Vom Kreuz und den Tröstungen (Compendium locorum theologicorum)
Von Leonhard Hutter
1. Aus welchen Gründen lässt Gott es zu, dass Fromme immer wieder durch verschiedene Leiden geprüft werden?
Es lassen sich sehr viele Gründe nennen, aber die Hauptgründe sind folgende:
- Weil auch den Frommen noch die Reste der Sünde und die heftigeren Begierden des Fleisches wider den Geist anhaften. Daher erweckt sie Gott durch das Kreuz immer wieder zur Buße, zum Glauben, zum Gebet, zur Erneuerung des Lebens und zu anderen Übungen der Frömmigkeit; Jes. 28,19: „Drangsal bringt Einsicht.“
- Weil Gott will, dass die Frommen auch in diesem Leben dem Bilde des Sohnes Gottes gleichförmig werden; Röm. 8,29.
- Weil Gott auf diese Weise seine Gegenwart, Liebe und Allmacht gegenüber den Frommen deutlicher bezeugt; Jes. 37,20: „Errette sie, damit alle Königreiche der Erde erkennen, dass du, Herr, allein Gott bist in Israel.“
- Weil Gott will, dass die Frommen ein Zeugnis ihres Glaubens und Bekenntnisses ablegen, und zwar nicht heuchlerisch, sondern aufrichtig, sodass sie nicht aus Eigennutz eine falsche Lehre verbreiten; Psalm 116,10: „Ich habe geglaubt, darum rede ich; ich aber war sehr gebeugt.“
2. Wie sollen die Leiden getragen werden?
Zuerst in wahrer Demut, die in der ernsthaften und brennenden Erkenntnis der Sünden besteht.
Dann im wahren Glauben an Christus, sodass wir durch ihn allein bei Gott Linderung der Leiden erbitten.
Ferner in wahrer Geduld, die sich sanftmütig dem Willen Gottes fügt.
Zuletzt in festen Tröstungen, durch die wir uns unter dem Kreuz aufrichten.
3. Woher sollen solche Tröstungen geholt werden?
Aus dem Wort Gottes, gemäß Psalm 119,92: „Wäre dein Gesetz nicht meine Freude gewesen, so wäre ich in meinem Elend umgekommen.“
4. Zeigt nicht auch die Philosophie gewisse Tröstungen?
Sie zeigt zwar gewisse Tröstungen, doch sind sie sehr schwach und können in schwereren Leiden nicht standhalten. Solche sind:
- Die Notwendigkeit, woraus der oft zitierte Spruch stammt: Ertrage es, beklage es nicht, was du nicht ändern kannst.
- Die Würde der Tugend, dass man wegen des Schmerzes nichts Unrechtes tue.
- Ein gutes Gewissen.
- Beispiele anderer.
- Hoffnung auf einen guten Ausgang.
- Der Ruhm eines unvergänglichen Namens – und andere ähnliche.
(Vgl. Philipp Melanchthon in Loci communes und im Examen.)
5. Nenne stärkere Trostgründe aus der Heiligen Schrift!
Fünf besonders tröstliche Gründe lassen sich aus der Heiligen Schrift herleiten:
Erstens: Der gute Wille Gottes; denn wir leiden nicht zufällig oder willkürlich, sondern weil Gott es so geordnet hat. Matth. 10,29-30: „Nicht ein Spatz fällt zur Erde ohne den Willen eures Vaters; bei euch aber sind selbst die Haare des Hauptes alle gezählt. Fürchtet euch also nicht – ihr seid mehr wert als viele Spatzen!“
6. Was ist der zweite Grund?
Zweitens: Das gute Ziel der Leiden. Röm. 8,28: „Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.“
7. Nenne den dritten!
Drittens: Die Verheißung göttlicher Hilfe und Gegenwart in allen Leiden. Psalm 91,15: „Er ruft mich an, darum will ich ihn erhören; ich bin bei ihm in der Not, ich will ihn herausreißen und zu Ehren bringen.“
8. Gib den vierten an!
Viertens: Ein gutes Gewissen, das in Notzeiten ein großer Trost ist. 2. Kor. 1,12: „Denn dies ist unser Ruhm: das Zeugnis unseres Gewissens …“
9. Nenne den fünften!
Fünftens und zuletzt: Die feste Zuversicht auf die Vergebung der Sünden in Christus, wodurch wir Gnade bei Gott haben – wie auch immer wir durch Leiden geprüft werden. Röm. 8,33-39: „Wer will die Auserwählten Gottes anklagen? Gott ist es, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus ist es, der gestorben ist – ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes sitzt und für uns eintritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal? Oder Angst? Oder Verfolgung? Oder Hunger? Oder Blöße? Oder Gefahr? Oder Schwert? Aber in all dem überwinden wir weit durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“
Quelle: Leonhard Hutter, Compendium locorum theologicorum (1610), Loc. XXIV.