Martin Luther, Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt (1521): „O ein wie reiner Geist ist das gewesen, der von Gottes Güte, sie zu lieben, zu loben und ihr zu folgen, nicht ablässt in der höchsten Not. Einen solchen Geist erzeigt hier die Mutter Gottes Maria, daß sie, mitten in den großen, überschwänglichen Gütern schwebend, ihnen dennoch nicht verfällt, nicht ihren Nutzen darin sucht, sondern ihren Geist rein behält in Liebe und Lob des bloßen Gutseins Gottes, bereit, willig und gern anzunehmen, wenn Gott sie derselben wieder berauben und einen armen, nackten, Mangel habenden Geist ihr lassen wollte.“

Das Magnificat, verdeutscht und ausgelegt (1521)

Von Martin Luther

Der Lobgesang der Maria (Lukas 1,46-55) – nach dem ersten Wort des lateinischen Bibeltexts der Vulgata „Magnificat” genannt – wurde zu Luthers Zeit täglich am Abend in der Vesper gebetet. Luthers Auslegung ist eine Dankesgabe an den jungen Herzog Johann Friedrich von Sachsen, der sich bei seinem Onkel, dem Kurfürsten Friedrich dem Weisen, nach Bekanntwer­den der Bannandrohungsbulle für Luther eingesetzt hatte. Vom November 1520 bis in den März 1521 hat Luther an dieser Schrift gearbeitet: Mitte März konnte der Druck der ersten Bogen beginnen. Infolge der Reise zum Wormser Reichstag musste Luther die Arbeit zunächst abbrechen und konnte sie erst auf der Wartburg von Ende Mai bis zum ersten Drittel des Juni vollenden. Der Druck verzögerte sich dann bis Ende August oder Anfang September 1521.

Zur Gliederung: Nach der Beschreibung rechten Gotteslobes als Werk Gottes im Menschen (Teil 1, V. 46) und als Freude an Gottes Güte (Teil 2, V. 47) stellt Teil 3 (V. 48) das Zentrum der Auslegung dar: Maria erweist sich als gern in der Nichtigkeit vor der Welt (humilitas) Le­bende. Sie baut nicht auf eigene Verdienste, sondern nur auf Gottes Gnade und wird so zum Vor- und Urbild des im Glauben gerechtfertigten Menschen. Aller traditionellen Göttlichkeit und Mittlerfunktion entledigt, steht sie für die Verborgenheit der Offenbarung. Teil 4 (V. 49) relativiert die Bedeutung zeitlicher Güter und präzisiert dies in Teil 5 (V. 50-53): Gott wirkt für die, die vor der Welt ge­ring sind, Barmherzigkeit, Gericht und Gerechtigkeit; die Weisen, Mächtigen und Reichen dagegen, die sich gern auf ihre »Güter« verlassen, setzt er ab. Der Regent soll dies im Glauben gegen den Augenschein mit Maria sehen lernen. Die Kirche als das neue, geistliche Israel der an Christus Glaubenden (Teil 6, V. 54-55) ist fehlbar wie der einzelne Christ. (Veronika Albrecht-Birkner)

JESUS

Dem durchlauchten und hochgeborner Fürsten und Herrn, Herrn Johann Friedrich, Herzog zu Sachsen, Landgraf zu Thüringen und Markgraf zu Meißen, mei­nem gnädigen Herrn und Patron.

Untertäniger Kaplan
D. Martinus Luther.

Durchlauchter, hochgeborner Fürst, gnädiger Herr!

Für Eure Fürstliche Gnaden [E.F.G.] sind meine Gebete und Dien­ste allezeit bereit. Gnädiger Herr, ich hab E.F.G. gnädiges Schreiben, das mir jüngst übergeben wurde, untertänig empfangen und allen tröstlichen Inhalt mit Freuden ver­nommen. Weil ich aber E.F.G. nun lange Zeit verheißen habe und schuldig bin, das Magnificat zu erklären, woran mich die leidigen Händel vieler Widersacher so oft gehin­dert haben, hab ich mir vorgenommen, auf die Schrift E.F.G. zugleich mit diesem Büchlein zu antworten. Ich habe gedacht, es könnte mein längeres Verzögern mir eine Schamröte einbringen und der Behelf fernerer Aus­rede nicht am Platze sein; denn sonst versäume E.F.G. junges Gemüt, daß es zur Liebe göttlicher Schrift geneigt und durch weitere Übung derselben mehr erhitzt und gestärkt würde, wozu ich E.F.G. göttliche Gnade und Beistand wünsche.

Denn das ist sehr nötig, weil an der Person eines solchen großen Fürsten vieler Leute Heil hegt, wenn er seinem Eigenwillen entzogen und von Gott gnädig regiert wird, wiederum vieler Verderben, wenn er sich selbst überlas­sen und ungnädig regiert wird. Denn obwohl aller Men­schen Herzen in der allmächtigen Hand Gottes sind, ist’s doch nicht umsonst allein von den Königen und Fürsten gesagt: »Das Herz des Königs ist in Gottes Hand, der kann es wenden, wohin er will.« (Spr. 21,1) Damit will Gott seine Furcht den großen Herren einprägen, daß sie lernen sollen, wie sie gar nichts denken können, was Gott ihnen nicht auf besondere Weise eingibt. Anderer Menschen Tun bringt nur ihnen selbst oder gar wenigen Leuten Frommen oder Schaden. Aber Herren sind nur dazu gesetzt, daß sie anderen Leuten schädlich oder nützlich sind, um so mehr, je weiter sie regieren. Darum nennt auch die Schrift fromme, gottesfürchtige Fürsten Engel Gottes, ja auch Götter. Wiederum schädliche Fürsten nennt sie Löwen, Drachen und wütende Tiere, welche Gott selbst heißt seiner vier Plagen eine, da er aufzählt: Pestilenz, Teuerung, Krieg und wütende Tiere (Hes. 14,21).

Denn ein menschlich Herz, von Natur Fleisch und Blut, ist aus sich selbst leicht vermessen. Und wo ihm Gewalt, Gut und Ehre dazu in die Hand gegeben sind, wird es durch solche star­ke Ursache zur Vermessenheit und allzu freier Sicherheit noch mehr bewegt, so daß es Gottes vergißt, seiner Untertanen nicht achtet. Und weil es Raum hat, ohne Strafe übelzutun, fährt es zu und wird ein Tier, tut nur, was ihn gelüstet, und ist mit Namen ein Herr, aber mit der Tat ein Unhold. Darum hat auch der weise Mann Bias wohlgeredet: Am Regieren zeigt sich, was einer für ein Mann ist. Denn die Untertanen wagen nicht, aus sich herauszugehen, aus Furcht vor der Obrig­keit. Darum tut’s allen Oberherren not, weil sie Men­schen nicht zu fürchten haben, daß sie Gott mehr fürchten als andere, ihn und seine Werke gut erkennen und sorg­sam vorgehen, wie St. Paulus sagt Röm. 12,8: »Wer da regiert, der sei sorgfältig.«

Nun weiß ich in der ganzen Schrift nichts, das so gut hierzu dient, wie dies heilige Lied der hochgesegneten Mutter Gottes, das wahrhaftig allen, die gut regieren und heilsam Herren sein wollen, gut zu lernen und zu behalten ist. Sie singt in der Tat hierin aufs allerlieblichste von der Gottesfurcht, und was er für ein Herr sei, vor allem, welches seine Werke sind in den hohen und niedrigen Ständen. Laß einen andern zuhören seinem Mädchen, die ein weltlich Lied singt. Dieser züchtigen Jungfrau hört billig zu ein Fürst und Herr, die ihm ein geistliches, reines, heilsames Lied singt. Es ist auch kein unbilliger Brauch, daß in allen Kirchen dies Lied täglich in der Vesper gesungen wird, dazu, verglichen mit anderem Gesang, auf eine besonde­re, angemessene Weise. Diese zarte Mut­ter Gottes wolle mir erwerben den Geist, der solchen ihren Gesang nützlich und gründlich auslegen könne. Er gebe E.F.G. und uns allen, heilsames Verstehen und löb­liches Leben daraus zu nehmen und dadurch im ewigen Leben loben und singen zu können dies ewige Magnificat. Das helfe uns Gott, Amen.

Hiermit befehle ich mich E.F.G., untertänig bittend, E.F.G. wolle mein geringes Vermögen mit gnädigem Willen annehmen. Zu Witten­berg, am zehnten Tag des März anno 1521.

DAS MAGNIFICAT

  1. Meine Seele erhebt Gott, den Herrn.
  2. Und mein Geist freut sich in Gott, meinem Heiland.
  3. Denn er hat mich, seine geringe Magd, angesehen, da­von mich werden selig preisen Kindeskinder ewiglich.
  4. Denn er, der alle Dinge tut, hat große Dinge mir getan, und heilig ist sein Name.
  5. Und seine Barmherzigkeit langet von einem Ge­schlecht zum andern allen, die sich vor ihm fürchten.
  6. Er wirket gewaltig mit seinem Arm und zerstöret alle die Hoffärtigen im Gemüt ihres Herzens.
  7. Er setzet die großen Herren von ihrer Herrschaft ab und erhöhet, die da niedrig und nichts sind.
  8. Er macht satt die Hungrigen mit allerlei Gütern, und die Reichen läßt er leer bleiben.
  9. Er nimmt auf sein Volk Israel, das ihm dient, nachdem er gedacht an seine Barmherzigkeit.
  10. Wie er denn versprochen hat unseren Vätern, Abra­ham und seinen Kindern in Ewigkeit.

VORREDE UND EINGANG

Diesen heiligen Lobgesang ordentlich zu verstehen, ist zu merken, daß die hochgelobte Jung­frau Maria aus eig­ner Erfahrung redet, in der sie durch den heiligen Geist ist erleuchtet und gelehrt worden. Denn es kann nie­mand Gott noch Gottes Wort recht verstehen, er habe es denn unmittelbar von dem heiligen Geist. Niemand kann’s aber von dem heiligen Geist ha­ben, er erfahre es, versuche es und empfinde es denn. Und in dieser Erfah­rung lehrt der heilige Geist als in seiner eigenen Schule. Außerhalb dieser wird nichts gelehrt als nur Schein­worte und Geschwätz. Ebenso die heilige Jungfrau: Als sie in sich selbst erfahren hat, daß Gott in ihr so große Dinge wirkt, wo sie doch gering, unangesehen, arm und verachtet gewesen, lehrt sie der heilige Geist diese reiche Kunst und Weisheit, daß Gott ein solcher Herr sei, der nichts anderes zu schaffen habe, denn nur erhö­hen, was niedrig ist, erniedrigen, was da hoch ist, und kurzum: zerbrechen, was da ist gemacht, und machen, was zerbrochen ist.

Denn so wie er im Anfang aller Kreaturen die Welt aus nichts schuf, wovon er Schöpfer und allmächtig heißt, so bleibt er bei solcher Art zu wirken unverwandelt. Und es sind noch alle seine Werke bis ans Ende der Welt also getan, daß er aus dem, was nichts, gering, verachtet, elend, tot ist, etwas Köstliches, Ehrliches, Seliges und Lebendiges macht. Wiederum alles, was etwas Köstliches, Ehrliches, Seliges, Lebendiges ist, macht er zunichte, ge­ring, verachtet, elend und sterbend. Auf diese Weise kann keine Kreatur wirken; sie vermag es nicht, aus nicht etwas zu machen. So sehen seine Augen nur in die Tiefe, nicht in die Höhe, wie Daniel sagt: »Du sitzest über den Cherubim und siebest in die Tiefe oder den Ab­grund.« (Stücke zu Daniel 3,31) Und Ps. 138,6: »Gott ist der Allerhöchste und sieht herunter auf die Niedrigen, und die Hohen erkennt er von ferne.« Ebenso Ps. 113,5f: »Wo ist ein solcher Gott als der unsere, der da sitzt am höchsten und sieht doch herunter auf die Niedrigen im Himmel und auf Erden?« Denn weil er der Allerhöchste und nichts über ihm ist, kann er nicht über sich sehen, kann auch nicht neben sich sehen. Weil ihm niemand gleich ist, muß er notwendig in sich selbst und unter sich sehen. Und je tiefer jemand unter ihm ist, je besser er ihn sieht.

Aber die Welt und Menschenaugen tun das Gegenteil. Die sehen nur über sich, wollen ja hoch fahren, wie Spr. 30,13 steht: »Es ist ein Volk, dem seine Augen in die Höhe sehen, und seine Augenbrauen sind in die Höhe gerichtet.« Das erfahren wir täglich, wie jedermann nur über sich, zur Ehre, zur Gewalt, zum Reichtum, zur Kunst, zu gutem Leben und allem, was groß und hoch ist, sich bemüht. Und wo solche Leute sind, denen hängt jedermann an, da läuft man hinzu, da dient man gern, da will jedermann sein und der Höhe teilhaftig werden, so daß nicht umsonst in der Schrift so wenig Könige und Fürsten als fromm beschrieben sind. Wiederum in die Tiefe will niemand sehen. Wo Armut, Schmach, Not, Jammer und Angst ist, da wendet jedermann die Augen ab. Und wo solche Leute sind, da läuft jedermann davon, da flieht, da scheut, da läßt man sie und denkt niemand, ihnen zu helfen, beizustehen und zu machen, daß sie auch etwas sind. Müssen also in der Tiefe und der niedrigen, verachteten Masse bleiben. Es ist hier kein Schöpfer unter den Menschen, der aus dem Nichts wolle etwas machen, wie doch St. Paulus Röm. 12,16 lehrt und spricht: »Liebe Brüder, achtet nicht die hohen Dinge, sondern fügt euch zu den niedrigen.«

Darum bleibt Gott allein solches Hinsehen vorbehal­ten, das in die Tiefe, die Not und den Jam­mer sieht und ist nah allen denen, die in der Tiefe sind. Und wie Petrus sagt: »Den Hohen widersteht er, den Niedrigen gibt er seine Gnade.« (1.Petr. 5,5) Und aus diesem Grund fließt nun die Liebe und das Lob Gottes. Es kann niemand jemals Gott loben, er habe ihn denn zuvor lieb. So kann ihn niemand lieben, er sei ihm denn aufs liebste und allerbeste bekannt. So kann er nicht in dieser Weise be­kannt werden, es sei denn durch seine Werke, in uns erzeigt, gefühlt und erfahren. Wo aber erfahren wird, wie er ein solcher Gott ist, der in die Tiefe sieht und nur hilft den Armen, Verachteten, Elenden, Jämmerlichen, Ver­lassenen und denen, die gar nichts sind, da wird er einem so herzlich lieb. Da geht das Herz über vor Freuden, hüpft und springt vor großem Wohlgefallen, das es in Gott empfangen hat. Und da ist dann der heilige Geist. Der hat solche überschwengliche Kunst und Lust in einem Au­genblick in der Erfahrung gelehrt.

Darum hat Gott auch den Tod auf uns alle gelegt und das Kreuz Christi mit unzähligen Leiden und Nöten sei­nen allerliebsten Kindern und Christen gegeben, ja läßt sie auch zuweilen in Sünde fallen, auf daß er ja viel zu sehen hätte in die Tiefe, vielen helfen, viel wirken, sich als ein rechter Schöpfer erzeigen und damit sich so bekannt machen, daß man ihn liebt und lobt. Darin widerstrebt ihm jedoch leider die Welt mit ihren übersichtigen Augen ohne Unterlaß und hindert ihn an seinem Sehen, Wirken, Helfen, Erkenntnis, Liebe und Lob und beraubt ihn all dieser Ehre, dazu sich selbst ihrer Freude, Lust und Selig­keit. So hat er auch seinen ein­zigen liebsten Sohn Christus selbst in die Tiefe alles Jammers verworfen. Und vor allem an ihm hat er erzeigt sein Sehen, Werk, Hilfe, Art, Rat und Willen, wohin das alles gerichtet sei. Darum bleibt auch Christus, der das vor allem erfahren hat, voller Bekenntnis, Liebe und Lob Gottes ewiglich. Wie Ps. 21,7 sagt: »Du hast ihn erfreut mit eitel Freude vor deinem Ange­sicht«, das ist: daß er dich sieht und erkennt. Davon sagt auch Ps. 45,18, daß alle Heiligen werden nicht mehr tun, als Gott loben im Himmel, daß er sie in ihrer Tiefe angesehen und sich da ihnen bekannt gemacht hat, so daß sie ihn lieben und loben können.

Ebenso tut auch hier die zarte Mutter Christi, lehrt uns mit dem Exempel ihrer Erfahrung und mit Worten, wie man Gott erkennen, lieben und loben soll. Denn weil sie mit fröhlichem, springendem Geist hier sich rühmt und Gott lobt, er habe sie angesehen, obwohl sie niedrig und nichts gewesen sei, muß man glauben, daß sie arme, verachtete, geringe Eltern gehabt. Und daß wir’s vor die Augen bilden um der Einfältigen willen: Es sind ohne Zweifel zu Jeru­salem der obersten Priester und Ratsher­ren Töchter reich, hübsch, jung, gelehrt und in höchsten Ehren gehalten gewesen im Ansehen des ganzen Landes wie jetzt der Könige, Fürs­ten und Reichen Töchter. Ebenso auch in noch vielen anderen Städten. Auch zu Nazareth, in ihrer Stadt, ist sie nicht der obersten Regen­ten, sondern eines einfachen, armen Bürgers Tochter ge­wesen, auf welche niemand groß gesehen noch acht ge­habt. Und sie ist unter ihren Nachbarn und deren Töch­tern ein einfaches Mädchen gewesen, das des Viehes und Hauses gewartet hat, ohne Zweifel nicht anders, als jetzt eine arme Hausmagd sein mag, die tut, was man sie im Haus zu tun heißt.

Denn so hat Jesaja verkündigt: »Es wird eine Rute ausgehn von dem Stamm Jesse und auf­wachsen eine Blume von seiner Wurzel, auf welcher wird ruhen der heilige Geist.« (11,1f.) Der Stamm und Wurzel ist das Geschlecht Jesse oder David, besonders die Jungfrau Ma­ria, die Rute und Blume ist Christus. Und wie es unvor­hersehbar, ja unglaublich ist, daß aus einem dürren, faulen Stamm und solcher Wurzel eine schöne Rute und Blume wachse, so war es auch nicht vorauszusehen, daß Maria, die Jungfrau, sollte eines solchen Kindes Mutter wer­den.

Denn ich meine, sie sei nicht allein darum ein Stamm und eine Wurzel genannt, weil sie über­natürlich bei unversehrter Jungfrauschaft eine Mutter geworden ist, so wie es übernatürlich ist, daß eine Rute von einem toten Block wachse. Sondern auch darum, weil der königliche Stamm und das Geschlecht Davids einst grünte und blühte in großer Ehre, Gewalt, Reichtum und Glück zu Davids und Salomos Zeiten, auch vor der Welt ein hohes Ding war. Aber am Ende, als Christus kommen sollte, hatten die Priester diese Ehre an sich gebracht und regierten allein. Und das königliche Geschlecht Davids war vor Armut und Verachtung wie ein toter Block, so daß keine Hoffnung mehr da noch vorauszusehen war, daß von ihm wieder ein König zu großen Ehren kommen sollte. Und als diese unansehnliche Gestalt ihr höchstes Maß erreicht hatte, kommt Christus und wird von dem verachteten Stamm und dem geringen, armen Mädchen geboren. Die Rute und die Blume wächst daher von der Person, die Herrn Hannas’ und Kaiphas’ Töchter nicht hätten für würdig erachtet, ihre geringste Magd zu sein. So gehen Gottes Werk und Blick einher in der Tiefe, der Menschen Blick und Werk nur in der Höhe. Das ist die Ursache ihres Lobgesangs. Den wollen wir nun hören von Wort zu Wort.

MEINE SEELE ERHEBT GOTT, DEN HERRN. (Lk. 1,46)

Das Wort geht daher aus großer Inbrunst und überschwenglicher Freude, in der sich ihr Ge­müt und Leben ganz erhebt von innen heraus im Geist. Darum spricht sie nicht: »Ich erhebe Gott«, sondern: »meine Seele«. Als wollte sie sagen: Es schwebt mein Leben und all mein Sinn in Gottes Liebe, Lob und hoher Freude, so daß ich, meiner selbst nicht mächtig, mehr erhoben werde, als daß ich mich selbst erhebe zu Gottes Lob. So geschieht all denen, die mit göttlicher Süßigkeit und seinem Geist durchgos­sen werden, daß sie mehr fühlen, als sie sagen könnten. Denn es ist kein Menschenwerk, Gott mit Freuden zu loben. Es ist mehr ein fröhliches Leiden und allein Gottes Werk, das sich mit Worten nicht lehren, sondern nur durch eigene Erfahrung erkennen läßt. Wie David Ps. 34,9 sagt: »Schmeckt und seht, wie süß ist Gott, der Herr; selig ist der Mensch, der ihm traut.« Erst setzt er das Schmecken, dann das Sehen, weil sich’s nicht erkennen läßt ohne eigene Erfahrung und eigenes Fühlen, wozu doch niemand kommt, er traue denn Gott mit ganzem Herzen, wenn er in der Tiefe und Not ist. Darum setzt er behend hinzu: »Selig ist der Mensch, der Gott traut.« Denn derselbe wird Gottes Werk in sich erfahren und so zu der empfindbaren Süßigkeit und durch sie zu allem Verstand und aller Erkenntnis kommen.

Wir wollen ein Wort nach dem andern erwägen, das erste: »meine Seele«. Die Schrift teilt den Menschen in drei Teile, da St. Paulus 1.Thess. 5,23 sagt: »Gott, der ein Gott des Friedens ist, der mache euch heilig durch und durch, so daß euer ganzer Geist und Seele und Leib unsträf­lich erhalten werden auf die Zukunft unseres Herrn Jesus Christus.« Und ein jedes dieser drei samt dem ganzen Menschen wird auch geteilt auf eine andere Weise, näm­lich in zwei Stücke, die heißen Geist und Fleisch. Diese Teilung ist nicht eine nach der Natur, sondern nach der Art. Das ist: Die Natur hat drei Stücke – Geist, Seele, Leib. Diese können allesamt gut oder böse sein, das heißt dann Geist oder Fleisch sein, wovon jetzt nicht zu reden ist. Das erste Stück, der Geist, ist das höchste, tiefste, edelste Teil des Menschen, womit er fähig ist, unbegreif­liche, unsichtbare, ewige Dinge zu fassen. Und er ist kurzum das Haus, darin der Glaube und Gottes Wort wohnen. Davon sagt David Ps. 51,12: »Herr, mach in meinem Inwendigsten einen richtigen Geist«, das ist einen aufgerichteten, ausgestreckten Glauben. Wiederum von den Ungläubigen Ps. 78,37: »Ihr Herz war nicht richtig zu Gott, und ihr Geist war nicht im Glauben zu Gott.«

Das andere, die Seele, ist nach der Natur ebenderselbe Geist, aber doch in einem anderen Werk, nämlich in dem, daß er den Leib lebendig macht und durch ihn wirkt, und wird oft in der Schrift für das Leben genommen. Denn der Geist mag wohl ohne den Leib leben, aber der Leib lebt nicht ohne den Geist. Dies Stück sehen wir, wie es auch im Schlaf und ohne Unter­laß lebt und wirkt. Und seine Art ist nicht, die unbegreiflichen Dinge zu fassen, sondern was die Vernunft erkennen und ermessen kann. Und hier in diesem Hause ist nämlich die Vernunft das Licht. Und wenn nicht der Geist – mit dem Glauben als mit einem höheren Licht erleuch­tet – dies Licht der Ver­nunft regiert, so kann sie nimmer ohne Irrtum sein. Denn sie ist zu gering, mit göttlichen Dingen umzugehen. Die­sen beiden Stücken schreibt die Schrift viele Dinge zu, wie Weisheit und Erkenntnis, die Weisheit dem Geist, die Erkenntnis der Seele, danach auch Haß, Liebe, Lust, Ab­scheu und dergleichen.

Das dritte ist der Leib mit seinen Gliedern. Dessen Werke sind nur Übungen und Gebrauch nach dem, was die Seele erkennt und der Geist glaubt. Und daß wir dafür ein Gleichnis anzeigen aus der Schrift: Mose machte ein Heiligtum mit drei unterschiedlichen Gebäuden. Das er­ste hieß Allerheiligstes, darin wohnte Gott. Und es war kein Licht drinnen. Das andere hieß das Heilige, darin stand ein Leuchter mit sieben Röhren und Lampen. Das dritte hieß der Hof. Das war unter dem Himmel öffentlich vor der Sonne Licht. (2.Mose 26,33f. und 40,1ff.) In dieser Figur ist ein Christenmensch abgemalt: Sein Geist ist das Allerheiligste, Gottes Wohnung im finstern Glauben ohne Licht; denn er glaubt, was er weder sieht noch fühlt noch begreift. Seine Seele ist das Heilige. Da sind sieben Lichter, das ist allerlei Verstand, Unter­scheidung, Wissen und Erkenntnis der leiblichen, sichtba­ren Dinge. Sein Körper ist der Hof. Der ist jedermann offenbar, so daß man sehen kann, was er tut und wie er lebt.

Nun bittet Paulus: Gott, der ein Gott des Friedens ist, wolle uns heilig machen, nicht in einem Stück allein, sondern ganz und gar, durch und durch, daß Geist, Seele und Leib und alles hei­lig sei. Von Ursachen für solches Gebet wäre viel zu sagen. In Kürze: Wenn der Geist nicht mehr heilig ist, so ist nichts mehr heilig. Nun richten sich der größte Streit und die größte Gefahr auf des Geistes Heiligkeit, die nur in dem bloßen, lauteren Glauben steht, weil der Geist nicht mit begreifbaren Dingen umgeht, wie gesagt ist. So kommen denn falsche Lehrer und locken den Geist heraus. Einer macht dieses Werk gel­tend, der andere jene Weise, um fromm zu werden. Wenn dann der Geist hier nicht bewahrt wird und weise ist, so fällt er heraus und folgt, kommt auf die äußerlichen Werke und Weisen, meint, damit fromm zu werden. Sogleich ist der Glaube verloren und der Geist tot vor Gott.

Da beginnen dann mancherlei Sekten und Orden, daß der ein Kartäuser, der ein Barfüßer wird, der mit Fasten, der mit Beten, einer mit dem, der andere mit einem anderen Werk will selig werden. Und es sind doch alles eigene, selbstgewählte Werke und Orden, von Gott nie geboten, nur von Menschen erdacht. Dabei nehmen sie nimmermehr des Glaubens wahr, lehren immer weiter auf die Werke bauen, bis sie so tief hineingeraten, daß sie darüber uneins werden. Jeder will am besten sein und verachtet den andern, wie jetzt unsere Mönche der stren­geren Richtung sich brüsten und aufblasen. Wider solche Werkheiligen und fromm erscheinenden Lehrer bittet hier Paulus und spricht, Gott sei ein Gott des Friedens und der Einigkeit, den solche uneinigen, unfriedsamen Heili­gen nicht haben noch behalten können, es sei denn, daß sie ihre Dinge fallenlassen und allesamt im Geist und Glau­ben zusammenkom­men und erkennen, wie die Werke nur Unterschied, Sünde und Unfrieden machen, wie aber allein der Glaube mache fromm, einig und friedsam. Wie Ps. 68,7 sagt: »Gott macht, daß wir einig in dem Haus wohnen.« Und Ps. 133,1: »Ei, wie fein und lustig ist’s, daß die Brüder einig wohnen beieinander.«

Der Friede kommt von nichts anderem als davon, daß man lehrt, daß kein Werk, keine äußerli­che Weise, son­dern nur der Glaube – das ist gute Zuversicht in die unsichtbare Gnade Gottes, die uns versprochen ist – fromm, gerecht und selig mache, wovon ich in der Schrift von den guten Werken viel gesagt habe. Und wo der Glaube nicht ist, da müssen viele Werke sein, woraus dann Unfriede und Uneinigkeit folgt und also kein Gott mehr da bleibt. Darum begnügt sich hier St. Paulus nicht, zu sagen: »daß euer Geist, eure Seele« usw., sondern er sagt: »euer ganzer Geist«, an dem alles liegt. Er gebraucht hier ein feines Wort in griechischer Sprache: to olokleron pneuma emon, das ist: euer Geist, der das ganze Erbe besitzt. Als wollte er sagen: Lasset euch durch keine Lehre von den Werken irremachen, der gläubige Geist hat’s allein gar und ganz. Es liegt nur am Glauben des Geistes. Diesen »ganzerbbesitzenden Geist«, bitte ich, wolle Gott euch behüten vor den falschen Lehren, die durch Werke wollen Zuver­sicht machen zu Gott, welches doch falsche Gewissen sind, weil sie nicht auf Gottes Gnade allein solche Zuversicht bauen. Wenn nun solcher »ganzerbbe­sitzende Geist« erhalten wird, können danach auch die Seele und der Leib ohne Irrtum und böse Werke bleiben. Sonst ist’s nicht möglich, daß da, wo der Geist glaublos ist, die Seele und das ganze Leben nicht unrecht sein und irre gehen sollten, obwohl sie gute Meinung und gute Absicht vorgeben und eigene Andacht und Wohlgefallen drinnen haben. So sind danach wegen solchen Irrtums der Seele und falschen Gutdünkens auch alle Werke des Lei­bes böse und verworfen, ob sich gleich jemand tot fastete und aller Heiligen Werke täte. Darum ist’s nötig, daß uns Gott zum ersten den Geist, danach Seele und Leib behüte, daß wir nicht umsonst wirken und leben, sondern recht­schaffen heilig werden, nicht allein frei von den öffentli­chen Sünden, sondern vielmehr auch von den falschen und scheinenden guten Werken.

Das sei diesmal genug gesagt zur Erklärung der zwei Worte Seele und Geist, weil sie sehr häufig sind in der Schrift. Danach steht das Wörtlein Magnificat. Das heißt: groß machen, erheben und viel von ihm halten als von dem, der große und viele und gute Dinge tun könne, zu tun wisse und tun wolle, wie denn folgt in diesem Lob­gesang, so daß das Wort Magnificat wie ein Titel eines Buchs anzeigt, wovon darin geschrieben sei. So zeigt sie auch mit diesem Wort an, wovon ihr Lobgesang lauten soll, nämlich von großen Taten und Werken Gottes, zu stärken unseren Glauben, zu trösten alle geringen und zu schrecken alle hohen Menschen auf Erden. Auf diesen dreifachen Gebrauch oder Nutzen müssen wir den Lob­gesang gerichtet sein lassen und erkennen: Sie hat ihn nicht für sich allein, sondern für uns alle gesungen, damit wir ihr nachsingen sollen. Nun kann niemand über solch große Taten Gottes erschrecken oder sich mit ihnen trö­sten, es sei denn, daß er nicht nur glaubt, Gott vermöge und wisse große Taten zu tun; sondern er muß auch glauben, daß Gott so tun will und eine Liebe hat, dies zu tun. Ja, es ist auch nicht genug, daß du glaubst, er wolle mit andern und nicht mit dir große Taten tun, und dich damit von solcher göttlichen Tat ausnimmst, wie die tun, die Gott nicht fürchten in ihrer Gewalt und die klein­mütig verzagen in ihrem Gedränge.

Denn solche Arten zu glauben sind nichts und ganz tot, wie eine Meinung, aus einer Fabel empfangen. Sondern du mußt ohne alles Wanken, ohne alles Zweifeln Gottes Willen über dich dir vor Augen stellen, so daß du fest glaubst, er werde und wolle auch mit dir große Din­ge tun. Dieser Glaube lebt und webt. Der dringt durch und ändert den ganzen Menschen. Der zwingt dich, daß du mußt fürchten, wenn du hoch bist, und getrost sein, wenn du niedrig bist. Und je höher du bist, desto mehr du dich fürchten mußt. Je tiefer du unterdrückt bist, desto mehr du dich trösten kannst, was von jenen Arten zu glauben keine tut. Wie willst du in Todesnöten tun? Da mußt du ja nicht nur glauben, er könne und wisse, sondern auch er wolle dir helfen, weil doch ein ganz unsagbar großes Werk geschehen muß, damit du vom ewigen Tod erlöst, ewig selig und Gottes Erbkind werdest. Dieser Glaube vermag alle Dinge, wie Christus sagt (Mark. 9,23). Der besteht allein. Der kommt auch in die Erfahrung gött­licher Werke und dadurch in göttliche Liebe und so in göttliches Lob und den Gesang, daß der Mensch Großes von Gott hält und ihn recht groß macht.

Denn Gott, der unwandelbar ist, wird nicht in seiner Natur groß von uns gemacht, sondern in unserer Er­kenntnis und Empfindung, das ist, wenn wir viel von ihm halten und ihn groß achten, vor allem nach seiner Güte und Gnade. Darum spricht die heilige Mutter nicht »meine Stimme« oder »mein Mund«, auch nicht »meine Hand«, auch nicht »meine Gedanken«, auch nicht »meine Vernunft oder mein Wille macht groß den Herrn«. Denn ihrer sind viele, die Gott mit großer Stimme preisen, mit köstlichen Worten predigen, viel von ihm reden, dispu­tieren, schreiben und malen, viele, die von ihm denken und durch die Vernunft nach ihm trachten und spekulie­ren, dazu viele, die mit falscher Andacht und falschem Willen ihn erheben. Sondern so sagt sie: »Meine Seele macht ihn groß.« Das ist: Mein ganzes Leben, Weben, Sinn und Kraft halten viel von ihm, so daß sie gleichsam in ihn verzückt ist und Emporhebung fühlt in seinen gnädigen, guten Willen, wie der folgende Vers zeigt. Auf die gleiche Weise sehen wir, daß, wenn uns jemand etwas besonders Gutes tut, gleichsam all unser Leben sich zu ihm hin bewegt, und sprechen: O ich halt viel von ihm. Das heißt eigent­lich: Meine Seele macht ihn groß. Wieviel mehr wird solch lebendige Bewegung sich regen, wenn wir Gottes Güte empfinden, die überschwenglich groß ist in seinen Werken, daß uns alle Wor­te und Gedanken zu wenig werden und das ganze Leben und die Seele sich müssen bewegen lassen, als wollte alles gern singen und sagen, was in uns lebt.

Aber hierbei sind nun zweierlei falsche Geister, die das Magnificat nicht in rechter Weise singen können. Die ersten, die ihn nur loben, wenn er ihnen Gutes tut, wie David sagt: »Sie loben dich, wenn du ihnen wohltust.« (Ps. 49,19) Diese scheinen Gott gar sehr zu loben. Aber weil sie niemals Unterdrückung und die Tiefe leiden wollen, können sie niemals die rechten Werke Gottes erfahren und darum auch niemals recht Gott lieben und loben. So ist jetzt alle Welt voll Gottesdiensts und Lobes mit Singen, Predigen, Orgeln und Pfeifen, und das Ma­gnificat wird herrlich gesungen. Aber dabei ist es zum Erbarmen, daß solch köstlicher Gesang so ganz ohne Kraft und Saft von uns ausgeführt wird, die wir nicht eher singen, es gehe uns denn wohl. Wenn es uns aber übel geht, ist das Singen aus. Da hält man nichts mehr von Gott; da meinen wir, Gott könne oder wolle nichts mit uns wirken. Damit muß das Magnificat auch ausbleiben.

Die anderen sind noch gefährlicher, die auf die andere Seite weichen, die sich erheben in Gottes Gütern und sie nicht allein Gottes Güte zueignen. Sie wollen auch was dran haben. Sie wollen dadurch geehrt und für mehr gehalten sein als andere Menschen. Sie schauen an all das Gute, das Gott an ihnen gewirkt, klammern sich daran und beanspruchen es als das Ihre und halten sich gegen die andern, die solches nicht haben, für etwas Besonderes. Hier ist fürwahr ein glatter, schlüpfriger Stand. Gottes Güter machen natürlicherweise hoffärtige und selbstge­fällige Herzen. Darum ist hier nötig, das letzte Wörtlein zu merken: »Gott«. Denn Maria sagt nicht: »Meine Seele macht groß sich selbst« oder »hält viel von mir«. Sie wollte auch gar nichts von sich gehalten haben. Sondern allein Gott macht sie groß. Dem gibt sie es ganz allein, nimmt sich davon aus und trägt’s alles nur wieder hinauf zu Gott, von dem sie es empfangen hatte. Denn obwohl sie solch überschwengliche Tat Gottes in sich empfand, war sie doch und blieb also gesinnt, daß sie sich nicht erhob über den geringsten Menschen auf Erden. Und wenn sie es getan hätte, wäre sie mit Luzifer in der Hölle Abgrund gefallen.

Sie hat so gedacht: Wenn eine andere Magd solche Güter hätte von Gott, wollte sie ebenso fröhlich sein und es ihr ebensowohl gönnen wie sich selbst, ja sich allein solcher Ehre unwür­dig und alle anderen würdig achten. Und wäre auch noch wohl zufrieden gewesen, wenn Gott solche Güter von ihr genommen und vor ihren Augen einer anderen gegeben hätte. So ganz und gar hat sie sich von dem allen nichts angemaßt und Gott seine Güter frei, ledig und zu eigen gelassen. Ist nicht mehr denn eine fröhliche Herberge und willige Wirtin solchen Gastes gewesen. Darum hat sie auch das alles ewig behalten. Sieh, das heißt Gott allein groß machen: nur von ihm allein groß halten und uns kein Ding anmaßen. Daraus sieht man, in wie großer Gefahr zu fallen und zu sündigen sie gestanden, daß es kein geringeres Wunder ist, daß sie sich der Hoffart und Anmaßung enthalten, als daß sie solche Güter bekommen hat. Meinst du nicht, was für ein wunderbares Herz das sei? Sie findet sich eine Gottesmut­ter, über alle Menschen erhoben, und bleibt doch so einfältig und gelassen, daß sie darum keine geringe Dienstmagd hätte für weniger als sich selbst gehalten. O wir armen Menschen; wenn wir ein wenig Gutes, Gewalt oder Ehre haben, ja ein wenig hübscher denn andere sind, können wir uns nicht einem Geringeren gleichstellen und ist des Hochmuts kein Maß. Was wollten wir tun, wenn wir große, hohe Güter hätten?

Darum läßt uns Gott auch arm, unselig bleiben, weil wir seine zarten Güter nicht unverdorben lassen. Wir könnten nicht von uns ebenso halten wie vorher. Sondern wir lassen den Mut immer mitwachsen und -abnehmen, je nachdem wie die Güter kommen oder gehen. Aber dies Herz Marias steht fest und gleich zu aller Zeit, läßt Gott in sich wirken nach seinem Willen, nimmt nicht mehr davon als einen guten Trost, Freude und Zuversicht in Gott. So sollten wir auch tun. Das wäre ein rechtes Ma­gnificat gesungen.

UND MEIN GEIST FREUT SICH IN GOTT, MEINEM HEILAND. (V 47)

Was der Geist sei, ist jetzt gesagt, nämlich der die unbe­greiflichen Dinge faßt durch den Glauben. Darum nennt sie auch Gott ihren Heiland oder ihre Seligkeit, was sie doch nicht sah noch empfand. Sondern sie traute in fester Zuversicht darauf, er sei ihr Heiland und ihre Seligkeit, welchen Glauben sie aus dem Gotteswerk, in ihr gesche­hen, empfangen hat. Und fürwahr, nach der Ordnung fängt sie an, daß sie Gott erst ihren Herrn nennt, dann ihren Heiland, und ihren Heiland nennt, ehe sie seine Werke erzählt. Damit lehrt sie uns, wie wir sollen Gott allein und in rechter Ordnung lieben und loben und ja nicht das Unsere an ihm suchen. Der liebt aber und lobt Gott allein und recht, der ihn nur darum lobt, weil er gut ist, und allein sein bloßes Gutsein ansieht und nur darin seine Lust und Freude hat. Dies ist eine hohe, reine, zarte Weise, zu lieben und zu loben, die wohl eignet einem solchen hohen, zarten Geist, wie es der dieser Jungfrau ist.

Die unreinen und verkehrten Liebhaber, die nichts anderes als nur Nießlinge sind und das Ihre an Gott suchen, die heben und loben nicht sein bloßes Gutsein, sondern sehen auf sich selbst und achten nur darauf, wie­weit Gott für sie gut sei, das ist, wieweit er seine Güte ihnen spürbar erzeige und ihnen wohltue. Und halten viel von ihm, sind fröhlich, singen und loben ihn, solange solch Empfinden währt. Wenn sich aber Gott verbirgt und seiner Gutheit Glanz zurückzieht, daß sie bloß und elend sind, so hören auch Lieb und Lob zugleich auf. Und sie können nicht die bloße, unempfindbare Güte, die in Gott verborgen ist, lieben und loben. Damit beweisen sie, daß ihr Geist sich nicht in Gott, dem Heiland, erfreut hat; es sind nicht rechte Liebe und rechtes Lob der bloßen Güte dagewesen. Sondern sie haben viel mehr Lust gehabt in dem Heil als im Heiland, mehr in den Gaben als in dem Geber, mehr in der Kreatur als in Gott. Denn sie können nicht gleichbleiben in Haben und Mangeln, in Reichtum und Armut, wie St. Paulus sagt: »Ich hab erlernt, daß ich kann übrighaben und Mangel haben.« (Phil. 4,12)

Von diesen sagt Ps. 49,19: »Sie loben dich, solange du ihnen wohltust.« Als wollte er sagen: Sie meinen sich und nicht dich. Hätten sie nur Lust und Gut von dir, sie gäben nichts auf dich, wie auch Christus Joh. 6,26 sagt zu denen, die ihn suchten: »Fürwahr ich sage euch, ihr suchet mich, nicht darum daß ihr Zeichen gesehen, sondern weil ihr gegessen und gesättigt seid.« Solche unreinen, falschen Geister verderben alle Gottesgaben und hindern ihn, so daß er ihnen nicht viel gibt, auch nicht zu ihrer Seligkeit mit ihnen wirken kann. Davon wollen wir ein fei­nes Exempel hören: Es hat einmal ein frommes Weib ein Gesicht gesehen, wie drei Jungfrau­en bei einem Altar saßen. Und während der Messe lief ein hübsches Knäblein von dem Altar und ging zu der ersten Jungfrau, tat freundlich zu ihr, herzte sie und lachte sie lieblich an. Danach ging er zu der anderen und tat nicht so freundlich zu ihr, herzte sie auch nicht, doch hob er ihren Schleier auf und lächelte sie freundlich an. Der dritten aber tat er kein freundli­ches Zeichen, schlug sie ins Angesicht, raufte sie und stieß sie, ging ganz unfreundlich mit ihr um und lief schnell wieder auf den Altar und verschwand.

Da ward dem Weib dies Gesicht ausgelegt, daß die erste Jungfrau bedeute die unreinen, auf Vorteil bedach­ten Geister. Denen muß Gott viel Gutes und mehr ihren Willen tun, als sie den seinen. Sie wollen an nichts Man­gel, sondern allezeit Trost und Lust an Gott haben, lassen sich nicht genügen an seiner Güte. Die andere bedeutet die Geister, die angefangen haben, Gott zu dienen, und wohl etwas Mangel leiden, doch nicht völlig, und auch nicht ohne Eigen­nutz und Verlangen sind. Er muß ihnen zuweilen einen lieblichen Blick geben und sie empfinden lassen seine Güte, daß sie dadurch lernen, auch sein bloßes Gutsein zu lieben und zu loben. Aber die dritte, das arme Aschenbrödlein, hat nichts denn eitel Mangel und Unge­mach, sucht keinen Nutzen, läßt sich genügen, daß Gott gut ist, ob sie es auch nimmermehr empfinden sollte (was doch unmöglich ist). Bleibt gleich und unverändert auf beiden Seiten, liebt und lobt ebensowohl Gottes Gutsein, wenn es nicht empfunden, als wenn es empfunden wird. Verfällt nicht den Gütern, wenn sie da sind, fällt auch nicht ab, wenn sie weg sind. Das ist die rechte Braut, die zu Christus spricht: Ich will nicht das Deine, ich will dich selber haben; bist mir nicht lieber, wenn mir wohl ist, auch nicht unlieber, wenn mir’s übel geht.

Solche Geister erfüllen, was geschrieben steht: »Ihr sollt nicht weichen von der gleichen, rich­tigen Gottesstraße, weder zur linken noch zur rechten Seite« (Jes. 30,21), das ist, sie sollen gleich und richtig Gott lieben und loben, nicht sich selbst suchen und ihr Genießen. Einen solchen Geist hatte David. Da er von Jerusalem getrieben wurde durch seinen Sohn Absalom und Gefahr drohte, daß er ewig verworfen, nimmermehr König und zu Gottes Gunst kommen würde, sprach er: »Gehet hin. Will mich Gott haben, wird er mich wohl wieder hineinführen; spricht er aber: ›Ich will dein nicht‹, so bin ich bereit.« (2.Sam. 15,25f.) O ein wie reiner Geist ist das gewesen, der von Gottes Güte, sie zu lieben, zu loben und ihr zu folgen, nicht abläßt in der höchsten Not. Einen solchen Geist erzeigt hier die Mutter Gottes Maria, daß sie, mitten in den großen, überschwenglichen Gütern schwebend, ihnen dennoch nicht verfällt, nicht ihren Nutzen darin sucht, sondern ihren Geist rein behält in Liebe und Lob des bloßen Gutseins Gottes, bereit, willig und gern anzu­nehmen, wenn Gott sie derselben wieder berauben und einen armen, nackten, Mangel habenden Geist ihr lassen wollte.

Um wieviel schwieriger es nun ist, in Reichtum und großen Ehren oder Gewalt maßzuhalten als in Armut, Schanden und Schwachheit – weil Reichtum, Ehre und Gewalt starke Anreizung und Ursache geben zu dem Bösen –, um soviel mehr ist hier der wunderbar reine Geist Marias zu preisen, daß sie in solch übermäßigen Ehren ist und sich dennoch nicht anfechten läßt. Tut, als sehe sie es nicht, bleibt gleich und richtig auf der Straße. Haftet nur an dem göttlichen Gut­sein, das sie nicht sieht und empfindet. Läßt fahren die Güter, die sie empfindet, läßt sich nicht darin gelüsten, sucht nicht ihren Nutzen, so daß sie in der Tat aus rechtem, wahrem Grund singt: »Mein Geist erfreut sich in Gott, meinem Heiland.« Es ist wahrhaftig ein Geist, der nur im Glauben steht, der springt und hüpft nicht um der Güter Gottes willen, die sie empfand, sondern der fröhlich ist nur aus Gott, den sie nicht empfand, als aus ihrem Heil, den sie nur im Glauben erkennt. O das sind die rechten, niedrigen, ledigen, hung­rigen, gottes­fürch­tigen Geister, davon hernach folgen wird.

Daraus können wir erkennen und richten, wie jetzt die Welt voll falscher Prediger und Heili­ger ist, die dem armen Volk von guten Werken viel predigen. Und ob­wohl ihrer wenig sind, die auch nur predigen, wie sie gute Werke tun sollen – der größte Teil predigt Menschen­lehre und -werke, die sie selbst erdacht und aufgesetzt haben –, so sind doch leider auch die aller­besten unter ihnen noch so weit von der rechten, richtigen Straße entfernt, daß sie das Volk immer von der rechten Seite vertreiben, indem sie nicht lehren, die guten Werke und gutes Leben um Gottes bloßen Gutseins willen zu tun, sondern um ihres eigenen Nutzens willen. Denn wo we­der Himmel noch Hölle wäre und sie von Gottes Güte keinen Nutzen hätten, so ließen sie seine Güte wohl fah­ren ungeliebt und ungelobt. Das sind eitel Nießlinge und gemietete Dienstknechte, und nicht Kinder; Fremdlinge, und nicht Erben. Die machen sich selbst zum Abgott. Und Gott soll sie lieben und loben, eben das ihnen tun, was sie ihm tun sollten. Die haben keinen Geist. Gott ist auch nicht ihr Heiland, sondern seine Güter sind ihr Heiland, in welchen ihnen Gott als ein Knecht muß die­nen. Das sind die Kinder von Israel, die in der Wüste nicht genug hatten am Himmelsbrot, wollten auch Fleisch, Zwiebel und Knoblauch essen.

Nun ist leider alle Welt, sind alle Klöster, alle Kirchen solchen Volkes voll. Sie wandeln alle­samt in dem fal­schen, verkehrten, unrichtigen Geist, treiben, jagen und heben die guten Werke so hoch, daß sie den Himmel vermeinen damit zu verdienen; wo doch vor allen Din­gen sollte gepredigt und erkannt werden das bloße Gut­sein Gottes und wir wissen sollten: Wie Gott aus lauter Güte uns selig macht ohne alle Verdienste der Werke, so sollten wir wiederum die Werke ohne allen Lohn oder Nutzen suchen, sie um der bloßen Güte Gottes willen tun, nichts anderes als sein Wohlgefallen darin begehren, nicht für den Lohn sorgen. Der wird sich wohl finden und ohne unser Verlangen folgen. Denn obwohl es nicht möglich ist, daß der Lohn nicht sollte folgen, wenn wir aus reinem, richtigem Geist ohne solches Verlangen nach Lohn und Nutzen Gutes tun, so will doch Gott diesen auf Vorteil bedachten, unreinen Geist nicht haben; ihm wird auch kein Lohn. So wie ein Kind dem Vater willig umsonst dient, als ein Erbe, doch nur um seines Vaters willen. Und wenn ein Kind dem Vater nur ums Erbe und Gut dient, ist es verdientermaßen ein nicht zu leidendes Kind und wert, daß es der Vater ver­stoße.

DENN ER HAT ANGESEHEN DIE NICHTIGKEIT SEINER MAGD.
DAVON WERDEN MICH SELIG PREISEN ALLE KINDESKINDER. (V. 48)

Das Wörtlein humilitas haben etliche hier zur Demut gemacht. Als hätte die Jungfrau Maria ihre Demut angegeben und sich ihrer gerühmt. Daher kommt es, daß sich etliche Prälaten auch humiles nennen, was gar weit von der Wahrheit entfernt ist. Denn vor Gottes Augen kann sich niemand eines guten Dinges ohne Sünde und Verderben rühmen. Man muß sich vor ihm einzig und allein seiner lauteren Güte und Gnade, uns Unwürdigen erzeigt, rühmen, auf daß nicht unsere, sondern allein Gottes Liebe und Lob in uns bestehen und uns erhalten, wie Salomo lehrt Spr. 26,6f.: »Du sollst nicht ruhmredig erscheinen vor dem König und nicht stehn (das ist etwas sein) vor den großen Her­ren. Es ist dir besser, man sage zu dir: ›Sitz herauf‹, denn daß du erniedrigt werdest vor dem Fürsten.« Wie sollte man denn soviel Ver­messenheit und Hochmut dieser rei­nen, richtigen Jungfrau zuschreiben, daß sie sich vor Gott ihrer Demut rühmte, welche die allerhöchste Tugend ist. Und niemand achtet oder rühmt sich als demütig, als wer der Allerhochmütigste ist. Gott allein erkennt die Demut, richtet und offenbart sie auch allein, so daß der Mensch niemals weniger von der Demut weiß, als eben wenn er recht demütig ist.

Der Schrift Brauch ist, daß sie humiliare nennt »ernied­rigen« und »zunichte machen«. Und darum heißen die Chri­sten in der Schrift an vielen Orten arme, nichtige, ver­worfene Leute. Wie Ps. 116,10: »Ich bin gar sehr zunichte geworden oder erniedrigt.« So ist humilitas nichts anderes als ein verachteter, unangesehener, niedriger Stand und Wesen, als da sind die armen, kran­ken, hungrigen, dursti­gen, gefangenen, leidenden und sterbenden Menschen. Wie Hiob war in seiner Anfechtung und David in seiner Verstoßung vom Reich und Christus mit allen Christen in ihren Nöten. Und das ist die Tiefe, von der oben gesagt ist, daß Gottes Augen nur in die Tiefe sehen und Men­schenaugen nur in die Höhe. Das ist, sie sehen nach dem ansehnlichen, scheinenden, prächtigen Wesen und Stand. Darum heißt Jerusalem in der Schrift eine Stadt, auf die Gottes Augen sehen. Das ist: Die Christenheit liegt in der Tiefe und ist unangesehen vor der Welt. Darum sieht Gott sie an und hat seine Augen stets über sie, wie er sagt Ps. 32,8: »Ich will meine Augen stets auf dich haben.«

So sagt auch St. Paulus 1.Kor. 1,27f.: »Gott erwählt alles, was närrisch vor der Welt ist, auf daß er zuschanden mache alles, was da klug ist vor der Welt, und erwählt, was da schwach und untüchtig ist, auf daß er zuschanden mache alles, was da stark und gewaltig ist. Er er­wählt, was da nichts ist vor der Welt, auf daß er zunichte mache alles, was etwas ist vor der Welt.« Und damit macht er die Welt zu Narrheit mit all ihrer Weisheit und ihrem Können und gibt eine andere Weisheit und ein anderes Können. Weil es denn nun seine Art ist, in die Tiefe und unansehnliche Dinge zu sehen, hab’ ich das Wörtlein humilitas ver­deutscht mit »Nichtig­keit« oder »unansehnlichem Wesen«, daß die Meinung Marias die sei: Gott hat auf mich ar­mes, verachtetes, unansehnliches Mädchen gesehen und hätte wohl gefunden reiche, hohe, ed­le, mächtige Königinnen, großer Herren und Fürsten Töchter. Hätte er doch wohl können finden Hannas’ und Kaiphas’ Töchter, welche die obersten im Land gewesen. Aber er hat auf mich seine ganz und gar gütigen Augen geworfen und so eine ge­ringe, verschmähte Magd dazu gebraucht, damit nie­mand vor ihm sich rühme, daß er dessen würdig gewesen wäre oder sei, und auch ich bekennen muß, daß es lauter Gnade und Güte ist und in gar nichts mein Verdienst und Würdigkeit.

Nun haben wir oben genügend gesagt, wie die zarte Jungfrau in ihrem unansehnlichen Wesen und Stand gar unversehens zu dieser Ehre gekommen sei, weil Gott sie so übergnädig hat ange­sehen. Und darum rühmt sic sich weder ihrer Würdigkeit noch ihrer Unwürdigkeit, son­dern allein des göttlichen Ansehens, das so übergütig und übergnädig ist, daß er auch eine solch geringe Magd hat ansehen und so herrlich und ehrenvoll ansehen wollen. Deshalb tun die ihr Unrecht, die sagen, sie habe sich nicht ihrer Jungfrauschaft, sondern ihrer Demut ge­rühmt. Sie hat sich weder der Jungfrauschaft noch der Demut ge­rühmt, sondern einzig des gnädigen, göttlichen Anse­hens. Darum liegt das Gewicht nicht auf dem Wörtlein »Niedrig­keit«, sondern auf dem Wörtlein »er hat angese­hen«. Denn ihre Nichtigkeit ist nicht zu loben, sondern Gottes Ansehen. So wie wenn ein Fürst einem armen Bettler die Hand reicht: Da ist nicht des Bettlers Nichtig­keit, sondern des Fürsten Gnade und Güte zu preisen.

Damit aber solch falscher Wahn vertrieben und die rechte Demut von der falschen unterschie­den werde, wollen wir ein wenig ausholen und von der Demut reden. Denn darin wird von vielen sehr geirrt. Demut nennen wir auf deutsch, was St. Paulus auf griechisch nennt tapeino­phrosyne, auf lateinisch affectus vilitatis seu sensus humilium rerum, das ist ein Wille und Gemüt zu gerin­gen, verachteten Dingen. Nun findet man hier viele, die das Wasser in den Brunnen tragen. Das sind die, die sich mit geringen Kleidern, Personen, Gebärden, Stätten, Worten darstellen, auch davon reden und damit umgehn, doch in der Meinung, daß sie da­durch vor den Hohen, Reichen, Gelehrten, Heiligen, ja auch vor Gott möchten angesehen werden als solche, die gern mit geringen Din­gen umgehen. Denn wenn sie wüßten, daß man davon nichts halten wollte, ließen sie es wohl anstehen. Das ist eine gemachte Demut. Denn ihr hinterlistiges Auge sieht nur auf Lohn und Folge der Demut und nicht auf die geringen Dinge ohne Lohn und Folge. Darum, wo Lohn und Folge nicht mehr winkt, da ist die Demut aus. Solche kann man nicht nennen: die einen Willen und Herz in geringen Dingen haben, sondern: die nur die Gedanken, den Mund, die Hand, das Kleid und die Gebärde darin haben, das Herz aber sieht über sich zu hohen, großen Dingen. Zu denen gedenkt es durch solches demütige Gehabe zu kommen. Und diese achten sich selbst für demütige, heilige Leute.

Die wahren Demütigen sehen nicht auf die Folge der Demut, sondern mit einfältigem Herzen sehen sie in die niedrigen Dinge, gehn gern damit um und werden selbst niemals gewahr, daß sie demütig sind. Da quillt das Was­ser aus dem Brunnen. Da folgt von selbst ungesucht, daß sie geringe Gebärde, Worte, Stätten, Personen, Kleider führen und tragen. Und sic meiden, wo sie können, hohe und große Dinge. Davon sagt David Ps. 131,1: »Herr, mein Herz ist nicht erhoben, und meine Augen haben nicht emporgesehen.« Und Hiob 22,29: »Wer sich ernied­rigt, der wird zu Ehren kommen, und wer seine Augen niederschlägt, der wird selig werden.« Darum geschieht’s auch, daß diesen allezeit die Ehre unversehens widerfährt, und ihre Erhö­hung kommt ihnen unerwartet. Denn sie haben sich genügen lassen an ihrem geringen Wesen auf einfältige Weise und nach der Höhe nie verlangt. Aber die falschen Demütigen wundert es, daß ihre Ehre und Erhö­hung so lange ausbleibt. Und ihr heimlicher, falscher Hochmut läßt sich nicht genügen an seinem geringen Wesen, denkt heimlich nur höher und höher.

Darum, wie ich gesagt habe, rechte Demut weiß nie­mals, daß sie demütig ist. Denn wenn sie es wüßte, so würde sie hochmütig von dem Ansehen dieser schönen Tugend. Vielmehr haftet sie mit Herz, Mut und allen Sinnen an den geringen Dingen. Die hat sie ohne Unterlaß in ihren Augen, das sind ihre Bilder, mit denen sie umgeht. Und weil sie die in ihren Augen hat, kann sie sich selbst nicht sehen noch ihrer selbst gewahr werden, viel weniger der hohen Din­ge innewerden. Drum muß ihr die Ehre und Höhe unversehens zukommen und sie ganz in fremden Gedanken finden, verglichen mit Ehre und Höhe. So spricht Lukas, daß der Engels­gruß Maria ver­wunderlich war in ihren Augen und daß sie bedachte, was das für ein Gruß wäre, dessen sie sich nie hatte versehen (Lk. 1,29). Wäre der Gruß Kaiphas’ Tochter gebracht, sie würde sich nicht bedacht haben, was das für ein Gruß wäre, hätte ihn bald angenommen und gedacht: Ei, das ist gut Ding und wohlgetan.

Umgekehrt weiß falsche Demut niemals, daß sie Hochmut ist. Denn wenn sie das wüßte, wür­de sie bald demütig von dem Ansehen der häßlichen Untugend. Vielmehr haftet sie mit Herz, Mut und Sinn an den hohen Dingen. Die hat sie ohne Unterlaß in ihren Augen. Das sind ihre Bilder, mit denen sie umgeht. Und weil sie damit umgeht, kann sie nicht sich selbst sehen und ihrer selbst gewahr werden. Darum kommt ihr die Ehre nicht unerwartet und unversehens, sondern findet entspre­chende Gedanken. Aber die Schande und Erniedrigung kommt ihr unversehens und findet sie ganz in völlig anderen Gedanken.

Deshalb ist’s nichts nütze, daß man Demut lehre auf die Weise, daß man in die Augen bildet geringe, verachtete Dinge. Wiederum wird niemand davon hochmütig, daß man hohe Dinge in die Augen bildet. Nicht die Bilder, sondern das Sehen muß man abtun. Wir müssen hier leben unter hohen und niedrigen Bildern. Aber, wie Christus sagt: Das Auge muß ausgestochen sein (Mt. 5,29). Mose spricht nicht, daß Adam und Eva andere Dinge gesehen haben nach dem Fall als vorher, sondern er sagt, ihre Augen seien aufgetan, daß sie sich nackt sahen, so sie doch vorher auch nackt waren und wurden’s nicht gewahr (1.Mose 3,7). Die Königin Esther trug eine reiche Krone auf ihrem Haupt und sprach doch, es sei in ihren Augen wie ein unrei­nes Tuch (Stücke zu Esth. 3,11). Da waren nicht die hohen Bilder von ihr genommen. Ja, sie waren ihr mit Haufen vorgesetzt als einer mächtigen Königin, und kein niedrig Bild vor ihr. Aber das Sehen war niedrig. Herz und Mut sahen nicht nach großen Dingen. Darum tat Gott Wunder durch sie. So müssen nicht die Dinge, sondern wir verwandelt werden in Ge­müt und Sinn. Dann wird sich’s von selbst lehren, hohe Dinge zu verachten und zu fliehen, niedrige Dinge zu achten und zu suchen. Da ist die Demut grundgut und beständig auf allen Seiten und wird ihrer selbst doch niemals gewahr. Das geht mit Lust zu. Und das Herz bleibt gleich und eins, wie die Dinge sich auch wandeln oder geben, hoch oder niedrig, groß oder klein.

O, es liegt gar großer Hochmut unter den demütigen Kleidern, Worten und Gebärden, deren jetzt die Welt voll ist: die sich selbst so verachten, daß sie dennoch wollen von jedermann unverachtet sein; die Ehre so flie­hen, daß sie dennoch damit wollen gejagt sein; die hohen Dinge so meiden, daß man sie dennoch darauf anspreche, sie preise und lasse ihre Dinge nicht das Geringste sein. Aber hier diese Jungfrau weist auf nichts anderes hin als auf ihre Nichtig­keit, in der sie gelebt und geblieben ist, nie bedacht war auf Ehre oder Höhe, auch nicht inne­gewor­den, daß sie demütig gewesen sei. Die Demut ist so zart und so köstlich, daß sie nicht ertragen kann ihr eigenes Ansehen. Sondern das Bild ist allein dem göttlichen Sehen vorbehalten, wie Ps. 113,6 sagt: »Er sieht an die Niedrigen im Himmel und auf Erden.« Denn wer seine Demut könnte sehen, der könnte über sich selbst urteilen zur Seligkeit, und Gottes Gericht wäre schon vorbei, weil wir wissen, daß Gott die Demütigen gewiß selig macht. Dar­um muß es Gott sich selbst Vorbehalten, sie zu erken­nen und anzusehen, und muß sie vor uns verbergen mit Vorstellen und Einüben der geringen Dinge, bei denen wir vergessen, uns selbst anzusehen. Dazu dienen nun so viele Leiden, Sterben und allerlei Ungemach auf Erden, damit wir zu schaffen und das falsche Auge auszustechen Mühe und Arbeit haben.

Nun haben wir klar aus diesem Wörtlein »Niedrigkeit«, daß die Jungfrau Maria ein verachte­tes, geringes, unange­sehenes Mägdlein gewesen ist, worin sie Gott gedient hat, nicht gewußt, daß ihr unansehnlicher Stand so groß an­gesehen wäre vor Gott. Damit werden wir getröstet, daß wir, obwohl wir gern erniedrigt und verachtet sein soll­ten, doch wenigstens darin nicht verzagen, als sei Gott zornig über uns, sondern vielmehr hoffen, daß er uns gnädig sei, und allein davor Sorge haben, daß wir nicht willig genug und gern in solcher Erniedrigung sind, daß vielleicht das falsche Auge zu weit offen stehe und uns betrüge mit heimlichem Verlan­gen nach Höhe oder eige­nem Wohlgefallen, womit die Demut ganz zu Trüm­mern geht. Denn was hilft es den Verdammten, daß sie aufs niedrigste unterdrückt sind, da sie doch nicht gern und willig darin sind? Und was schadet es allen Engeln, daß sie aufs höchste erhoben sind, da sie doch nicht mit falscher Lust daran hängen? Kurz: Dieser Vers lehret uns Gott recht erkennen, indem er darauf hinweist, Gott sehe auf die Niedrigen, Verachteten. Und der erkennt Gott recht, der weiß, daß Gott auf die Niedrigen sieht, wie oben gesagt ist. Und aus der Erkenntnis folgen dann Liebe und Vertrauen zu Gott, so daß sich der Mensch ihm willig ergibt und folgt.

Davon sagt Jeremia: »Niemand rühme sich seiner Stärke, seines Reichtums noch seiner Weis­heit, sondern wer sich rühmen will, der rühme sich, daß er mich er­kennt und weiß.« (Jer. 9,22f.) Wie auch St. Paulus lehrt 2.Kor.10,17: »Wer sich rühmet, der rühme sich Gottes.« Ebenso die Mutter Gottes. Nachdem sie ihren Gott und Heiland mit bloßem, reinem Geist gelobt und sich seiner Güter nicht bemächtigt hat und ihm damit recht gesun­gen von seinem Gutsein, kommt sie nun nach der Ord­nung auch darauf, seine Werke und Güter zu loben. Denn wie gesagt, man darf sich nicht an die Güter Gottes klammern und sich ihrer bemächti­gen, sondern muß durch sie hinauf zu ihm dringen, an ihm allein hängen und von seinem Gut­sein viel halten und ihn dann auch in seinen Werken loben, in denen er uns solche Güte erzeigt hat, damit wir sie lieben, ihr trauen und sie loben. So daß die Werke nichts anderes sind als viele Ursachen, seine reine Güte, die über uns regiert, zu lieben und zu loben.

Sie beginnt aber zuerst bei sich selbst und singt, was er ihr getan hat. Damit lehrt sie uns zwei Stücke. Das erste: Ein jeder soll darauf acht haben, was Gott mit ihm wirkt, vor allen Werken, die er mit anderen tut. Denn es wird keines Seligkeit in dem bestehen, was er mit einem an­dern, sondern in dem, was er mit dir wirkt. So Joh. 21,21, da St. Petrus von St. Johannes sprach: »Was soll aber dieser tun?«, antwortet ihm Christus und sagt: »Was geht es dich an? Folge du mir!« Als wollte er sagen: Johannes’ Werke werden dir nicht helfen; du mußt selbst dran und gewär­tig sein, was ich mit dir tun will. Wo doch jetzt ein greulicher Mißbrauch in der Welt regiert mit Austeilen und Verkaufen guter Werke, weil etliche vermessene Geister wollen anderen Leuten helfen, vor allem denen, die ohne eigenes Gotteswerk leben oder ster­ben – gerade als hätten sie guter Werke zuviel, so doch St. Paulus klar spricht 1.Kor. 3,8: »Ein jeglicher wird Lohn empfangen nach seiner Arbeit«, ohne Zweifel nicht nach eines ande­ren Arbeit.

Es wäre zu ertragen, wenn sie für andere Leute beteten oder ihre Werke Gott als eine Fürbitte vortrügen. Nun sie aber wie mit einem Geschenk damit verfahren, ist’s ein schändliches Vor­nehmen. Und was noch das Allerärgste ist: Sie geben ihre Werke weg, von denen sie selbst nicht wissen, was sie vor Gott gelten. Denn Gott sieht nicht die Werke, sondern das Herz an und den Glauben. Durch diese wirkt er auch mit uns. Darauf haben sie gar nicht acht, bauen nur auf die äußerlichen Werke, verfuhren damit sich selbst und jedermann. Auch lassen sie sich so weit hinreißen, daß sie die Leute bereden, Mönchskappen anzuziehen beim Sterben. Geben vor, wer in solch heili­gem Kleid sterbe, habe Ablaß von allen Sünden und werde selig. Fangen an, die Leute nicht allein mit fremden Werken, sondern auch mit fremden Kleidern selig zu machen.

Ich fürchte: Sieht man nicht darauf, so wird der böse Geist sie noch so weit fuhren, daß sie die Leute mit Klosterspeisen, -behausung und -begräbnis zum Himmel fuhren! Hilf Gott, welch handgreifliche Finsternisse sind mir das, daß eine Mönchskappe kann fromm und selig ma­chen! Wozu ist dann der Glaube nötig? Laßt uns alle Mönche werden oder alle in Kappen sterben! Auf die Weise sollte viel Tuch draufgehen für Mönchskappen. Hüte dich! Hüte dich vor den Wölfen in solchen Schafs­kleidern. Sie zerreißen und verführen dich. Daran denke, daß Gott auch mit dir wirkt und du deine Seligkeit nur auf die Werke, die Gott in dir allein wirkt, stellst und auf keine anderen – wie du hier die Jungfrau Maria tun siehst. Wenn du aber durch anderer Fürbitte dir dazu helfen läßt, ist’s recht und wohlgetan. Füreinander sollen wir alle bit­ten und tun. Aber niemand soll ohne eigenes göttliches Werk auf anderer Werke sich verlassen, sondern mit allem Fleiß seiner und Gottes wahrnehmen, nicht anders, als wä­ren er und Gott allein im Himmel und auf Erden und als hätte Gott mit niemandem als mit ihm zu schaffen. Erst dann sollen sie auf anderer Werke sehen.

Das andere, das sie hierin lehrt: Ein jeder soll der erste sein wollen beim Lobe Gottes und dessen Werke, die in ihm geschehen sind, vortragen, und danach ihn auch in den Werken anderer loben. So lesen wir, daß Paulus und Barnabas den Aposteln verkündigten ihre Got­teswerke und sie wiederum die ihren (Apg. 15,7 ff.). Ebenso machten sie es bei der Erschei­nung nach der Auferstehung Christi (Luk. 24,34f.). Da erhebt sich dann eine allgemeine Freude und Lob zu Gott, wenn jeder des anderen Gnade und doch seine am ersten preist, wenn sie auch geringer ist als die des anderen, und begehrt nicht der erste oder vorderste zu sein in den Gütern, sondern in Lob und Liebe Gottes. Denn er hat Genüge an Gott und seiner bloßen Güte, wie gering auch die Gabe sei. So fein einfältig ist ihr Herz. Aber die Nießlinge und Eigensüchtigen sehen krumm und scheel, wenn sie gewahr werden, daß sie nicht die Höchsten und Besten sind in den Gütern, mur­ren statt zu loben, daß sie anderen gleich oder geringer sind, wie die im Evangelium Matth. 20,11f., die wider den Hausvater murrten, nicht daß er ihnen unrecht täte, son­dern daß er sie den andern gleichstellte mit dem täglichen Pfennige.

Ebenso findet man jetzt viele, die Gottes Gutsein nicht loben, weil sie nicht sehen, daß sie ebensoviel haben wie St. Peter oder sonst ein Heiliger oder wie dieser und der auf Erden. Meinen, wenn sie auch so viel hätten, wollten sie auch wohl Gott loben und lieben; achten es gering, daß sie doch mit Gütern Gottes überschüttet sind, die sie nicht erkennen, wie: Leib, Leben, Vernunft, Gut, Ehre, Freundschaft und Dienst der Sonne mit allen Kreaturen. Und wenn sie gleich alle Güter Marias hätten, so würden sie doch in ihnen Gott nicht erkennen und loben. Denn, wie Christus sagt Luk. 16,10: »Wer im Geringen und Wenigen treu ist, der ist auch im Großen und Vielen getreu; und wer im Wenigen untreu ist, der ist auch in Vielem untreu.« Drum sind sie wert, daß ihnen das Viele und Große nicht zuteil wird, weil sie das Kleine und Wenige verschmähen. Lobten sie aber Gott im Kleinen, so würde ihnen das Große auch reichlich zuteil. Das macht, sie sehen über sich und nicht unter sich. Wenn sie unter sich sähen, würden sie viele finden, die ihnen viel-

leicht nicht zur Hälfte gleich und doch wohl mit Gott zufrieden sind und ihn loben. Ein Vogel singt und ist fröhlich in dem, was er kann, und murrt nicht, daß er nicht reden kann. Ein Hund springt fröhlich und ist zu­frieden, obgleich er nicht vernünftig ist. Alle Tiere lassen sich ge­nügen und dienen Gott mit Liebe und Lob. Nur das arglistige, eigennützige Auge des Men­schen ist uner­sättlich und verhält sich doch nie so, daß es befriedigt werden könnte. Das kommt von seinem Undank und Hochmut, daß es will obenan sitzen und der beste sein; will nicht Gott ehren, sondern von ihm geehrt sein.

So lesen wir, daß zu den Zeiten des Konstanzer Konzils zwei Kardinäle, im Feld reitend, sahen einen Hirten ste­hen und weinen. Und der eine Kardinal, ein gütiger Mann, wollte nicht vorüberreiten, sondern den Mann trösten. Und ritt zu ihm, fragte ihn, was ihm wäre. Da wein­te der Hirt sehr und wollte es lange nicht sagen, so daß der Kardinal sich bekümmerte. Zuletzt hob er an und zeigte auf eine Kröte und sprach: Darum weine ich, daß mich Gott als so eine feine Kreatur geschaffen hat, nicht so ungestalt wie den Wurm, und ich das nie er­kannt noch ihm Dank und Lob gesagt habe. Der Kardinal schlug in sich und entsetzte sich vor dem Wort, so daß er vom Maultier fiel. Und man mußte ihn hineintragen. Und schrie: O St. Augustin, wie wahr hast du gesagt, die Ungelehrten stehen auf und nehmen den Himmel vor uns dahin. Und wir mit unserer Kunst wandeln in Fleisch und Blut. Nun acht ich, der Hirt sei weder reich noch hübsch noch mächtig gewesen. Und hat dennoch Gottes Güter so tief betrachtet und bedankt, daß er mehr in sich gefunden, als er selbst übersehen konnte.

Das erste Werk Gottes in ihr bekennt sie: Es sei das Ansehen. Das ist auch das größte, in dem die anderen alle hängen und aus dem alle fließen. Denn wenn es dahin kommt, daß Gott sein Angesicht zu jemandem wendet, ihn anzusehen, da ist eitel Gnade und Seligkeit. Da müssen alle Gaben und Werke folgen. So lesen wir 1.Mose 4,4f., daß er Abel ansah und sein Opfer. Aber Kain und sein Opfer sah er nicht an. Daher kommen die vielen Gebete im Psalter, daß Gott sein Angesicht zu uns wenden, nicht verbergen, über uns erleuchten wolle und derglei­chen. Und wie auch sie selbst das für das größte hält, zeigt sie damit, daß sie spricht: »Siehe da, um des Ansehens willen wird mich selig sprechen Kindeskind.«

Merk die Worte. Sie sagt nicht, man werde ihr viel Gutes nachsagen, ihre Tugend preisen, ihre Jungfrau­schaft oder Demut erheben oder etwa ein Liedlein von ihrer Tat singen. Sondern allein darum, daß Gott sie hat angesehen, darum wird man sagen, sie sei selig. Das ist doch: Gott die Ehre so rein geben, daß es nicht reiner sein könnte. Drum zeigt sie auf das Ansehen und spricht: »Siehe da, von nun an werden mich selig sagen« usw. Das ist, von der Zeit an, als Gott hat meine Nichtigkeit ange­sehen, werde ich selig gesprochen werden. Darin wird nicht sie gelobt, sondern Gottes Gnade über ihr. Ja, sie wird verachtet und verachtet sich selbst, indem sie sagt, ihre Nichtigkeit sei von Gott angesehen. Drum rühmt sie auch ihre Seligkeit, ehe sie die Werke erzählt, die Gott ihr getan hat, und schreibt alles miteinander dem göttlichen Hinsehen auf ihre Nichtigkeit zu.

Daraus können wir lernen, welches die rechte Ehre sei, mit der man sie ehren und ihr dienen soll. Wie soll man zu ihr sagen? Sieh die Worte an, so lehren sie dich so sagen: O du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie bist du so gar nichts, gering und verachtet gewesen. Und Gott hat dich doch so überaus gnädig und freigebig angesehen und große Dinge in dir gewirkt. Du bist derer keines je wür­dig gewesen. Und die reiche, überschwengliche Gnade Gottes in dir ist über alle deine Verdienste weit und hoch. O wohl dir! Selig bist du von der Stunde an bis in Ewigkeit, die du einen solchen Gott gefunden hast! Darfst nicht denken, sie höre es un­gern, daß man sie solcher Gnade unwürdig nennt. Denn sie hat ohne Zweifel nicht gelogen, da sie selbst bekennt ihre Unwürdigkeit und Nichtigkeit, die Gott gar nicht aus ihrem Ver­dienst, son­dern aus lauter Gnade habe angesehen.

Die unnützen Schwätzer hört sie ungern, die viel pre­digen und schreiben von ihrem Verdienst, womit sie ihre große eigene Kunst beweisen wollen. Und sehen nicht, wie sie das Magnificat dämpfen, die Mutter Gottes Lügen strafen und die Gnade Gottes verkleinern. Denn soviel hohes Verdienst man ihr zulegt, soviel bricht man der göttlichen Gnade ab und mindert die Wahrheit des Ma­gnificat. Der Engel grüßt sie auch nur von Gottes Gnaden und daß der Herr mit ihr sei, wodurch sie gesegnet sei unter allen Weibern. Drum sind alle, die ihr so viel Lob und Ehre aufdrängen und das alles bei ihr bleiben lassen, nicht weit davon, daß sie einen Ab­gott aus ihr machen. Gerade als wäre es ihr darum zu tun, daß man sie ehre und zu ihr sich des Guten versehe. Wohingegen sie es doch von sich weist und will Gott in ihr gelobt haben und durch sich jedermann zu guter Zuversicht auf Gottes Gnade bringen.

Darum, wer sie recht ehren will, darf sie sich nicht für sich allein vor Augen stellen, sondern muß sie vor Gott und weit unter Gott stellen und sie da ohne Schmuck stehen lassen, in ihrer Nichtigkeit (wie sie sagt) ansehen, danach sich wundem der überschwenglichen Gnade Got­tes, der einen solch geringen, nichtigen Menschen so freigebig und gnädig ansieht, umfängt und segnet. So daß du aus dem Anblick bewegt wirst, dich alles Guten zu versehen zu sol­chem Gott, der geringe, verachtete, nich­tige Menschen so gnädig ansieht und nicht verschmäht, und daß dein Herz gegen Gott in Glaube, Liebe und Hoffnung gestärkt werde. Was meinst du, kann ihr Lie­beres begegnen, als daß du so durch sie zu Gott kommst und an ihr lernst, auf Gott zu trauen und zu hoffen, auch wenn du verachtet und vernichtet wirst. Worin das auch geschehe, im Leben oder Sterben, sie will nicht, daß du zu ihr kommst, sondern durch sie zu Gott.

Ferner: Daß du lernst dich zu fürchten vor allem hohen Wesen, wonach die Menschen trach­ten, wenn du siehst, daß Gott auch in seiner Mutter kein hohes Ansehen fand noch haben wollte. Aber die Meister, die uns die selige Jungfrau so abmalen und vorbilden, daß nichts Verachte­tes, sondern eitel große, hohe Dinge in ihr anzusehen sind, was tun sie anderes, als daß sie uns allein der Mutter Gottes gegenüberstellen und nicht sie Gott gegenüber. Damit machen sie uns scheu und verzagt und verhüllen das tröstliche Gnadenbild, wie man mit den Altarbildern tut in der Fastenzeit. Denn es bleibt kein Exempel da, dessen wir uns trösten können, sondern sie wird hochgehoben über alle Exempel, obwohl sie doch sollte und gerne wollte das allervornehmste Exempel der Gnade Gottes sein, alle Welt zu locken zur Zuver­sicht zur göttlichen Gnade, zu Liebe und Lob, daß alle Herzen von ihr eine solche Meinung zu Gott gewönnen, die mit aller Zuver­sicht sprechen könnte: Ei, du selige Jungfrau und Mutter Gottes, wie hat uns Gott in dir erzeigt einen so großen Trost, indem er deine Unwürdigkeit und Nichtigkeit so gnädig angesehen hat, wodurch wir von nun an erinnert werden, er werde uns arme, nichtige Menschen deinem Exempel nach auch nicht verachten, sondern gnädig an­sehen.

Meinst du, wenn David, St. Petrus, St. Paulus, St. Maria Magdalena und ihresgleichen durch die große Gnade, die ihnen als Unwürdigen zu aller Menschen Trost gegeben ist, Exempel sind, um göttliche Zuversicht und Glauben zu stärken – daß nicht auch die selige Mutter Gottes gern und mit Recht ein solch Exempel aller Welt wäre? Nun kann sie es nicht sein vor allzu vielen Lobpredigern und unnützen Schwätzern, die aus diesem Vers nicht zeigen, wie in ihr zusammengekommen sind der überschwengliche Reichtum Gottes mit ihrer tiefen Armut, die göttliche Ehre mit ihrer Nichtigkeit, die göttliche Würdigkeit mit ihrer Verachtung, die göttliche Größe mit ihrer Kleinheit, die göttliche Güte mit ihrem Unverdienst, die göttliche Gnade mit ihrer Unwürdigkeit. Daraus er­wuchsen Lust und Liebe zu Gott in aller Zuversicht. Darum sind auch ihr und aller Heiligen Leben und ihre Taten beschrieben. Aber nun findet man sehr viele, die bei ihr wie bei einem Gott Hilfe und Trost suchen, so daß ich fürchte, es sei jetzt mehr Abgötterei in der Welt, denn je gewesen ist. Das sei diesmal genug.

Das lateinische »omnes generationes« hab’ ich ver­deutscht »Kindeskind«, obwohl es wörtlich heißt »alle Geschlechter«. Das ist aber so dunkel geredet, daß etliche sich hier sehr bemüht haben, wie es möglich sei, daß alle Geschlechter sie selig nennen, wo doch Juden, Heiden und viele böse Christen sie lästern oder es jedenfalls ver­achten, sie selig zu nennen. Das macht, sie verstehen das Wörtlein »Geschlecht« von der Gesamtheit der Menschen, wo es hier doch eher heißt: die Folge der Glieder der natürlichen Geburt, wie eines nach dem andern geboren wird: der Vater, der Sohn, der Sohnessohn und so fort. Jedes Glied heißt ein Geschlecht, so daß die Jungfrau Maria nichts anderes meint als: Ihr Preis werde ebenso währen von einem Ge­schlecht zum andern, so daß es keine Zeit gebe, in der sie nicht gepriesen werde. Und das zeigt sie an, wenn sie sagt: »Siehe da, von nun an alle Geschlechter«, das ist: Jetzt hebt’s an und währet in alle Geschlechter, zu Kindeskindern.

Das Wörtlein »makariusi« streckt sich auch weiter als »selig sagen« und heißt »seligen« oder »seligmachen«. Daß es nicht allein mit Sagen oder Worten geschehe oder mit Kniebeugen, mit Hauptneigen, mit Hutabtun, mit Bil­dermachen, mit Kirchenbauen, was auch wohl die Bösen tun, sondern aus allen Kräften und mit gründlicher Wahrheit. Das geschieht, wenn das Herz (wie oben ge­sagt) durch das Hinsehen auf ihre Nichtigkeit und Gottes Gnade Freude und Lust durch sie zu Gott gewinnt und mit ganzem Herzen sagt oder denkt: O du selige Jungfrau Maria. Solch Seligen ist ihre rechte Ehre, wie wir gehört haben.

DENN ER HAT MIR GETAN GROSSE DINGE,
DER DA IST MÄCHTIG, UND HEILIG IST SEIN NAME. (V. 49)

Hier singt sie auf einen Haufen alle Werke, die ihr Gott getan hat, und hält eine gute Ordnung. Im vorigen Vers hat sie das göttliche Ansehen und den gnädigen Willen über sich gesungen, was auch das Größte ist (wie gesagt) und das Hauptstück aller Gnaden. Hier singt sie von Wer­ken und Gaben. Denn Gott gibt wohl vielen viele Güter und ziert sie hoch wie Luzifer im Himmel und wirft seine Gaben unter den Haufen. Aber er sieht sie darum nicht an. Die Güter sind nur Geschenke, die zeitlich währen. Aber die Gnade und das Ansehen ist das Erbe, das ewig bleibt. Wie St. Paulus sagt Röm. 6,23: »Die Gnade ist das ewige Leben.« In den Gütern gibt er das Seine, im Ansehen und der Gnade gibt er sich selbst. In den Gütern empfängt man seine Hand, aber im gnädigen Ansehen empfängt man sein Herz, seinen Geist, seinen Mut und Willen. Drum gibt die selige Jungfrau das Größte und Erste dem Anse­hen und spricht nicht als erstes: »Alle Kindeskinder wer­den mich seligen, daß er mir so große Dinge getan hat«, wovon dieser Vers sagt, sondern: daß er auf mich Nich­tige und meine Nichtigkeit gesehen hat, wovon der vo­rige Vers sagt. Wo gnädiger Wille ist, da sind auch Gaben. Aber umgekehrt ist nicht auch gnädiger Wille, wo die Gaben sind. Drum folgt dieser Vers zu Recht auf den vorigen. So lesen wir 1.Mose 25,5f., daß Abraham gab Geschenke den Kindern seiner Beiweiber oder Neben­frauen. Aber Isaak, dem rechten Sohn von der rechten Hausfrau Sara, gab er das ganze Erbe. Ebenso will Gott, daß seine rechten Kinder nicht mit seinen Gütern und Geschenken sich trösten, sie seien so groß und viel sie mögen, geistlich oder leiblich, sondern mit seiner Gnade und ihm selbst, doch ohne die Gaben zu verachten.

Sie zählt auch keine einzelnen Güter auf, sondern mit einem Wort faßt sie sie alle auf einen Haufen und spricht: »Er hat mir große Dinge getan.« Das ist, es ist alles groß, was er mir getan hat. Damit lehrt sie uns: Je größer die Andacht im Geist ist, desto weniger Worte macht sie. Denn sie fühlt, wie gar nicht sie es mit Worten so treffen kann, wie sie es wohl möchte und gern wollte. Drum sind diese wenigen Worte des Geistes allezeit so groß und tief, daß sie niemand verstehen kann, als wer auch diesen Geist wenigstens zu einem Teil fühlt. Den Geist­losen aber, die mit vielen Worten und großem Geschrei ihre Dinge ausrichten, sind solche Worte gar gering anzusehen und ganz ohne Saft und Geschmack. So lehrt auch Christus Matth. 6,7, daß wir nicht viele Worte machen sollen, wenn wir beten, denn das tun die Un­gläubigen, die meinen, sie werden durch viele Worte erhört. Wie auch jetzt in allen Kirchen viel Läuten, Pfeifen, Singen, Schreien und Lesen ist, aber ich fürchte, gar wenig Lob Gottes, der im Geist und in der Wahrheit gelobt sein will, wie er sagt Joh. 4,24.

Salomo spricht Spr. 27,14: »Wer seinen Nächsten lobt mit großem Geschrei und steht früh auf, der ist zu achten wie ein Lästerer.« Denn er macht die Sache verdächtig, so daß jeder­mann denkt, er wolle eine böse Sache beschöni­gen, weil er’s so heiß macht; er macht damit die Sache nur ärger. Wiederum, wer seinen Nächsten mit großer Stimme lästert und früh aufsteht (das ist, er ist nicht faul, tut’s mit großem, eilendem Fleiß), ist wie ein Lobredner zu achten. Denn man denkt, es sei nicht wahr, und er tue es aus Haß und bösem Herzen. Er macht damit seine Sache ärger und die seines Nächsten besser. So auch, wenn man Gott mit vielen Worten, Geschrei und Klang zu loben vermeint, tut man, als wäre er taub oder wüßte nichts, als wollten wir ihn aufwecken und unterweisen. Ein solcher Wahn von Gott dient mehr zu seiner Schmach und Unehre als zu seinem Lob. Sondern wer seine göttli­chen Taten mit tiefem Herzen wohl bedenkt und sie mit Staunen und Dank ansieht, so daß er vor Inbrunst aus sich herausfährt, mehr seufzt als redet, und die Worte selbst fließend (nicht erdacht und wohl­gesetzt) herausbrechen, daß gleich der Geist mit herausschäumt und die Worte leben, Hände und Füße haben, ja, daß zugleich der ganze Leib und alles Leben und alle Glieder gern reden wollten, – das heißt recht aus dem Geist und in der Wahrheit Gott loben. Da sind die Worte eitel Feuer, Licht und Leben. Wie David Ps. 119,140 und 171 sagt: »Herr, deine Aus­sprüche sind ganz feurig« und: »Meine Lippen sollen dir ein Lob herausschäumen.« Wie ein heißes Wasser im Sieden überläuft und schäumt, daß es sich nicht mehr halten kann vor großer Hitze im Topf, so sind auch alle Worte dieser seligen Jungfrau in diesem Gesang, deren wenig sind und doch tief und groß. Diese nennt St. Paulus Röm. 12,11 »die geistlich brennen und schäumen« und lehrt uns, ebenso zu sein.

Die großen Dinge sind nichts anderes, als daß sie Gottes Mutter geworden ist. In diesem Werk sind ihr so viele und große Güter gegeben, daß sie niemand begreifen kann. Denn da folgt alle Ehre, alle Seligkeit und daß sie im ganzen menschlichen Geschlecht eine einzigartige Person ist, über allen, der niemand gleich ist: daß sie mit dem himmlischen Vater ein Kind, und ein solches Kind, hat. Und sie selbst kann ihm keinen Namen geben vor überschwenglicher Größe und muß es dabei bleiben lassen, daß sie heraussiedet und -schäumt, es seien große Dinge, die nicht auszureden sind oder zu ermessen. Drum hat man in einem Wort all ihre Ehre begriffen: wenn man sie Gottesmutter nennt. Niemand kann Größeres von ihr noch zu ihr sagen, wenn er gleich soviel Zungen hätte wie es Laub und Gras, Sterne am Himmel und Sand am Meer gibt. Es will auch mit dem Herzen bedacht sein, was es heißt, Gottes Mutter sein.

Sie schreibt es auch frei der Gnade Gottes zu, nicht ihrem Verdienst. Denn obwohl sie ohne Sünde gewesen ist, ist doch diese Gnade so alles übertreffend, daß sie dessen in keiner Weise würdig gewesen ist. Wie sollte eine Kreatur würdig sein, Gottes Mutter zu sein? Obwohl etli­che Schreiberlinge hier viel schwätzen von ihrer Wür­digkeit zu solcher Mutterschaft. Aber ich glaube ihr selbst mehr als ihnen. Sie spricht, ihre Nichtigkeit sei angesehen, und Gott habe nicht ihren Dienst damit belohnt, sondern: »Er hat mir getan große Dinge.« Von sich aus hat er’s getan, ohne meinen Dienst. Denn sie hat ihr Lebtag nie daran gedacht, viel weniger sich dazu bereitet und ge­schickt, daß sie Gottes Mutter werden sollte. Es kam ihr diese Botschaft völlig unversehens, wie Lukas schreibt. Aber ein Verdienst ist nicht unvorbereitet auf seinen Lohn, sondern wohl bedacht und ausgerichtet auf den Lohn.

Daß man aber in dem Lied »Himmelskönigin, freue dich« singt: »denn du hast verdient zu tragen« und an anderem Ort: »des du würdig bist gewesen zu tragen«, beweist nichts. Singt man doch dieselben Worte auch vom heiligen Kreuz, das doch ein Holz war und nichts ver­dienen konnte. Ebenso ist dies auch zu verstehen, daß, sollte sie eine Mutter Gottes sein, so mußte sie ein Weib sein, eine Jungfrau vom Geschlecht Juda, und der Engels­botschaft glau­ben, damit sie dazu tauglich sei, wie die Schrift von ihr gesagt hat. Wie das Holz kein anderes Verdienst und keine andere Würdigkeit hatte, als daß es zum Kreuz tauglich und von Gott verordnet war, so ist ihre Würdigkeit zu dieser Mutterschaft keine andere ge­wesen, als daß sie dazu tauglich und verordnet gewesen ist. So daß es ja lauter Gnade sei und nicht ein Lohn werde, damit man von Gottes Gnade, Lob und Ehre nichts abbre­che, wenn man ihr zuviel gibt. Es ist besser, ihr zuviel abgebrochen, als der Gnade Gottes. Ja man kann ihr nicht zuviel abbrechen, da sie doch aus nichts geschaffen ist, wie alle Kreaturen. Aber Gottes Gnade hat man leicht zuviel abgebrochen. Das ist gefährlich. Und geschieht ihr keine Liebe damit. Es bedarf auch wohl eines Maßes, daß man den Namen, daß man sie eine Königin der Himmel nennt, nicht zu weit treibe, obwohl es wahr ist. Doch sie ist dadurch keine Abgöttin, daß sie geben oder helfen könne, wie etliche meinen, die mehr zu ihr als zu Gott rufen und Zuflucht haben. Sie gibt nichts, sondern allein Gott, wie folgt.

»Der da mächtig ist«: Damit nimmt sie doch alle Macht und Kraft allen Kreaturen und gibt’s allein Gott. O das ist eine große Kühnheit und ein großer Raub von solchem jungen, kleinen Mägdlein. Getraut sich, mit einem Wort alle Mächtigen schwach, alle Großtuenden kraftlos, alle Weisen zu Narren, alle Berühmten zuschanden zu ma­chen und allein dem einzigen Gott alle Macht, Tat, Weis­heit und Ruhm zuzueignen. Denn das Wörtlein »der da mächtig ist« heißt soviel wie: »Es ist niemand, der etwas tue«, sondern wie St. Paulus Eph. 1,11 sagt: »Al­lein Gott wirkt alle Dinge in allen Dingen.« Und aller Kreaturen Werke sind Gottes Werke, wie wir auch sprechen im Glaubensbekenntnis: »Ich glaube in Gott den Vater, den Allmächti­gen.« Allmächtig ist er, so daß in allen und durch alle und über allen nichts wirkt als allein seine Macht. So singt auch Samuels Mutter St. Hanna 1.Sam. 2,9: »Es ist kein Mann mächtig, etwas zu tun aus seinem Vermögen.« Und St. Paulus 2.Kor. 3,5: »Wir sind nicht geschickt dazu, daß wir von selbst etwas denken könnten, sondern wozu wir geschickt sind, das ist von Gott.« Dies ist ein sehr hoher Artikel und begreift viel in sich, legt alle Hoffart, Vermessenheit, Frevel, Ruhm, falsches Vertrauen zugleich danieder und erhebt nur Gott. Ja, er zeigt die Ursache an, warum Gott allein zu erheben sei, nämlich weil er alle Dinge tue. Es ist leicht gesagt, aber schwer zu glauben und ins Leben zu ziehen. Denn die das im Leben üben, sind gar friedliche, gelassene, einfältige Menschen, nehmen kein Ding für sich in Anspruch, wis­sen wohl, daß es nicht ihres, sondern Gottes ist.

So ist nun die Meinung der heiligen Gottesmutter in diesen Worten: Es ist nichts mein in allen diesen Dingen und großen Gütern, sondern der, der allein alle Dinge tut und seine Macht in allen allein wirkt, der hat mir solche großen Dinge getan. Denn das Wörtlein »mächtig« be­zeichnet hier nicht eine still ruhende Macht, wie man von einem zeitlichen König sagt, er sei mächtig, auch wenn er stillsitzt und nichts tut, sondern eine wirkende Macht und stetige Tätig­keit, die ohne Unterlaß im Schwang geht und wirkt. Denn Gott ruht nicht, sondern wirkt ohne Unterlaß, wie Christus sagt Joh. 5,17: »Mein Vater wirkt bis hierher, und ich wirke auch.« In dieser Weise sagt St. Paulus Eph. 3,20: »Er ist mächtig, mehr zu tun, als wir bitten«, das ist: Er tut allezeit mehr, als wir bitten. Das ist seine Art. So tut seine Macht. Darum habe ich gesagt: Maria will nicht eine Abgöttin sein. Sie tut nichts. Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, daß Gott durch ihren Willen gebe und tue, was wir bitten; wie auch alle ande­ren Heiligen so anzurufen sind, daß das Werk immer ganz allein Gottes bleibe.

Darum fügt sie hinzu und spricht: »Und heilig ist sein Name.« Das ist: Wie ich mir das Werk nicht anmaße, so maße ich mir auch den Namen und die Ehre nicht an. Denn dem gebührt allein Ehre und Name, der das Werk tut. Es ist unbillig, daß der eine das Werk tue und ein anderer habe den Namen und lasse sich dadurch ehren. Ich bin nur die Werkstatt, darin er wirkt. Aber ich habe nichts zum Werk getan. Darum soll auch mich niemand loben und mir die Ehre geben, daß ich Gottes Mutter geworden bin. Sondern Gott und sein Werk soll man in mir ehren und loben. Ist genug, daß man sich mit mir freut und mich seligpreist, daß mich Gott gebraucht hat, solche seine Werke in mir zu tun. Sieh, wie rein bringt sie alle Dinge Gott dar, wie nimmt sie gar kein Werk, keine Ehre, keinen Ruhm für sich in Anspruch. Tut doch eben­so wie vorher, da sie keins davon hatte, fragt auch nicht mehr nach Ehren als vorher, brüstet sich nicht, überhebt sich nicht, ruft nicht aus, wie sie Gottes Mutter geworden sei. Fordert keine Ehre, geht hin und schafft im Haus wie vorher, melkt die Kühe, kocht, wäscht Schüs­seln, kehrt, tut, wie eine Hausmagd oder Hausmutter tun soll in geringen, verachteten Werken, als kümmerte sie sich nicht um solche überschwenglichen Güter und Gna­den. Sie ist unter anderen Frauen und Nachbarn für nichts Höheres gehalten worden als vorher. Sie hat’s auch nicht begehrt, ist eine arme Bürgerin geblieben unter dem geringen Haufen. O was für ein einfältiges, reines Herz ist das! Was für ein wunderlicher Mensch ist das! Wie sind da so große Dinge verborgen unter solch geringer Gestalt! Wie viele haben sie angefaßt, mit ihr geredet, gegessen und getrunken, die sie vielleicht verachtet und für eine gewöhnliche, arme, einfache, schlichte Bürgerin gehalten haben, die sich sonst vor ihr entsetzt hätten, wenn sie solche Din­ge von ihr gewußt hätten.

Das heißt nun, seinen Namen heilig nennen. Denn »heilig« heißt, was abgesondert, Gott zuge­eignet ist, was niemand angreifen und beflecken soll, sondern in Ehren halten soll. So heißt »Name«: ein guter Leumund, Ruhm, Lob und Ehre. So soll sich jedermann des Namens Gottes enthalten, soll ihn nicht antasten, sich nicht aneignen. So ist 2.Mose 30,25ff. voraus­deutend dargestellt, daß eine köstliche, heilige Salbe gemacht ward von Mose durch Gottes Befehl und streng geboten, daß kein Mensch sei­nen Leib damit salben sollte. Das ist: Gottes Namen soll niemand sich zuschreiben. Denn das heißt Gottes Namen entheiligen, wenn wir uns rühmen oder ehren lassen oder uns selbst wohlgefallen und rühmen wegen unserer Werke oder Güter, wie die Welt tut und Gottes Namen ohne Unterlaß entheiligt und entweiht. Son­dern wie die Werke allein Gottes sind, so soll auch ihm der Name allein bleiben. Und alle, die so seinen Namen heiligen, sich der Ehre und des Ruhmes entäußern, die halten ihn recht in Ehren. Darum werden sie davon auch geheiligt, wie 2.Mose 30 geschrieben steht, wie die köstliche Salbe so heilig war, daß sie heiligte alles, was sie anrührte. Das ist: Gottes Name, wenn er von uns geheiligt ist und wir kein Werk, keinen Ruhm, kein eigenes Wohlgefallen darin für uns in Anspruch nehmen, so ist er recht geehrt, so rührt er uns an und heiligt uns.

Drum ist hier zu wachen, weil wir auf Erden nicht ohne Gottes Güter sein können und darum auch nicht ohne Namen und Ehre: Wenn uns jemand lobt und einen Namen davon gibt, sollen wir hier das Exempel der Mutter Gottes ergreifen und immer mit diesem Vers bereit sein, darauf zu antworten und Ehre und Lob recht zu brauchen und öffentlich zu sagen oder jeden­falls im Herzen zu denken: O Herr Gott, das Werk ist dein, das da gelobt und gerühmt wird, laß auch den Namen dein sein. Nicht ich, Herr, sondern du hast dies getan, der du mächtig alle Dinge tust, und heilig ist dein Name. So soll man das Lob und die Ehre nicht abstreiten, als sei es unrecht, oder verachten, als sei es nichts, sondern es nicht für sich annehmen – als ein allzu edles, köstliches Ding – und dem heimtragen, des es ist im Himmel. Sieh, das lehrt dieser edle Vers. Damit ist geantwortet, wenn jemand fragt, ob denn niemand den andern ehren soll. Ja, St. Paulus sagt, wir sollen uns darum drängen, mit Ehrung ein jeder dem anderen zuvorzukommen, Röm. 12,10. Aber die Ehre soll niemand annehmen als ihm geschehen oder sie auf sich bleiben lassen, sondern sie heiligen und Gott heimtragen, des sie ist mit allem Gut und Werk, aus dem die Ehre kommt. Denn niemand soll ein ehrloses Leben führen. Soll er denn in Ehren leben, so muß Ehre dasein. Aber wie das Leben in Ehren Gottes Gabe und Werk ist, so sei auch sein Name allein heilig und unange­tastet von eigenem Wohlgefallen. Das beten wir im Va­terunser: Dein Name werde geheiligt.

UND SEINE BARMHERZIGKEIT WÄHRET VON EINEM GESCHLECHT INS ANDERE DENEN, DIE IHN FÜRCHTEN. (V. 50)

Wir müssen uns an die Schrift gewöhnen, die da nennt »Geschlecht« die Folge der natürlichen Erzeugung oder Geburt, wie ein Mensch vom andern für und für geboren wird, wie oben ge­sagt. Darum ist das deutsche Wort »Geschlecht« nicht genug, ich weiß aber doch kein besse­res. Denn »Geschlechter« nennen wir die Sippschaften und die Gesamtheit der Blutsver­wandtschaft. Aber es soll hier heißen die natürliche Folge vom Vater zu Kindeskindern, daß ein jedes Glied derselben Folge heiße ein Geschlecht, so daß ich achte, es sollte nicht übel so verdeutscht sein: »Und seine Barmherzigkeit währet von Kind zu Kind denen, die ihn fürch­ten.« Und diese Weise zu reden ist sehr allgemein in der Schrift. Sie entspringt aus den Wor­ten Gottes, die er sagt auf dem Berg Sinai im ersten Gebot zu Mose und allem Volk: »Ich bin dein Gott, stark und emsig, der da straft die Sünde der Väter in den Kindern ins dritte und vierte Geschlecht denen, die mich hassen, und bin barmherzig in viel tausend Geschlechter denen, die mich heben und halten meine Gebote.« (2.Mose 20,5f.)

Nun sie von sich und ihren Gottesgütern ausgesungen und Gott gelobt hat, spaziert sie nun durch alle Werke Gottes, die er insgeheim wirkt in allen Menschen, und singt ihm davon auch, lehrt uns recht erkennen die Werke, Art, Natur und Willen Gottes. Es sind viele hoch­vernünftige Menschen und Philosophen auch damit umgegangen, daß sie gern hätten gewußt, was doch Gott wäre, haben viel von ihm geschrieben, einer so, der an­dere so. Aber sie sind alle darin verblendet, haben den rechten Einblick nicht gewonnen. Und es ist fürwahr das Größte im Himmel und auf Erden, daß man Gott recht erkenne, wenn es jemand zuteil werden mag. Die Mutter Gottes lehrt es hier sehr gut jeden, der sie verstehen möchte, ebenso wie sie es oben an und in sich selbst lehrt. Wie kann man ihn aber besser erkennen als aus seinen eigenen Werken? Wer seine Werke recht erkennt, der kann an seiner Natur, seinem Willen, seinem Herzen und seiner Gesinnung nicht irren. Darum ist es Kunst, seine Werke zu erken­nen. Und daß wir’s zusammenfassen: Sechs göttliche Werke in sechserlei Menschen zählt sie durch diese vier Verse nacheinander und teilt die Welt in zwei Teile, auf jede Seite drei Wer­ke und dreierlei Men­schen, und ist ein Teil immer dem andern entgegenge­setzt. Da zeigt sie, was Gott auf beiden Seiten tut, malt ihn so ab, daß er nicht besser könnte abgemalt werden.

Und diese Einteilung ist wohl und ordentlich gefaßt und auf mehrere Stellen der Schrift ge­gründet. Nämlich Jer.9,22f., wo Gott sagt: »Es poche kein weiser Mensch auf seine Weis­heit. Es poche kein Gewaltiger auf seine Ge­walt. Es poche kein Reicher auf seinen Reichtum. Son­dern darauf poche, wer da pochen will, daß er mich erkenne und wisse, wie ich ein Gott bin, der da Barmher­zigkeit, Gericht und Gerechtigkeit auf Erden mache. Solches gefällt mir wohl, spricht Gott.« Das ist ein edler Text und stimmt mit diesem Gesang der Mutter Gottes über­ein. Hier sehen wir auch, daß er alles, was die Welt hat, teilt in drei Teile: in Weisheit, Gewalt und Reichtum. Und zerbricht’s alles damit, daß er sagt, man solle nicht darauf pochen, denn man werde ihn nicht da finden, er habe auch kein Gefallen daran. Setzt andere drei Teile dagegen: Barmherzigkeit, Gericht, Gerechtigkeit. Da bin ich (spricht er), ja ich mache solches alles. So nah bin ich und tue es nicht im Himmel, sondern auf Erden. Da findet man mich. Wer mich so erkennt, der kann auf solches wohl trotzen und pochen. Denn: Ist er nicht weise, sondern armen Geistes, so ist meine Barmherzigkeit bei ihm. Ist er nicht gewaltig, sondern unterdrückt, so ist da mein Gericht und wird ihn erretten. Ist er nicht reich, sondern arm und bedürftig, so ist bei ihm desto mehr von meiner Gerechtigkeit.

In die Weisheit schließt er alles ein, was es gibt an geistlichen Gütern und hohen Gaben, wo­von ein Mensch Wohlgefallen, Ruhm und Ansehen haben mag, wie der folgende Vers sagen wird, als da sind Verstand, Vernunft, Klugheit, Kunst, Frömmigkeit, Tugend, gutes Leben. Kurz: alles, was in der Seele ist, was man göttlich und geistlich nennt, von denen keines Gott selber ist, wie hohe Gaben es sein mögen. In die Gewalt schließt er ein alle Obrigkeit, Adel, Verwandte, Würde und Ehre, es sei über zeitliche oder geistliche Güter und Volk (obwohl es in der Schrift keine geistliche Obrigkeit und Gewalt gibt, son­dern nur Dienstbarkeit und Untertänigkeit), mit allem Recht, Freiheit, Vorteil usw., das darin sein mag. Im Reichtum ist begriffen Gesundheit, Gestalt, Lust, Stärke und alles, was dem Leib äußerlich Gutes begegnen mag. Dagegen stehen nun andere drei: Geistarme, Unter­drückte und Bedürftige an Leibesnot­durft. Nun wollen wir die sechs Werke und Stücke der Reihe nach ansehen.

Das erste Werk Gottes: die Barmherzigkeit.

Davon sagt dieser Vers: »Seine Barmherzigkeit währet von Kind zu Kind denen, die ihn fürchten.« Sie hebt am Obersten und Größten an, nämlich an den geistlichen, inwendigen Gütern, die die hoffärtigsten, stolzesten, hals­starrigsten Leute auf Erden machen. Es ist kein reicher Mann, kein mächtiger Herr so aufgeblasen und mutig wie ein solcher Klügler, der sich fühlt und dünkt, daß er recht habe, die Sache wohl verstehe, weiser sei denn andere Leute. Vor allem wo es zum Treffen kommt, daß er weichen oder unrecht haben soll, da ist er so frech und ganz ohne alle Gottesfurcht, daß er sich zu rühmen wagt, er könne nicht irren, Gott sei bei ihm, die anderen seien des Teufels. Wagt, sich auf Gottes Gericht zu berufen. Und kann er Recht und Gewalt haben, so fährt er einher, mit dem Kopf hindurch, verfolgt, urteilt, lästert, würgt, verjagt, zerstört alle, die ihm widerstreben. Und spricht danach, er habe es Gott zu Dienst und Ehren getan. Ist so sicher und gewiß eines großen Danks und Verdiensts vor Gott, daß die Engel kaum so gewiß sind im Himmel. O was für eine große Blase ist das! O wieviel handelt die Schrift von solchen Leuten! Wie greulich droht sie ihnen! Aber sie füh­len’s weniger, als der Amboß des Schmieds die Hammerschläge fühlt. Und dies Stück ist ein großes, weitläufiges Ding.

Von denen sagt Christus Joh. 16,2: »Es wird die Zeit kommen, da die, so euch töten und ver­jagen, werden meinen, sie tun Gott einen großen Dienst.« Und Ps. 10,5f. sagt von demselben Haufen: »Er überwältigt alle seine Widersacher und spricht: Es wird mir kein Übel begeg­nen!«, als wollte er sagen: Ich habe recht! Ich tue wohl! Gott wird mir großen Lohn darum geben!, usw. Solch Volk war Moab, wovon Jesaja und Jeremia sagen: »Wir haben von Moab gehört, er ist über die Maßen hochmü­tig, sein Hochmut, sein Aufblasen, sein Vermessen, sein Ruhm und sein Zorn ist größer als seine Macht.« (Jes. 16,6; Jer. 48,29) So sehen wir, daß solche Leute aus großem Übermut gern mehr täten, als sie können. Ein solches Volk waren die Juden gegenüber Christus und den Apo­steln. Solche Leute waren die Freunde St. Hiobs, die über die Maßen weise wider ihn redeten und Gott sehr hoch lobten und predigten. Solche Leute hören nicht, lassen sich nichts sagen. Das ist nicht möglich, daß sie unrecht haben oder weichen. Nur hindurch! Und sollte die Welt ganz darüber zu Trümmern gehen. Die Schrift kann nicht genug schelten solchen verlornen Haufen: Bald nennt sie ihn eine Schlange, die ihre Ohren zustopft, daß sie nicht höre, bald ein unbezwingliches Einhorn, bald einen wü­tenden Löwen, bald einen großen, unbeweglichen Fels, bald einen Drachen und so fort viel mehr.

Aber nirgends sind sie besser abgemalt als in Hiob 40 und 41. Da nennt er diesen Haufen Behemoth. Behema heißt ein Tier, Behemoth ein Haufen Tiere. Das ist: ein Volk, das einen tierischen Verstand hat und nicht Gottes Geist in sich regieren läßt. Da beschreibt ihn Gott, wie er Augen habe wie die Morgenröte. Denn ihre Klugheit ist ohne Maß. Ihre Haut ist so hart, daß, wenn man darauf schießt oder sticht, er einen Spott daraus macht. Das ist: Wenn gegen sie gepredigt wird, verlachen sie es, denn an dem, was sie für recht halten, soll nichts zu tadeln sein. Ferner: Eine Schuppe klebt an der andern, daß keine Luft dazwischen geht. Denn sie halten fest aneinander, daß kein Geist Gottes in sie kommen kann. Sein Herz (spricht Gott) ist verhärtet wie eines Schmiedes Amboß. Es ist des Teufels Körper. Darum sagt er auch dies alles vom Teufel an dieser Stelle. Ein solches Volk zu unseren Zeiten ist vor allen andern der Papst mit seinem Haufen und ist es schon lange Zeit gewesen. Die tun auch so und schlimmer, als es jemals gewesen ist. Da ist kein Hören, kein Einlenken. Da hilft kein Sagen, kein Raten, kein Bitten, kein Drohen, kurzum nichts mehr. »Wir haben recht! Dabei bleibt’s! Trotz der andern, und wenn’s die Welt wäre!«

Wollte aber jemand sagen: Wie will sich das fugen? Soll man das Recht nicht halten? Soll man die Wahrheit fahren lassen? Ist’s nicht geboten, man soll um des Rechts und der Wahr­heit willen sterben? Haben nicht die heili­gen Märtyrer um des Evangeliums willen gelitten? Hat nicht auch Christus selbst wollen recht haben? Es ge­schieht doch, daß solche Leute bisweilen offenkundig (und, wie sie plärren, vor Gott) recht haben, wohl und weise handeln. Antworte ich: Hier ist es Zeit und nötig, die Augen aufzutun. Hier ist der rechte Knoten. Dar­an liegt alles, daß man recht unterrichte über das Rechtha­ben. Es ist schon wahr: Um der Wahrheit und des Rechts willen soll man alles leiden und sie nicht verleugnen, sie seien, wie geringfügig sie wollen. Es kann auch sein, daß sie zuweilen recht haben. Aber damit wird’s verdorben, daß sie Recht nicht rechtlich ausführen, nicht mit Furcht darin handeln, sich nicht Gott vor die Augen stellen. Meinen, es sei genug, daß es recht sei, sollen und wollen aus eigener Gewalt fortfahren und es so auf die Spitze treiben, womit sie ihr Recht zu Unrecht machen, wenn es schon im Grunde recht wäre. Viel gefährlicher aber ist’s, wenn es sie recht zu sein dünkt und wissen’s nicht gewiß, wie es geschieht in den hohen Sachen, die Gott ange­hen und seine Rechte. Aber wir wollen zum ersten von den leichtverständlichen menschlichen Rechten sa­gen und ein deutliches, handgreifliches Exempel setzen.

Ist’s nicht wahr, daß Geld, Gut, Leib, Ehre, Weib, Kinder und Verwandte sind auch gute Dinge, von Gott selber geschaffen und gegeben? Wenn es denn Gottes Gaben sind und nicht dein, und er wollte dich versuchen, ob du sie auch um seinetwillen könntest lassen fahren und mehr an ihm allein als an solchen seinen Gütern hängen? Er schickt dir einen Feind zu, der sie dir ganz oder zu einem Teil nähme und dich beschädigte, oder du kämest sonst darum durch Sterben und Verderben. Meinst du, daß du hier billig Ursache hättest, zu toben, zu wüten, mit Sturm und Gewalt sie wiederzuholen oder ungeduldig zu sein, bis du sie wiederhättest? Gä­best vor, es wären gute Dinge und Gottes Kreaturen, die er selbst gemacht hätte! Und die ganze Schrift nennt solche Dinge gut! Darum solltest du Gottes Wort halten und solch Gut mit Leib und Leben schützen und wiederholen oder jedenfalls nicht mit Willen entbehren oder mit Geduld sie fahren lassen. Wäre das nicht ein feiner Schein? Wolltest du nun hier recht gut handeln, so darfst du nicht mit dem Kopf hindurchfahren. Wie denn? Du sollst Gott fürchten und so sagen: Nun, lieber Gott, es sind gute Dinge und deine Güter, wie dein eigenes Wort und die Schrift sagt. Aber ich weiß nicht, ob du sie mir vergönnen willst. Wenn ich wüßte, daß ich’s nicht haben sollte, so wollte ich sie ganz und gar nicht wiederholen. Wüßte ich aber, daß du sie bei mir wolltest haben, mehr als bei jenem, so wollte ich deinem Willen darin dienen und sie mit Gefahr für Leib und Gut wieder­holen. Weil ich aber keines von beiden weiß und sehe, daß es gegenwärtig geschieht, daß du sie mir nehmen läßt, befehle ich dir die Sache, will warten, was ich darin tun soll, und bereit sein, sie zu haben und zu entbehren.

Sieh, das ist eine rechte Seele. Die fürchtet Gott. Dabei ist Barmherzigkeit, wie hier die Mut­ter Gottes singt. Daraus kann man merken, aus welchem Grund Abra­ham, David und das Volk von Israel vorzeiten stritten und viele erwürgten. Sie gingen nach Gottes Willen daran, standen in Furcht und stritten nicht um des Gutes willen, sondern weil Gott es von ihnen ha­ben wollte, wie das die Historien berichten und im allgemeinen davor den Befehl Gottes nennen. Nun sieh, wie hier die Wahrheit nicht verleugnet wird. Die Wahrheit sagt, es sind gute Dinge und Gottes Kreatur. Und diese Wahrheit sagt auch und lehrt, du sollst solche guten Dinge fahren lassen und alle Stunde bereit sein, ihrer zu entbehren, wenn Gott es haben will, und allein an Gott hängen. Die Wahrheit drängt dich nicht, daß du die Güter sollst wiederho­len, indem sie sagt, sie seien gut; sie drängt dich auch nicht, daß du sollst sagen, sie seien nicht gut; sondern daß du sollst gelassen bei ihnen stehen und bekennen, daß sie gut sind und nicht böse.

Ebenso muß man auch tun mit dem Recht und allerlei Gütern der Vernunft oder Weisheit. Recht ist ein gutes Ding und eine Gabe Gottes. Wer zweifelt daran? Gottes Wort spricht selbst, Recht sei gut. Und es soll niemals jemand zugestehen, daß seine gute oder rechte Sache unrecht oder böse sei. Soll eher drüber sterben und alles, was nicht Gott ist, fahren lassen. Denn das hieße Gott und sein Wort verleugnen, der sagt, Recht sei gut und nicht böse. Woll­test du aber darum schreien, wüten, toben und alle Welt erwürgen, daß dir solch Recht würde genom­men oder verkürzt? Wie etliche tun, die zum Himmel rufen, allen Jammer anrichten, Land und Leute verder­ben, mit Kriegen und Blutvergießen die Welt erfüllen. Was weißt du, ob Gott dir solche Gabe und Recht lassen will? Ist’s doch sein. Er kann dir’s nehmen heute und morgen, draußen und drinnen, durch Feind und Freund und wie er will. Er versucht dich, ob du auch um seinet­willen wollest des Rechtes entbehren, Unrecht haben und leiden, um seinetwillen die Schande tragen und an ihm allein hängen. Bist du nun gottesfürchtig und denkst: Herr, es ist dein; ich will’s nicht haben, ich wisse denn, daß du mir’s vergönnen willst, fahre, was da fahret, sei du nur mein Gott! – sieh, dann gilt dieser Vers: »Und seine Barmher­zigkeit ist bei denen, die ihn fürchten«, die nichts tun wollen ohne seinen Willen. Sieh, da ist Gottes Wort in beiden Stücken gehalten. Zum ersten, daß du bekennst, das Recht, deine Vernunft, deine Erkenntnis, deine Weis­heit und alle deine Meinung seien recht und gut, wie Gottes Wort selbst davon redet. Zum zweiten, daß du auf solches Gut gern verzichtest um Gottes willen, zu Un­recht verdorben und zuschanden wirst vor der Welt, wie Gottes Wort auch lehrt.

Es sind zwei Dinge: etwas für gut oder recht bekennen und es gewinnen. Dir ist genug das Bekenntnis, daß du das gute Recht habest. Kannst du nicht gewinnen, laß es Gott befohlen sein. Dir ist befohlen, zu bekennen. Gott hat sich behalten das Gewinnen. Will er, daß du auch gewinnen sollst, so wird er es selber tun oder es so vor dich bringen, ohne daß du daran ge­dacht hättest, daß du es mußt in die Hand nehmen und gewinnen auf eine Weise, wie du nie gedacht oder begehrt hättest. Will er nicht, laß dir genügen an seiner Barmherzigkeit. Nimmt man dir den Sieg des Rechten, so kann man doch das Bekennen dir nicht nehmen. Sieh, so müssen wir abstehen, nicht von den Gütern Gottes, sondern von bösem, verkehrtem Kle­ben an denselben, so daß wir ihrer ermangeln und sie gebrauchen können mit Gelassenheit, so daß wir in jedem Fall an Gott allein hängen.

O, solch Ding sollten alle Fürsten und Obrigkeit wis­sen, die nicht genug haben am Bekennen des Rechten, sondern auch stracks gewinnen und siegen wollen ohne alle Gottesfurcht. Ma­chen die Welt voll Bluts und Jam­mers. Meinen, sie tun wohl und recht daran, weil sie gerech­te Sache haben oder zu haben vermeinen. Was ist das anderes als der stolze, übermüti­ge Moab, der sich selbst für würdig hält und meint, daß er das edle, schöne Gut Gottes und seine Gabe (das Recht) haben solle, ob­wohl er doch nicht würdig ist – wenn er sich recht ansähe vor Gottes Augen –, daß ihn die Erde trägt und er die Rinden vom Brot esse um seiner Sünde willen. O Blind­heit! O Blindheit! Wer ist würdig einer kleinsten Kreatur Gottes? Und wir wollen die höchsten Kreaturen, ihr Recht, ihre Weisheit und ihre Ehre nicht allein haben, sondern auch mit wütendem Blutvergießen und allem Unglück behalten und holen. Gehen danach hin, beten, fasten, hören Messe, stiften Kirchen mit solch blutigem, wütendem, rasendem Gemüt, daß es kein Wunder wäre, wenn die Steine zersprängen vor unserem Angesicht.

Hier ergibt sich nebenher eine Frage: Soll denn ein Herr sein Land und seine Leute nicht schützen vor Un­recht, sondern so stillhalten, sich alles nehmen lassen? Was wollte daraus werden in der Welt? Da will ich meine Meinung jetzt aufs kürzeste sagen. Weltliche Gewalt ist schuldig, ihre Untertanen zu schützen, wie ich oft gesagt habe. Denn darum trägt sie das Schwert, daß man die, die sich nicht an solche göttliche Lehre kehren, in der Furcht halte, damit sie den anderen Frieden und Ruhe lassen. Auch sucht sie daran nicht ihr Eigenes, son­dern des Näch­sten Nutz und Gottes Ehre. Wäre wohl gern auch still und ließe ihr Schwert liegen, wenn Gott es nicht verordnet hätte, um den Bösen zu steuern. Doch daß solcher Schutz nicht geschehe mit viel größerem Schaden, und ein Löffel aufgehoben wird, indem man eine Schüssel zertritt. Es ist ein schlechter Schutz, wenn man um einer Person willen eine ganze Stadt in Gefahr bringt oder für ein Dorf oder Schloß das ganze Land dransetzt. Es wäre denn, daß Gott auf besondere Weise, wie vorzeiten, Befehl gäbe, das zu tun. Es nimmt ein Reiter einem Bürger sein Gut, – und du brichst auf mit einem Heer, das Unrecht zu strafen, plün­derst das ganze Land. Wer hat hier mehr Schaden getan? Der Reiter oder der Herr? David sah oft durch die Finger, wenn er nicht strafen konnte ohne Schaden der andern. Ebenso muß alle Obrigkeit tun. Es muß auch ein Einwoh­ner etwas leiden um der Gemeinde willen und nicht begehren, daß um seinetwillen alle die andern in größeren Schaden kommen. Es kann nicht allezeit alles ganz ge­recht sein. Christus wollte den Hederich nicht ausrotten lassen, damit nicht auch der Weizen mit ausgerottet würde (Matth. 13,29). Wollte man bei jeder Rechtsverlet­zung streiten und gar nichts übersehen, wäre niemals Friede und dennoch eitel Verderben dazu. Darum ist das Recht oder Unrecht nimmermehr Grund genug, um unterschiedslos zu strafen oder Krieg zu fuhren. Es ist wohl Grund genug, angemessen und ohne eines anderen Verderben zu strafen. Es muß immer ein Herr oder eine Obrigkeit mehr darauf sehen, was dem ganzen Haufen dient, als einem einzelnen Stück. Es wird niemand ein reicher Hausvater werden, der die Gans hinterherwirft, weil man ihr eine Feder ausgerauft hat. Von Kriegen aber ist jetzt nicht Zeit zu reden.

So ist auch in göttlichen Sachen zu verfahren wie mit dem Glauben und dem Evangelium, die die höchsten Güter sind und die niemand fahren lassen darf. Aber ob man damit Recht, Gunst, Ehre, Beifall und Anhang gewinnt, muß man abwarten und Gott damit walten lassen; soll nicht für das Gewinnen, sondern fürs Bekennen Sorge tragen und gern leiden, wenn man dafür als ein Unge­rechter, ein Verführer, ein Ketzer, ein Irriger, ein Frevler usw. vor aller Welt geschmäht wird, verfolgt, verjagt, verbrannt oder sonstwie getötet. Denn dabei ist Gottes Barmherzigkeit. Man kann einem den Glauben und die Wahrheit niemals nehmen, ob man ihm auch das Leben nimmt – wenngleich es wenige sind, die in dieser Sache für das Gewinnen und Siegen kämpfen und Erstaunliches vollbringen, wie es beim zeitlichen Gut und Recht geschieht, weil es auch wenige sind, die hier recht und mit Grund bekennen. Doch soll ein solcher Mensch Leid haben und Klage führen um anderer willen, denen durch Unterliegen des Evangeliums der Seelen Seligkeit verhindert wird, ja er soll hier (jedoch vor Gottes Augen) viel heftiger klagen und sich mühen um solchen Schaden der Seelen, als die Moabiter es tun um ihre zeitlichen Güter und Rechte, wie oben gesagt ist. Denn es ist er­bärmlich, wenn Gottes Wort nicht gewinnt und siegt, nicht um des Bekenners willen, sondern um derer willen, die dadurch im Glauben erhalten worden wären. Daher sehen wir bei den Propheten, bei Christus und den Apo­steln so großes Leiden und Klagen um der Unter­drückung des Wortes Gottes willen, obwohl sie doch fröhlich waren, alles Unrecht und Schaden zu leiden. Denn hier liegt ein anderer Grund vor für das Gewinnenwollen als bei allen andern Gütern. Obwohl dabei nie­mand selbst mit Gewalt zufahren und solches Recht des Evangeliums mit Sturm und Unvernunft behalten oder holen soll, sondern sich demütigen soll vor Gott als einer, der vielleicht nicht würdig sei, daß solch großes Gut durch ihn geschehe, und alles mit Bitten und Klagen seiner Barmherzigkeit anheimgeben.

Sieh, das ist das erste Werk Gottes, daß er barmherzig ist über alle, die an ihrer Meinung, ihrem Recht, ihrer Weisheit und an dem, was geistliche Güter sind, gern Einbuße ertragen und willig geistarm bleiben. Das sind die rechten Gottesfürchtigen, die sich keines Dinges für würdig halten, wie gering es sei, sondern gern vor Gott und Welt nackt und bloß sind. Die aber das, was sie davon haben, als nur aus lauter Gnade ohne alles Verdienst ihnen gegeben ansehen, es mit Lob, Dank und Furcht gebrau­chen wie fremde Güter, nicht Willen, Lust, Lob oder Ehre für sich suchen, sondern allein für den, des sie sind. Und Maria zeigt an, wieviel mehr Lust Gott hat, solche Barm­herzigkeit, sein edelstes Werk, zu tun, als das entgegen­gesetzte Werk der Stärke, indem sie sagt: Dies Werk Gottes währt ohne Aufhören von Kind zu Kind bei den Gottesfürchtigen, während jenes Werk nur bis in das dritte und vierte Glied währt. Und ihm wird im folgen­den Vers weder Grenze noch Zeit gesetzt, wie folgt.

Das andere Werk Gottes: geistliche Hoffart zerstören.

ER HAT GEWALT GEÜBT MIT SEINEM ARM
UND ZERSTREUT DIE HOFFÄRTIGEN IM GEMÜT IHRES HERZENS. (V. 51)

Niemand lasse sich irremachen durch die Verdeutschung, daß ich oben so verdeutscht habe: »Er wirkt gewaltiglich«, und hier: »Er hat Gewalt geübt.« Es geschieht, damit wir die Worte desto besser verstehen, die an keine Zeit gebun­den sein sollen, sondern Gottes Art und Werk frei anzei­gen, die er allezeit getan hat, allezeit tut, allezeit tun wird. So daß es dasselbe wäre, wenn ich’s in solcher Weise auf deutsch sagte: Gott ist ein solcher Herr, dessen Werke dermaßen vor sich gehen, daß er kräftig zerstreut die Hochmütigen und barmherzig ist über die Gottesfürchti­gen.

Gottes Arm wird in der Schrift genannt seine eigene Gewalt, in der er ohne das Mittel der Kreaturen wirkt. Das geht still und heimlich zu, so daß seiner niemand gewahr wird, bis es geschehen ist. So daß diese Gewalt oder der Arm allein durch den Glauben verstanden und erkannt werden kann, daß auch Jesaja darüber klagt, daß so wenige Glauben haben zu solchem Arm und spricht: »Wer glaubt unserer Predigt, und wer sind die, denen der Arm Gottes bekannt ist?« (Jes. 53,1) Das kommt alles daher, wie dort folgt: Es geschieht heimlich, unter einem ganz anderen Anschein als dem von solcher Gewalt. Auch Habakuk spricht, daß Hörner in Gottes Händen sind, anzuzeigen seine große Stärke. Und spricht doch, seine Stärke sei dort verborgen (Hab. 3,4). Wie geht das zu?

Es geht so zu: Wenn Gott durch das Mittel der Kreatu­ren wirkt, so sieht man offenkundig, wo Gewalt oder Schwäche sei. Daher kommt das Sprichwort: Gott hilft den Stärksten. Ebenso: Welcher Fürst den Krieg ge­winnt, durch den hat Gott die andern geschlagen. Frißt ein Wolf jemanden oder wird einer sonst beschädigt, so ist’s durch die Kreatur geschehen. So macht und zerbricht Gott eine Kreatur durch die andern. Wer liegt, der liegt. Wer steht, der steht. Aber wenn er selbst wirkt durch seinen Arm, da geht es anders zu. Da ist’s zerstört, ehe man meint; wiederum erbaut, ehe man meint; und nie­mand sieht es. Solches Werk tut er nur zwischen den beiden Teilen der Welt, den Frommen und Bösen. Da läßt er die Frommen kraftlos werden und unterdrückt, so daß jedermann meint, es sei mit ihnen aus, es hab’ ein Ende. Und eben darin ist er am stärksten da, so ganz verborgen und heimlich, daß auch selbst die es nicht fühlen, die den Druck leiden, sondern es glauben. Da ist Gottes Stärke ganz da und der ganze Arm. Denn wo Menschenkraft ausgeht, da geht Gottes Kraft ein, wenn der Glaube da ist und darauf wartet. Wenn nun der Druck aus ist, so bricht’s hervor, was für eine Stärke gewesen ist unter der Schwachheit. Sieh, so ward Christus kraftlos am Kreuz. Und eben dort übte er die größte Macht, über­wand Sünde, Tod, Welt, Hölle, Teufel und alles Übel. So sind alle Märtyrer stark gewesen und haben gewonnen. So gewinnen auch noch alle Leidenden und Unterdrück­ten. Darum spricht Joel: »Der da kraftlos ist, der soll sagen: Ich bin kraftreich« (Joel 4,10), aber im Glauben und ungefühlt, bis daß es ans Ende kommt.

Dagegen den andern Teil läßt Gott groß und mächtig sich erheben. Er zieht seine Kraft heraus und läßt sie nur aus eigener Kraft sich aufblasen. Wo Menschenkraft ein­geht, da geht Gottes Kraft aus. Wenn nun die Blase voll ist und alle meinen, sie liegen oben, haben gewonnen, und sie nun auch selbst sicher sind und haben’s zum Ziel gebracht, so sticht Gott ein Loch in die Blase. So ist’s ganz aus. Die Narren wissen nicht, daß sie, eben indem sie aufgehen und stark werden, von Gott verlassen sind und Gottes Arm nicht bei ihnen ist. Darum währt ihr Ding seine Zeit. Danach verschwindet es wie eine Wasserblase. Wird, als wäre es nie gewesen. Davon spricht Psalm 73,16ff., wo er sich sehr verwundert, wie die Bösen so reich, sicher und mächtig wären in der Welt. Zuletzt sagt er: »Ich hab’s nicht können verstehen, bis ich in das Ge­heimnis Gottes sah und wahrnahm, wie es ihnen am letzten würde gehen. Da sah ich, daß sie nur zu ihrem eigenen Betrug also erhoben waren und eben darin er­niedrigt, worin sie erhoben waren. Wie bald sind sie zerstört. Wie schnell ist’s aus mit ihnen geworden, als wären sie nie gewesen. Wie ein Traum vergeht dem, der da aufwacht.« Und Psalm 37,35f: »Ich hab einen gottlo­sen Mann gesehen, aufgewachsen und erhöht wie ein Zedernbaum auf dem Berge Libanon. Ich bin nur ein wenig vorübergegangen, und siehe zu, da war er schon dahin. Ich fragte nach ihm, da war er nicht mehr da.«

Es gebricht nur am Glauben, daß wir nicht auch ebenso ein wenig harren könnten der Zeit. Sonst würden wir auch fein sehen, wie die Barmherzigkeit sei bei den Got­tesfürchtigen mit aller Stärke Gottes, und der Arm Gottes wider die Hoffärtigen mit allem Ernst und Gewalt. Wir Glaubenslosen tappen mit der Faust nach der Barmher­zigkeit und nach dem Arm Gottes. Und wenn wir nichts fühlen, so meinen wir, es sei mit uns verloren und für die Feinde gewonnen, als sei Gottes Gnade und Barmherzig­keit von uns und sein Arm wider uns. Das macht, wir kennen seine eigenen Werke nicht. Drum kennen wir ihn auch nicht, weder seine Barmherzigkeit noch seinen Arm. Denn er muß und will im Glauben erkannt werden. Drum müssen die Sinne und Vernunft zu sein. Ihr Auge bringt uns zu Fall, darum soll man es ausstechen und weg­werfen (Matth. 5,29). Sieh, das sind zwei gegensätzliche Werke Gottes, aus denen wir lernen, daß Gott so gesinnt sei, daß er fern von den Weisen und Klugen ist und nah bei den Unweisen und denen, die Unrecht leiden müssen. Das macht Gott dann liebens- und lobenswert, das tröstet Seele und Leib und alle Kräfte.

Nun sieh die Worte: »Er zerstöret, die hoffärtig sind im Gemüt ihres Herzens.« Die Zerstörung geschieht (wie gesagt) eben, wenn sie am allerklügsten sind und voll eigener Weisheit. Dann ist Gottes Weisheit gewiß nicht mehr da. Wie könnte er sie aber besser zerstören, als sie leer zu machen von seiner ewigen Weisheit und voll werden zu lassen von ihrer zeitlichen, schnell vergängli­chen Weisheit? Sie spricht nämlich, »die da hoffartig sind im Gemüt ihres Herzens«. Das ist: denen ihre Meinung, ihr Gutdünken und Verstehen, das nicht Gott, sondern ihr Herz gibt, wohlgefällt, so daß dies allein das allerrechte­ste, beste, weiseste sei. Darüber erheben sie sich wider die Gottesfürchtigen, unterdrücken ihre Meinung und Recht; machen es zuschanden und verfolgen es aufs äu­ßerste, damit ja ihre eigene Sache nur recht sei und be­stehe. Und wenn sie das erlangen, rühmen und erheben sie sich hoch, wie die Juden wider Christus taten, die aber nicht sahen, wie damit ihre Sache zerstört und zuschanden wurde und Christus zu allen Ehren erhoben. So sehen wir, daß dieser Vers von den geistlichen Gütern redet, und wie man darin Gottes Werk erkennt auf beiden Seiten: daß wir gern geistarm sein sollen und unrecht haben, unsern Widerpart recht haben lassen. Sie werden’s doch nicht lange treiben. Die Zusage ist hier zu stark. Sie können dem Arm Gottes nicht entrinnen. Sie müssen herunter, so hoch sie sich erhoben, wenn wir das glauben. Wo aber der Glaube nicht ist, da wirkt Gott solche Werke nicht, läßt es gehen und wirkt öffentlich durch die Kreaturen, wie oben gesagt ist. Das sind aber nicht die rechten Werke, an denen man ihn erkennen kann. Denn es laufen Kräfte der Kreatur mit unter und sind nicht bloß Gottes eigene Werke, die so sein müssen, daß niemand mit ihm wirke, sondern er allein. Das geschieht, wenn wir kraftlos wer­den und unterdrückt in unserm Recht oder Sinn und leiden Gottes Kraft in uns. Das sind edle Werke.

Wie meisterhaft trifft sie aber die falschen Gleisner und sieht ihnen nicht auf die Hände oder auf die Augen, sondern ins Herz, spricht: »die Hoffärtigen im Gemüt ihres Herzens«. Damit trifft sie vor allem die Feinde gött­licher Wahrheit, wie es die Juden waren wider Christus und auch jetzt. Denn diese Gelehrten und Heiligen sind nicht hoffärtig in Kleidern oder Gebärden. Beten viel, fasten viel, predigen und studieren viel. Halten auch Messe, tragen das Haupt demütig und nicht köstliche Kleider. Sind der Überzeugung, daß kein größerer Feind der Hoffart, des Unrechten, der Gleisnerei sei als sie selbst und kein größerer Freund der Wahrheit und Gottes als sie. Wie könnten sie der Wahrheit Schaden tun, wenn sie nicht so heilige, fromme, gelehrte Leute wären? Dies ihr Wesen, das gibt den äußeren Schein und gleißt und be­wegt den Haufen. Ach, sie meinen’s so herzlich gut, rufen den lieben Gott an und bemitleiden den armen Jesus, weil er so unrecht tut und hoffärtig und nicht so fromm ist, wie sie sind. Von denen sagt er Matth. 11,19: »Die göttli­che Weisheit wird von ihren eigenen Kindern gerechtfer­tigt.« Das ist: Sie sind gerechter und weiser als ich selbst, der ich die göttliche Weisheit bin. Wie ich es mache, so ist’s nicht recht, und ich werde von ihnen gemeistert.

Das sind die giftigsten, schädlichsten Menschen auf Erden. Das ist eine herzlich grundtiefe, teuflische Hoffart, für die kein Rat ist. Denn die hören nicht, was man sagt. Das geht sie nicht an. Lassen’s gelten für die armen Sün­der, die solcher Lehre bedürfen. Sie bedürfen’s nicht. Johannes nennt sie Schlangengezüchte, Luk. 3,7, Christus auch (Matth. 23,33). Das sind die in Wahrheit Schuldigen, die Gott nicht fürchten und nur dazu dienen, daß sie Gott mit ihrer Hoffart zerstreue, weil niemand Recht und Wahrheit mehr verfolgt als sie, doch (wie gesagt) um Gottes und der Gerechtigkeit willen. Darum müssen sie die ersten sein auf dieser Seite unter den drei Feinden Gottes. Denn die Reichen sind die geringsten Feinde. Viel mehr tun die Gewaltigen. Aber solche Gelehrten sind am ärgsten. Die reizen die andern. Die Reichen vertilgen die Wahrheit bei sich selbst. Die Gewaltigen verjagen sie von den andern. Aber die Gelehrten löschen sie ganz aus in sich selbst und bringen anderes auf: ihres Herzens eigenes Gutdünken, so daß die Wahrheit nicht wieder aufkom­men kann. Wieviel nun die Wahrheit in sich selbst besser ist als die Menschen, in denen sie wohnt, soviel sind die Gelehrten ärger als die Gewaltigen und Reichen. O, Gott ist vor allem ihnen feind, und das mit Recht.

Das dritte Werk: Erniedrigen die Hohen.

ER HAT ABGESETZT DIE GEWALTIGEN VON IHREN STÜHLEN. (V. 52)

Dies Werk und die folgenden sind nun leicht zu verstehen aus den beiden vorigen. Denn so wie er zerstört die Weisen und Klügler in ihrem Eigensinn und Gutdünken, worauf sie sich verlassen und ihren Hochmut treiben wider die Gottesfürchtigen, die unrecht haben müssen und deren Meinung und Recht verdammt sein müssen, wie es denn am häufigsten um des Gottesworts willen geschieht, so zerstört er auch und setzt ab die Gewaltigen und Großen mit ihrer Macht und Hoheit, auf die sie sich verlassen und ihren Übermut üben gegen die Unteren und frommen Demütigen, die von ihnen leiden müssen Schaden, Pein, Tod und allerlei Übel. Und wie er die tröstet, die Unrecht und Schande ertragen müssen um ihres Rechts, der Wahrheit und des Wortes willen, so tröstet er auch die, die Schaden und Übel leiden müssen. Und wie sehr er diese tröstet, so sehr erschreckt er jene. Auch das aber muß alles im Glauben erkannt und abge­wartet sein. Denn er zerstört die Gewaltigen nicht so schnell, wie sie es verdienen, läßt sie eine Weile gehen, bis ihre Gewalt aufs höchste und letzte kommt. Dann hält sie Gott nicht. So kann sie auch sich selbst nicht halten. So vergeht sie in sich selbst ohne alles Rumoren und Bre­chen. Und dann kommen empor die Unterdrückten, auch ohne alles Rumoren. Denn Gottes Kraft ist in ihnen. Die bleibt dann allein, wenn jene untergegangen ist.

Merk aber: Sie spricht nicht, daß er die Stühle zerbre­che, sondern er wirft die Gewaltigen heraus. Spricht auch nicht: Er läßt die Niedrigen hier unten, sondern er erhebt sie. Denn solange die Welt steht, müssen Obrigkeit, Re­gierung, Gewalt und die Stühle bleiben. Aber daß sie das alles übel und wider Gott gebrauchen, Unrecht und Ge­walt zu tun den Frommen, und daß sie ein Wohlgefallen darin haben, sich dabei erheben, es nicht mit Furcht Got­tes gebrauchen zu seinem Lob und zum Schutz der Ge­rechtigkeit, – das duldet er nicht lange. So sehen wir in allen Historien und der Erfahrung, wie er ein Reich aufwirft, das andere nieder, ein Fürstentum erhebt, das andere unterdrückt, ein Volk mehrt, das andere vertilgt. Wie er Assyrien, Babylon, den Persern, den Griechen, Rom getan hat, die doch meinten, sie würden ewig sitzen in ihrem Stuhl. So zerstört er auch nicht Vernunft, Weis­heit und Recht – denn soll die Welt bestehen, muß man Vernunft, Weisheit und Recht haben –, sondern den Hochmut und die Hochmütigen, die sich selbst damit dienen, Wohlgefallen daran haben, Gott nicht fürchten und die Frommen und das göttliche Recht damit verfol­gen und so die schönen Gaben Gottes mißbrauchen wider Gott.

Nun geschieht’s in Gottes Sachen, daß die Klügler und hoffärtigen Dünkler sich gewöhnlich zu den Gewaltigen schlagen und diese wider die Wahrheit bewegen, wie Ps. 2,2 steht: »Die Könige der Erden haben sich aufgerich­tet, und die Fürsten sind zusammengetreten wider Gott und seinen Gesalbten.« So daß allezeit das Recht und die Wahrheit müssen zugleich wider sich haben die Weisen, die Gewaltigen, die Reichen, das ist, die Welt mit ihrer größten und höchsten Fähigkeit. Darum tröstet sie der heilige Geist durch den Mund dieser Mutter, daß sie nicht irrewerden noch erschrecken. Laß sie weise, mächtig, reich sein. Es währt nicht lange. Denn wenn die Heiligen und Gelehrten mit den Gewaltigen und Herren, dazu mit den Reichen, nicht wider das Recht und die Wahrheit träten, sondern zu ihr, wo sollte das Unrecht bleiben? Wer würde etwas Böses leiden? Nein, so ist’s nicht. Die Gelehrten, die Heiligen, die Mächtigen, die Großen, die Reichen und das Beste von der Welt müssen wider Gott und Recht streiten und des Teufels eigen sein. Wie Habakuk sagt: »Seine Speise ist zart und auserwählt.« (Hab. 1,16) Das ist, der böse Geist hat ein verleckert Maul, frißt gern das Allerbeste, das Niedlichste, das Auserwählteste wie der Bär den Honig. Drum sind die Gelehrten, die heiligen Gleisner, die großen Herren, die Reichen des Teufels Leckerbissen. Dagegen was die Welt verwirft, die Ar­men, Niedrigen, Einfältigen, Geringen, Verachteten, er­wählt Gott, wie St. Paulus 1.Kor. 1,28 sagt. Das macht, daß durch den besten Teil der Welt leiden muß der geringste, damit ja erkannt werde, wie nicht in Men­schen, sondern allein in Gottes Kraft und Werken unser Heil besteht, wie auch St. Paulus sagt (1.Kor. 3,7). Daher kommt’s, daß man mit Recht sagt: Die Gelehrten – die Verkehrten. Ein Fürst – Wildbret im Himmel. Hier reich – dort arm. Denn die Gelehrten lassen den Hoch­mut ihres Herzens nicht. Die Gewaltigen lassen ihr Drücken nicht. Die Reichen lassen ihre Lust nicht. So geht es dahin.

Das vierte Werk: Erhöhung der Niedrigen.

UND ER HAT ERHOBEN DIE NIEDRIGEN. (V. 52b)

Niedrige sollen hier nicht heißen die Demütigen, sondern alle, die vor der Welt ohne Ansehen sind und ganz nichtig. Denn es ist dasselbe Wörtlein, das sie oben von sich selbst sagt: »Er hat die Nichtigkeit seiner Magd ange­sehen.« Doch welche von Herzen gern so niedrig und nichtig sind und suchen nicht, hoch zu sein, die sind gewiß demütig. Das Erheben ist nun nicht so zu verstehen, daß er sie in die Stühle und an die Statt derer setzte, die er abgesetzt hat. Wenn er den Gottesfürchtigen barmherzig ist, setzt er sie damit nicht an die Stelle der Hochgelehrten, das ist, der Hoffärtigen. Sondern er gibt ihnen viel mehr: daß sie in Gott und geistlich erhoben über Stühle und Gewalt und alle Gelehrsamkeit Richter werden, hier und dort. Denn sie wissen mehr als alle Gelehrten und Gewal­tigen. Wie das nun zugeht, ist oben beim ersten Werk gesagt. Ist nicht nötig zu wiederholen. Es ist alles zum Trost den Leidenden und zum Schrecken den Tyrannen gesagt, wenn wir soviel Glauben hätten, daß wir’s für wahr hielten.

Das fünfte und sechste Werk:

ER HAT DIE HUNGRIGEN GESÄTTIGT MIT GÜTERN.
UND DIE REICHEN HAT ER LEER GELASSEN. (V. 53)

Oben ist gesagt, daß die Niedrigen nicht schon die heißen dürfen, die in nichtiger, verachteter Gestalt sind, sondern die, die gern darin sind oder sein wollen, vor allem wenn sie um des Wortes Gottes oder um des Rechts willen hineingedrängt werden. Ebenso dürfen die Hungri­gen auch nicht die sein, die wenig oder keine Speise haben, sondern die selbst gern Mangel leiden, vor allem, wenn sie von andern mit Gewalt um Gottes oder um der Wahrheit willen dazu gedrängt werden. Was ist niedriger, nich­tiger, bedürftiger als der Teufel und die Verdammten, ferner die, die um ihrer Missetat willen gemartert, durch Hunger umgebracht, erwürgt werden, und alle die, die niedrig und bedürftig sind mit Unwillen? Und es hilft ihnen doch nichts, ja vermehrt und vergrößert ihren Jammer. Von denen redet die Mutter Gottes nicht, son­dern von denen, die mit Gott und Gott mit ihnen eines sind, die in ihn glauben und trauen.

Umgekehrt: Was behinderte es die heiligen Väter Abraham, Isaak und Jakob, daß sie reich waren? Was behinderte David sein Königsstuhl, Daniel seine Gewalt zu Babylonien und alle, die in hohem Stand oder großem Reichtum waren oder noch sind, wenn ihr Herz nichts drauf gibt oder das Seine darin sucht? Salomo spricht Spr. 16,2: »Gott wiegt die Geister.« Das ist: Er richtet nicht nach dem äußerlichen Ansehen und der Gestalt, ob sie reich, arm, hoch, niedrig sind, sondern nach dem Geist, wie sich der darin halte. Es müssen solche Gestalten und Unterschiede der Personen und Stände bleiben auf Erden in diesem Leben; aber das Herz soll nicht daran kleben oder davor fliehen, nicht hängen an den hohen und rei­chen, nicht fliehen die niedrigen und armen. So sagt auch Ps. 7,10 und 12: »Gott erforscht das Herz und die Nieren. Drum ist er ein gerechter Richter.« Menschen aber rich­ten nach dem Angesicht. Darum irren sie oft.

Diese Werke geschehen auch, wie die oben genannten, heimlich, so daß sie niemand fühlt bis zum Ende. Ein reicher Mensch wird erst gewahr, wie ganz leer und elend er ist, wenn er stirbt oder sonst verdirbt. So sieht er, wie gar nichts alles gewesen ist, all seine Habe, wie Ps. 76,6: »Sie sind entschlafen (das ist, gestorben), und allda befan­den sie, daß nichts in ihren Händen haben alle Männer des Reichtums.« Dagegen die Hungrigen wissen nicht, wie voll sie sind, bis daß es zum Ende kommt. Da finden sie dann das Wort Christi Luk. 6,21: »Selig sind die Hungri­gen und Durstigen, denn sie werden satt werden.« Und hier die tröstliche Zusage der Mutter Gottes: »Er hat die Hungrigen erfüllt mit Gütern.« Es ist niemals möglich, daß Gott lasse jemanden leiblich Hungers sterben, der auf ihn vertraut. Es müßten eher alle Engel kommen und ihn speisen. Elia ward von den Raben gespeist. Und von einer Handvoll Mehl ward er ernährt mit der Witwe zu Sarepta eine lange Zeit. Er kann nicht verlassen, die ihm ver­trau­en. Darum spricht David Ps. 37,25: »Ich bin jung ge­wesen und alt geworden, hab’ noch nie gesehen einen Ge­rechten verlassen oder seine Kinder nach Brot gehen.« Wer aber Gott traut, der ist gerecht. Ferner Ps. 34,11: »Die Rei­chen sind bedürftig und hungrig geblieben, aber die Gott suchen, haben kein Gebrechen in irgendeinem Gut.« Und Samuels Mutter St. Hanna, 1.Sam. 2,5:»Die vorher satt und voll waren, haben müssen dienen, daß sie mochten Brot haben. Und die Hungrigen sind gesättigt worden.«

Es ist aber der leidige Unglaube allezeit im Wege, daß Gott solche Werke nicht in uns wirken kann und wir sie nicht erfahren noch erkennen können. Wir wollen satt sein und aller Dinge genug haben, ehe der Hunger und die Bedürftigkeit kommt, und versorgen uns mit Vorrat auf zukünftigen Hunger und Mangel, so daß wir Gottes und seiner Werke nimmer bedürfen. Was ist’s für ein Glaube, der Gott trauet, dieweil du fühlst und weißt Vorrat, mit dem du dir helfen kannst? Der Unglaube macht’s, daß wir Gottes Wort, die Wahrheit, das Recht sehen unterliegen, das Unrecht siegen. Und schweigen still, strafen nicht, reden nicht davon, wehren nicht, lassen gehen, was da geht. Warum? Haben Sorge, man greife uns auch an und mache uns arm, daß wir dann Hungers sterben und ewig erniedrigt werden. Das heißt dann, zeitliches Gut höher denn Gott geachtet und an seiner Statt zum Abgott ge­macht. Damit werden wir dann nicht würdig, zu hören oder zu verstehen diese tröstliche Zusage Gottes, daß er die Niedrigen erhebt und die Hohen erniedrigt, die Ar­men erfüllt, die Reichen leer macht, und werden so auch niemals zur Erkenntnis seiner Werke kommen, ohne die es doch keine Seligkeit gibt. Und müs­sen also ewig ver­dammt sein, wie Ps. 28,5 sagt: »Sie haben der Werke Gottes keine Kunde, verstehen auch die Geschäfte seiner Hände nicht. Drum wirst du sie zerbrechen und nimmer­mehr bauen.«

Und das mit Recht, weil sie diesen seinen Zusagen nicht glauben, ihn achten wie einen leichtfertigen, lügen­haften Gott, trauen sich auf seine Worte nichts zu wagen oder anzufangen. So gar nichts halten sie von seiner Wahrheit. Es muß aber versucht und gewagt sein auf seine Worte, denn sie spricht nicht: »Er hat die Vollen erfüllt, die Hohen erhoben«, sondern: »die Hungrigen erfüllt, die Niedrigen erhoben«. Du mußt im Hunger mitten in die Not gekommen sein und erfahren, was Hunger und Not sind; daß nicht da sind Vorrat oder Hilfe bei dir oder Menschen, sondern allein bei Gott; ja, daß das Werk, als allen andern unmöglich, allein Gottes sei. So mußt du nicht allein denken und reden von Erniedrigung, sondern hineinkommen, drin stecken, ohne jede Hilfe, damit Gott allein dort wirken könne; oder jedenfalls sollst du dies begehren und nicht scheuen, wenn es mit der Tat nicht dazu kommen mag. Darum sind wir Christen und haben das Evangelium, das der Teufel und die Menschen nicht ertragen können, damit wir dadurch zu Not und Erniedrigung und so auch in uns Gott zu seinen Werken kommen könne. Denk du selbst: Sollte er dich sättigen, ehe dich hungert, oder erhöhen, ehe du erniedrigt wärest, so müßte er sich nur verhalten wie ein Gaukler und könnte nicht tun, was er vorgibt; so wären seine Werke nichts als ein Scherz, wo doch geschrieben steht Ps. 111,7: »Seine Werke sind Wahrheit und Ernst.« Oder sollte er gleich am Anfang deiner Not und Erniedrigung wirken oder in kleiner Not und Erniedrigung helfen, so wären die Werke zu gering für göttliche Gewalt und Majestät, von denen doch Ps. 111,2 sagt: »Gottes Werke sind groß und auserwählt nach allem seinem Begehren.«

Laß ansehen das Gegenteil: Sollte er die Hohen und Reichen zerbrechen, ehe sie hoch und reich wurden, wie sollte er sich da verhalten? Sie müssen zuvor so sehr in die Höhe und zu Reichtum kommen, daß sie selbst und jedermann denken, ja, daß es im Grund auch so ist, daß niemand sie brechen, niemand ihnen wehren könne und daß sie ihrer Sache gewiß werden und sagen, wie von ihnen und Babylonien spricht Jesaja 47,8f: »Höre zu, du Zarte, die du so sicher sitzest und sprichst in deinem Herzen: Hier bin ich und niemand tut mir etwas. Ich bin gewiß, daß ich nicht eine Witwe noch ohne Kinder sein werde (das ist ohne Stärke und Beistand). Wohlan, es soll dir dies alles beides kommen auf einen Tag.« Da kann dann Gott in ihnen sein Werk wirken. So ließ er Pharao über die Kinder von Israel sich erhöhen und sie unter­drücken, wie 2.Mose 9,16 Gott selbst sagt von ihm: »Darum habe ich dich erhoben, auf daß ich an dir erzeige meine Tat und davon mein Lob werde verkündigt, so­weit die Welt ist.« Und derartiger Exempel ist die Bibel voll, die nichts anderes als Gottes Werke und Worte lehrt, der Menschen Werke und Worte verwirft.

Nun sieh eine starke Tröstung, das ist: daß nicht ein Mensch, sondern Gott selbst den Hungrigen nicht nur etwas gibt, sondern sie erfüllt und sättigt. Dazu spricht sie »mit Gütern«. Das ist: Solche Fülle soll unschädlich, nütz­lich und selig sein, damit sie Leib und Seele mit allen Kräften wohltue. Aber das zeigt auch an, daß sie zuvor leer sind aller Güter und voll alles Mangels. Denn, wie oben gesagt, der Reichtum soll hier einschließen allerlei zeitliche Güter zu des Leibes Genüge, wovon die Seele auch fröhlich wird. So soll wiederum Hunger hier nicht allein der Speisen, sondern aller zeitlichen Güter Mangel bedeuten. Zumal der Mensch aller Dinge einmal erman­geln kann, nur nicht der Speise, so daß fast alle Güter um der Nahrung willen da sind. Ohne Speise kann niemand leben, wenn er auch ohne Kleid, Haus, Geld, Gut und Leute leben könnte. Darum ergreift hier die Schrift das zeitliche Gut bei dem allernötigsten Nutzen und Ge­brauch und dem allerunerträglichsten Mangel, so daß sie auch die Geizigen und die, die nach zeitlichem Gut begie­rig sind, nennt Diener des Bauchs und Paulus den Bauch ihren Gott nennt (Röm. 16,8; Phil. 3,19). Wie könnte nun jemand stärker, tröstlicher locken zu willigem Hunger und williger Armut als solche trefflichen Worte dieser Mutter Gottes: daß Gott mit Gütern erfüllen will alle Hungrigen? Wen diese Worte und solche Ehre und Preis der Armut nicht locken, der ist gewiß ohne Glaube und Vertrauen wie ein Heide.

Umgekehrt: Wie könnte einer den Reichtum höher verklagen und die Reichen greulicher schrecken als da­mit, daß Gott sie leer läßt? O wie sind’s beides so große, überschwengliche Dinge, Gottes Erfüllen und Gottes Verlassen! Wie kann da gar keine Kreatur raten oder helfen! Es erschrickt ein Mensch, wenn er hört, daß der Vater sich lossagt, der Herr ungnädig ist. Und wir Hohen und Reichen erschrecken nicht, wenn wir hören, daß Gott uns absagt, ja nicht allein absagt, sondern droht, uns zu zerbrechen, zu erniedrigen, auszuleeren. Wiederum ist’s eine Freude, wenn der Vater gütig, der Herr gnädig ist. Und mancher verläßt sich so darauf, daß er Leib und Gut dafür läßt. Und wir haben hier solch eine Zusage Gottes, eine so starke Tröstung, und können sie weder gebrauchen noch nutzen noch dafür danken noch uns daran freuen! O du leidiger Unglaube, wie stockhart, wie steindürr bist du, daß du solche großen Dinge nicht fühlst. Das sei von den sechs Werken Gottes genug gesagt.

ER HAT AUFGENOMMEN ISRAEL, SEINEN DIENER,
NACHDEM ER GEDACHT AN SEINE BARMHERZIGKEIT. (V. 54)

Nach den Werken Gottes in ihr und allen Menschen kommt sie wieder auf den Anfang und das erste und beschließt das Magnificat mit dem Hauptwerk aller Werke Gottes, das ist die Menschwerdung des Gottessoh­nes. Und bekennt hier frei, daß sie eine Magd und Die­nerin sei aller Welt, indem sie bekennt, daß dieses Werk, in ihr vollbracht, nicht allein ihr, sondern dem ganzen Israel zugute geschehen sei. Doch teilt sie Israel in zwei Stücke und zieht allein den Teil hervor, der Gott dient. Niemand aber dient Gott, als wer ihn läßt seinen Gott sein und seine Werke in sich wirken, wie oben gesagt ist. Obwohl man jetzt leider das Wörtlein »Gottesdienst« in einen so fremden Sinn und Gebrauch gebracht hat, daß, wer es hört, gar nicht an solche Werke denkt, sondern an den Glockenklang, an Stein und Holz der Kirchen, an das Rauchfaß, an die Flammen der Lichter, an das Geplärr in den Kirchen, an Gold, Seide, Edelsteine der Chorkappen und Meßgewänder, an die Kelche und Monstranzen, an die Orgeln und Bilder, an die Prozessionen und Kirch­gänge und am meisten an das Maulplappern und Zählen der Vaterunsersteine. Dahin ist Gottes Dienst leider ge­kommen, wovon er doch gar nichts weiß und wovon wir nur dies wissen. Singen täglich das Magnificat mit hoher Stimme und herrlicher Pracht und verschweigen doch seinen rechten Ton und Sinn je länger desto mehr. Aber der Text steht in Kraft: Wenn wir diese Werke Gottes nicht lernen und erleiden, so wird auch kein Gottesdienst dasein, kein Israel, keine Gnade, keine Barmherzigkeit, kein Gott, wenn wir uns gleich zu Tode sängen und klängen in den Kirchen und alles Gut der Welt hinein­gäben. Er hat nichts davon geboten. Drum hat er daran auch gar kein Gefallen, ohne allen Zweifel.

Nun, solchem Israel, das Gott dient, dem kommt die Menschwerdung Christi zugut. Das ist sein eigenes liebes Volk, um dessentwillen er auch Mensch geworden ist, um sie aus der Gewalt des Teufels, der Sünde, des Todes, der Hölle zu erlösen und in die Gerechtigkeit, in ewiges Leben und Seligkeit zu bringen. Das ist das Aufnehmen, von dem sie hier singt, wie Paulus sagt Tit. 2,14, daß Christus habe sich für uns gegeben, daß er sich ein erblich eigen Volk reinigte. Und St. Petrus 1.Petr. 2,9: »Ihr seid das heilige Volk, das Volk, das Gott selbst erworben hat, ein königliches Priestertum.« Das sind die Reichtümer göttlicher, grundloser Barmherzigkeit, die wir aus kei­nem Verdienst, sondern aus lauter Gnade empfangen haben. Drum spricht sie: »Er hat gedacht an seine Barm­herzigkeit.« Spricht nicht: Er hat gedacht an unser Ver­dienst und Würdigkeit. Bedürftig waren wir, aber ganz unwürdig. Daraus besteht nun sein Lob und Ehre, und es muß Stillschweigen unser Rühmen und Vermessen. Er hatte nichts anzusehen, das ihn bewegte, als nur, daß er barmherzig wäre, und diesen Namen wollte er bekannt­machen. Warum spricht sie aber: Er hat »gedacht«, statt: Er hat »angesehen« seine Barmherzigkeit? Darum, weil er sie versprochen hatte, wie der folgende Vers sagt. Nun hat er es lange aufgeschoben, sie zu geben, so daß es sich ließ ansehen, er hätte sie vergessen (wie denn alle seine Werke scheinen, als vergesse er unser). Aber als er kam, da ward erkannt, daß er nicht vergessen, sondern ohne Unterlaß daran gedacht hatte, sie zu erfüllen.

Aber es ist wahr, daß durch das Wörtlein »Israel« allein die Juden verstanden werden und nicht wir Heiden. Doch als sie ihn nicht haben wollten, hat er doch etliche aus ihnen erlesen, damit dem Namen »Israel« Genüge getan und hinfort ein geistliches Israel gemacht. Das ward bewiesen 1.Mose 32,25 ff., als der heilige Patriarch Jakob mit dem Engel rang und er ihm die Hüfte lähmte, um anzuzeigen, daß seine Kinder hinfort sich nicht der fleischlichen Ge­burt rühmen sollten, wie die Juden tun. Da bekam er auch den Namen, daß er hinfort »Israel« heißen sollte als ein Patriarch, der nicht allein als Jakob der leiblichen, sondern auch als Israel der geistlichen Kinder Vater wäre. Dazu stimmt das Wörtlein »Israel«, das heißt »ein Herr Gottes«1. Das ist ein sehr hoher, heiliger Name und begreift in sich das große Wunder, daß ein Mensch durch die göttliche Gnade geradezu Gottes mächtig wurde, so daß Gott tut, was der Mensch will. So wie wir sehen, daß durch Chri­stus die Christenheit mit Gott so vereinigt ist wie eine Braut mit ihrem Bräutigam, daß die Braut Recht und Macht hat zu des Bräutigams Leib und allem, was er hat. Und das geschieht alles durch den Glauben. Da tut der Mensch, was Gott will, und wiederum Gott, was der Mensch will, so daß Israel ein gottförmiger und gott­mächtiger Mensch ist, der in Gott, mit Gott und durch Gott ein Herr ist, alle Dinge zu tun und zu vermögen.

Sieh, das heißt Israel. Denn das hebräische Wort saar heißt ein »Herr«, ein »Fürst«. El heißt »Gott«. Tu’s zusammen, so wird auf hebräische Weise »Israel« draus. Ein solches Israel will Gott haben. Darum, als Jakob mit dem Engel hatte gerungen und gewonnen, sprach er zu ihm: Du sollst Israel heißen. Denn wenn du mächtig bist mit Gott, so wirst du auch mit den Men­schen mächtig sein. Davon ist viel zu sagen. Denn Israel ist ein ungewöhnlich hohes Mysterium.

WIE ER GEREDET HAT ZU UNSEREN VÄTERN,
ABRAHAM UND SEINEM SAMEN IN EWIGKEIT.

Da liegt darnieder alles Verdienst, alle Vermessenheit und ist erhoben die lautere Gnade und Barmherzigkeit Gottes. Denn Gott hat nicht Israel angenommen um ihres Ver­diensts willen, sondern um seines eigenen Versprechens willen. Aus lauter Gnade hat er sich versprochen. Aus lauter Gnade hat er es auch erfüllt. Drum spricht St. Paulus Gal. 3,17f., daß Gott vierhundert Jahre zuvor sich dem Abraham versprach, ehe er das Gesetz Moses gab, damit niemals jemand sich rühmen oder sagen könnte, er hätte durch Gesetz oder Gesetzeswerk verdient und er­langt solche Gnade und Zusage. Diese Zusagungen preist und erhebt hier die Mutter Gottes auch über alles und schreibt das Werk der Menschwerdung Gottes allein den göttlichen, gnädigen, unverdienten Zusagen zu, die er Abraham getan hat.

Das Versprechen Gottes zu Abraham steht vor allem 1.Mose 12,3 und 22,18 und wird auch sonst an vielen Stellen angeführt und lautet so: »Ich habe geschworen bei mir selbst: In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Geschlechter oder Völker der Erden.« Diese Worte Gottes erhebt St. Paulus hoch, und ebenso tun alle Propheten, mit Recht. Denn in den Worten ist Abraham erhalten worden mit all seinen Nachkommen und selig geworden, und es müssen auch noch wir alle drinnen selig werden. Denn es ist Christus darin inbegriffen und zugesagt, aller Welt Heiland. Und das ist der Schoß Abrahams, darin geblieben sind alle, die vor Christi Geburt selig geworden sind. Und ohne diese Worte ist niemand selig geworden, ob er gleich alle guten Werke getan hätte. Das wollen wir sehen.

Es folgt zum ersten aus diesen Worten Gottes, daß alle Welt außerhalb von Christus in Sünden, Verdammnis und verflucht ist mit all ihrem Tun und Wissen. Denn wenn er sagt: nicht »etliche«, sondern »alle« Völker sollen gesegnet werden in Abrahams Samen, so wird ohne die­sen Samen Abrahams kein Segen sein in allen Völkern. Was brauchte Gott so mit großem Ernst und teurem Eide Segen zu versprechen, wenn bereits Segen und nicht eitel Fluch da wäre? Und aus diesem Spruch haben die Prophe­ten viel gesogen und geschlossen, zum Beispiel, daß alle Menschen böse, nichtig, Lügner, falsch, blind und kurz ohne Gott sind, so daß es in der Schrift keine große Ehre ist, ein Mensch zu heißen. Denn es gilt dieser Name nicht mehr vor Gott, denn als ob jemand vor der Welt ein Lügner und Treuloser würde genannt. So völlig ist er durch Adams Fall verdorben, daß ihm der Fluch angebo­ren, geradezu seine Natur und sein Wesen wird.

Zum zweiten folgt, daß dieser Same Abrahams nicht auf natürliche Weise von Mann und Weib geboren wer­den dürfte. Denn diese Geburt ist verflucht und gibt nur verfluchte Frucht, wie jetzt gesagt. Sollte nun in diesem Samen Abrahams alle Welt von diesem Fluch erlöst und dadurch gesegnet werden, wie die Worte und der Eid Gottes lauten, so mußte der Same zuvor gesegnet, von solchem Fluch nicht berührt noch befleckt sein, sondern eitel Segen sein, voller Gnade und Wahrheit. Wiederum, wenn Gott, der nicht lügen kann, geredet hat und schwört, es solle Abrahams natürlicher Same sein, das ist, ein natürliches, wahrhaftiges Kind, das von seinem Fleisch und Blut geboren wurde, so muß dieser Same ein rechter, natürlicher Mensch sein von Fleisch und Blut Abrahams. Da steht nun eins wider das andere: natürli­ches Fleisch und Blut Abrahams sein und doch nicht von Mann und Weib natürlich geboren werden. Denn darum gebraucht er das Wort »dein Same« und nicht das Wort »dein Kind«, daß es ganz klar und gewiß wäre, es sollte sein natürliches Fleisch und Blut sein, wie ja der Same ist. Ein Kind muß nicht ein natürliches Kind sein, wie man weiß. Wer will hier die Mitte treffen, daß Gottes Wort und Eid wahr bleibe, in dem solch gegensätzliche Dinge aufeinanderstoßen?

Das hat Gott selber getan. Der kann erfüllen, was er zusagt, obwohl es niemand begreift, ehe es geschieht. Darum fordern seine Worte und Werk nicht Vernunft­gründe, sondern einen freien, lauteren Glauben. Sieh, wie er diese zwei Stücke vereinigt hat. Er macht dem Abra­ham den Samen: einen natürlichen Sohn von einer seiner Töchter, einer reinen Jungfrau Maria, durch den heiligen Geist ohne Manneswerk. Da ist nicht die natürliche Ge­burt und Empfängnis gewesen mit ihrem Fluch. Hat nicht können diesen Samen anrühren. Und hier ist doch natür­licher Samen Abrahams so wahrhaftig wie in allen ande­ren Kindern Abrahams. Sieh, das ist der gesegnete Same Abrahams, darin alle Welt ihres Fluches ledig wird. Denn wer an diesen Samen glaubt, ihn anruft, bekennt und daran bleibt hängen, dem ist aller Fluch vergeben und aller Segen gegeben, wie die Worte und der Eid Gottes lauten: »In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Völker der Erden.« Das ist: Alles, was gesegnet werden soll, muß und soll durch diesen Samen und sonst durch keinen Weg gesegnet werden. Sieh, das ist der Same Abrahams, der von keinem seiner Söhne, worauf die Juden allezeit gesehen und gewartet haben, sondern allein von seiner einzigen Tochter Maria geboren ist.

Das meint nun hier die zarte Mutter dieses Samens, wenn sie spricht, er habe Israel angenom­men nach seinem Versprechen, das er Abraham gegeben hat, ihm und all seinem Samen. Da sah sie wohl, daß die Zusage in ihr erfüllt war. Darum spricht sie, es sei nun erfüllt, und er habe angenommen, seinem Wort Genüge getan, allein aus dem Denken an seine Barmherzigkeit. Hier sehen wir den Grund des Evangeliums, warum alle Lehre und Pre­digt in ihm auf den Glauben an Christus und in den Schoß Abrahams treiben. Denn es ist sonst kein Rat noch Hilfe, wenn dieser Glaube nicht da ist, darin der gesegnete Same ergriffen wird. Und wahrhaftig, es hängt die ganze Bibel in diesem Eidspruch Gottes. Denn allem in der Bibel ist es um Christus zu tun. Weiter sehen wir, daß alle Väter im Alten Testament mit allen heiligen Propheten haben eben den Glauben und das Evangelium gehabt, das wir haben, wie St. Paulus 1.Kor. 10 sagt. Denn in diesem Eidspruch Gottes und Schoß Abrahams sind sie alle geblieben mit festem Glauben und so errettet. Nur haben sie an den zukünftigen und versprochenen Samen geglaubt. Wir glauben an den erschienenen und dargegebenen. Es ist aber alles eine Wahrheit des Zusagens, so auch ein Glaube, ein Geist, ein Christus, ein Herr, heute wie zu der Zeit und in Ewigkeit, wie St. Paulus sagt Hebr. 13,8.

Daß aber hernach den Juden das Gesetz gegeben wurde, ist dieser Zusage nicht gleichzusetzen und ist darum geschehen, damit sie durch das Licht des Gesetzes ihre verfluchte Natur desto besser erkennten und nach diesem zugesagten Samen des Segens desto heißer und begieriger verlangen sollten. Darin haben sie einen Vor­teil vor den Heiden aller Welt gehabt. Aber sie haben den Vorteil umgekehrt und einen Nachteil daraus gemacht und versucht, das Gesetz durch sich selbst zu erfüllen und nicht ihre des Segens bedürftige Verfluchung dadurch zu erkennen. Haben damit sich selbst die Tür zugetan, so daß der Same hat müssen vorübergehen, und bleiben noch so. Gott gebe, nicht lange! Amen. Und das ist der Streit aller Propheten gewesen mit ihnen. Denn die Propheten ver­standen des Gesetzes Meinung gut, daß man in ihm sollte erkennen unsere verfluchte Natur und lernen, nach Chri­stus zu rufen. Darum verwarfen sie alles gute Werk und Leben der Juden, das nicht in diesem Weg ging. So wurden denn jene zornig auf sie und töteten sie als solche, die da verwürfen Gottesdienst, gute Werke und gutes Leben, wie denn allezeit die Gleisner und gnadlosen Hei­ligen tun. Davon wäre viel zu reden.

Daß sie aber spricht: »seinen Samen in Ewigkeit« – die Ewigkeit soll darin so verstanden werden, daß solche Gnade währet in Abrahams Geblüt (das sind die Juden) von der Zeit an durch alle Zeit bis an den Jüngsten Tag. Denn obwohl der große Haufe verstockt ist, gibt es doch allezeit, wie wenige ihrer seien, solche, die zu Christus sich bekehren und an ihn glauben. Denn diese Zusage Gottes lügt nicht, daß Abraham sei die Zusage geschehen und seinem Samen, nicht auf ein Jahr, nicht auf tausend Jahre, sondern in saecula, das ist von einer Menschenzeit in die andere ohne Aufhören. Darum sollten wir die Juden nicht so unfreundlich behandeln. Denn es sind noch zukünftige Christen unter ihnen und werden’s täglich. Dazu haben sie allein und nicht wir Heiden solche Zusage, daß allezeit in Abrahams Samen sollen Christen sein, die den gesegneten Samen erkennen. Unsere Sache steht auf lauter Gnade ohne Zusagen Gottes. Wer weiß, wie und wann die Juden sich zu Christus bekehren. Wenn wir christlich lebten und sie mit Güte zu Christus brächten, wäre es wohl die rechte Art. Wer wollte Christ werden, wenn er Christen so unchristlich mit Menschen umgehen sieht. Nicht so, liebe Christen! Man sage ihnen gütlich die Wahrheit. Wollen sie nicht, laß sie fahren. Wie viele sind Christen, die Christus nicht achten, hören seine Worte auch nicht, ärger als Heiden und Juden. Und wir lassen sie doch in Frieden gehn, ja fallen ihnen zu Fuß, beten sie schier wie Abgötter an. Hier lassen wir’s diesmal bleiben und bitten Gott um rechtes Verstehen dieses Magnificat, das nicht allein leuchte und rede, sondern brenne und lebe in Leib und Seele. Das verleihe uns Christus durch Fürbitte und Willen seiner lieben Mutter Maria. Amen.

Am Ende komme ich wieder zu Euer Fürstlichen Gnaden, gnädiger Herr, und bitte, E.F.G. wolle mir meine Ver­messenheit zugute halten. Denn ob ich auch weiß, daß E.F.G. Jugend reichlich gute Unterweisung und Vermah­nung täglich hat, kann ich doch meine pflichtgemäße Untertänigkeit und Treue, dazu meines Gewissens Sorge und mein Gedenken gegenüber E.F.G. nicht lassen. Denn wir alle hoffen, daß in zukünftigen Zeiten, was Gott gnädig und heilsam fuge, das Regiment zu Sachsen in E.F.G. Hand kommen soll. Und das ist ein großes, köst­liches Werk, wenn es wohl gerät, dagegen gefährlich und voll Jammers, wenn es übel gerät. Wir sollen in allen Dingen das Beste hoffen und erbitten, aber nichtsdesto­weniger fürchten und besorgen das Ärgste.

E.F.G. soll das bedenken, daß Gott in der ganzen Schrift keinen heidnischen König oder Fürsten jemals hat lassen loben, so weit und lang die Welt gestanden, son­dern allezeit mehr tadeln lassen. Das ist ein großes, furchterregendes Bild allen Oberherren. Auch in dem Volk Israel, das doch sein eigenes Volk war, hat er keinen König je lobenswert und unsträflich gefunden. Über das alles hinaus sind im Volk Juda, das das Hauptstück vom ganzen menschlichen Geschlecht gewesen ist, das Gott über alle erhoben und geliebt hat, dennoch nur wenige, und nicht mehr als sechs Könige, gelobt. Und der aller­kostbarste von ihnen, der allerteuerste Fürst David, der keinen hinter sich, neben sich, nach sich gelassen hat im weltlichen Regiment, der ihm gleicht – ob er schon voll Gottesfurcht und Weisheit alle seine Dinge allein aus Gottes Befehl, nicht nach seiner Vernunft richtete und führte, so strauchelte er dennoch etliche Male. Und da die Schrift sein Regiment nicht tadeln konnte und doch des Volkes Unglück erzählen sollte, das durch David über es kam, gab sie nicht David, sondern dem Volk die Schuld und sprach, Gott sei zornig übers Volk gewesen und habe David, den heiligen Mann, vom Teufel lassen bewegen, daß er das Volk ließ zählen, um welcher Tat willen siebzigtausend Mann an der Pestilenz sterben mußten (2.Sam. 24).

Dies alles hat Gott so verordnet, um die Obrigkeit zu schrecken und in Furcht zu halten, ihnen ihre Gefährdung vor Augen zu stellen. Denn das große Gut, die große Ehre, die große Gewalt, die große Gunst, dazu die Schmeichler, ohne die kein Herr sein kann, sind gleich­sam um eines Fürsten Herz gelegt und bestürmen es: zur Hoffart, zum Vergessen Gottes, zur Mißachtung des Vol­kes und des allgemeinen Nutzens, zu Wollust, zu Frevel, zu Vermessenheit, zu Müßiggang und kurz zu allem Unrecht und aller Untugend, so daß freilich kein Schloß und keine Stadt so hart belagert und bestürmt werden kann. Wer sich dann nicht hinter solch Exempel legt und sich die Furcht Gottes zu einem guten Bollwerk und Wall macht, – wie will er bleiben? Denn wenn ein Herr und eine Obrigkeit nicht sein Volk liebhat und seine Sorge allein das sein läßt, wie nicht er selbst gute Tage habe, sondern wie sein Volk durch ihn Besserung empfange, dann ist’s schon aus mit ihm, dann fuhrt seiner Obrigkeit Stand nur zum Verderben seiner Seele. Und es wird ihm nichts helfen, wenn er dagegen große Gedächtnisgottes­dienste, Klöster, Altäre, dies oder das stiften wollte. Gott wird Rechenschaft für seinen Stand und für sein Amt von ihm fordern und sich an nichts anderes kehren.

Darum, mein gnädiger Herr und Fürst, befehle ich E.F.G. das Magnificat, vor allem den fünften und sechsten Vers, in denen es in der Mitte gefaßt wird. Bitte und vermahne, E.F.G. wollte sich all ihr Lebtage vor keiner Sache auf Erden, ja auch vor der Hölle nicht so sehr fürchten wie vor dem, was hier die Mutter Gottes nennt »Gemüt des eignen Herzens«. Das ist der größ­te, nächste, mächtigste, schädlichste Feind aller Menschen, vor allem der Oberherrn; das heißt: Vernunft, gute Meinung oder Gutdünken, aus welchem alle Ratschläge und alle Regie­rung fließen müssen. Und E.F.G. kann nicht sicher vor ihm sein, wenn sie das nicht allezeit besonnen prüft und ihm in der Furcht Gottes folgt. Ich meine nicht E.F.G. Rat allein, sondern all derer, die mit im Rat sitzen. Keines Rat soll verachtet werden, aber auch auf keines Rat vertraut werden. Wie dann?

So, daß E.F.G. nicht das Gebet den Mönchen oder den Priestern überläßt, wie es jetzt der leidige Brauch ist, auf anderer Leute Gebet zu bauen und zu trauen und das eigene Gebet zu unterlassen. Sondern E.F.G. soll einen freien, entschlossenen Mut schöpfen und die Zaghaftig­keit ablegen, selber im Herzen oder an heimlichen Orten mit Gott reden und ihm die Schlüssel frei vor die Füße werfen und ihn mit seiner eigenen Ordnung drängen, etwa so: Sieh, mein Gott und Vater, das ist dein Werk und Ordnung, daß ich in diesem Stand zu regieren bin geboren und geschaffen. Das kann nie jemand leugnen. Und du selbst erkennest’s auch. Ich sei würdig oder un­würdig, so bin ich’s jedenfalls, wie du und jedermann sieht. Drum gib mir, mein Herr und Vater, daß ich deinem Volk möge vorstehen zu deinem Lob und ihrem Nutzen. Laß mich nicht folgen meiner Vernunft, sondern sei du meine Vernunft.

Auf solche Meinung gehe dann, was da geht, in Gottes Befehl. Wie gut solches Gebet und Gemüt Gott gefällt, zeigt er selbst an Salomo, der auch solch Gebet tat, das ich hier verdeutscht habe, damit E.F.G. es als ein Exempel dieser Predigt am Schluß behalte und eine tröstliche Zu­versicht auf Gottes Gnade erwecke. So daß beides bleibe, Furcht Gottes und Barmherzigkeit, wie der fünfte Vers singt. Befehle mich hiermit E.F.G., die Gott zu gesegne­tem Regieren sich lasse befohlen sein. Amen.

WIE KÖNIG SALOMO EIN FÜRSTLICH GEBET BETET ZU GOTT,
ALLEN FÜRSTEN UND HERREN ZU EINEM GUTEN EXEMPEL,
AUS DEM BUCH I.KÖN. 3

In der Stadt Gibeon ist Gott erschienen dem Salomo im Traum des Nachts und hat zu ihm gesagt: Bitte von mir, was soll ich dir geben? Da hat Salomo gesagt: Mein Gott, du hast meinem Vater David, deinem Diener, große Gnade getan, wie er denn vor dir gewandelt ist in der Wahrheit und Gerechtigkeit. Und sein Herz war richtig mit dir. Und du hast ihm bewahrt die­se große Gnade, daß du ihm einen Sohn gegeben hast, der da sitzt auf seinem Thron, wie es denn jetzt am Tage ist.

Nun lieber Gott, mein Herr, du hast mich, deinen Diener, zu einem König gemacht anstatt meines Vaters David. So bin ich ein kleiner Jüngling, der da nicht weiß, ob er aus- oder eingehen soll. So bin ich dein Diener mitten unter deinem erwählten Volk, des so viel ist und nicht gezählt noch genannt mag werden vor großer Menge.

So wollest du mir, deinem Diener, geben ein hörend Herz (das sich läßt sagen und gehorcht), damit ich möge dein Volk richten und verstehen, was gut und böse sei. Denn wer mag richten ein solches dein Volk, das da groß und tapfer ist?

Solche Worte haben Gott wohlgefallen, daß Salomo solche Dinge hat gebeten. Und Gott hat zu ihm gesagt: Weil du das bittest und bittest nicht um langes Leben und bittest nicht um Reichtum und bittest nicht um den Tod deiner Feinde, sondern bittest um Verstand, daß du mö­gest hören, was du richten sollst, – siehe da, so tu ich, wie du gebeten hast. Siehe da, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, daß vor dir deinesgleichen nicht ge­wesen ist und nach dir deinesgleichen nicht kommen wird.

Auch die Dinge, die du nicht gebeten hast, gebe ich dir auch, solch Reichtum und Ehre, daß deinesgleichen unter den Königen nicht ist gewesen zu keiner Zeit. Und so du wirst wandeln in meinen Wegen, daß du hältst meine Satzung und Gebote, wie dein Vater David ist gewandelt, so will ich auch dein Leben verlängern.

WA 7,544-604 (übertragen von Eberhard Leppin).

1 Luthers Erklärung des Namens »Israel« geht fehl. Er bedeutet tatsächlich »Gottesstreiter«.

Hier der Text als pdf.

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