Wenn das Volk murrt … hat man da noch Töne? Gerold Jaspers über das Murren in der Bibel: „Gegenüber schweren Schickungen Gottes oder dem Leiden überhaupt bedeutet das Nichtmurren keineswegs ein fatalistisches Sichabfinden, sondern ein williges Aufsichnehmen der Last, die um Gottes oder Christi willen getragen werden will. Gleichzeitig erweist sich darin das Vertrauen zu Gott, dessen Liebe sich in der Auferstehung Christi so unverhüllt zu erkennen gegeben hat, daß alle Dunkelheiten des Lebens, und wäre es das Sterben selbst, dem Glaubenden nur als Gelegen­heiten göttlicher Hilfe und Rettung erscheinen (bis hin zur Auferstehung zum ewigen Leben), aber keinen Grund zum Murren bieten.“

Murren, murmeln in der Bibel

Von Gerold Jaspers

Das Wort begegnet als Aus­druck der Unzufriedenheit mit widerwärtigen Ereig­nissen und Taten, an denen Menschen Anstoß nehmen oder durch die sie sich ungerecht behandelt oder in ihrem Rechtsempfinden verletzt fühlen (nur ausnahmsweise für beifälliges Gemurmel: Joh. 7,12.12). So murren etliche über die Frau, die im Hause Simons des Aussätzigen den Herrn ge­salbt hat, weil ihnen die Verschwendung des wert­vollen Nardenwassers anstößig ist (Mk. 14,5). Die heidenchristlichen Glieder der Jerusalemer Ge­meinde murren, weil sie sich bei der Gabenverteilung benachteiligt glauben (Apg. 6,1). In letzterem Fall wird das Murren keinesfalls als Sünde geachtet, sondern veranlaßt die Apostel, die bisherige Weise der Gabenverteilung zu verbessern, indem sie Almosenpfleger wählen lassen (vgl. Jos. 9,18; 1.Petr. 4,9).

Häufiger wird dieser Ausdruck da gebraucht, wo Menschen sich auflehnen gegen den von Gott verord­neten Weg, oder da, wo man über Jesu Verhalten unwillig ist. Im AT begegnet das Wort in diesem Sinn vor allem in einigen Kapiteln des 2. und 4. Mose, wo beschrieben wird, wie Israel unter Moses Führung aus der ägyptischen Knechtschaft geführt wird. Die mancherlei Widrigkeiten dieses Weges wie Hunger, Durst und Bedrohung durch Feinde haben das Volk Israel immer wieder zum Murren verführt. Das richtete sich zwar zunächst gegen Menschen wie Mose und Aaron, aber da diese ja nur ausführten, was Gott ihnen geboten hatte, war jedes Murren gegen sie eine Mißtrauenskundgebung gegen Gott (2.Mose 16,8), eine Versuchung Gottes (2.Mose 17,2; 4.Mose 14,22), eine Läste­rung Gottes (4.Mose 14,11.23), ja eine Em­pörung gegen Gott (4.Mose 14,35). Dies Murren, mag es menschlich noch so verständlich sein, ist doch für Gott ein Zeichen, wie wenig seine vielfachen be­hütenden und rettenden Taten das erwartete Ver­trauen und die schuldige Dankbarkeit unter dem Volk erweckt haben. Darum fordert es den Zorn Gottes heraus und findet strenge Bestrafung (4.Mose 14,27-30).

So gilt es auch in der Folgezeit als eine für Gottesfeinde und Heiden bezeichnende Eigenschaft (Ps. 59,16; Jes. 29,24; Jud. 16), denn im Murren offenbart sich, daß der Mensch mit Gott nicht einig ist, sich seiner Führung zu entziehen trachtet, weil er sich von Gott überfordert oder nicht genügend gesichert glaubt. Den jüdischen Theologen z. Zt. Jesu war deshalb das Murren ihrer Vorfahren (4.Mose 14 u.ö.) sehr peinlich, und sie suchten es durch mildere Ausdrücke zu beschönigen. Demgegen­über stellt Paulus es in seiner ganzen Schwere als warnendes Beispiel heraus (1.Kor. 10,10f).

Dem Herrn Christus gegenüber murren die Schriftgelehrten und Pharisäer (Lk. 5,30) oder die Juden (Joh. 6,41) oder gar die Jünger (Joh. 6,61) angesichts des ihnen unverständlichen oder gar anmaßend erscheinenden Gebarens Jesu, daß er mit den Sündern verkehrt, daß er vom Himmel gekommen zu sein behauptet, daß er sein Fleisch und Blut zu essen geben will. Das Murren über seine Worte und Taten deutet der Herr als Zeichen, daß Gott die Murrenden nicht „ziehe“, denn nur die von Gott Gelehrten fassen das Geheimnis des Christus und kommen ohne Murren zu ihm (Joh. 6,41-45). Das Gegenteil von Murren ist demnach: zu Jesus kommen, d. h. an ihn glauben (Joh. 6,64). Der Glaube murrt nicht, weder gegen Christus noch gegen Gott. Er weiß ja um die Vollmacht Christi und auch darum, daß Gottes Plan mit den Menschen nicht böse, sondern gut ist. Darum tun die Gläubigen alles, was sie zu tun haben, „ohne Murren und Zweifel“ (Phil. 2,14; 1.Petr. 4,9). Gegenüber schweren Schickungen Gottes oder dem Leiden überhaupt bedeutet das Nichtmurren keineswegs ein fatalistisches Sichabfinden, sondern ein williges Aufsichnehmen der Last, die um Gottes oder Christi willen getragen werden will. Gleichzeitig erweist sich darin das Vertrauen zu Gott, dessen Liebe sich in der Auferstehung Christi so unverhüllt zu erkennen gegeben hat, daß alle Dunkelheiten des Lebens, und wäre es das Sterben selbst, dem Glaubenden nur als Gelegen­heiten göttlicher Hilfe und Rettung erscheinen (bis hin zur Auferstehung zum ewigen Leben), aber keinen Grund zum Murren bieten.

Quelle: Biblisch-theologisches Handwörterbuch zur Lutherbibel und zu neueren Überset­zun­gen, hrsg. v. Edo Osterloh und Hans Engelland, Göttingen: Vandenhoeck & Rup­recht 21959, S. 405.

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