Bruno Jordahn, Vorhang im Tempel: „Nach Markus 15,38 zerreißt der Vorhang beim Sterben Jesu Christi von oben an bis unten auf. Dieser Vorgang bedeutet nach dem Vorhergehenden, dass nunmehr die ‚Scheidewand‘ zwischen Gott und Mensch beseitigt ist. Darum ist dieses ganze Geschehnis im Rahmen der ‚Aufhebung‘ des alttestamentlichen Kultus zu begreifen und bildet darin ein überaus wichtiges Moment. Der Hebräerbrief weist darauf hin. Dabei wird den Stellen von dem Zerreißen des Vorhangs eine neue Deutung gegeben insofern, als nunmehr der Vorhang mit dem Fleisch Jesu Christi gleichgesetzt wird.“

Vorhang im Tempel

Von Bruno Jordahn

Wenn in der Bibel vom Vorhang die Rede ist, dann ist immer der Vorhang im Tempel gemeint. Die Stelle Jes. 22,8 in der Lutherbibel hat den Sinn von „Decke“ und kommt daher nicht in Betracht.

Vorhänge in den Heiligtümern und beim Kultus überhaupt kennen alle Religionen der Welt und so auch die Umwelt des AT und NT. Aber auch hier hebt sich die Bibel grundlegend davon ab und stellt etwas Neues dar. Das AT und NT kennen den Vorhang in dem Tempel bzw. der Stifts­hütte als „Scheidewand zwischen Heiligem und Allerheiligstem“ (2.Mose 26,33; vgl. 2.Mose 30,6; 35,12; 40,21—26; 3.Mose 24,3; 1.Makk.1,23; Mt. 27,51; Mk. 15,38; Lk. 23,45). Dieser Vorhang verhüllte das Allerheiligste, in dem der „Gnadenstuhl“ sich befand (2.Mose 40,3). Er bestand aus „blauem roten Purpur, Scharlach und gezwirnter weißer Leinwand (Karmesin mit ge­zwirntem Byssus)“ (2.Mose 26,31—35). Auf dem Vorhang waren „Cherubim … von kunstreicher Arbeit“ abgebildet (2.Mose 26,31; vgl. 2. Chr. 3,14). Der Vorhang sollte die Scheidung zwischen dem Allerheiligsten, dem Ort der Erscheinung Gottes, und dem Heiligen, dem Ort der Annäherung des Menschen deutlich machen. Darum durfte auch niemand hinter den Vorhang gehen mit Ausnahme des Hohenpriesters, der es nur einmal im Jahr, am großen Versöhnungstag durfte (3.Mose 16,2.12—15; Sir. 50,6). So hatte der Vorhang durch­aus kultische Bedeutung. Das geht auch daraus her­vor, daß er mit Opferblut besprengt wurde (3.Mose 4,6 u. 17), ein Unreiner sich ihm nicht nahen (21,23) und in der Wüstenzeit beim Auf­bruch die Lade darin eingewickelt werden sollte (4.Mose 4,5). Außer dem Vorhang zwischen Heili­gem und Allerheiligstem gab es noch einen Vorhang zwischen dem Vorhof und dem Heiligen. Dieser war aber ohne besondere Bedeutung. Luther deutet das damit an, daß er nicht vom Vorhang, sondern vom Tuch redet (2.Mose 35,15; 38,18; 40,5; 4.Mose 3,26). Nach Mt. 27,51; Mk. 15,38; Lk. 23,45 zerreißt der Vorhang beim Sterben Jesu Christi von oben an bis unten auf. Dieser Vorgang bedeutet nach dem Vorhergehenden, daß nunmehr die „Scheidewand“ zwischen Gott und Mensch beseitigt ist. Darum ist dieses ganze Geschehnis im Rahmen der „Aufhebung“ des alttestamentlichen Kultus zu begreifen und bildet darin ein überaus wichtiges Moment. Der Hebräerbrief weist darauf hin (6,19; 9,3; 10,20). Dabei wird den Stellen von dem Zerreißen des Vorhangs eine neue Deutung gegeben insofern, als nunmehr der Vorhang mit dem Fleisch Jesu Christi gleichgesetzt wird.

Quelle: Biblisch-Theologisches Handwörterbuch zur Lutherbibel und zu neueren Überset­zungen, hrsg. v. Edo Osterloh und Hans Engelland, Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 21959, S. 669.

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