Über die Früchte des Geistes. Auslegung zu Galater 5,22f (1519)
Von Martin Luther
Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit. (Galater 5,22f)
Aus diesen Früchten machen unsere Theologen ihre besonderen ›Zustände‹, die der Seele als etwas Gestaltendes anhaften. Der Apostel aber stellt sie dar als lebendige Werke des Geistes, die durch den ganzen Menschen hin sich ausbreiten; setzt er sie doch den Werken des Fleisches entgegen.
Aber auch Geist bedeutet an dieser Stelle (trotz des Widerspruchs des Hieronymus) nicht den Heiligen Geist, sondern den geistlichen Menschen. Dann stehen sich also gegenüber die »Werke des Fleisches« und die »Früchte des Geistes«. Das »Fleisch« ist der »faule Baum, der Domen und Disteln hervorbringt«, der »Geist« ist der »gute Baum, der Trauben und Feigen hervorbringt«, wie es Matthäus 7,16ff heißt. … Ferner wählt der Apostel beim Fleisch die Bezeichnung »Werke«, nicht »Früchte«; beim Geist sagt er »Früchte«, nicht »Werke«. Warum das? Doch wohl darum, weil die Werke des Fleisches nichts nütze sind, da ja Dornen und Disteln niemand genießen kann; das sind vielmehr böse Werke, die nur schaden. Die Werke des Geistes dagegen sind nützlich, und wir können sie genießen in alle Ewigkeit: sie sind Feigen und Trauben des verheißenen Landes; also tragen sie mit Recht den ehrenvollen Namen »Früchte«.
Die erste Frucht ist die Liebe. Von ihr haben wir schon gesagt, sie sei kein verborgener Zustand; vielmehr, wie der selige Augustin vom Glauben sagt, dass jeder ihn mit völliger Sicherheit erkenne, wenn er ihn habe, so spürt es auch jeder gewiss, wenn er Hoffnung hat, und ebenso erkennt er auch mit völliger Sicherheit die Liebe, wenn er sie hat, zumal zur Zeit der Anfechtung. Sie ist also eine zärtliche Hinwendung zu dem Gott, der uns zürnt, und zu dem Nächsten, der uns kränkt. Denn da beweist sich die Liebe zu Gott, wo er verwundet und verstört; das hat sich bei den Märtyrern gezeigt und beim Leiden Christi. Die Liebe zum Nächsten aber beweist sich da, wo der Nächste uns kränkt und nur Hass zu verdienen scheint. Im Übrigen gibt es fast keine Tugend, die für die Heuchelei leichter zugänglich ist, und zwar so sehr, dass der Apostel in Römer 12,9 nur um dies Eine sich sorgte und sagte: »Die Liebe sei ohne Falsch.« Gott hat nämlich viele Liebhaber von der Art, wie sie im Psalm (49,19) beschrieben werden: »Er preist dich, wenn du ihm wohl tust«, und Psalm 78,36: »Und sie liebten ihn mit ihrem Munde und belogen ihn mit ihrer Zunge.« Es mag also wohl die Liebe im Verborgenen bleiben, solange Friede ist; bricht aber Feindschaft aus, dann kommt uns nichts lebhafter zum Bewusstsein als die Liebe, die Hoffnung und der Glaube, – es wäre denn, dass man auch des Unglaubens, der Verzweiflung und des Hasses sich nicht bewusst würde.
Freude, die zweite Frucht, ist (in gleicher Weise wie die Liebe) Freude an Gott und Freude am Nächsten. An Gott: wenn wir uns freuen über das göttliche Erbarmen, auch mitten in den Ungewittern der Welt den Herrn loben und preisen im Feuerofen Tag und Nacht. Freude am Nächsten aber ist: wenn wir ihn nicht um seine Güter beneiden, sondern ihn dazu beglückwünschen, als wären es unsere eigenen, und Gottes Gaben an ihm loben. Aber wie die, welche dem Fleisch anhangen, nur bei heiterem Himmel Liebe vortäuschen, so halten sie’s auch mit der Freude. Sie loben Gott und die Gaben Gottes an den Menschen, aber nur solange, bis man ihnen wehe tut. Dann platzen die Werke des Fleisches hervor, dann schmähen sie die Gaben Gottes, die sie zuvor gelobt hatten, und werden unwillig, wenn ihre Schmähung nichts erreicht und der gute Ruf des Nächsten keinen Abbruch erleidet. Es glaubt nämlich niemand, wie abgründig die Bosheit des Fleisches ist; so viele führt sie auf dem Weg der Selbstsicherheit ins Verderben, bis dann der Augenblick der Anfechtung und Prüfung gekommen ist. Klar und unmissverständlich erscheinen die Worte des Apostels. Aber wenn du sie ins praktische Leben überträgst, wirst du finden, wie schwierig es ist, die Werke des Fleisches nicht zu vollbringen. Von ihnen dünken sich jene »Unverständigen« (Gal 3,1) himmelweit entfernt, während sie doch in Wirklichkeit ganz erfüllt sind davon […]
Die dritte Frucht ist der Friede, der auch seinerseits wieder ein zweifacher ist. In Gott: da ist er das gute Gewissen, das sich auf die Barmherzigkeit Christi gründet. Zuweilen aber ist er »höher als alle Vernunft« (Phil 4,7), – dann nämlich, wenn er gestört wird dadurch, dass Gott sich verbirgt und sein Anlitz abwendet und also das Gewissen sich selbst überlassen bleibt. Friede mit dem Nächsten aber ist da, wo man dessen Willen nachgibt. Denn dieser Friede mit den Menschen kann niemals Bestand haben, wenn jeder das Seine rechtfertigt, verteidigt, sucht und verlangt. So haben heutzutage der römische Gerichtshof und die Gerichtsstellen die Kirche mit Streitigkeiten, Händeln und Prozessen erfüllt. Währenddem aber begnügen sie sich mit dem armseligen bisschen Frieden, über den sie mit ihren eigenen Leuten eins werden; damit verschaffen sie sich selbst einen »Deckmantel« der Bosheit, so dass ihnen nichts ferner liegt als die Vermutung, sie könnten in Fleischeswerken untergegangen sein. Denn sie achten nicht darauf, mit wie vielen sie im Streit leben, sondern nur darauf, mit wie vielen sie in Eintracht leben. Für die andern haben sie sogar noch Belehrungen über den Frieden bei der Hand. Rein gar nichts verstehen sie von dem Frieden, den der Apostel (Röm 12,18) mit den Worten preist: »So viel an euch ist, so habt mit allen Menschen Frieden.« Und Matthäus 5,9: »Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen.«
Die Zerschlagung dieses Friedens aber wissen die Herren Juristen mit einem ganz gewaltigen Aufwand von Gelehrsamkeit zu entschuldigen. Da stellen sie die Lehre auf, man müsse Gewalt mit Gewalt vertreiben und führen großartige Reden im Munde, man müsse die Gerechtigkeit schützen. Als ob es nicht die allerhöchste Gerechtigkeit wäre, seine eigene Gerechtigkeit fahren zu lassen und dem Gegner, der den Mantel nehmen will, nachzugeben und auch noch den Rock dazu zu tun (Matth 5,40)! Kurz, es ist unmöglich, an das Evangelium und an menschliches Recht zugleich sich zu halten. Daher ist es auch unmöglich, dass der Friede zugleich mit menschlichem Recht bestehen bleibe, ganz besonders in unseren Tagen, wo das Evangelium nichts gilt und das Recht alles in allem ist. Hier handelt es sich um den Engel in Offb 6,4, der im Zorn Gottes ausgesandt wird, »den Frieden zu nehmen von der Erde«.
Die vierte Frucht ist die Langmütigkeit, griechisch macrothymia. Das ist also hier nicht dasselbe wie hypomone, d. h. bloßes Dulden, auch nicht wie anoche, d. h. bloßes Ertragen (wiewohl der selige Hieronymus unter Geduld und Langmütigkeit dasselbe verstehen will). Sondern da scheint ein Unterschied zu bestehen: ob ich die Bösen nur »ertrage«, oder ob ich ihre Kränkungen »dulde«, und ob ich dazuhin noch auf ihre Besserung hoffe, ihre Rettung herbeiwünsche und auf alle Rachegedanken verzichte. Dies aber ist die besondere Eigenschaft der Langmütigkeit. So heißt es Römer 2,4: »Oder verachtest du den Reichtum seiner Güte, Geduld und Langmütigkeit?« »Güte« ist es, wenn er ihnen wohltut; »Geduld«, wenn er duldet, dass sie seine Wohltaten missbrauchen und in ihrer Undankbarkeit Gutes mit Bösem vergelten; »Langmütigkeit« ist’s, wenn er auf ihre Besserung hofft.
Die fünfte Frucht ist die Freundlichkeit, die sechste die Gütigkeit. Diese unterscheiden sich nach der Meinung des Hieronymus folgendermaßen: Die Freundlichkeit ist eine sanfte, gewinnende, stille Tugend, geschickt, an allem Guten sich zu beteiligen, die zum vertrauten Verkehr mit sich einlädt, die liebevolle Worte braucht und im Benehmen den rechten Ton findet. … Man sagt ja von jemand, der kein anziehendes Wesen hat: »Er ist ein guter Mensch, aber er weiß sich dem Benehmen der Leute nicht anzupassen; er ist rechtschaffen, aber gar zu unfreundlich und nicht leutselig.« Gütigkeit kann also eine ernstere Art an sich haben und strenge Falten auf der Stirn tragen; dennoch ist sie bereit, Gutes zu tun, sie schadet niemand und nützt allen, aber es fehlt ihr ein gewisser menschlich-umgänglicher Zug.
Die siebte Frucht ist der Glaube. Der heilige Hieronymus versteht darunter den Glauben, den der Apostel in Hebräer 11,1 beschreibt als »eine gewisse Zuversicht des, das man hofft«. … Es kann aber »Glaube« an dieser Stelle auch ganz sinnvoll verstanden werden als »Wahrhaftigkeit« oder »Treue« oder »Einfalt, die niemand betrügt« und die ja im Geschäftsleben und im Zusammensein der Menschen untereinander von dringendster Notwendigkeit ist. So finden wir also auch beim Glauben eine zweifache Form: das Trauen Gott gegenüber, dem wir treu sind, — nicht so sehr darin, dass wir unsere Versprechungen einhalten, als vielmehr darin, dass wir seinen Verheißungen glauben. Und dann das Trauen einem Menschen gegenüber, dem wir treu sind, indem wir beharrlich und fest stehen zu unseren Abmachungen und Versprechungen.
Die achte Frucht ist die Sanftmut; die stellt Hieronymus dem Zorn und Zank gegenüber. Sie ist von der Langmütigkeit wohl nur schwer zu unterscheiden. Doch ist die Sanftmut und Ver-söhnlichkeit bekannt als eine Tugend, die sich nicht zum Zorn reizen lässt und nicht Rache sucht. Über sie hinaus geht die Langmütigkeit, welche auf die Besserung der Bösen hofft, auch dann, wenn man nicht von ihnen gereizt wurde.
Die neunte Frucht ist die Enthaltsamkeit oder besser Mäßigung. Dabei müssen wir nicht nur an die Keuschheit denken, sondern auch an das Trinken und Essen. Daher ist im Wortsinn beides eingeschlossen: Keuschheit und Maßhalten. Also legt der Apostel hier auch der Ungebundenheit von Eheleuten Zügel an, dass sie maßvoll leben und durch Zurückhaltung die Lust des Fleisches mäßigen.
Auslegung zu Galater 5,22f aus der Vorlesung über den Galaterbrief von 1519, übersetzt von Immanuel Mann (vgl. WA 2, 592-596).
Quelle: Martin Luther, Kommentar zum Galaterbrief, hrsg. v. Wolfgang Metzger, Calwer Luther-Ausgabe, Bd. 10, München-Hamburg 1968, S. 254-258.