Jean-Pierre de Caussade
Von J. Neville Ward
Jean-Pierre de Caussade (1675–1751) trat 1693 in das Noviziat der Jesuiten in Toulouse ein, wurde 1705 zum Priester geweiht und 1708 zur Profess zugelassen. Zeit seines Lebens war er ein geschätzter Lehrer, Prediger und Beichtvater. Einige Jahre lang hielt er Konferenzen für die Schwestern des Ordens der Heimsuchung in Nancy und übernahm die geistliche Leitung mehrerer von ihnen. Aufzeichnungen dieser Konferenzen sowie zahlreiche Briefe, in denen de Caussade seine Lehre sensibel darlegte und anwendete, blieben lange Zeit unveröffentlicht. Erst 1861 wurden sie von H. Ramière herausgegeben – in Form eines Traktats, dem zahlreiche Briefe folgten – unter dem Titel „L’Abandon à la Providence Divine“ („Die Hingabe an die göttliche Vorsehung“).
De Caussade veröffentlichte zu Lebzeiten nur ein einziges Buch: „Instructions spirituelles, en forme de dialogues, sur les divers états d’oraison, suivant la doctrine de Bossuet“ (1741), auf Deutsch etwa: „Geistliche Anleitungen in Dialogform über die verschiedenen Zustände des Gebets, gemäß der Lehre Bossuets“ (übersetzt als „Über das Gebet“). Es handelt sich um eine Reihe von Dialogen, beinahe ein ausgearbeitetes Katechismuswerk über das kontemplative Gebet, mit dem Ziel zu zeigen, dass solches Gebet – wenn richtig verstanden – nicht der damaligen offiziellen Kritik des Quietismus unterliegt, sondern durchaus im Einklang mit der Lehre Bossuets, des Bischofs von Meaux, steht – eines bedeutenden und energischen Gegners des Quietismus. Das Werk enthält auch kurze Anleitungen Bossuets zur Praxis des einfachen Gebets der Sammlung und der Aufmerksamkeit auf Gott.
De Caussades Lehre ist aus der Spiritualität des heiligen Franz von Sales (insbesondere aus dessen Abhandlung über die Gottesliebe) abgeleitet, hat vieles gemeinsam mit der des heiligen Johannes vom Kreuz und der karmelitischen Schule und verdankt ihre praktische Anschaulichkeit seiner eigenen Erfahrung im Glaubensleben und dem, was er von seinen Beichtkindern mit ihrer Vielfalt an Lebenssituationen gelernt hat.
Es besteht wenig Interesse an außergewöhnlichen Gebetszuständen oder an komplizierter Analyse des Wegs zur Vollkommenheit. Vollkommenheit ist für ihn hier und jetzt durch Gottes Gnade für alle zugänglich, denn sie besteht darin, sich der göttlichen Vorsehung hinzugeben und seinen Willen zu tun, wie er uns erkennbar wird. Welche Lebenslage uns auch immer gegenwärtig betrifft, sie ist in dem Sinne als Gottes Wille zu verstehen, dass Gott ihr faktisches Bestehen zulässt und sie zum Kontext unseres gegenwärtigen Dienstes an ihm macht. Weil Gott in jeder Situation gegenwärtig ist – sei es klar oder verborgen –, erscheint sein Wille in dem, was er uns zu tun, zu tragen oder zu genießen aufträgt. De Caussade sprach vom gegenwärtigen Augenblick als einem „Schleier Gottes“, der, im Licht des Glaubens betrachtet, zugleich eine „Enthüllung Gottes“ ist. Er prägte dafür den Ausdruck „Sakrament des gegenwärtigen Augenblicks“ und erläuterte das christliche Leben als ein aktives und passives Mitwirken mit Gott – Moment für Moment. Die von ihm empfohlene Gebetsweise ist ein einfaches Warten auf Gott, ein achtsames Erkennen seiner Gegenwart und ein williges Mitwirken an seinem Willen.
Literatur: J. P. de Caussade, Self-Abandonment to Divine Providence, Übersetzung von Algar Thorold, 1959; ders., On Prayer, Übersetzung von Algar Thorold, 1949
Übersetzung aus: Gordon S. Wakefield (Hrsg.), The Westminster Dictionary of Christian Spirituality.