Johannes Meyendorff, Christus als Erlöser im Osten (1985): „Diese Lehre von der Erlösung durch Vergöttlichung hätte als neuplatonische Konzeption der ‚Verschmelzung‘ zwischen Gott und der Schöpfung identifiziert werden können, wenn es nicht in ihrem Zentrum die starke ‚theopaschitische‘ Behauptung gäbe, die von Cyrill von Alexandria verteidigt wurde: ‚Der Sohn Gottes hat im Fleisch gelitten.‘ Dies bedeutet, dass die Erlösung keineswegs eine metaphysische ‚Verschmelzung‘ ist, sondern eine Tragödie der Liebe, einschließlich der Übernahme des Kreuzes durch Gott selbst. Aber gleichzeitig ist klar, dass Golgatha nicht einfach der Preis ist, der allein eine beleidigte göttliche Gerechtigkeit wiedergutmacht, sondern nur der Endpunkt der Identifikation Gottes mit der gefallenen Menschheit, auf die die Auferstehung folgt und die ein Teil der gesamten Heilsökonomie oder des Heilsplans ist.“

Christus als Erlöser im Osten

Von Johannes Meyendorff

ALLEN DREI synoptischen Evangelien zufolge stellte Jesus auf dem Weg nach Cäsarea Phi­lippi, wenige Tage vor dem Ende seines messianischen Wirkens in Jerusalem, seinen Jüngern eine Frage über ihren Glauben an seine persönliche Identität: Die Antwort kam von Petrus, der erklärte, Jesus sei „der Messias“, ho christos (Mk 8,29; Lk 8,20), oder „der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16). Verschiedene theologische Schulen haben die Antwort des Petrus unterschiedlich interpretiert, aber alle stimmen darin überein, dass die gesamte Bedeutung der christlichen Erfahrung von ihr abhing. Was immer Jesus sagte, was immer er tat, hing in der Tat von seinem messianischen Dienst ab; was immer er am Kreuz erlebte, was immer die konkrete Realität seiner Auferstehung war, hing in seiner letztendlichen Bedeutung von seiner persönlichen Identität ab. Diese Bedeutung wäre radikal anders, wenn er Elia, Jeremia oder einer der Propheten (Mt 16,14), oder ein Engel (jüdisches eschatologisches Denken), oder eine leidenschaftslose Theophanie (die Gnostiker), oder ein von Gott angenommenes Geschöpf (Paulus von Samosata), oder einer der vielen geschaffenen „Intellekte“, die sich nicht dem Sündenfall unterwarfen (Origenes), oder ob man, indem man ihm begegnete, Jahwe selbst begegnete, so dass orthodoxe Juden zu Boden fielen, als sie seinen Namen aussprachen (Joh 18,6).

In gewissem Sinne lassen sich alle lehrmäßigen Debatten der christlichen Geschichte auf eine Debatte über die Identität Christi reduzieren. In der Zeit zwischen der apostolischen Zeit und dem Hochmittelalter wurden verschiedene christologische Positionen brillant dargelegt und leidenschaftlich verteidigt. Betrachtet man jedoch das Schicksal der historischen katholischen oder orthodoxen christlichen Tradition, so war kein christologischer Standpunkt so entscheidend für das Wesen der Spiritualität wie der zweier bedeutender Bischöfe aus Alexan­dria in Ägypten: Athanasius und Cyrill.

Die Leistung von Athanasius (gest. 373) ist relativ gut bekannt. Er führte den Kampf um den Glauben von Nizäa (325) an, in dem die Göttlichkeit Christi fest verkündet wurde. Fast im Al­leingang sicherte er den Triumph von Nizäa. Doch dieser Sieg war nicht nur lehrhaft, sondern auch geistlich. Die Botschaft des Athanasius lautete, dass nur Gott selbst als Erlöser gesehen und angebetet werden kann. Die göttliche Identität Jesu, der dem Vater gleich (oder „we­sensgleich“ mit ihm) war, war also keine abstrakte oder rein theologische Wahrheit, sondern sie wies auf das Elend der gefallenen, „sterblichen“ Menschheit hin – die sich weder selbst ret­ten konnte noch von einem anderen „Geschöpf“ gerettet werden konnte – und auf das wahre Wesen Gottes, der, da er die Liebe ist, selbst die Rettung der Welt vollbrachte, anstatt indirekt durch geschaffene Mittler oder durch ein allmächtiges, aber mechanisches Fiat zu handeln. Für Athanasius ist das Heil die Wiederherstellung der direkten Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen, denn alles andere als eine solche Gemeinschaft würde eine Einschränkung der göttlichen Liebe bedeuten. Daher seine berühmte Definition des Heils als „Vergöt­tlichung“ (theosis), die zu einem Standard des griechischen patristischen Denkens wurde.

Die Bejahung der Göttlichkeit Christi in den Kategorien von Nizäa und Athanasia warf un­weigerlich die Frage nach dem historischen Jesus als Mensch auf. Diese Frage war Gegen­stand langer Debatten, Schismen und der Suche nach geeigneten Definitionen auf Konzilien – Ephesus (431), Chalcedon (451), Konstantinopel II (553), Konstantinopel III (680) und Ni­caea II (787). Das Ergebnis war ein Bekenntnis zu einem einzigen christologischen Dogma im Osten und im Westen, obwohl Unterschiede in der spirituellen Vision der Realität des „Lebens in Christus“ bestehen blieben. Im Mittelpunkt dieser Debatten standen die Gestalt und die Lehre von Cyrill von Alexandria (gest. 444).

Cyrill: Christus der Immanuel

Bevor Cyrill von Alexandrien sich in erbitterte theologische Debatten mit Nestorius (428-31) verwickelte, erschien die grundlegende Inspiration seines Verständnisses des christlichen Ge­heimnisses in seinen heiteren und nicht kontroversen exegetischen Schriften, insbesondere in seiner Auslegung des Johannesevangeliums und seinen Kommentaren zu anderen neutestamentlichen Schriften. Hier ging es Cyrill nicht in erster Linie darum, seinen Lesern ein ration­ales Schema der Inkarnation zu vermitteln, sondern ihre kerygmatische Bedeutung zum Ausdruck zu bringen: Gott, der „allein Unsterblichkeit hat“ (1 Tim 6,16), ist der einzige Erlöser von Vergänglichkeit und Tod. Dies war auch die zentrale Inspiration von Athanasius in seinem frühen und berühmten Traktat Über die Menschwerdung des Wortes, das er in seiner Polemik gegen Arius aufrechterhielt: Nur Gott kann retten. In ähnlicher Weise verkün­dete Cyrill in einer Kontroverse einmal ganz selbstverständlich, indem er Jesaja 63,9 para­phrasierte, dass „nicht ein Ältester, auch nicht ein Engel, sondern der Herr selbst uns gerettet hat, nicht durch einen fremden Tod oder durch die Vermittlung eines gewöhnlichen Menschen, sondern durch sein eigenes Blut“.[1]

Diese Anerkennung Gottes als Heilsbringer zeigt sich auch in der wiederholten Verwendung des Titels „Immanuel“ (was übersetzt „Gott mit uns“ bedeutet) für Christus, insbesondere in den berühmten zwölf Anathemen von Cyrill in seinem dritten Brief an Nestorius.[2] Wie Atha­nasius vor ihm konnte Cyrill die göttliche Liebe, die sich in der Menschwerdung mani­festierte, nicht als wirklich vollkommen ansehen, wenn sie nicht ein Akt der Selbsthingabe Gottes war. Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab“ (Joh 3,16). Dies implizierte die persönliche Gegenwart Gottes in der menschlichen Realität von Je­sus von Nazareth.

Die christologische Strömung, die in Antiochia mit Theodor von Mopsuestia ihren Anfang nahm und von Nestorius am offensten gepredigt wurde, beruhte auf der Befürchtung, dass das Menschsein Jesu von den Befürwortern der „Vergöttlichung“ völlig ignoriert werden würde. Deshalb konzentrierte sich die Kontroverse gegen Nestorius, die Cyrill mit solcher Energie und Konsequenz führte, auf die beiden menschlichsten Momente in der Geschichte Jesu im Evangelium: seine Geburt von Maria und seinen Tod am Kreuz. Obwohl Cyrill immer aner­kannte, dass diese beiden Momente zur göttlichen Ökonomie im Fleisch gehören – das heißt, dass der ewige Gott von Natur aus weder in der Geschichte geboren werden noch sterben konnte –, war er der Ansicht, dass die Erlösung der Welt nicht stattgefunden hätte, wenn nicht der Sohn Gottes persönlich von der Jungfrau geboren worden wäre und auch persönlich am Kreuz „nach dem Fleisch“ gelitten hätte.

Die gesamte spirituelle Erfahrung, die sich in Cyrills Christologie widerspiegelt, impliziert zwei zentrale Intuitionen: (1) Gott macht auf der Suche nach der gefallenen Menschheit (siehe das Gleichnis vom „verlorenen Schaf“) nicht auf halbem Weg Halt, sondern geht dorthin, wo die gefallene Menschheit ist – in den Tod selbst. (2) Es ist nicht ein ideales, vollkommenes Menschsein, das der Sohn Gottes annimmt, sondern jenes Menschsein, das alle Folgen der Sünde trägt, insbesondere die Sterblichkeit und die Verderblichkeit. Abgesehen von der Sünde selbst – einem persönlichen Akt der Rebellion gegen Gott, der Christus als Gott völlig fremd blieb – hat er alle Grenzen des Sündenfalls auf sich genommen, einschließlich Leiden und Tod.

Während der erbitterten christologischen Kontroversen des fünften und sechsten Jahrhunderts wurde die Christologie des Cyrill von zwei Seiten angefochten:[3] (1) Erstens spiegelte die Schule des Theodor von Mopsuestia, die schließlich in der Person des Nestorius, Erzbischof von Konstantinopel, verurteilt wurde, nicht nur eine legitime Sorge um die volle und freie Menschlichkeit Christi wider, sondern versuchte auch, das Mysterium zu rationalisieren (Wie konnte der ewige Sohn „geboren werden“? Wie konnte der leidenschaftslose Gott „leiden und sterben“?). Sie akzeptierte die griechisch-platonische philosophische Kategorie der göttlichen Unveränderlichkeit (atrepsia) als absolut, was so realistische Behauptungen wie eine göttliche Geburt in der Zeit oder den Tod des Gottessohnes auf Golgatha ausschloss. (2) Zweitens wurde die cyrillische Sichtweise von Jesus Christus auch von jenen in Frage gestellt, die sie in einem „apollinarischen“ Sinn interpretierten. Wiederum auf der Grundlage des Platonismus sah Apollinaris, Bischof von Laodizea, Jesus als Gott mit einem menschlichen Körper, aber ohne menschliche Seele: Warum sollte er neben dem göttlichen Logos noch ein anderes geis­tiges Zentrum brauchen? Aber war er dann wirklich ein Mensch, da ihm eine spezifisch menschliche geistige Identität fehlte? Noch ausgefeilter als der Apollinarismus war die Lehre des Julian von Halikarnassos, der behauptete, dass die sündlose Menschlichkeit Jesu nicht durch Verderblichkeit (griech. phthora) und Sterblichkeit beeinträchtigt werden könne, da der Tod „durch die Sünde“ (Röm 5,12) gekommen sei. Daraus folgt, dass das Menschsein Jesu ein vollkommenes, unbestechliches Menschsein war, in dem Sinne, dass es unserer gefallenen Natur nicht gänzlich glich, und dass daher sein Tod nicht wie unser Tod war.[4]

Zweifellos benutzte Cyrill eine zweideutige Terminologie (wie seine Formel von der einen Natur, die Gott, das Wort, verkörpert, die er unwissentlich von Apollinaris entlehnt hatte), aber seine Ablehnung des Nestorianismus war nicht durch einen „anthropologischen Minimal­ismus“ motiviert (dieser von Georges Florovsky verwendete Ausdruck ist daher wahrschein­lich falsch), sondern im Gegenteil durch die Überzeugung, dass das menschliche Schicksal in der Gemeinschaft mit Gott liegt – eine letztlich maximalistische Sicht des Menschen. Der Nes­torianismus bestand im Gegenteil in einer rationalisierenden Auffassung von der Unverein­barkeit des Göttlichen und des Menschlichen: Die Person Christi, in der sich Göttlichkeit und Menschlichkeit begegnen, erschien als ein Nebeneinander von zwei für einander undurchlässi­gen Entitäten. Nach Nestorius behielt die menschliche Natur Christi nicht nur ihre Identität, sondern auch ihre Autonomie. Die Geburt und der Tod Christi waren rein menschlich. Maria war die Mutter „Jesu“, nicht „Gottes“. Jesus starb als „Menschensohn“, nicht als „Sohn Gottes“. Diese Dualität, die eine andere Anthropologie implizierte, lehnte Cyrill ab. Ander­erseits konnte er einfach nicht mit sich selbst im Reinen sein, wenn er eine ähnliche Lehre wie Apollinaris oder Julian vertrat. Gerade weil Christus die existenziell vollständige Menschheit – in einem gefallenen Zustand, aus dem sie gerettet werden musste – annahm, musste der göt­tliche Logos Leiden und Tod auf sich nehmen. Um sie durch die Auferstehung zur Unbestech­lichkeit zu führen, stieg er zunächst dorthin hinab, wo die gefallene Menschheit wirklich war – „in die Tiefe der Grube“ (Ps 88,6) – und rief dann vor seinem Tod: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mt 27,46). Dieser Moment war in der Tat „der Tod Gottes“: die Übernahme der Menschheit in ihrem Zustand der Trennung von ihrer „natürlichen“ Gemeinschaft mit Gott durch Gott selbst, in einem letzten Akt der Liebe. Das Menschsein Christi war also weder ver­mindert noch begrenzt: Es war das Menschsein in seinem konkreten Gefallensein.

Es liegt auf der Hand, dass einige Aspekte der Christologie von Cyrill klarer definiert werden mussten. Das Konzil von Chalkedon (451) bekräftigte die Lehre von den zwei Naturen Christi in ihrer Unterscheidbarkeit und die Lehre von der hypostatischen (nicht „natürlichen“) Ver­einigung der beiden Naturen. Aber sie verleugnete Cyrill keineswegs: Sie versuchte nur, den berechtigten Befürchtungen der Antiochener zu begegnen, Cyrill sei dem Apollinarismus ver­fallen. Nicht nur schreibt die chalkedonensische Definition selbst den Titel Theotokos ausdrück­lich der Jungfrau Maria zu, sondern – nach einigem Zögern in der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts – bekräftigte die orthodoxe Kirche auf dem Fünften Konzil (553), dass die Krite­rien der christologischen Wahrheit bei Cyrill und Chalkedon liegen.

Wie wir bereits erwähnt haben, implizierte die cyrillische Christologie, dass Göttlichkeit und Menschlichkeit miteinander vereinbar waren, aber auch, dass Christi eigenes besonderes Menschsein, obwohl es mit allen Folgen des Sündenfalls behaftet war, durch das Kreuz und die Auferstehung vergöttlicht wurde und so den wahren Zweck der Schöpfung in Überein­stimmung mit ihrem göttlichen Vorbild offenbarte. Christus war der neue Adam, weil in ihm Menschlichkeit und Göttlichkeit wieder vereinigt wurden.

Die christologischen Definitionen der Konzile von Ephesus (431), Chalcedon (451) und Kon­stantinopel II (553) sowie das Dogma von Konstantinopel III (680) über die zwei Testamente Christi gingen in die gemeinsame Tradition der östlichen und westlichen Christenheit ein. Der Westen blieb jedoch gegenüber der Lehre von der „Vergöttlichung“ etwas zurückhaltend. Der Widerstand gegen das Konzil von 553 – und die römischen Päpste, die es akzeptierten – dauerte bis ins siebte Jahrhundert. Auch später blieb eine analytischere und rationalere Sorge um die Bewahrung des Menschseins Jesu – ähnlich wie in der antiochenischen Tradition des Theodor von Mopsuestia – im westlichen christologischen Denken vorherrschend. Erlösung und Heil wurden tendenziell eher als „Versöhnung“ mit Gott denn als wiederhergestellte „Ge­meinschaft“ mit Gott verstanden. Die Anselmsche Lehre von der Erlösung als „Genugtuung“ war das letzte Ergebnis dieser Entwicklung.[5]

Auf der Ebene der Frömmigkeit und der Spiritualität begann das Bild des leidenden Jesus – der „den Preis für unsere Sünden bezahlt“ – im Westen die byzantinische Vision des inkar­nierten Logos zu ersetzen, der über den Tod triumphiert und durch dessen Sieg die Aufer­stehung als eschatologische Vorwegnahme im Leib seiner Kirche zugänglich geworden ist.

„Vollkommener Gott und vollkommener Mensch“

Auch wenn Athanasius und Cyrill, die die Göttlichkeit Christi und die Einheit seines Wesens verteidigten, der christlichen Spiritualität ihre wesentliche Grundlage gaben, blieben ihre Namen und ihre Botschaften auch nach ihrem Tod umstritten. Einer der Hauptgründe für die anschließenden erbitterten theologischen Debatten war, dass eifrige Anhänger der beiden großen Meister dazu neigten, ihre Lehren in verbalen Formeln zu fixieren. Diese wurden wörtlich und ohne den Kontext der spirituellen Erfahrung der katholischen Tradition und der Theologie der Meister selbst akzeptiert. Der Kampf des Athanasius konzentrierte sich auf das Glaubensbekenntnis von Nizäa und insbesondere auf den griechischen Begriff homoousios („wesenhaft“), der in diesem Glaubensbekenntnis verwendet wurde, um das gemeinsame göt­tliche „Wesen“ oder die „Substanz“ des Vaters und des Sohnes zu bekräftigen. Derselbe Be­griff wurde jedoch von Sabellianern oder Modalisten verwendet, die die „Konsubstantialität“ als unvereinbar mit der trinitarischen Offenbarung Gottes interpretierten. Für die Sabellianer bedeutete die Aussage, dass der Vater und der Sohn „von einem Wesen“ sind, dass Gott nicht drei Personen, sondern ein einziges Wesen mit nur drei Aspekten oder „Modi“ der Manifesta­tion ist. Daher bedurfte die Formulierung der christlichen Erfahrung in Nizäa und Athanasia – so wahr sie in ihrer Opposition zum Arianismus auch war – einer weiteren terminologischen und konzeptionellen Ausarbeitung. Diese Ausarbeitung wurde von den kappadokischen Vätern mit ihrer Lehre von den drei göttlichen Hypostasen oder wirklich verschiedenen Perso­nen geliefert. Dies bedeutete keine Verleugnung von Athanasius, sondern eine differenziertere Verwendung griechischer philosophischer Begriffe. Paradoxerweise gelang es den Kappadoziern – die im antiken griechischen Denken besser bewandert waren als Athanasius – bes­ser als ihm, die Unvereinbarkeit zwischen dem biblischen Trinitarismus und den griechischen philosophischen Kategorien aufzuzeigen. Aber sie taten dies, indem sie das griechische Vok­abular als Werkzeug benutzten, seine Bedeutung veränderten und es zu einem handhabbaren Instrument des christlichen Zeugnisses machten.

Der gleiche – eigentlich fast identische – Prozess fand im fünften Jahrhundert nach dem Sieg von Cyrill über Nestorius statt. Dieser Prozess steht im Zusammenhang mit dem berühmten Dekret des Konzils von Chalkedon (451). Die Christologie von Cyrill war sowohl kerygmatisch als auch polemisch. Eutyches – ein eifriger, ultracyrillischer Asket – interpretierte die Einheit von Göttlichkeit und Menschlichkeit Christi dahingehend, dass die Menschheit so vollständig „vergöttlicht“ wurde, dass sie aufhörte, „unsere“ Menschheit zu sein. Christus war zwar „wesensgleich“ mit dem Vater, aber nicht „mit uns“. Sein Menschsein wurde von Gott absorbiert. Eutyches war der Christologie des Cyrill formal treu, aber in Wirklichkeit beraubte er sie ihrer Bedeutung für das menschliche Heil: Gott, so Eutyches, teilte nicht das menschli­che Schicksal – die menschliche Geburt, das menschliche Leiden, den menschlichen Tod selbst -, sondern nahm, während er absolut, unveränderlich und transzendent blieb, die menschliche Identität auf, die er ursprünglich geschaffen hatte. War er dann noch der Gott der Liebe?

Das Konzil von Chalkedon war eine Reaktion auf den Eutychianismus. Aber seine Definition von Christus war eine ziemlich komplizierte Formel, die das Ergebnis langer Debatten war und die verschiedenen bestehenden terminologischen Traditionen befriedigen sollte: die alex­andrinische, die antiochenische und die lateinische. Letztere drückte sich in der machtvollen Intervention von Papst Leo dem Großen in seinem Brief an Flavian von Konstantinopel aus. In diesem berühmten Text stellte der Papst unter Verwendung einer von Tertullian und Au­gustinus übernommenen Terminologie sorgfältig die Integrität der beiden Naturen (naturae) Christi fest und betonte, dass diese Integrität voraussetzt, dass jede Natur ihre Eigenschaften vollständig bewahrt. Der daraus resultierende chalkedonensische Text ist der folgende:

Nach den heiligen Vätern bekennen wir alle einmütig, dass unser Herr Jesus Christus ein und derselbe Sohn ist, derselbe vollkommen in der Gottheit, derselbe vollkommen in der Mensch­heit, wahrhaftig Gott und wahrhaftig Mensch, derselbe bestehend aus einer vernünftigen Seele und einem Leib, von einer Substanz mit dem Vater, soweit es die Gottheit betrifft, derselbe von einer Substanz mit uns, soweit es die Menschheit betrifft, derselbe wie wir in allen Dingen außer der Sünde; gezeugt vom Vater vor aller Zeit, was die Gottheit betrifft, derselbe in der Endzeit, für uns und zu unserem Heil, geboren aus der Jungfrau Maria, der Theotokos, was die Menschheit betrifft, ein und derselbe Christus, Sohn, eingeborener Herr, anzuerkennen in zwei Naturen ohne Verwirrung, ohne Veränderung, ohne Spaltung, ohne Trennung; wobei die Unterscheidung der Naturen durch die Vereinigung keineswegs aufgehoben wird, sondern vielmehr die charakteristische Eigenschaft jeder Natur erhalten bleibt und in einer Person oder Hypostase übereinstimmt, nicht als ob Christus in zwei Personen geteilt oder gespalten wäre, sondern ein und derselbe Sohn und eingeborene Gott, Wort, Herr, Jesus Christus; so wie die Propheten von Anfang an von ihm gesprochen haben und unser Herr Jesus Christus uns unterwiesen hat und das Glaubensbekenntnis der Väter [d.h., von Nizäa] überliefert wurde.

In diesem berühmten Text sind zur Erleichterung des Lesers die eindeutig cyrillischen Pas­sagen unterstrichen, und die Sätze, die entweder von den Antiochenern oder von Papst Leo stammen, sind kursiv gesetzt. Auf der cyrillischen Seite sind besonders die achtmalige Wiederholung des Pronomens „derselbe“ (ho autos) (unter Ausschluss der nestorianischen „Dualität“ zwischen dem Sohn Gottes und dem Sohn Marias) und die Verwendung des Titels Theotokos hervorzuheben. Auf der antiochenisch-lateinischen Seite besteht man auf der Integ­rität jeder Natur, wobei jede ihre jeweiligen Eigenschaften innerhalb der Einheit behält. Die Formel ist eindeutig ein „Komiteedokument“, dem das geradlinige, kerygmatische und soteriologische Feuer früherer cyrillischer Erklärungen fehlt. Aber sie spiegelt eine „katholische“, wohltätige – wir würden heute sagen „ökumenische“ – Sorge um mögliche Einwände von bei­den Seiten der Debatte wider.

Kann man sagen, dass das Konzil von Chalkedon das christologische Problem gelöst hat? Sicherlich nicht. Wie alle ausgewogenen, konzeptionellen Formeln hat es bestimmte Probleme gelöst, aber auch neue geschaffen. In der Tat waren sich die Väter von Chalkedon dieses begrenzten Charakters aller lehrmäßigen Definitionen, einschließlich ihrer eigenen, bewusst. Sie leugneten nicht nur jede Neuheit ihrerseits und betonten, dass ihre einzige Ab­sicht darin bestand, den Vätern und Propheten zu folgen; sie erklärten auch förmlich, dass sie nicht in der Lage seien, die Bedeutung des Geheimnisses in einer verbalen Form zu erschöpfen. Dies ist die Bedeutung der berühmten vier negativen Adverbien, die in der Defini­tion enthalten sind: „ohne Verwirrung, ohne Veränderung, ohne Spaltung, ohne Trennung“.“

Trotz dieser erklärten Bescheidenheit der chalkedonensischen Väter wurden sofort Einwände gegen ihre Terminologie vorgebracht. Einerseits verwendeten sie das Wort „Natur“ in einem abstrakteren Sinn als Cyrill, für den „Natur“ eine konkrete Wirklichkeit bezeichnete und gleichbedeutend mit Hypostase war, indem sie erklärten, Christus sei „in zwei Naturen“ zu sehen. Andererseits machten sie, indem sie die Vereinigung als „ein Zusammentreffen“ zu einer Person oder Hypostase bezeichneten, nicht ganz klar, dass diese Hypostase die bereits existierende Hypostase des Sohnes Gottes war (obwohl ihre cyrillischen Ausdrücke in diese Richtung deuteten). Schließlich bemühten sich die chalkedonensischen Theologen stets zu erklä­ren, warum Gott nach den kappadokischen Vätern immer noch ein Gott war, obwohl er drei Hypostasen und eine Natur hatte, während Christus nach Chalkedon eine Hypostase war, aber zwei Naturen hatte.

Diese terminologischen Probleme zeigen deutlich, dass es falsch ist, Chalkedon als eine Art Endpunkt der christologischen Debatten zu betrachten. Es wurde nicht nur von großen ost­christlichen Gemeinschaften abgelehnt, die heute noch existieren und (vielleicht ungenau) als Monophysiten bezeichnet werden (Kopten, Armenier, Äthiopier, syrische Jakobiten), sondern die formale und begriffliche Terminologie, die in der Definition verwendet wurde, konnte keine andere Funktion als die einer Warnung oder eines Wegweisers vorgeben. In der von Athanasius und Cyrill verkündeten Erfahrung einer vergöttlichten Menschheit verschwinden die echte, geschaffene menschliche Natur und ihre Eigenschaften nicht, sondern erfüllen in einer neuen Gemeinschaft mit dem Göttlichen ihre eigentliche Aufgabe, die ihnen bei der Schöpfung gegeben wurde.

Wir haben bereits gesehen, dass es im Westen eine gewisse Tradition der Interpretation von Chalkedon als faktische Desavouierung von Cyrill gibt. Im Osten hingegen blieb die christ­liche Orthodoxie ganz eindeutig cyrillisch. Darüber hinaus wurden die Implikationen der chalkedonensischen Aussage über „die Bewahrung der Eigenschaften jeder Natur“ im Osten nicht immer in vollem Umfang anerkannt. So erklären viele byzantinische geistliche Autoren Pas­sagen wie Lukas 2,52 („Jesus nahm an Weisheit und Reife zu“) eher als eine pädagogische Taktik Christi denn als einen wirklichen Wandel von der Unwissenheit zum Wissen, von der Kindheit zum menschlichen Erwachsensein. Für sie bedeutete die Göttlichkeit Christi Allwis­senheit, und sein Menschsein wurde entsprechend verändert. Aber war es dann konkret mit unserem Menschsein identisch? Dieses Widerstreben, die menschliche Unwissenheit in Christus zuzulassen, hat möglicherweise hellenistisch-evagrische Wurzeln, die „Unwissen­heit“ mit „Sündhaftigkeit“ gleichsetzten, und ist daher möglicherweise anthropologisch und nicht christologisch motiviert. Andere byzantinische Theologen hatten keine Schwierigkeiten, die menschliche „Unwissenheit“ in Christus anzuerkennen. Ihre Ablehnung des „Aphthartodoketismus“ deutet auch auf die – sowohl biblische als auch chalkedonensische – Auffassung hin, dass das Menschsein Christi dem unseren in jeder Hinsicht sehr ähnlich war, mit Ausnahme der Sünde.[6]

Die Fülle des Menschseins in Christus wird auch in der theologischen Synthese von Maximus dem Bekenner und seiner Lehre von den „zwei Willen“ sowie in der Bekräftigung der „Darstellbarkeit“ Christi in der Zeit des Ikonoklasmus weiter definiert. Die christologischen Debat­ten um Chalkedon – ebenso wie die trinitarischen Kontroversen des vierten Jahrhunderts – zeigen die (von den Kirchenvätern tatsächlich anerkannten) Grenzen, die lehrhaften Definitio­nen und anderen begrifflichen Formeln eigen sind.

Christus und Maria

Das Konzil von Ephesus im Jahr 431, das den ersten und entscheidenden Sieg der cyrillischen Christologie über den Nestorianismus markierte, drückte sich in einer einzigen Lehrentschei­dung aus: Die Mutter Jesu soll in den Gebeten der Kirche, in der Predigt und in theologischen Abhandlungen korrekt als „Gottesgebärerin“ (Theotokos) oder „Mutter Gottes“ (meter theou) bezeichnet werden. Die Entscheidung betraf die Christologie: Sie bekräftigte die personale Identität Christi als des präexistenten und ewigen Sohnes Gottes, der die menschliche Natur annimmt (und nicht einfach ein einzelnes menschliches Individuum ist). Da eine Mutter not­wendigerweise die Mutter von jemandem ist (nicht von einer „Natur“) und da dieser „Jemand“ in Christus Gott war, war ihre eigentliche Identität in der Tat „Mutter Gottes „„.

Es war unvermeidlich, dass die christologische Entscheidung von Ephesus auch einen entscheidenden neuen Akzent in der christlichen Spiritualität setzen würde: eine erneuerte Verehrung Marias – der Frau, durch die die Inkarnation geschah; der einen menschlichen Per­son, die durch freies Zusammenwirken mit dem größten Akt der Liebe Gottes die Vereinigung von Göttlichkeit und Menschlichkeit möglich machte.

Eigentlich war die Verleihung des Theotokos-Titels die einzige lehrmäßige Entscheidung, die die Kirche in Bezug auf Maria traf. Das Neue Testament, insbesondere Lukas, hatte jedoch bereits ihre herausragende Stellung in der „Ökonomie“ des Heils verkündet („von nun an werden mich alle Geschlechter selig preisen“, Lk 1,48), und seit Irenäus und Justin hatten die Theologen ihre Rolle als die neue Eva erkannt. So wie Eva im Paradies aus freien Stücken das Angebot der Schlange annahm und Adam zum Sündenfall führte, so nahm Maria aus freien Stücken die Ankündigung des Erzengels an und ermöglichte so eine neue „Rekapitulation“ der Menschheit im neuen Adam, Christus. Prediger, Dichter, Künstler und Hymnographen, die sich nicht nur der direkten theologischen Sprache, sondern auch biblischer Symbole und Analogien bedienten, verherrlichten sie als „die unbesäte Erde“, „den brennenden Dorn­busch“, „die Brücke, die zum Himmel führt“, „die Leiter, die Jakob sah“ usw. Unzählige Kirchen wurden ihr geweiht, und ihre Ikonen wurden zu den wichtigsten Palladien der Volks­frömmigkeit, vor allem im Osten.

Die Emotionalität und der Überschwang der Marienfrömmigkeit waren zweifellos Ausdruck einer spirituellen Entdeckung der menschlichen Seite des Inkarnationsgeheimnisses. Die Rolle dieser einfachen Frau, die in ihrem Schoß das neue Leben empfing (ihre Jungfräulichkeit war ein Zeichen dieser „Neuheit“), erinnerte an die Menschlichkeit Jesu selbst und vermittelte in neuer Form die Botschaft, dass freie Gemeinschaft und Kommunion mit Gott die wahren Ausdrucksformen der echten menschlichen Natur sind. Eine der biblischen Analogien dieser Gemeinschaft – die der Familie – erfüllte sich in der besonderen Rolle Marias, die nicht nur die Mutter Christi, sondern aller Glieder seines Leibes, der Kirche, ist.

Es ist jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Frömmigkeit und Theologie der frühen Kirche nie dazu neigte, die Verehrung Marias von ihrem christologischen Kontext zu trennen. Es gab keine lehrmäßige Definition ihrer Stellung außer der ihrer göttlichen Mutterschaft. Ihre Erhöhung nach Ephesus bedeutete nicht, dass ihre Zugehörigkeit zur gefallenen Menschheit vergessen wurde. Bekannte Passagen von Johannes Chrysostomus, dem bei weitem populä­rsten und maßgeblichen Kirchenvater der griechischen Kirche, wurden weiterhin gelesen und kopiert. In seinen Kommentaren zu Stellen wie Matthäus 12,46-49 („Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“) oder Johannes 2,4 erkannte Chrysostomus freimütig die menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten Marias an.[7] Die Mutter Jesu wurde daher innerhalb des Heilsgeheimnisses als Vertreterin der erlösungsbedürftigen Menschheit gesehen. Aber in­nerhalb der Menschheit stand sie dem Erlöser am nächsten und war das würdigste Gefäß für das neue Leben.[8]

Im mittelalterlichen Westen führte das augustinische Verständnis der Erbsünde als ererbte Schuld dazu, dass man sich Maria im Sinne einer „unbefleckten Empfängnis“ näherte, als Ob­jekt einer besonderen Gnade Gottes, die sie von vornherein der göttlichen Mutterschaft würdig machte. Der Osten folgte diesem Trend nicht, da die Folgen der Sünde Adams eher als ererbte Sterblichkeit denn als Schuld angesehen wurden, so dass es nicht nötig war, Maria iso­liert vom allgemeinen Los der gefallenen Menschheit zu sehen. Im Osten entwickelte sich jedoch die Tradition ihrer eschatologischen Verherrlichung nach dem Tod. Im Vorgriff auf die allgemeine Auferstehung machte ihr Sohn sie als seine Mutter untrennbar mit seinem eigenen auferstandenen Leib verbunden, über den Engelmächten selbst.

Christus und der Heilige Geist: Die Synthese von Maximus dem Bekenner

Maximus der Bekenner (ca. 580-662) wird in der Geschichte der christlichen Lehre vor allem mit seiner Verteidigung der chalkedonensischen Orthodoxie gegen den Monotheletismus in Verbindung gebracht (der Glaube, dass Christus nur einen göttlich-menschlichen „Willen“ hatte). Für Maximus ist die wahre Menschheit dynamisch, schöpferisch und mit einer eigenen „Energie“ ausgestattet: Dies war in der Tat bei der Menschheit Christi der Fall, der als Mensch einen menschlichen Willen besaß, der sich vom göttlichen unterschied. Dieser menschliche Wille Christi wurde in Übereinstimmung mit der ursprünglichen und ewigen Ab­sicht Gottes, die vor dem Sündenfall festgelegt wurde, wiederhergestellt. Im Monotheletismus besaß die Menschheit Christi, obwohl sie der „Kontemplation“ (en theoria) zugänglich war, keine ihr eigene „Bewegung“ oder Energie, und die chalkedonensische Definition, die besagte, dass „die charakteristische Eigenschaft jeder Natur Christi in der hypostatischen Vereinigung erhalten blieb“, hatte ihren Sinn verloren. Das Verdienst von Maximus bestand also darin, einer „monophysitischen“ Tendenz, die die „Vergöttlichung“ als eine Absorption des Menschlichen in das Göttliche interpretierte, entscheidend entgegengewirkt zu haben. Für Maximus war die Vergöttlichung nicht als Verleugnung, sondern als Bestätigung und Wieder­herstellung der geschaffenen Menschheit in ihrer eigenen und von Gott geschaffenen Integri­tät zu verstehen.

Maximus verzichtete jedoch an keiner Stelle seines Systems auf die wesentliche Botschaft der cyrillischen Christologie. Gott wurde Mensch, so betonte er stets, damit der ganze Mensch an dem ganzen Gott teilhabe (theos holos holois metechomenos), und dass in der gleichen Weise, in der Seele und Körper vereint sind, Gott durch die Seele und durch die Vermittlung der Seele durch den Körper teilhabbar werde, damit die Seele einen unveränderlichen Charakter (ten atrepsian) und der Körper Unsterblichkeit erhalte; und schließlich, dass der ganze Mensch Gott werde, vergöttlicht durch die Gnade Gottes, Mensch werde – ganzer Mensch, Seele und Leib, von Natur aus – und ganzer Gott werde, Seele und Leib, durch Gnade. (Am­bigua [PG 91, col. 1088C])

Wie wir bei Cyrill gesehen haben, bedeutete die Vereinigung zwischen dem „ganzen“ Gott und dem „ganzen“ Menschen für Maximus keine Absorption des Menschseins oder eine Ver­minderung der eigentlich menschlichen, geschaffenen Energie und des Potentials, sondern eine Erfüllung des menschlichen Wesens, weil diese Vereinigung eine Begegnung des leben­digen Gottes und des Geschöpfes in einer Gemeinschaft der Liebe ist – und nicht eine Verschmelzung oder Vermischung unpersönlicher Essenzen.

Diese Lehre von der Vergöttlichung, wie sie von Athanasius, den kappadozischen Vätern, Cyrill und schließlich Maximus verstanden wird, beruht nicht auf einem begrenzten oder engen Verständnis der Christologie. Sie spiegelt die trinitarische „Ökonomie des Heils“ und insbesondere die Ökonomie des Geistes wider. Die Rolle des Heiligen Geistes im Mysterium offenbart, dass die Vergöttlichung „in Christus“ notwendigerweise das Ergebnis einer frei an­genommenen neuen Geburt im Geist ist. Nach Maximus hat Jesus selbst diese Wahl in seinem Menschsein getroffen. Natürlich impliziert die Lehre von der hypostatischen Union, dass das Subjekt der Wahl immer noch der Logos war und nicht ein separates menschliches Indi­viduum namens Jesus, aber die Wahl war „menschlich“.“ Nachdem er seine Leser daran erin­nert hat, dass nach dem Bericht der Genesis der Mensch in seiner physischen Realität zuerst aus Lehm geformt wurde und dass Gott ihm danach den Geist einhauchte, erinnert Maximus an die Geburt Christi in Bethlehem und dann an die Herabkunft des Geistes bei seiner Taufe durch Johannes. Diese beiden Geburten wurden von Christus angenommen. „Die Menschwerdung“, schreibt Maximus, „nahm zuerst die Form einer leiblichen Geburt wegen meiner Verdammnis an, aber sie wurde dann von einer Geburt begleitet, die [von der gefallenen Mensch­heit] in der Taufe im Geist vernachlässigt worden war, damit ich durch die Gnade gerettet werde, damit ich zurückgerufen werde, oder, deutlicher gesagt, damit ich neu geschaffen werde“ (Ambigua [PG 91, col. 1348D]).

Die freie menschliche Entscheidung und die freie Bekehrung, die durch den Geist in der Taufe besiegelt wird, sind daher die Bedingungen für eine Synergie zwischen menschlicher Freiheit und göttlicher Gnade, die die Vergöttlichung durch die Teilhabe an der Menschheit er­möglicht, die in Christus vom Logos angenommen, vergöttlicht und in der Kirche durch die Eucharistie gegenwärtig gemacht wurde. Diese Begegnung und diese Teilhabe werden durch den Geist bewirkt – den Geist, der auf Maria kam (Lk 1,35), der auf Christus im Jordan herabkam, der von Christus nach der Auferstehung auf seine Jünger gesandt wurde, der von der Kirche im eucharistischen Geheimnis angerufen wird und der die ebenso geheimnisvolle Begegnung zwischen Gott und jeder menschlichen Seele bewirkt. So „hat der Sohn durch sein Fleisch“, schreibt Maximus, „den Vater offenbart, den die Menschen ignoriert haben, und durch den Geist hat er diejenigen zum Vater geführt, die er mit sich selbst versöhnt hat“.[9]

In Christus waren die beiden Naturen – die göttliche und die menschliche – in der einzigen persönlichen Existenz des fleischgewordenen Gottessohnes vereinigt. Beide waren dyna­mische Wirklichkeiten, die in den beiden Willen oder Energien Christi zum Ausdruck kamen. Aber es handelte sich nicht um ein einfaches Nebeneinander oder ein Bündnis zwischen übereinstimmenden Willen (wie im Nestorianismus), sondern um eine Gemeinschaft, in der es eine „Kommunikation der Eigenschaften“ (communicatio idiomatum, perichoresis ton idiomaton) gab, ein Eindringen der göttlichen Energie in die Menschheit mit der freien Annahme der Vergöttlichung durch den menschlichen Willen Christi, bewirkt durch den Geist.[10] Und es ist derselbe Geist, der die Vereinigung derjenigen, die sich aus freien Stücken dafür entscheiden, „in Christus“ zu sein, mit der vergöttlichten Menschheit des neuen Adam bewirkt.

Die Menschlichkeit Christi: Die Bedeutung der Ikonen

Die zentrale Botschaft der alexandrinischen Theologie von Athanasius und Cyrill war, dass das Heil der Welt nicht durch irgendeine geschaffene Vermittlung erreicht wird, sondern durch den Sohn Gottes, der sich den Menschen zugänglich macht und sein eigenes Leben mit ihnen teilt, indem er in seiner persönlichen Existenz als Mensch die Menschlichkeit annimmt. In dieser Perspektive erfordern die theologische Kohärenz und die spirituelle Erfahrung jedoch, dass Christus ganz und gar Mensch ist, denn, um den berühmten Satz von Gregor von Nazianz zu gebrauchen: „Was nicht angenommen ist, wird nicht geheilt, und was mit Gott vereint ist, wird gerettet.[11] Erlösung, verstanden als Gemeinschaft mit Gott oder Vergöt­tlichung, setzt voraus, dass die ganze Menschheit – und nicht nur ein Teil von ihr – Gegen­stand der Liebe Gottes ist, und Maximus beschrieb diese Fülle so, dass sie insbesondere die „Bewegung“ oder Dynamik der geschaffenen Menschheit einschließt: den menschlichen Willen, die menschliche Freiheit und die menschliche Kreativität. All dies wurde von der Per­son des inkarnierten Logos übernommen und wurde durch seinen Tod und seine Auferstehung Teil seiner eschatologischen Neuschöpfung.

Die letzte und vielleicht entscheidendste Episode in den Debatten über die Identität Christi war die so genannte Ikonoklastische Krise in der byzantinischen Welt (715-843). Unter Berufung auf das alttestamentliche Verbot von Götzenbildern und Götzendienst wandten sich die Ikonoklasten gegen Bilder von Christus: Da er Gott sei, sei sein Bild notwendigerweise auch ein Bild Gottes und damit ein Götze. Die orthodoxen Theologen – Johannes von Dam­askus, Theodor von Studiosus, Patriarch Nizhoros – bekräftigten dagegen die Realität des Menschseins Christi, das historisch und daher „darstellbar“ und „umschreibbar“ sei und mit menschlichen Augen gesehen werden könne. Da aber die personale Identität Christi die des Sohnes Gottes ist, ist ein Bild von Christus ein Bild Gottes, der sich als Mensch sichtbar macht. Früher“, schrieb Johannes von Damaskus, „konnte Gott, der ohne Gestalt und Körper ist, nicht dargestellt werden. Aber jetzt [d.h. nach der Inkarnation], wenn Gott im Fleisch gesehen wird und mit den Menschen spricht (Baruch 3,38), mache ich mir ein Bild von dem Gott, den ich sehe. Ich bete nicht die Materie an, sondern den Schöpfer der Ma­terie, der um meinetwillen Materie geworden ist, der in der Materie wohnen wollte und durch die Materie mein Heil gewirkt hat.[12]

So wurde eine Christus-Ikone zu einem vollständigen christologischen Glaubensbekenntnis, das visuell dargestellt wurde – ein Geheimnis des Heils und der Gemeinschaft, das Worte nur teilweise ausdrücken können. In der byzantinischen Tradition war es die Absicht des Kün­stlers, die persönliche Identität des inkarnierten Gottes darzustellen (daher die griechischen Buchstaben im Nimbus, ho on, „der-der-ist“, die Septuaginta-Version von JHWH, dem Namen Gottes),[13] , aber immer unter den historischen Zügen von Jesus von Nazareth. Um es mit den Worten einer Predigt des Johannes von Damaskus am Fest der Verklärung auszudrücken: „Das Menschliche wird zu dem, was Gott ist, und das Göttliche zu dem, was der Mensch ist, durch die Art und Weise der gegenseitigen Kommunikation und der unver­mischten Durchdringung des einen mit dem anderen und der äußersten Vereinigung gemäß der Hypostase [oder „Person“]. Denn er ist ein Gott – er, der von Ewigkeit her Gott ist und später Mensch wurde.[14]

Die Erlösung: Der Leib Christi, Haupt und Glieder

Im Mittelpunkt der von den frühen Konzilien vertretenen Christologie stand die Vision von Christus als dem ewigen Logos und dem „neuen Adam“, der die Einheit der gesamten Menschheit mit sich selbst als dem göttlichen Vorbild, nach dessen Bild der Mensch am An­fang geschaffen wurde, wiederhergestellt hat. Wie wir bereits gesehen haben, konnte diese Wiederherstellung jedoch nicht automatisch oder auf magische Weise erfolgen: Sie erforderte die freie menschliche Antwort auf den Geist und die Zusammenarbeit (synergia) jedes einzelnen Menschen sowie eine „Versammlung“ freier Gläubiger in der Versammlung der Kirche. Der „ganze Christus“ (totus Christus, nach Augustinus) manifestierte sich dort, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt waren (Mt 18,20) und wo daher das paulinische Bild des Leibes konkret präsent sein konnte. Dieser „Leib“ ist in der Tat die Kirche, die sich am vollständigsten in der Eucharistie verwirklicht.

Die Teilnahme an der Eucharistie wurde christologisch definiert: Sie war eine Teilnahme an der auferstandenen und verherrlichten Menschheit Christi, die in der Hypostase (oder „Per­son“) des Sohnes Gottes angenommen wurde und – aufgrund der „Kommunikation der Idi­ome“ zwischen den beiden Naturen – von göttlichem Leben oder „Energien“ oder „Gnade“ durchdrungen war. Da es in Christus keine Vermischung von Wesen oder Naturen gab, hatten auch „die in Christus“ nicht Anteil am „Wesen“ Gottes, sondern an seiner menschlichen Na­tur. Johannes von Damaskus schrieb:

Die Menschen haben Anteil an der göttlichen Natur und werden ihrer teilhaftig, so viele von ihnen den heiligen Leib Christi empfangen und sein Blut trinken; denn der Leib und das Blut Christi sind hypostatisch mit der Gottheit vereint, und in dem Leib Christi, mit dem wir in Ge­meinschaft sind, sind zwei Naturen untrennbar in der Hypostase vereinigt. Wir haben also an beiden Naturen teil – am Leib leiblich und an der Gottheit geistlich, oder vielmehr an beiden in beiderlei Hinsicht -, ohne dass unsere Hypostase mit derjenigen Christi identisch wäre; denn zuerst empfangen wir die Hypostase in der Schöpfungsordnung, dann gehen wir in die Vereinigung durch die Vermischung von Leib und Blut ein.[15]

Das „In-Christus-Sein“ beinhaltet daher keine persönliche oder „hypostatische“ Identifikation mit dem Logos, denn die Person ist das, was immer einzigartig ist. Sie beinhaltet eine Teil­habe an der verherrlichten Menschheit Christi durch die Kraft des Geistes – eine Menschheit, die auch nach ihrer Verherrlichung ganz und gar menschlich bleibt. In der Auseinander­setzung mit den Ikonoklasten, die behaupteten, dass der in seiner Auferstehung vergöttlichte Christus „unbeschreiblich“ geworden sei und deshalb die Möglichkeit, Bilder von ihm an­zufertigen, verneinte Theodor von Studios: „Wenn Christus nach seiner Auferstehung un­beschnitten wäre, müssten auch wir, die wir ein Leib mit ihm sind (vgl. Eph 3,6), unbeschnit­ten sein.[16]

Die ikonoklastische Kontroverse betraf nicht nur die Lehre von der Inkarnation und ganz allgemein die Beziehungen des Menschen zu Gott, sondern auch und vor allem die eucharis­tische Lehre. Die Bilderstürmer – genauer gesagt Kaiser Konstantin V. – erklärten die Eucha­ristie zum einzig legitimen und biblisch begründeten Bild Gottes. Für ihre orthodoxen Gegner war die Eucharistie, wie wir gerade von Theodor von Studios erfahren haben, im Gegenteil eine wahre und reale Identifikation der Gläubigen mit dem auferstandenen Herrn – und nicht nur eine Vision seines Bildes. In den theologischen und christologischen Kategorien, die von den orthodoxen Wortführern der ikonoklastischen Periode entwickelt wurden, war die Eucha­ristie niemals Gegenstand einer Vision: nur die Ikonen waren zu sehen. Diese allgemeine Vor­stellung von der eucharistischen Versammlung rechtfertigte die außergewöhnliche Entwick­lung der Ikonostase – ein System von Ikonen, die den Schirm bedecken, der das Heiligtum vom Kirchenschiff einer byzantinischen Kirche trennt. Das eucharistische Geheimnis, das sich dahinter abspielt, ist kein Gegenstand der visuellen Betrachtung, sondern ein Mahl, das schlie­ßlich an die Gläubigen verteilt wird, die ansonsten durch die Betrachtung und Verehrung von Ikonen mit Gott kommunizieren.[17]

In diesem Punkt steht die eucharistische Frömmigkeit des Ostens in lebhaftem Kontrast zur spätmittelalterlichen lateinischen Praxis der Hostienverehrung, die auf der Ebene der Spiritu­alität Ausdruck der Transsubstantiationslehre ist. Im Osten wurde keine philosophische Ter­minologie speziell auf das eucharistische Mysterium angewandt, das nicht losgelöst von den christologischen Tatsachen betrachtet wurde: die Verklärung des Leibes Christi, die „Ver­wandlung“, die sich nach der Auferstehung in ihm vollzog und die durch die Kraft des Geistes auch im gesamten Leib der getauften Gläubigen, d. h. im „totalen“ Christus, wirksam ist. Um die Eucharistie zu bezeichnen, haben die Theologen Begriffe verwendet, die in den alten litur­gischen Texten zu finden sind, wie metabole („Veränderung“), metarrythmesis („Veränderung der Ordnung“), metastoicheiosis („Transselementation“), metamorphosis („Verklärung“). Die Sprache ist immer vorläufig, unpräzise und nicht nur auf die eucharistischen Elemente als sol­che anwendbar, sondern auch auf österliche und eschatologische Vorstellungen, die das Heil des ganzen Gottesvolkes in Christus widerspiegeln. „Wir bekennen“, schreibt Patriarch Nicephorus (Anfang des neunten Jahrhunderts), „dass durch die Anrufung des Priesters, durch das Kommen des Heiligen Geistes, der Leib und das Blut Christi mystisch und unsichtbar gegenwärtig gemacht werden. . nicht weil der Leib aufhört, ein Leib zu sein, sondern weil er es bleibt und als Leib bewahrt wird.[18]

Vielleicht noch wichtiger als alle spekulativen Argumente der Theologen ist, dass die litur­gische Tradition dieselbe christologische und ekklesiale Dimension des Leibes bewahrt hat, die sich in der Eucharistie manifestiert. Die eucharistischen Gebete oder Kanons, die in den verschiedenen lokalen Traditionen des Ostens und des Westens verwendet werden, weisen mehrere gemeinsame Merkmale auf, die durch diese eine Vision bestimmt sind. Erstens han­delt es sich um Gebete der Gemeinschaft, die in der ersten Person Plural formuliert sind, so dass die Gemeinschaft mit Christus nicht eine Angelegenheit der individuellen Frömmigkeit ist, sondern der Zusammengehörigkeit innerhalb seines einzigen Leibes. Zweitens sind sie an den Vater gerichtet, und zwar von einer Versammlung von Getauften, die aufgrund ihrer Taufe bereits „in Christus“ sind.“ Die ungetauften Katechumenen, die Exkommunizierten und die Büßer nehmen nicht am Gebet teil. Es ist also klar, dass das Gebet gerade deshalb erhört wird, weil es Christus selbst ist, der es in der Versammlung und durch die Versammlung seinem Vater darbringt, während die Glieder der Gemeinschaft durch die Kraft des Geistes seine adoptierten Kinder „in Christus“ und als Gemeinschaft das „königliche Priestertum“ sind.“ In ihnen und durch sie bringt Christus das Opfer dar. Er ist „derjenige, der opfert und geopfert wird, der empfängt und empfangen wird“ (byzantinische Liturgie von Basilius und Johannes Chrysostomus), aber sie sind untrennbar mit ihm verbunden: „Denn so viele von euch auf Christus getauft sind, haben Christus angezogen“, und „Gott hat den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gesandt, der ruft: ‚Abba! Vater!‘“ (Gal 3,27; 4,6). Drittens ist in den eucharistischen Kanones des Ostens die Anrufung des Geistes (epiklesis) nicht nur eine Anrufung von Brot und Wein – als wären sie „Elemente“, die unabhängig von der ver­sammelten Gemeinschaft gewissermaßen verwandelt werden –, sondern von der Gemeinde und den Elementen:

Wir bitten Dich und beten Dich und flehen Dich an: Sende Deinen Heiligen Geist auf uns und auf die hier dargebotenen Gaben herab und mache dieses Brot zum kostbaren Leib Deines Christus und das, was in diesem Kelch ist, zum kostbaren Blut Deines Christus, indem Du die Verwandlung durch Deinen Heiligen Geist vollziehst, damit sie denen, die daran teilnehmen, zur Reinigung der Seele, zur Gemeinschaft Deines Heiligen Geistes und zur Erfüllung des Himmelreiches dienen. (Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomos)

In christologischer Hinsicht bedeutet die eucharistische Handlung, dass der Sohn Gottes, der die menschliche Natur hypostatisch angenommen hat, diese Natur in einem Opfer, das ein für alle Mal dargebracht wird, zu seinem Vater bringt, und dass diejenigen, die dieselbe ver­herrlichte Natur durch Adoption (thesei) oder durch Gnade (chariti) empfangen haben, sich durch die Kraft des Geistes, der ihn als Christus gesalbt hat, diesem einen Hohenpriester an­schlie­ßen. Derselbe Geist salbt alle Gläubigen in der Gemeinschaft des Leibes Christi, dem sie sich durch persönliche Glaubensakte angeschlossen haben.

Der christologische Ansatz, der auf den Begriffen der Gemeinschaft zwischen Göttlichkeit und Menschlichkeit, der „Vergöttlichung“ und der „Kommunikation der Idiome“ zwischen den beiden Naturen Christi beruhte, implizierte eine Interpretation der Erlösung in einem breiteren Kontext als die von Paulus im Römerbrief verwendeten juridischen Bilder. Diese paulinischen Bilder, die im Rahmen einer christlichen Lesart des rabbinischen Gesetzes kon­zipiert wurden, erhielten in der westlichen Scholastik eine philosophische und metaphysische Dimension, so dass die Erlösung im Sinne einer stellvertretenden Sühne zu interpretieren be­gann: Das Opfer Christi am Kreuz war, weil er Gott war, vor Gottes Gerechtigkeit ausreichend, um die Sünden aller Menschen zu sühnen. In dieser Sichtweise bleiben Gott und die Schöpfung einander natürlich äußerlich, und das Werk Christi wird als Befriedigung einer abstrakten Vorstellung von göttlicher Gerechtigkeit gesehen. Im Osten wurde symptomatischerweise während der Debatten über die Bedeutung der Erlösung auf einer Reihe von Konzilien, die 1156-1157 in Konstantinopel zusammentrafen, der Ansatz von Nikolaus von Methone (der den Ansatz von Soterichos Panteugenos ablehnte) in Bezug auf den Begriff des Opfers angenommen. Nach Nikolaus sollte die Erlösung nicht als „Tausch“ (antallage oder antallagma), sondern als „Versöhnung“ (katallage) und als Akt der göttlichen Vergebung verstanden werden. Gott, schrieb Nikolaus, „musste nichts von uns annehmen wir sind nicht zu ihm gegangen [um ein Opfer zu bringen], sondern er hat sich zu uns herabgelassen und unsere Natur angenommen, nicht als Bedingung der Versöhnung, sondern um uns offen im Fleisch zu begegnen.[19]

Diese Lehre von der Erlösung durch Vergöttlichung hätte als neuplatonische Konzeption der „Verschmelzung“ zwischen Gott und der Schöpfung identifiziert werden können, wenn es nicht in ihrem Zentrum die starke „theopaschitische“ Behauptung gäbe, die von Cyrill von Al­exandria verteidigt wurde: „Der Sohn Gottes hat im Fleisch gelitten.“ Dies bedeutet, dass die Erlösung keineswegs eine metaphysische „Verschmelzung“ ist, sondern eine Tragödie der Liebe, einschließlich der Übernahme des Kreuzes durch Gott selbst. Aber gleichzeitig ist klar, dass Golgatha nicht einfach der Preis ist, der allein eine beleidigte göttliche Gerechtigkeit wiedergutmacht, sondern nur der Endpunkt der Identifikation Gottes mit der gefallenen Menschheit, auf die die Auferstehung folgt und die ein Teil der gesamten Heilsökonomie oder des Heilsplans ist. So bekräftigt das byzantinische Synodikon der Orthodoxie – eine feierliche jährliche Lehrverkündigung – (im Zusammenhang mit denselben christologischen Debatten des zwölften Jahrhunderts), dass Christus „uns durch das ganze Geheimnis der Ökonomie mit sich selbst versöhnt hat und uns durch sich selbst und in sich selbst auch mit seinem Gott und Vater und natürlich mit dem heiligen und lebenspendenden Geist versöhnt hat.[20] „Das Opfer Christi – und die durch ihn bewirkte Erlösung – ist wirklich einzigartig, weil es keine isolierte Handlung ist, sondern der Höhepunkt einer „Ökonomie“, die die alttestamentliche Vorberei­tung, die Inkarnation, den Tod, die Auferstehung und die Gegenwart des Heiligen Geistes in der Kirche umfasst.[21]

Obwohl das neue Leben, das durch den neuen Adam in die Welt gebracht wurde, allen frei an­geboten wird, muss es durch persönliche Bekehrung frei empfangen und durch persönliche asketische Anstrengung angeeignet werden. Die Betonung dieser persönlichen Dimension der christlichen Erfahrung, die in der monastischen Literatur des Ostens weit verbreitet ist, hat bei den Vertretern der westlichen Spiritualität, die von der augustinischen Gnadenlehre beherrscht wird, den Vorwurf des „Pelagianismus“ oder „Semi-Pelagianismus“ hervorgerufen. Wie dem auch sei, die Idee der Synergie zwischen göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit erklärt die moralische und geistliche Autorität, die im christlichen Osten den Asketen und Heiligen zugeschrieben wird, die das Reich Gottes persönlich erfahren haben.[22] So trat Symeon der Neue Theologe im elften Jahrhundert als der wahre Prophet dieser christozentrischen und pneumatozentrischen Gotteserfahrung jedes wahren Christen auf, die heute wie zur Zeit der Apostel im Geheimnis der Kirche vorhanden ist. Symeon kritisierte die Mönche seiner Ge­meinschaft, die sich weigerten, ihm bei der Suche nach dieser unmittelbaren Erfahrung zu fol­gen, und schrieb

Es gibt diejenigen, die ich Ketzer nenne: diejenigen, die sagen, dass es in unserer Zeit niemanden gibt, der die Gebote des Evangeliums befolgen und den heiligen Vätern gleich werden würde … [und] diejenigen, die behaupten, dass dies unmöglich ist. Diese Leute sind nicht in eine bestimmte Ketzerei verfallen, sondern in alle Ketzereien auf einmal, denn diese eine ist schlimmer als alle anderen in ihrer Gottlosigkeit. Wer so spricht, zerstört alle göttlichen Schriften. Diese Antichristen beteuern: Das ist un­möglich, unmöglich.[23]

Die Botschaft von Symeon geht über die Frage der charismatischen „Führung“ in der Kirche hinaus, die – seiner Ansicht nach und nach Ansicht vieler anderer monastischer Persönlich­keiten – ein prophetisches Amt neben der institutionellen Hierarchie ausübt. Er bekräftigt, dass eine direkte Erfahrung des Geistes allen Christen offensteht, als Zeichen der Echtheit ihres Glaubens. Die extremen Formen dieser Strömung führten zum sektiererischen Messalianismus, der die Notwendigkeit der Taufe, der Sakramente und der Hierarchie gänzlich leugnete und das individuelle „reine Gebet“ als das einzig wahre Mittel der Gemeinschaft mit Gott an­sah. Die orthodoxe asketische und spirituelle Tradition wirkte dieser individualistischen char­ismatischen Bewegung entgegen, indem sie das „reine Gebet“ der Mönche als „Jesusgebet“ bezeichnete, das auf der ständigen Erinnerung an den göttlichen Namen beruht, der im Alten Testament als unaussprechlich galt und nun in der Person des historischen Jesus offenbart wurde.

Diese Rückbesinnung auf die Geschichte, auf die neutestamentliche Offenbarung auf der Ebene der Spiritualität, bedeutete, dass sich die asketische und „erfahrungsmäßige“ Strömung der östlichen Christenheit innerhalb des christologischen Rahmens der Väter und der Konzilien definierte.

Die patristische und konziliare Tradition der Identität Jesu Christi wurde von der Kirche in Ost und West aus den ersten neun Jahrhunderten der christlichen Geschichte übernommen. Es handelte sich noch um eine offene Tradition, die Probleme mit sich brachte, wenn man ein an­alytischeres Verständnis der exegetischen Fragen zur menschlichen Psychologie des histor­ischen Jesus benötigte oder wenn das Denken von der augustinischen Unterscheidung zwischen „Natur“ und „Gnade“ beherrscht wurde.“ Diese Probleme wären den Theologen der patristischen Zeit wahrscheinlich unwirklich erschienen, für die das christologische Denken nicht so sehr in der Analyse des Geheimnisses der hypostatischen Vereinigung bestand (die, da sie einzigartig ist, keinen Grund für Analysen oder Vergleiche bietet), sondern einfach da­rin, den Menschen einen Weg zu zeigen, wie sie den Tod durch die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen überwinden können. Ihre existentiell begrenzte Herangehensweise an die Christologie war nicht notwendigerweise eine Schwäche: Tatsächlich stand die kerygmatische und soteriologische Christologie der Väter den offenen Darstellungen des Neuen Testaments näher als ein Teil der modernen analytischen Exegese, die beansprucht, die Bedeutung der biblischen „Originale“ wiederherzustellen.

Die „Offenheit“ der patristischen Tradition der Christologie bestand nicht nur in der Tatsache, dass einige Probleme ungelöst blieben, sondern auch in der Verfügbarkeit möglicher Wege für konstruktives Denken. Die für Maximus den Bekenner so charakteristische Vorstellung von einer dynamischen menschlichen Natur, die, um ganz Mensch zu sein, dazu berufen ist, sich schöpferisch und in Übereinstimmung mit einer göttlichen Bestimmung zu vervollkommnen, kommt in der Lehre von einem eindeutig menschlichen Willen in Christus zum Ausdruck. Diese Christologie des Maximus gibt dem geschaffenen menschlichen Leben eine geistige Grundlage und einen Sinn, den die Christen vollständig annehmen sollen, da der göttliche Logos selbst es angenommen hat und für seine Erlösung im Fleisch gestorben ist. Darüber hinaus haben die orthodoxen Theologen in der Zeit des Ikonoklasmus die menschliche „Beschreibbarkeit“ Christi verteidigt und damit gezeigt, dass sich die göttliche Gegenwart nicht nur in den Worten der Lehre und der Predigt oder im sakramentalen Mysterium verwirk­licht, sondern auch in den Kunstwerken manifestiert. Die Folgen dieses Zeugnisses für die Gültigkeit der menschlichen Kultur sind in der Tat von unschätzbarem Wert.

Auch wenn die Traditionen der Theologie und der Spiritualität im Osten und im Westen während des zweiten Jahrtausends der christlichen Geschichte dazu tendierten, sich zu spal­ten, haben sie, bewusst oder unbewusst, die gemeinsame athanasianische, cyrillische, chalkedonenzische, maximianische und „ikonodulische“ Vergangenheit bewahrt. Dieses gemeinsame geistige Fundament ist die große Hoffnung für eine künftige Reintegration.

Literaturverzeichnis

Bouyer Louis. The Spirituality of the New Testament and the Fathers. Vol. 1 of A History of Christian Spirituality. New York: Seabury, 1982.

Burghardt Walter J. The Image of God in Man according to Cyril of Alexandria. Woodstock, MD: Woodstock College Press; Washington, DC: Catholic University Press, 1957.

Draguet René. Julien d’Halicarnasse et sa controverse avec Sévère d’Antioche sur l’incorruptibilité du corps du Christ. Louvain: Smeesters, 1924.

Grillmeier Aloys. Christ in Christian Tradition: From the Apostolic Age to Chalcedon (451). Trans. J. S. Bowden. New York: Sheed & Ward, 1965.

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Meyendorff John. Christ in Eastern Christian Thought. Washington, DC: Corpus Books, 1969. Reprinted, Crestwood, NY: St. Vladimir’s Seminary Press, 1975.

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Thunberg Lars. Microcosm and Mediator: The Theological Anthropology of Maximus the Confessor. Acta Seminarii Neotestamentici Upsaliensis 25. Lund: Gleerup; Copenhagen: Munksgaard, 1965.

Quelle: Bernard McGinn/John Meyendorff (Hrsg.), Christian Spirituality: Origins to the Twelfth Century, New York: Crossroad, 1985, S. 231-251.


[1] Kyrill von Alexandrien, Le Christ est un: Deux dialogues christologiques, ed. G. M. de Durand (Sources chrétiennes 97; Paris: Cerf, 1964) 472. Siehe die Bemerkung von A. Grillmeier: „Nestorius lässt sich von Begriffen leiten und geht in mäandernden und sich wiederholenden Analysen vor. Kyrill ist von einer Intuition besessen, die sich auf Johannes 1,14 und das Nizänische Glaubensbekenntnis stützt“ (Christus in der christlichen Tradi­tion, 365).

[2] Acta Conciliorum Oecumenicorum, ed. E. Schwartz (Berlin und Leipzig: de Gruyter, 1914) I, 1, 1, S. 41.

[3] Zu den christologischen Kontroversen siehe insbesondere Grillmeier, Christus in der christlichen Tradition; J. Pelikan, The Emergence of the Catholic Tradition (100-600); und J. Meyendorff, Christ in Eastern Christian Thought.

[4] Zu Julian siehe insbesondere R. Draguet, Julien d’Halicarnasse et sa controverse avec Sévère d’Antioche sur l’incorruptibilité du corps du Christ; siehe auch Meyendorff, Christ in Eastern Christian Thought, 87-89. Ein gewisses Wiederaufleben der alten „docetischen“ Ansichten (die den Tod Christi als eine „Erscheinung“ oder Show [griech. dokeo] betrachteten) in Julians Lehre erklärt die Verwendung des Begriffs Aphthartodocetismus zur Bezeichnung seiner Lehre.

[5] Diese Tendenz setzt sich unter den westlichen Theologen der Neuzeit fort. Auch wenn sie mit der Anselmschen Sichtweise nicht besonders sympathisieren, scheint ihnen die antiochenische Christologie die „Auton­omie des Säkularen“ mehr zu respektieren als der Kyrillianismus; siehe z. B. die Werke von J. E. Bethune-Baker, Nestorius and His Teaching (Cambridge: Cambridge University Press, 1908); und C. Moeller, „Le Chalcédonisme et le Néo-Chalcédonisme“, in Das Konzil von Chalkedon, ed. A. Grillmeier und H. Bacht, 637­720. Andere hingegen nehmen eine verständnisvollere Haltung gegenüber der alexandrinischen und kyrillischen Auffassung ein (siehe insbesondere die Werke von T. Torrance, L. Bouyer und J. Pelikan).

[6] Für eine Diskussion dieser wichtigen Frage siehe Meyendorff, Christ in Eastern Christian Thought, 86-89.

[7] Siehe Predigt 44 über Matthäus (PG 57, Spalten 464-65); Predigt 21 über Johannes (PG 59, Spalte 128).

[8] Ein byzantinischer Weihnachtshymnus (der wahrscheinlich auf das achte Jahrhundert zurückgeht) ehrt die Jungfrau Maria als „unsere Opfergabe“ an Christus, parallel zur Opfergabe der Heiligen Drei Könige und der Hirten. Andererseits ist es bemerkenswert, dass der eucharistische Kanon des Heiligen Johannes Chrysostomus, der in der byzantinischen Tradition täglich verwendet wird, Maria als die erste aufführt, für die die eucharis­tischen Fürbitten dargebracht werden.

[9] „Über das Vaterunser“ (PG 90, Spalte 876B). Zu diesem Punkt bei Maximus siehe insbesondere A. Riou, Le monde et l’église selon Maxime le Confesseur (Paris: Beauchesne, 1973); und F. Heinzer, „L’explication trinitaire de l’economie chez Maxime le Confesseur“, in Maximus Confessor: Actes du Symposium sur Maxime le Confes­seur, Fribourg, 1-5 Septembre 1980, ed. E Heinzer und Christoph Schönborn (Fribourg: Editions Universitaires, 1982) 159-72. Die beste allgemeine Studie über die Theologie der Vergöttlichung bei Maximus ist L. Thunberg, Microcosm and Mediator.

[10] Die wesentliche, aber schwierige Frage des Verhältnisses zwischen „natürlichem“ Willen und „gnomischem“ Willen in Christus wird hier nicht erörtert (vgl. Meyendorff, Christ in Eastern Christian Thought, 147-51).

[11] Ep. 101 an Cledonius (PG 37, Spalten 181C-184A).

[12] Über die Heiligenbilder 1 (PG 94, col. 1245A). Englische Übersetzung von D. Anderson (Crestwood, NY: St. Vladimir’s Seminary Press, 1980) 23. Zur Debatte über den Ikonoklasmus und seine christologischen Implika­tionen siehe Meyendorff, Christ in Eastern Christian Thought, 173-92.

[13] Siehe die Kommentare von Theodore von Studios zur Bedeutung der Inschrift (Brief an Naucratius 2.67 [PG 99, col. 1296AB]; Über die Heiligenbilder 3 [PG 100, col. 420D]).

[14] Über die Verklärung 2 (PG 96, Spalten 548C-549A).

[15] Über die Heiligenbilder 3 (PG 94, col. 1348AB); trans. D. Anderson (modifiziert), S. 81.

[16] Über die Bilder 2 (PG 99, col. 385B).

[17] Zu dieser Theologie der Ikonostase siehe L. Ouspensky, „The problem of the iconostasis“, St. Vladimir’s Theo­logical Quarterly 8 (1964) 186-218.

[18] Contra Eusebium, ed. J. B. Pitra. Spicilegium Solesmense (Paris, 1852-58; Nachdruck, Berlin: Akademie-Ver­lag, 1963) 1:440, 447D.

[19] Abhandlung gegen Soterichos, ed. A. Demetrakopoulos (Ekklësiastikë Bibliothëkë; Leipzig, 1866; Neudruck, Hildesheim: Olms, 1965) 337-38.

[20] Der Text des Synodikons ist in dem als Triodion bekannten liturgischen Buch abgedruckt, das die Ämter der Fastenzeit enthält. Für eine kritische und interpretierende Ausgabe siehe J. Gouillard, „Le Synodikon de l’Ortho­doxie“ in Travaux et Mémoires (Paris: Editions de Boccard, 1967) 2:74.

[21] Siehe Meyendorff, Christ in Eastern Christian Thought, 199.

[22] Zur Bedeutung dieser Entwicklung siehe den Artikel von J. Gribomont in diesem Band, „Monasticism and As­ceticism I. Eastern Christianity“.

[23] Syméon le Nouveau Théologien, Katechese, ed. B. Krivocheine (Sources chrétiennes 96; Paris: Cerf, 1963) 421-24. Die im byzantinischen Mittelalter sehr beliebten Schriften von Symeon sind erst seit kurzem in einer kritischen Ausgabe und französischen Übersetzung in der Reihe Sources chrétiennes vollständig verfügbar. Nach und nach werden auch englische Übersetzungen verfügbar; siehe insbesondere Hymns of Divine Love, trans. G. S. J. Maloney, (Denville, NJ: Dimension Books, 1975); und The Discourses, trans. C. J. de Cantazaro (New York: Paulist Press, 1980).

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