch die Herren, ihr weltliches Regiment nicht zu mißbrauchen. »Es sind nicht Bauern, die sich wider Euch setzen. Gott selbst setzt sich wider Euch, heimzusuchen Eure Wüterei.« Wenige Tage später (Anfang Mai) schrieb Luther unter dem Eindruck, daß der Bauernkrieg mit Müntzer, seinem ärgsten Widersacher, gleichzusetzen sei, seine härteste Flugschrift: »Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern«. In den Bauern sieht er jetzt den Teufel wirksam, ihre Niederwerfung sei Gottesdienst. »Drum soll hier zuschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer da kann.« Ein Fürst könne jetzt eher mit Blutvergießen den Himmel verdienen als sonst mit Beten. In einem Sendbrief vom Juni 1525 erläuterte und verteidigte er nochmals seine Haltung. Melanchthon wie Brenz lehnten in Gutachten für den Kurfürsten von der Pfalz ebenfalls die Forderungen der Bauern schroff ab.
b) Luther hat nur als Seelsorger und Lehrer, nicht als Politiker gesprochen. Er hat dennoch durch seine Stellungnahme nicht nur der Bauernbewegung die religiöse und moralische Grundlage entzogen, sondern zugleich die Stellung der Fürsten gestärkt, ihr Vorgehen und damit ihr Machtstreben religiös fundiert. Denn die Fürsten waren die Sieger im Bauernkrieg. Das Streben nach bäuerlicher Autonomie war gescheitert. Auch gegen den Adel, dessen Schlösser zerstört waren, wie gegen den Kaiser, der nicht einzugreifen vermocht hatte, hatten sich die Fürsten behauptet. Die verwaisten Klöster zogen sie vielfach ein. Trotz Luthers Haltung hat der Bauernkrieg zunächst das Vordringen der Reformation gehemmt. Vielfach wurden die Prädikanten gerichtet. Süddeutschland blieb jetzt zunächst katholisch. Auch in Reichsstädten wie Mühlhausen und Rothenburg setzte sich noch einmal die alte Kirche durch. Wichtiger war, daß sich jetzt die Reformation, unmittelbar von Luther beeinflußt, von dem freien Gemeindechristentum der Frühzeit, dessen Ausdruck die Forderung nach freier Pfarrwahl war, zur Landeskirche hin entwickelte, die ihre Lehre in Abgrenzung gegen die Sekten und in Anlehnung an die politischen Gewalten dogmatisch festzulegen suchte. Der gemeine Mann wandte sich vielfach, von Luther enttäuscht, den Sekten zu oder stand nunmehr gleichgültig beiseite. Der Bauer schied auf Jahrhunderte aus dem geistigen und politischen Leben Deutschlands aus. Über den tatsächlichen Verlauf hinaus bedeutet daher der Bauernkrieg einen Einschnitt in der Entwicklung der Reformation.
Lit.: Akten zur Geschichte des Bauernkriegs in Mitteldeutschland, hg. v. O. MERX, G. FRANZ u. W. P. FUCHS, 2 Bde, 1921-42 – W. STOLZE, Bauernkrieg u. Reformation (SVRG 141), 1926 – P. ALTHAUS, Luthers Haltung im Bauernkrieg (Evangelium u. Leben, 1927, 144-190; selbständig 1953) – A. ROSENKRANZ, Der Bundschuh, 2 Bde, 1927 – G. FRANZ, Der deutsche Bauernkrieg, (1933) 19574 – DERS., Die Entstehung der 12 Artikel der deutschen Bauernschaft (ARG 36, 1940, 193-213) – SCHL. IV, 1938, Nr. 34765-35245 – A. WAAS, Die große Wendung im dt. Bauernkrieg, 1939 – K. KLAEHN, Luthers sozialethische Haltung im Bauernkrieg (Diss. Rostock), 1940 – F. LÜTGE, Luthers Eingreifen in den Bauernkrieg in seinen sozialgeschichtl. Voraussetzungen u. Auswirkungen (JbNSt 158, 1943, 369 bis 401) – W. ELLIGER, Luthers politisches Denken u. Handeln, 1952, 20 ff.
RGG3, Bd. 1 (1957), Sp. 927-930.