Evangelisch-Katholische Gottesdienstgemeinschaft als liturgische Gestaltungsaufgabe
Von Johannes Rehm
Gottesdienstgemeinschaft als Konsequenz von Glaubensgemeinschaft?
„Das gemeinsame Abendmahl muß unser Ziel bleiben“, erklärte der neue Catholica-Beauftragte der VELKD Landesbischof Dr. Johannes Friedrich in einem im vorigen Monat geführten Interview. Auf die Frage nach den Schwerpunkthemen in diesem Amt sagte Friedrich: „Oberste Priorität hat selbstverständlich, das fortzuführen, was mit der `Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre` (GER) begann. Wir müssen den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche in den Themenbereichen Amt, Kirche und Sakramente auf offizieller Kirchenebene bilateral führen….. die Methode für die Dialoge, die jetzt zu führen sind, haben wir in der GER: den differenzierten Konsens.“[1] Eine Übereinstimmung in den Grundlagen christlichen Glaubens sollte durch die Unterzeichnung der ‚Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre‘ am 31. Oktober letzten Jahres in Augsburg demonstriert werden.[2] Und wenn der bayerische Landesbischof Gottesdienst- und Abendmahlsgemeinschaft auf der Grundlage der gefundenen Glaubensgemeinschaft anstrebt, so ist dies konsequent und entspricht der Zielsetzung des jahrzehntelang geführten ökumenischen Dialogs.[3] Die Fortführung des ökumenischen Dialogs wird allerdings die kritische Anfrage begleiten, ob mit der unterschriebenen Erklärung tatsächlich ein Konsens in der Rechtfertigungslehre erreicht worden ist und ob die Rede vom `differenzierten Konsens` bestehende Unterschiede nicht verharmlost.
Die von öffentlichen Auseinandersetzungen über eben diese Fragen begleitete Unterzeichnung ließ ein anderes Ereignis in den Hintergrund treten, das für das Leben evangelischer Gemeinden nicht minder relevant und von langfristiger Bedeutung ist. Am ersten Advent 1999 nahmen die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands und die Evangelische Kirche der Union mit der Einführung des „Evangelischen Gottesdienstbuches“ eine gemeinsame Agende in Gebrauch.[4] Die in der Leuenberger Konkordie von 1973 vereinbarte Kirchengemeinschaft zwischen Lutheranern und Reformierten hätte auch eine Agende für den gesamten Bereich der EKD ermöglicht, aber die im November 1999 erschienene „Reformierte Liturgie“ stimmt materialiter weitgehend mit dem evangelischen Gottesdienstbuch überein. [5]
Die beiden aktuellen Ereignisse veranlassen mich zur Thematik dieses Vortrags unter der Leitfrage, wie denn evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft liturgisch gestaltet werden könnte. Ich will mich dem Thema so nähern, daß ich im nächsten Abschnitt erläutere, inwiefern ich diese Gottesdienstgemeinschaft, für eine Notwendigkeit kirchlicher Praxis halte. Der Feststellung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden gegenwärtiger evangelisch-katholischer Gottesdienstpraxis soll ein Vergleich von der aktuell gültigen evangelischen Agende und dem katholischen Messbuch dienen. Dieser Vergleich steht im Zentrum des Vortrags und soll die Frage einer Beantwortung näherbringen, ob es möglicherweise einen „differenzierten Konsens“ in der Gottesdienstpraxis zwischen den Konfessionen gibt. Als bereits vorhandenes und erprobtes Beispiel für eine ökumenische Liturgie möchte ich danach die Lima-Liturgie kritisch betrachten, bevor ich mit einem konkreten Vorschlag eine Perspektive für die liturgische Gestaltung evangelisch-katholischer Gottesdienstgemeinschaft aufzuzeigen versuche.
Evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft als Notwendigkeit gegenwärtiger kirchlicher Praxis und als ökumenische Realutopie
Jesus selbst hat seine Jünger beauftragt, in Ihm eins zu sein (Joh. 17,20ff.), so argumentieren theologisch gewöhnlich die, die für den beschleunigten Fortgang ökumenischer Annäherung eintreten. Oder man verweist soziologisch auf die fortschreitende Säkularisierung der Gesellschaft und die drohende Marginalisierung der Kirchen. Ich möchte darüber hinaus auf Erfahrungen gegenwärtiger kirchlicher Praxis hinweisen, nach denen evangelische Pfarrerinnen und Pfarrer zunehmend mit der Diastase zwischen kirchenrechtlicher Norm und faktischer Gemeindepraxis bei der römisch-katholischen Schwesterkirche konfrontiert sind. Als Beispiel sei genannt, dass etwa bei ökumenischen Trauungen vom katholischen Teil, vielfach in Unkenntnis der kirchenrechtlichen Sachlage, die gemeinsame Eucharistiefeier erbeten wird und diese gelegentlich von einem seelsorgerlich orientierten Priester dann auch mitvollzogen wird. In Sonderbereichen, z.B. bei den Studierenden- und Hochschulgemeinden ist vielerorts eine das gemeinsame Abendmahl einschließende evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft Ausdruck gemeinsam im Alltag gelebten Glaubens und jahrelang geübter Praxis geworden. Ähnlich verhält es sich bei manchen ökumenischen Hauskreisen, bei Basisgemeinden im Kontext von Eine-Welt Läden und bei ähnlichen Gruppierungen und Initiativkreisen. Dies geschieht nicht unbedingt in Opposition zur sogenannten römischen Amtskirche, sondern bei vielen Laiinnen und Laien aus Unklarheit bezüglich des offiziellen Reglements, das sich nicht mehr durchsetzen läßt, da es ja sogar für zahlreiche katholische Priester seine theologische und seelsorgerliche Überzeugungskraft verloren hat. Zusätzliche Brisanz erwarte ich für den Fragenkreis evangelisch-katholischer Abendmahlsgemeinschaft durch den ökumenischen Kirchentag im Jahre 2003 in Berlin. Dann spätestens stellt sich die Frage, ob nicht das, was vielerorts geschieht, nun in aller Öffentlichkeit und im Einklang mit den verfaßten Kirchen praktiziert werden sollte.
Für die katholische Kirche setzt diese Gottesdienstgemeinschaft Kirchengemeinschaft voraus. Diese macht von ihrem Selbstverständnis her eine wechselseitige Anerkennung der Ämter erforderlich auf der Grundlage gefundener Übereinstimmung im Glauben nach Überwindung gegenseitiger Lehrverurteilungen. Bereits 1985 stellte die vom römischen Einheitssekretariat und Lutherischem Weltbund eingesetzte ‚Gemeinsame Römisch-Katholische/Evangelisch-Lutherische Kommission‘ in dem Dokument ‚Einheit vor uns? Modelle, Formen und Phasen katholisch/lutherischer Kirchengemeinschaft‘ fest: „Die Gemeinsamkeit im Verständnis und Vollzug der Eucharistie ist im Laufe der letzten Jahre durch zahlreiche Dialoge zwischen unseren Kirchen auf verschiedenen Ebenen sehr gefördert worden. Bislang als gegensätzlich und darum als trennend erachtete Positionen in der Eucharistieauffassung (Messopferlehre; eucharistische Gegenwart) konnten im Bereich dieser Dialoge überwunden werden; viele der noch verbleibenden Unterschiede befinden sich innerhalb eines Bereiches von Gemeinsamkeit, der ihnen ihre trennende Kraft nimmt. In der liturgischen Gestaltung befinden sich beide Kirchen auf dem Weg einer wachsenden Gemeinsamkeit in den Grundvollzügen der eucharistischen Feier.“[6] Der Grad dieser Gemeinsamkeit soll nun untersucht werden.
Vergleich von aktuell gültiger evangelischer Agende und katholischem Messbuch – Getrennte geschichtliche Entwicklung von Agende und Missale
Die Einführung des ‚Evangelischen Gottesdienstbuches‘ am ersten Advent letzten Jahres schließt den offiziell seit 1980 andauernden Entwicklungsprozess einer ‚Erneuerten Agende‘ ab.[7] Der Vorentwurf, die sogenannte „Erneuerte Agende“ war 1990 vom Kirchenamt der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland und der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union gemeinsam herausgegeben worden.[8] Damit stellte der Vorentwurf ein erstes gemeinsames Agendenwerk für etwa 80% der evangelischen Kirchen in Deutschland dar.[9] Bei dem neu eingeführten Gottesdienstbuch handelt es sich um die Endfassung dieses Vorentwurfs, der eine intensive Diskussions- und Erprobungsphase auf den verschiedenen Ebenen kirchlichen Lebens zusammenfasst und abschließt. Es löst die seit 1954 im Bereich der VELKD verwendete Agende I[10] und die seit 1959 im Gebrauch befindliche Agende I der EKU ab. Das neue Gottesdienstbuch soll einerseits die Kontinuität zu den bisher gültigen Agenden festhalten, gleichzeitig jedoch Anregungen der neuen ‚liturgischen Bewegung‘ der Gottesdienstexperimente der 60iger und 70iger Jahre aufnehmen und integrieren.[11] Es will nicht ein bestimmte Formulierungen normierendes Vorlesebuch für den Liturgen sein, vielmehr geht es darum zu gottesdienstlicher Pluralität zu ermutigen, nämlich „…den Gottesdienst im Rahmen eines elementaren Grundgefüges jeweils situations- und gemeindegerecht zu gestalten.“[12]
In der römisch-katholischen Kirche werden die Messfeiern mit dem „Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebiets“ gehalten, dessen erste Auflage 1975 erschienen ist und das von einer Liturgischen Komission der deutschsprachigen Bischofskonferenzen im Anschluß an das Missale Romanum von 1970 erarbeitet worden ist.[13] Dieses Missale Romanum Pauls VI. setzte die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils in die liturgische Praxis um, wie sie in der Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ von 1963 von den Konzilsvätern dargelegt worden sind. Mit dem Missale Romanum von 1970 wurde nach 400jähriger Geltung das Missale Romanum Pius’ V. von 1570 außer Kraft gesetzt. Hatte für das Missale Pius’ V. die Privatmesse die Forma typica dargestellt, so kam die Gemeindebeteiligung im Missale Pauls VI. sehr viel stärker zur Geltung und die Gemeindemesse war nun die Grundform. Hatte das lateinische Missale einseitig die ex opere operato wirksame priesterliche Vollmacht betont, so wird nun nicht zuletzt durch die Einführung der Volkssprache die Beteiligung der Gemeinde, die vom Konzil pronunziert als „Volk Gottes“[14] verstanden wurde, stärker akzentuiert.[15] Damit nahm das Konzil Erfahrungen der vorkonziliaren liturgischen Erneuerungsbewegung auf.[16] Messfeiern ohne Gemeinde sollen nun die Ausnahme bilden, und durch die Einführung der Konzelebration, also der gemeinsamen Messfeier mehrer Priester, wird vermieden, dass in ein und der selben Kirche gleichzeitig mehrere Messen stattfinden.[17] Und -für unseren Zusammenhang besonders wichtig- :die Zahl der eucharistischen Hochgebete wurde zusätzlich zum römischen Messkanon, dem traditionellen eucharistischen Hochgebet der katholischen Kirche aus dem alten Missale, um drei weitere Hochgebete vermehrt und dadurch wurde die Bedeutung des von evangelischer Seite immer als anstößig empfundenen Messkanons relativiert.
Gemeinsamkeiten – Unterschiede – Problemfelder
Im folgenden konzentriere ich mich von evangelischer Seite auf „Grundform I Gottesdienst mit Predigt und Abendmahl“ und von katholischer Seite auf „Die Feier der Gemeindemesse“, obwohl die „Grundform II“, die dem oberdeutschen Predigtgottesdienst entspricht, eine gleichberechtigte Gottesdienstordnung des „Evangelischen Gottesdienstbuches“ darstellt. Denn „Grundform I“ stellt die in lutherischen Gemeinden vorherrschende und darüber hinaus zunehmend an Bedeutung gewinnende Gottesdienstordnung dar – sie entspricht dem sogenannten ökumenisch-westlichen Messtyp.
Gemeinsamkeiten
Gemeinsam ist dem evangelischen Gottesdienstbuch und dem katholischen Messbuch, dass es sich beim Gottesdienst mit Abendmahl bzw. Eucharistie um den klassischen Hauptgottesdienst handelt. Gemeinsam ist dem Gottesdienst mit Predigt und Abendmahl des Evangelischen Gottesdienstbuches und der Gemeindemesse des katholischen Messbuches die Anknüpfung an den Gottesdienst der lateinischen Kirche – beide entsprechen diesem sogenannten ökumenisch-westlichen Mess–Typ. Gottesdienst und Messe haben deshalb dieselbe Grundstruktur: Das evangelische Gottesdienstbuch gliedert den Gottesdienstverlauf folgendermaßen: (A) Eröffnung und Anrufung, (B) Verkündigung und Bekenntnis, (C) Abendmahl und (D) Sendung und Segen.[18] Das Messbuch strukturiert so: Eröffnung, Wortgottesdienst, Eucharistie, Abschluß.[19]
Auch wenn man die einzelnen Teile sich näher ansieht, überwiegen die gemeinsamen liturgischen Stücke gegenüber den unterschiedlichen.
Im Eröffnungsteil folgen in beiden Gottesdienstformularen auf ein Schuldbekenntnis Kyrie und Gloria, sowie das Tagesgebet. Auch im nächsten Teil, dem Wortteil, überwiegen die Gemeinsamkeiten, nämlich drei biblische Lesungen, Glaubensbekenntnis, Predigt und Fürbitten. Im Teil C, Abendmahl bzw. Eucharistie, sind gemeinsam: Eine Form von Gabenbereitung, Präfation, Sanctus, Einsetzungsworte, Vaterunser, Friedensgruß, Agnus Dei, Dankgebet. Der Teil D „Sendung und Segen“ bzw. schlicht „Abschluß“ genannt, enthält beide Male Abkündigungen und Segen. Aus evangelischer Sicht kann festgestellt werden, dass die für den Gottesdienst unverzichtbaren Elemente und liturgischen Stücke in der katholischen Messe somit genauso vorhanden sind wie im evangelischen Gottesdienst mit Predigt und Abendmahl.[20]
Sowohl Gottesdienstbuch als auch Missale gehen davon aus, dass eine besonders beauftragte Person dem Gottesdienst vorsteht und dass die Gemeinde durch Wechselgesänge, Akklamationen und Lobrufe in das gottesdienstliche Geschehen einbezogen ist. Die gesungenen liturgischen Stücke stimmen teilweise musikalisch überein oder ähneln einander. Beide Ordnungen sehen den Gemeindegesang vor, wobei „Evangelisches Kirchengesangbuch“[21] und Gotteslob einen Teil des Liedgutes gemeinsam haben. Beide Liturgien gehen davon aus, dass der Gottesdienst im allgemeinen am Tag der Auferstehung, also am Sonntagmorgen, stattfindet und ein offizieller gottesdienstlicher Raum zur Verfügung steht. Und beide stimmen natürlich darin überein, dass sie das liturgische Geschehen durch wiederholbare Ordnungen prägen, indem sie offiziell approbierte liturgische Bücher bereitstellen, die eine jahrhundertelange gottesdienstliche Tradition erschließen helfen sollen. Beide liturgischen Bücher bringen eine bestimmte konfessionelle spirituelle Ausprägung des christlichen Glaubens zum Ausdruck. Beide liturgischen Bücher sind aber auch Ausdruck einer Gottesdienstreform, sie lösen eine lange gültige Praxis ab und spiegeln sehr unterschiedliche liturgische Erneuerungsbewegungen wieder. Beide liturgischen Bücher werden ergänzt beispielsweise durch Lektionare und biblische Lesereihen, sowie durch zusätzliche rechtliche Ordnungen. Darüberhinaus gibt es bei beiden nicht nur untereinander Schnittmengen liturgischer Tradition, sondern eine Verbindung mit den liturgischen Traditionen der gesamten Ökumene.
Es ist nicht nur eine formale Übereinstimmung, die in dieser Verwendung derselben liturgischen Stücke und Gestaltungselemente zum Ausdruck kommt, sondern das übereinstimmende Bekenntnis zu demselben dreieinigen Gott und Vater, die Feier des Mahls desselben Herrn und Heilands und die Herabrufung desselben Heiligen Geistes auf die gottesdienstliche Versammlung, die einen weitreichenden Grundkonsens zur Sprache bringt.
Unterschiede
Trotz dieser Gemeinsamkeiten lassen sich bereits an den liturgischen Formularen von evangelischem Abendmahlsgottesdienst und katholischer Gemeindemesse deutliche Unterschiede ablesen. Man muß genau hinsehen, ob nicht in beiden liturgischen Formularen gemeinsame liturgische Elemente enthalten sind, die nach Inhalt und Funktion dann doch unterschiedlich sind. Das die Konfessionen unterscheidende Amtsverständnis zeigt sich am gesamten Duktus der Liturgien, die im Messbuch auf das liturgische Handeln des zelebrierenden Priesters ausgerichtet ist, während das evangelische Gottesdienstbuch vom Liturgen/der Liturgin spricht und damit deutlich macht, dass der evangelische Gottesdienst genauso von einer Frau, unter Umständen sogar von einem nicht ordinierten Laien oder einer Laiin geleitet werden kann.
Ein augenfälliger Unterschied zwischen evangelischem und katholischem Gottesdienst sind die zahlreichen festgelegten liturgischen Gesten und Bewegungen des Priesters. Dies spiegelt sich im Messbuch, das durch sogenannte Rubriken an der Wiederholung festgelegter Gesten und der Wiedererkennbarkeit des Ritus interessiert ist, während das evangelische Gottesdienstbuch auf Rubriken im katholischen Sinn verzichtet und unterschiedliche Gottesdienstgestaltungen ermöglichen will. Dem Messbuch ist das Interesse an der Wahrung der spirituellen Identität und liturgischen Tradition abzuspüren, während für das Gottesdienstbuch die Ermöglichung von volkskirchlicher Situationsgemässheit das Hauptanliegen darstellt. Ferner ist die Einteilung des liturgischen Jahres unterschiedlich, was an den im Messbuch abgedruckten liturgischen Texten zu den Gedenktagen der Heiligen deutlich wird.
Zu beachten gilt es den unterschiedlichen Umgang in den Kirchen mit Agende und Missale, was die Verbindlichkeit der Ordnungen betrifft, auch wenn die Praxis in beiden Kirchen noch einmal ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten hat.
Aber der im Zusammenhang eines Nachdenkens über evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft grundlegendste Unterschied betrifft die Eucharistiefeier. Schon rein quantitativ wird hier der konfessionelle Unterschied evident. So sind im Messbuch etwa 200 Seiten den verschiedenen am Kirchenjahr orientierten Präfationen und weiteren eucharistischen Gebeten gewidmet, während das evangelische Gottesdienstbuch nicht einmal 50 Seiten verschiedener Abendmahlsgebete anbietet. Dies zeigt die unterschiedliche Gewichtung, die ihren Grund darin hat, daß für die katholische Kirche der Regelfall die Messe ist, während die evangelische Kirche Gottesdienste ohne Abendmahl als vollgültige Gottesdienste anerkennt.
Eine unterschiedliche theologische Perspektive führt zu liturgischen Divergenzen: Während die evangelische Tradition im Abendmahlsgeschehen mit Nachdruck das Handeln Gottes betont und den Menschen als Empfangenden versteht, verbindet die katholische Liturgie das Handeln Gottes stärker mit dem Handeln der kirchlichen Amtsträger. Dies betrifft besonders den Fragenkreis des Opferverständnisses, der im folgenden Gebet höchst mißverständlich zum Ausdruck kommt: „Nimm uns an und gib, dass unser Opfer dir gefalle.“[22] Auch das nachkonziliare Messbuch spricht, aus evangelischer Sicht problematisch von der Eucharistie als von unserem, also einem menschlichen Opfer der Kirche. Damit ist der zentrale Streitpunkt der Abendmahlslehre der Reformationszeit berührt. Martin Luther hatte in seiner Schrift ‚Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche` von 1520 das Verständnis des Abendmahls als menschliches Opfer und opus operatum scharf kritisiert.[23] Das Konzil von Trient hat demgegenüber zwar auf dem Verständnis der Eucharistiefeier als Opfer beharrt, gleichzeitig aber betont, dass das ein für allemal vollbrachte Opfer Christi am Kreuz in der Eucharistie nicht wiederholt, sondern in der Messe lediglich repräsentiert werde. Die Liturgiereform des Zweiten Vatikanums, das vornehmlich ein pastorales und kein ausgesprochen dogmatisches Konzil zu sein beanspruchte, führte nicht zu einer Änderung bezüglich der Rede vom Opfer in den liturgischen Texten. Die konfessionelle Differenz wird deutlich in den eucharistischen Hochgebeten, insbesondere im römischen Messkanon, der im Messbuch Pauls VI. das erste Hochgebet darstellt. Der Messkanon setzt damit ein, dass der Priester über Brot und Kelch das Kreuzzeichen macht und zu Gott betet: „Nimm diese heiligen, makellosen Opfergaben an und segne sie. Wir bringen sie dar, vor allem für deine heilige katholische Kirche.“[24] Hier wird doch in einer bedenklichen Weise von einer Opfergabe gesprochen und diese Opfergabe als für die heilige katholische Kirche gegeben charakterisiert, so daß diese Formulierung von der reformatorischen Kritik Luthers nach wie vor getroffen wird. Bei solchen liturgischen Sprachmustern besteht die Gefahr sie im Sinne einer mittelalterlichen Sühnopfertheologie mißzuverstehen. Es wird zwar klargestellt, dass die Kirche nur Gott darbringt, was sie selbst empfangen hat, gleichzeitig wird aber die Eucharistiefeier in den Gesamtzusammenhang alttestamentlicher Opferpraxis gestellt: „So bringen wir aus den Gaben, die du uns geschenkt hast, dir, dem erhabenen Gott, die reine, heilige und makellose Opfergabe dar: das Brot des Lebens und den Kelch des ewigen Heiles. Blicke versöhnt und gütig darauf nieder und nimm sie an wie einst die Gaben deines gerechten Dieners Abel, wie das Opfer unseres Vaters Abraham, wie die heilige Gabe, das reine Opfer deines Hohenpriesters Melchisedek.“[25] Das neue Messbuch bietet zum römischen Messkanon noch drei weitere Hochgebete, wovon das zweite Hochgebet stärker christologisch ausgerichtet ist und die problematische Opferterminologie vermeidet, allerdings ebenfalls von der Darbringung vom Brot des Lebens und Kelch des Heils redet.[26] Auch im vierten Hochgebet kommt das von Luther kritisierte Verständnis vom Abendmahl als menschlichem, meritorischem Opfer zum Ausdruck: „So bringen wir dir seinen Leib und sein Blut dar, das Opfer, das dir wohlgefällt und der ganzen Welt Heil bringt.“[27] Hier werden traditionelle liturgische Formulierungen weiter verwendet, die durch den Fortgang des ökumenischen Dialogs längst überholt sein müßten.[28] Denn im evangelisch- katholischen Dokument „Das Herrenmahl“ von 1978 war übereinstimmend festgestellt worden: „Gemeinsam bekennen katholische und lutherische Christen, daß Jesus Christus im Herrenmahl `als der Gekreuzigte gegenwärtig ist, der für unsere Sünden gestorben und für unsere Rechtfertigung wieder auferstanden ist, als das Opfer, das ein für allemal für die Sünden der Welt dargebracht wurde`. Dieses Opfer kann weder fortgesetzt noch wiederholt, noch ersetzt, noch ergänzt werden; wohl kann und soll es je neu in der Mitte der Gemeinde wirksam werden.“[29]
Problemfelder
Auf zwei zusammenhängende ökumenisch ungelöste Probleme möchte ich aus evangelischer Sicht hinweisen: Da ist 1. die Frage von Funktion und Notwendigkeit eines eucharistischen Hochgebets. Durch den ökumenischen Dialog und den gesamten Prozess evangelisch-katholischer Annäherung[30] hat sich, gerade, was das eucharistische Hochgebet betrifft, eine Annäherung von im evangelischen Bereich verwendeten liturgischen Texten an katholische Hochgebete herausgebildet, die aber innerevangelisch höchst umstritten ist.[31] Beim Eucharistiegebet handelt es sich um ein im allgemeinen folgendermaßen strukturiertes Abendmahlsgebet mit diesen Elementen: Es setzt ein mit dem Präfations-Dialog und schließt mit der Doxologie. Präfation, Sanctus, Postsanctus, Einsetzungsworte, Anamnese und Epiklese zählen zum Kernbestand der Eucharistiegebete, auch die Gemeinde-Akklamationen gehören im allgemeinen dazu.[32] In den 70iger und 80iger Jahren sind in den verschiedenen Agenden und Agendenentwürfen evangelischer Kirchen eine Fülle solcher evangelischer Eucharistiegebete, die in Form und Inhalt an die eucharistischen Hochgebete des katholischen Messbuches erinnern, publiziert worden. Von den einen, wie etwa dem evangelischen Liturgiewissenschaftler Frieder Schulz, werden diese Eucharistiegebete als Frucht ökumenischer Konvergenz begrüßt, von anderen, wie der Kirchengeschichtlerin Dorothea Wendebourg, als „Eucharistisierung“ kritisiert.[33] Wendebourg weist hin auf den „… störrischen, sich der Integration ins Gebet widersetzenden Charakter des Einsetzungsberichtes …. Was den Einsetzungsbericht störrisch sein und bleiben läßt, ist vor allem die direkte Rede, auf die er hinausläuft: `Nehmt, eßt, das ist mein Leib!…Tut dies zu meinem Gedächtnis!` Mögen diese Sätze noch so sehr sprachlich gebrochen sein, als Zitate im Rahmen eines Berichtes, der seinerseits in die Form eines Gebets gebracht ist- sie haben eine Dynamik, die diese doppelte Brechung durchschlägt und Unmittelbarkeit schafft, die Unmittelbarkeit der Anrede nicht an Gott, sondern an die gegenwärtige nehmende, essende, das Gedächtnis haltende Gemeinde.“[34]
Dies zeigt an, dass die Diskussion in der evangelischen Kirche über ein Eucharistiegebet offen ist, und es kann hier keineswegs von einer ökumenischen Konvergenz in dieser liturgischen Kernfrage gesprochen werden. Jedenfalls scheint mir hier Gesprächsbedarf gegeben zu sein.
Ein ökumenisches Hauptproblem stellt 2. der Umstand dar, dass die Rede der eucharistischen Hochgebete des Messbuches vom Darbringen der Gaben in der Eucharistie und von der Eucharistie als Opfer überhaupt, im Widerspruch steht zu den Übereinstimmungen im Fragenkreis des Opfercharakters, den die Dokumente des offiziellen evangelisch-katholischen Dialogs konstatieren.[35] Dieser Widerspruch ist nicht allein mit dem zeitlichen Nacheinander von Messbuch aus dem Jahre 1970 und den in den 70iger und 80iger Jahren geführten Dialogen zur Abendmahlsfrage zu erklären, sondern läßt eine mangelnde Rezeption des ökumenischen Dialogs in der katholischen Kirche erkennen.[36]
Ökumenische Liturgie (Beispiel Lima-Liturgie)
Im Verlauf des ökumenischen Dialogs des 20. Jahrhunderts stellte sich immer wieder die Frage nach einer ökumenischen Liturgie[37], die die gewachsenen liturgischen Traditionen der Konfessionen aufnimmt und aus dem Überschneidungsbereich eine gemeinsame Gottesdienstordnung gestaltet. Vor allem das Dokument des bilateralen lutherisch-katholischen Dialogs ‚Das Herrenmahl‘[38] und das Ergebnis des multilateralen Dialogs ‚Taufe, Eucharistie und Amt‘ aus dem Jahr 1982[39], das sogenannte Lima-Papier gehen auch auf die liturgische Umsetzung der in diesen Dokumenten zum Ausdruck kommenden Konvergenz in der Abendmahlsauffassung ein. Im Anschluss an das Lima-Papier, das von der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung erarbeitet worden ist, zu der die im ÖRK vertretenen Konfessionen unter Einbeziehung katholischer Mitglieder gehören, war von einer Gruppe von Experten unter Federführung von Max Thurian, der Mitglied der ökumenischen Kommunität von Taize ist, eine eigene Liturgie, die sogenannte Lima-Liturgie[40], entwickelt worden, welche die in dem ökumenischen Konvergenztext gefundene Übereinstimmung in die liturgische Praxis umsetzen sollte.[41] Die Lima-Liturgie war für den Abschlussgottesdienst anlässlich der Tagung der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Lima am 15.1.1982 konzipiert worden, mit dem der 50igjährige Studienprozess von Faith and Order zu einem Abschluss gebracht worden ist.[42] Die Lima-Liturgie wurde bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver 1983 erneut gefeiert und erlangte in Deutschland durch die Verwendung bei Kirchentagen Bekanntheit, so dass sie in den 80iger Jahren ein in ökumenisch ausgerichteten Kreisen und bei ökumenischen Anlässen häufig verwendetes Gottesdienstformular darstellte.[43]
Die eucharistische Liturgie von Lima entspricht in der Anordnung der liturgischen Stücke dem abendländisch-ökumenischen Messtyp. Zur Eingangsliturgie gehört das Sündenbekenntnis, Kyrie-Litanei und Gloria. Mit Kollektengebet, biblischen Lesungen und der Predigt schließt sich der Wortgottesdienst an. Dann folgt eine meditative Stille, die mit dem Glaubensbekenntnis abgeschlossen wird. In Fürbitten wird alle menschliche Not vor Gott gebracht. Nun kommt die eucharistische Mahlfeier, die mit der Gabenbereitung beginnt und mit Präfation und Sanctus fortgeführt wird. Die Besonderheit der Lima-Liturgie stellt, neben der Aufnahme von liturgischen Texten aus verschiedenen Konfessionen, aus evangelisch-lutherischer Perspektive die doppelte Epiklese dar, die Einsetzungsbericht und Anamnese einrahmt. Die erste Epiklese ruft den Heiligen Geist herab auf die eucharistischen Gaben: „Lass das Ausgießen dieses feurigen Geistes unser Mahl der Danksagung so verwandeln, dass dieses Brot und dieser Wein für uns zum Leib und Blut Christi werden.“[44] In der zweiten Epiklese wird der Geist auf die feiernde Gemeinde herabgerufen: „Erfülle uns mit dem Heiligen Geist, wenn wir Christi Leib und Blut empfangen, dass wir ein Leib und ein Geist werden in Christus, ein lebendiges Opfer zum Lobe Deiner Herrlichkeit.“[45] Durch die doppelte Epiklese war versucht worden, der ostkirchlichen und gleichzeitig der katholischen liturgischen Tradition zu entsprechen und das Eucharistiegebet mit Epiklese und Anamnese wiederzugewinnen. Dies wurde beispielsweise von einigen lutherischen Theologen scharf kritisiert, da so die Einsetzungsworte in ihrer Bedeutung als Konsekrationsworte nicht mehr ausreichend zur Geltung kämen.[46] Aber vor allem hat die Wandlungs-Bitte in der Gaben-Epiklese und das Zurücktreten des Zuspruchs der Sündenvergebung in den liturgischen Lima-Texten zu Recht Anstoß erregt.[47]
Perspektive: Evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft bei ökumenischen Anlässen
Die Lima-Liturgie ist nicht zu der von manchen herbeigesehnten ‚missa oecumenica‘ für eine ökumenische Gottesdienstgemeinschaft geworden.[48] Die Lima-Liturgie spiegelt eine Schwierigkeit des multilateralen Dialogs, nämlich dass sie verschiedenen unterschiedlichen Gottesdiensttraditionen und Bekenntnisbindungen Rechnung tragen muss. Dies hat im Fall der Lima-Liturgie zu einer Addition liturgischer Elemente aus den unterschiedlichen Konfessionen geführt, die von vielen als befremdlich oder sogar als „…normative Maximal-Liturgie…“[49] empfunden wurde, die durch ihre Vielfalt den gottesdienstlichen Mitvollzug stark erschwert. Doch wie soll evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft denn dann Gestalt annehmen?
Wenn man an die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ denkt, so empfiehlt sich für die Frage einer evangelisch-katholischen Gottesdienstgemeinschaft die von der römisch-katholischen Kirche bevorzugte bilaterale Gesprächsmethode. Dabei ist die Berücksichtigung der liturgischen Fragen wichtig, wenn in Fortführung des offiziellen evangelisch-katholischen Dialogs die bereits gefundenen Übereinstimmungen in der Abendmahlsfrage gesichtet und gebündelt werden,. Auf Grund der ernüchternden Erfahrungen mit der Lima-Liturgie kann es nicht darum gehen, eine neue weitere Liturgie am Schreib- oder Konferenztisch zu entwerfen.
Lassen Sie mich noch einmal auf meinen Vergleich von Messbuch und Gottesdienstbuch zurückkommen: Ich würde die festgestellte Gemeinsamkeit als `differenzierte Konvergenz` in der Liturgie bewerten, der es ökumenisch Rechnung zu tragen gilt. Der von Landesbischof Friedrich und anderen Befürwortern der Gemeinsamen Erklärung geschätzte Begriff des `differenzierten Konsenses` geht mir zu weit, da in den liturgischen Formularen Unterschiede zutage getreten sind, die ich als gewichtige Divergenzen ernstnehmen und einer theologisch redlichen Problemlösung zugeführt sehen möchte. Der Konsensbegriff ist hier zu statisch und verunmöglicht Gespräch, indem er Unterschiede zudeckt.
Deshalb empfiehlt sich für evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft eine im Vergleich zur Lima-Liturgie weniger ambitionierte Vorgehensweise, die bereits liturgisch präfiguriert ist, nämlich bei der „Gemeinsamen kirchlichen Trauung“, einer Trauagende, die seit 1971 in Deutschland praktiziert und von den Gläubigen beider Konfessionen akzeptiert und geschätzt wird.[50] Rein kirchenrechtlich handelt es sich jeweils um einen evangelischen bzw. katholischen Traugottesdienst mit Beteiligung des Geistlichen oder der Geistlichen der anderen Konfession. Dabei werden zwei unterschiedliche, aber aufeinander abgestimmte liturgische Formulare verwendet, von denen eines stärker die liturgische Besonderheit der einen und das andere die der anderen Konfession berücksichtigt. Die verwendeten liturgischen Stücke konzentrieren sich vornehmlich auf die Elemente, die beiden Konfessionen gemeinsam sind und die Geistlichen beider Konfessionen beteiligen einander an der liturgischen Gestaltung. Für eine künftige Gottesdienstgemeinschaft bei besonderen ökumenischen Anlässen, wie beispielsweise der Woche der Einheit der Christen, legt sich für die Gestaltung des Gottesdienstes ein ähnliches Vorgehen nahe. Eine solche ‚Konvergenzagende‘, die sich an der Grundform 1 des evangelischen Gottesdienstbuches und der Gemeindemesse des Messbuches orientiert, könnte übereinstimmend folgende Gestaltungselemente enthalten: Eine Eingangsliturgie mit trinitarischem Gruß, Eingangspsalm[51], Kyrie und Gloria, den im katholischen Sprachgebrauch Wortgottesdienst genannten Teil mit drei biblischen Lesungen, Glaubensbekenntnis, Predigt und Fürbitten – einen Abendmahlsteil mit Präfation, Sanctus, Einsetzungsworten, Vaterunser, Agnus Dei und Austeilung und dem Sendungsteil mit Entlassung und Segen. In der stärker an der katholischen Tradition orientierten Variante legt sich ein dem 2. eucharistischen Hochgebet ähnliches Eucharistiegebet nahe, das auf mit den Ergebnissen des ökumenischen Dialogs unvereinbaren Opfervorstellungen oder die Anrufung von Heiligen verzichten müßte. Die evangelische Seite muß sich klar darüber sein, daß katholischerseits ein würdeloser Umgang mit den Abendmahlselementen als Infragestellung der Realpäsenz empfunden wird und die Leitung eines Abendmahlsgottesdienstes durch Nicht-Ordinierte evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft verunmöglicht. Ordinierte Frauen müssen jedoch katholischerseits unbedingt akzeptiert werden. Die an der evangelischen Tradition orientierte liturgische Variante kann ein spezielles Eucharistiegebet entbehren, nachdem die Notwendigkeit einer künstlichen liturgischen Synthese bei zwei Entwürfen entfällt.
Damit schlage ich für die evangelisch-katholische Gottesdienstgemeinschaft gerade nicht einen „differenzierten Konsens“ in der Gottesdienstgestaltung vor, in Entsprechung zu dem behaupteten differenzierten Lehrkonsens, sondern vorsichtiger und m.E. zutreffender eine „differenzierte Konvergenz“, die die verbliebenen Divergenzen nicht zu leugnen braucht. Wichtig ist dabei natürlich die Reziprozität des ökumenischen Prozesses, so daß auf der unter dem Vorsitz des katholischen Priesters stattfindenden gemeinsamen Eucharistiefeier in der katholischen Kirche bei nächster Gelegenheit ein gemeinsamer Abendmahlsgottesdienst in der evangelischen Kirche unter Leitung eines evangelischen Pfarrers oder einer Pfarrerin folgt[52]. Dabei ist darauf zu achten, dass die Gleichwertigkeit von Wort und Sakrament in der Gottesdienstgestaltung zur Geltung und in der Verkündigung die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders zum Ausdruck kommt.
Diese Praxis könnte einer evangelisch-katholischen Kirchengemeinschaft in versöhnter Verschiedenheit dienen, die den gewachsenen Konfessionen ihr Recht lässt[53] und doch die Gemeinsamkeit liturgischer Tradition zur Sprache bringt und durch Gottesdienstgemeinschaft Zeugnis ablegt für die nicht erst jüngst gefundene weitreichende evangelisch-katholische Glaubensgemeinschaft. In einer Stellungnahme zum Augsburgischen Bekenntnis bereits aus dem Jahr 1980 mit dem Titel „Alle unter einem Christus“ stellen die mit dem offiziellen ökumenischen Dialog beauftragten Theologen beider Konfessionen, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Grad bestehender liturgischer Gemeinsamkeit, fest: „So hat sich Katholiken und Lutheranern in Besinnung auf das Augsburgische Bekenntnis ein gemeinsames Verständnis in grundlegenden Glaubenswahrheiten erschlossen, das auf Jesus Christus, die lebendige Mitte unseres Glaubens, verweist. Dieser Grundkonsens findet seinen Ausdruck und seine Bestätigung…-in einem weitgehend gemeinsamen Verständnis der Eucharistie; …Wir haben noch wechselseitige Anliegen, gegenseitige Anfragen und gemeinsame Aufgaben. Jedoch sind diese umschlossen von einer tiefen Gemeinsamkeit im Zeugnis vom Herrenmahl und weitgehend auch in seinem liturgischen Vollzug.“[54] Die tiefste Gemeinsamkeit aller Christen besteht im Glauben und in der Hoffnung, daß Gott selbst seine Gemeinde zusammenführen wird von den Enden der Erde, um in seinem Reich das Mahl zu feiern, die liturgische Gestaltungsaufgabe für uns heute sehe ich darin, davon, wenn Gott seinen Geist dazugibt, etwas zumindest im Ansatz schon jetzt erfahrbar werden zu lassen.
Veröffentlicht in: Antonio Russo u. Gianfranco Coffele (Hg.), Divinarum Rerum Notitia. La teologia tra filosofia e storia, Studi in onore del Cardinale Walter Kasper, Roma: Edizioni Studium, 2001, S. 517-537.
[1] VELKD-Informationen Nr. 88, 4. April 2000, S. 4.
[2] Lutherischer Weltbund, Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, Frankfurt/Paderborn 2000 4.
[3] Gemeinsame Römisch-Katholische/Evangelisch-Lutherische Kommission, Einheit vor uns: Modelle, Formen u. Phasen kath./luth. Kirchengemeinschaft, Frankfurt 1985, S. 9f.; vgl. hierzu: Rehm, J., Das Abendmahl: Römisch-Katholische und Evangelisch-Lutherische Kirche im Dialog, Gütersloh 1993.
[4] Kirchenleitung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und im Auftr. des Rates von der Kirchenkanzlei der Evangelischen Kirche der Union (Hg.), Evangelisches Gottesdienstbuch: Agende für die Evangelische Kirche der Union und für die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands, Berlin u.a. 1999. (Abkürzung: Evangelisches Gottesdienstbuch)
[5] Dies betrifft nicht nur die Sammlung von Gebeten und liturgischen Stücken, sondern auch die Struktur des Gottesdienstes, so dass nicht mehr der oberdeutsche Predigtgottesdienst für die Reformierten als charakteristisch anzusehen ist, sondern sich ebenso der ökumenische Messtyp unter den angebotenen Gottesdienstordnungen findet. So läßt sich tatsächlich eine die Reformierten keineswegs ausschließende evangelische Gemeinsamkeit bezüglich der Gottesdienstgestaltung nach dem sogenannten Messtyp feststellen. vgl. Reformierte Liturgie: Gebete und Ordnungen für die unter dem Wort versammelte Gemeinde, im Auftrag des Moderamens des Reformierten Bundes erarb. und hrsg. von Peter Bukowski u.a., Wuppertal 1999.
[6] ebd. S. 48.
[7] vgl. Kerner, H., Die Erneuerung des Gottesdienstes – Gottesdienst als Gestaltungsaufgabe, in: Schmidt-Lauber, H.C., Bieritz, K.H. (Hg.), Handbuch der Liturgik: Liturgiewissenschaft in Theologie und Praxis der Kirche, Göttingen/Leipzig 1995 2, S. 971ff.
[8] Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands/Arbeitsgruppe „Erneuerte Agende“: Erneuerte Agende: Vorentwurf, Hannover u.a. 1990; Stalmann, J., Gottesdienst als Gestaltungsaufgabe, Pastoraltheologie, 77.Jg. 1988, S. 162ff.; vgl. die Beiträge des Themaheftes zur „Erneuerten Agende“ der Zeitschrift „Pastoraltheologie“, 79. Jg. 1990, S. 434 – 500.
[9] Auch nicht zur VELKD oder zur EKU gehörende Kirchen der EKD übernahmen in mehr oder auch weniger abgewandelter Fassung liturgische Texte und Strukturierungsvorschläge des Vorentwurfs.
[10] vgl. Grethlein, C., Abriß der Liturgik, Gütersloh 1991 2, S. 114ff.
[11] vgl. Cornehl, P., Gottesdienst VIII. Evangelischer Gottesdienst von der Reformation bis zur Gegenwart, TRE Bd. 14, Berlin-New York 1985, S. 78ff.
[12] Schulz, F., Agende – Erneuerte Agende – Gottesdienstbuch. Evangelische Agendenreform in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, Texte aus der VELKD 89/1999, S. 32.
[13] Bischofskonferenzen Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, Die Feier der heiligen Messe: Messbuch, Authentische Ausgabe, Freiburg u.a. 1988 2. (Abkürzung: Messbuch).
[14] Rahner, K., Vorgrimler, H., Kleines Konzilskompendium, Freiburg 1981 15, S. 132ff.
[15] Josuttis, M., in: Wintzer, F. (Hg.), Praktische Theologie, Neukirchen-Vluyn 1990 3, S. 74.
[16] In Deutschland kam diese Liturgische Erneuerungsbewegung besonders in einigen Benediktinerklöstern wie Beuron und Maria Laach zum Ausdruck und ist bleibend mit Namen wie Romano Guardini und Odo Casel verbunden. Schmidt-Lauber, H.C., Liturgische Bewegungen, TRE Bd. 21, Berlin-NewYork 1991, S. 401ff.
[17] Meyer, H.B., Eucharistie: Geschichte, Theologie, Pastoral, (Gottesdienst der Kirche; Teil 4), S. 320ff.
[18] Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 36.
[19] Messbuch, S. 323ff.
[20] vgl. Jüngel, E., Der evangelisch verstandene Gottesdienst, in: ders., Wertlose Wahrheit: zur Identität und Relevanz des christlichen Glaubens; theologische Erörterungen III, München 1990, S. 283ff., insbes. S. 309f.
[21] Evangelisches Gesangbuch (Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen), 1994.
[22] Messbuch, S. 346.
[23] „Die dritte Gefangenschaft dieses Sakraments ist der überaus gottlose Mißbrauch, durch den es gekommen ist, daß heute in der Kirche fast nichts verbreiteter ist, fester geglaubt wird, als daß die Messe ein gutes Werk und ein Opfer ist.“ Aland, K. (Hg.), Luther Deutsch, Bd. 2, Göttingen 1982 2, S. 183; vgl. Clemen, O. (Hg.), Luthers Werke in Auswahl, Erster Band, Berlin 1966 6, S. 443.
[24] Messbuch, S. 462.
[25] Messbuch, S. 474.
[26] Messbuch, S. 486.
[27] Messbuch, S. 508.
[28] „In ökumenischer Verantwortung wäre es dringend wichtig, diese neuen Hochgebete rasch einer gründlichen Revision im Sinne der allgemeinen Kirche zu unterziehen, die sowohl der Ostkirche als auch den Reformationskirchen entspricht.“ Seraphim, H.C., Meßopfer und Eucharistie. Weg und Irrweg der Überlieferung, Kerygma u. Dogma 44. Jg. 1998, S. 273.
[29] Meyer, H. u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung: sämtl. Berichte u. Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene; 1931-1982, Paderborn, Frankfurt 1983, S. 288.
[30] vgl. hierzu die Debatte zwischen Frieder Schulz und Theophil Müller in der Zeitschrift „Pastoraltheologie“: Schulz, F., Katholische Einflüsse auf die evangelischen Gottesdienstreformen der Gegenwart, Pastoraltheologie, 86. Jg. 1997, S. 134ff.; Müller, T., Katholische Einflüsse – „na und?“ oder „so nicht!“?, Pastoraltheologie, 86. Jg. 1997, S. 153ff.
[31] vgl. Schmidt-Lauber, H.C., Die Wiederentdeckung des eucharistischen Gebetes in den evangelischen Kirchen, Pastoraltheologie, 73. Jg. 1984, S. 134.
[32] Schulz, F., Das Eucharistiegebet in den Kirchen der Reformation als Frucht ökumenischer Konvergenz, in: Schlemmer, K. (Hg.), Gemeinsame Liturgie in getrennten Kirchen?, Freiburg u.a. 1991, S. 101.
[33] Wendebourg, D., Den falschen Weg Roms zu Ende gegangen? Zur gegenwärtigen Diskussion über Martin Luthers Gottesdienstreform und ihr Verhältnis zu den Traditionen der Alten Kirche, ZThK 94.Jg, 4/1997, S. 441.
[34] ebd. S. 447; Sie weist darauf hin, daß Luther die Einsetzungsworte bestimmt als „verkündigende Anrede Christi an die gegenwärtig feiernde Gemeinde.“ ebd. S. 460. Andere (vgl. auch: Neijenhuis, J., Luthers Deutsche Messe als Ermöglichung des Eucharistiegebetes. Eine Auseinandersetzung mit Dorothea Wendebourgs Beitrag: Den falschen Weg Roms zu Ende gegangen?, Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, Bd. 38, Göttingen 1999, S. 9ff.),wie der Praktische Theologe Hans-Christoph Schmidt-Lauber halten dagegen die Wiedergewinnung des Eucharistiegebets für weiterführend, da in der gesamten lateinischen Tradition, die von Luther an diesem Punkt noch verstärkt worden ist, die konsekratorische Wirkung einseitig auf die Einsetzungsworte konzentriert worden sei. vgl auch Schmidt-Lauber, H.C., Luther – Chance oder Hindernis im ökumenischen Dialog über die Eucharistie? Liturgisches Jahrbuch, 39. Jg. 1989, S. 89ff., insbes. S. 102f.; Schmidt-Lauber, H.C. u. Schulz, F., Kerygmatisches oder eucharistisches Abendmahlsverständnis? Antwort auf eine kritische Herausforderung der gegenwärtigen Liturgiewissenschaft, Liturgisches Jahrbuch, 49. Jg., 1999, S. 93ff. Daß der innerevangelische Gesprächsprozess in diesem Fragenkreis offen ist spiegelt sich in dem neuen Gottesdienstbuch von 1999, das einige Eucharistiegebete enthält, die unter der Überschrift „Abendmahlsgebete“ aufgeführt sind (Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 633ff.), während sie in der Erneuerten Agende von 1990 noch „Eucharistiegebete“ genannt worden waren (Erneuerte Agende, a.a.O. S. 618ff.).
[35] vgl. hierzu Seraphim, H.C., Messopfer und Eucharistie – Weg und Irrweg der Überlieferung, a.a.O., S. 238-273.
[36] Aus evangelischer Sicht möchte ich allerdings gerne selbstkritisch die Frage stellen, ob das evangelische Gottesdienstbuch nicht selbst ein ökumenisches Problem darstellt, da es eine solche Vielfalt theologisch nicht einfach harmonisierbarer liturgischer Texte bietet, dass es zwar Ausdruck protestantischer Pluralität ist, was aber andererseits den Nachteil für das evangelisch-katholische Gespräch kaum greifbarer Positionalität beinhaltet. vgl. in diesem Zusammenhang: Herms, E., Überlegungen zum Wesen des Gottesdienstes. Aus Anlaß des Entwurfs für eine „Erneuerte Agende“, KuD 40.Jg. 1994, S. 219ff. Diese von manchen beklagte Profillosigkeit darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bedeutung des evangelischen Gottesdienstbuches erheblich ist und über die in der VELKD und in der EKU zusammengeschlossenen Kirchen weit hinausreicht.
[37] vgl. Volp, R., Liturgik, Bd. 2, Gütersloh 1994, S. 883ff.
[38] Meyer,H.u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung: sämtl. Berichte u. Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene; 1931-1982, Paderborn, a.a.O., S. 271ff.
[39] ebd. S. 545ff.
[40] vgl. Kalb, F., Liturgie I, TRE Bd. 21, a.a.O., S. 369ff.
[41] Dieser bemerkenswerte ökumenische Prozess stellt eine unmittelbare Umsetzung der lex credendi in die lex orandi dar. Thurian, M. (Hg.), Ökumenische Perspektiven von Taufe, Eucharistie und Amt, Frankfurt u. Paderborn 1983, S. 225ff.
[42] ebd. S. 213ff.
[43] Einige Texte und Passagen finden sich in der Erneuerten Agende und im Evangelischen Gottesdienstbuch wieder.
[44] ebd. S. 231.
[45] ebd. S. 232.
[46] vgl. Slenczka, R., Die Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie, Amt und ihre Konsequenzen für Lehre und Gottesdienst, Kerygma u. Dogma, 31. Jg. 1985, S. 2ff., insbes. S. 6-10.
[47] Schulz, F., Die Lima-Liturgie. Die ökumenische Gottesdienstordnung zu den Lima-Texten. Ein Beitrag zum Verständnis und zur Urteilsbildung, Kassel 1983, S. 25 u. 27. Für evangelische Christen ungewohnt war auch das aus der anglikanischen Tradition übernommene Brotbrechen als liturgische Handlung das die Lima-Liturgie vor dem Agnus Dei und der Kommunion vorsieht.
[48] vgl. Schulz, F., Die Rezeption der Lima-Liturgie, Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie, 31. Bd. 1987/88, S. 1ff. Dabei ist zu bedenken, dass die Lima-Liturgie für eine bestimmte historische Gelegenheit entworfen worden ist und nicht zu dem offiziell von allen Kommissionsmitgliedern akzeptierten Text selbst gehört.
[49] Schulz, F., Die Lima-Liturgie. Die ökumenische Gottesdienstordnung zu den Lima-Texten. Ein Beitrag zum Verständnis und zur Urteilsbildung, a.a.O., S. 32.
[50] Deutsche Bischofskonferenz u. Rat der EKD (Hg.), Gemeinsame kirchliche Trauung, Regensburg, Kassel 1987 8.
[51] u.U. ergänzt durch fakultatives Sündenbekenntnis oder auch gemeinsamer Tauferinnerung
[52] im Sinne wechselseitiger eucharistischer Gastfreundschaft
[53] Der hier vorgetragene Vorschlag befördert gerade nicht eine zusätzliche dritte „ökumenische Konfession“ und überwindet die mancherorts geübte katholischerseits widerrechtliche Praxis.
[54] Meyer, H. u.a. (Hg.), Dokumente wachsender Übereinstimmung: sämtl. Berichte u. Konsenstexte interkonfessioneller Gespräche auf Weltebene; 1931-1982, a.a.O. S. 326f.