Jüngst ist Christian Smiths Why Religion Went Obsolete: The Demise of Traditional Faith in America bei OUP erschienen. Smith ist William R. Kenan, Jr. Professor für Soziologie und Gründungsdirektor des Center for the Study of Religion and Society an der University of Notre Dame, Indiana.
Warum Religion obsolet wurde: Nicht nur durch Säkularisierung
Von Christian Smith, 8. April 2025
Die Geschichte meines neuen Buches Why Religion Went Obsolete: The Demise of Traditional Faith in America (Warum Religion obsolet wurde: Das Ende des traditionellen Glaubens in Amerika) stellt eine empirische Herausforderung für die klassische Säkularisierungstheorie dar. Diese besagt, dass Gesellschaften mit zunehmender Modernisierung und Entwicklung zwangsläufig säkularer werden. Zwar hat die traditionelle Religion in den Vereinigten Staaten abgenommen, doch wurde sie nicht einfach durch reine Säkularität ersetzt. Das Obsoletwerden der Religion bedeutete in den USA keineswegs das Verschwinden des Heiligen, Spirituellen, Magischen, Verzauberten, Übernatürlichen, Okkulten, Ekstatischen oder Göttlichen. Diese Elemente sind weiterhin lebendig und präsent.
Das Heilige und Ekstatische haben lediglich neue Orte gefunden. Das Spirituelle wurde in neuen Formen rekonstruiert. Alte Gottheiten wurden durch neue – teils sogar ältere – ersetzt. Man muss sich regelrecht unter einem Stein verkriechen, um dem populären Interesse an Spiritualität, Magie und Okkultur zu entkommen. Doch um das zu erkennen, muss man sich von bestimmten theoretischen Scheuklappen befreien. Das kulturelle Spielfeld von heute ist kein binäres, auf dem zwei Teams gegeneinander um die Vorherrschaft kämpfen. Es ist von vielen Mitspielern besetzt, die ganz unterschiedliche Spiele spielen – einige davon ähneln nicht einmal Mannschaften. Weit entfernt von einem Siegeszug der Säkularität zeigt die amerikanische Erfahrung vielmehr, wie sich religiöse oder „religionsähnliche“ Dinge an nichttraditionelle Orte und Ausdrucksformen verlagert und verwandelt haben.
Einige Ursachen der religiösen Obsoleszenz waren tatsächlich säkularisierende Kräfte. Doch viele andere resultierten aus dem Druck konkurrierender alternativer Religionen, Quasi-Religionen und Spiritualitäten. Die amerikanische Gesellschaft ist in mancher Hinsicht säkularer geworden, aber gleichzeitig auch neu verzaubert durch Spiritualität und Okkultur – in einer Weise, die der Vorstellung eines unaufhaltsamen Marsches zur Säkularität widerspricht. Max Weber würde wohl schmunzeln angesichts der Tatsache, dass die amerikanische Religion selbst mit an ihrem eigenen Grab schaufelte. Aber er wäre wohl erstaunt über die Umkehr der Entzauberung in der heutigen amerikanischen Kultur. Und obwohl diese anderen Formen von Verzauberung mit der Religion konkurrieren, lehnen sie eine säkulare Weltanschauung klar ab. Der amerikanische Fall enttäuscht daher die skeptischen Hoffnungen der Aufklärung auf eine rein rationale, wissenschaftliche und säkulare Gesellschaftsordnung – und ebenso deren akademisches Pendant: die Säkularisierungstheorie.
Die Säkularisierungstheorie ist nicht vollkommen falsch – was ihre anhaltende Relevanz erklärt. Aber sie ist teilweise blind und überambitioniert. Eine angemessene Soziologie der Religion braucht komplexere, differenziertere und kontextabhängigere theoretische Modelle. Die traditionelle Säkularisierungstheorie ist keineswegs „jenseits aller Zweifel“, sondern sollte eher als ein Set von kausalen Mechanismen betrachtet werden, die manchmal, aber nicht immer und nicht überall auf dieselbe Weise Gesellschaften in eine säkulare Richtung bewegen. Säkularisierung passiert. Aber viele andere Prozesse ebenso – darunter solche, die das Heilige, Spirituelle, Verzauberte, Magische, Übernatürliche, Okkulte, Ekstatische und Göttliche im modernen Leben fortführen und sogar stärken – selbst wenn sie außerhalb der Strukturen traditioneller Religionen stattfinden.
Während meiner Arbeit an diesem Projekt wurde ich häufig gefragt, ob Religionen nicht einfach durch Zyklen von Stärke und Niedergang gehen. Könnte es also irgendwann eine religiöse Wiederbelebung geben? Die Antwort: Solche vorhersehbaren Zyklen existieren nicht, auch wenn manche neupositivistischen Hoffnungen das nahelegen. Geschichte und gesellschaftliches Leben sind zu individuell und volatil für solche Regelmäßigkeiten. Ganz allgemein gilt der ironische Spruch: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Manche mögen hoffen, dass eine Generation nach Gen Z die traditionelle Religion wiederbelebt. Doch derzeit deutet soziologisch nichts darauf hin. Im Gegenteil: Nichts in den 2010er- oder frühen 2020er-Jahren hat die großen Veränderungsprozesse, die in den 1990er- und 2000er-Jahren einsetzten, grundlegend umgekehrt. Wenn überhaupt, haben sie sich noch verstärkt. Für nach-Boomer-Generationen gilt traditionelle Religion heute als kulturell kontaminiert – und diese Verunreinigung lässt sich nicht schnell oder einfach beseitigen. Irgendwann wird der Rückgang der Religion zwangsläufig ein Plateau erreichen, wenn schlichtweg nicht mehr viele Gläubige übrig sind, die noch austreten könnten. Doch ein Plateau ist kein Aufschwung. Die Geschichte legt nahe, dass massive sozioökonomische Krisen – etwa eine globale Wirtschaftskrise oder ein gesellschaftlicher Kollaps durch Klimawandel – vermutlich kurzfristige religiöse Begeisterung auslösen könnten. Doch auch hier zeigt die Vergangenheit: Solche Bewegungen sind dann meist apokalyptisch, sektiererisch oder kultartig – nicht traditionell.
Darüber hinaus kann ich nur noch ein letztes empirisches Ergebnis aus meiner Millennial Zeitgeist Survey (Zeitgeist-Umfrage unter Millennials) anbieten. Die Daten ermöglichen zwar keine verlässliche Prognose, geben jedoch Einblicke in generationelle Unterschiede, die das Nachdenken über die nähere Zukunft informieren können.
Zunächst baten wir die Befragten, anzugeben, welche der folgenden Aussagen ihre Erziehung am besten beschreibt:
- Ich wurde in einem stark religiösen Haushalt erzogen.
- Ich wurde in einem mäßig religiösen Haushalt erzogen.
- Ich wurde in einem schwach religiösen Haushalt erzogen.
- Ich wurde nicht in einem religiösen, aber in einem für spirituelle Dinge offenen Haushalt erzogen.
- Ich wurde weder in einem religiösen noch spirituellen Haushalt erzogen.
- Weiß nicht.
Die Antworten zeigen, dass jede nachfolgende Generation – von den Babyboomern bis zu den Millennials – etwas weniger stark religiös erzogen wurde. So gaben 23 % der Boomer, 21 % der Gen X und 20 % der Millennials an, in einem stark religiösen Haushalt aufgewachsen zu sein. Ähnliche, wenn auch moderate Rückgänge zeigen sich auch bei der Erziehung in mäßig religiösen Haushalten.
Gegenläufig entwickelten sich die Zahlen bei denjenigen, die in nicht-religiösen, aber spirituell offenen Haushalten aufwuchsen (5 % Boomer, 5 % Gen X, 10 % Millennials), sowie bei jenen, die in weder religiösen noch spirituellen Haushalten aufwuchsen (8 % Boomer, 10 % Gen X, 14 % Millennials). Außerdem gaben Millennials und Angehörige der Gen X sechzehnmal häufiger als Boomer an: „Weiß nicht“ – ein Indikator für religiöse Gleichgültigkeit oder Unwissenheit.
Wir wissen, dass der stärkste statistische Zusammenhang für Religiosität im Erwachsenenalter darin besteht, ob jemand religiös erzogen wurde. In der Regel sind Eltern der wichtigste Einflussfaktor für die religiöse Sozialisation amerikanischer Jugendlicher. Die Art der religiösen Erziehung in den Familien unserer Befragten korreliert stark mit ihrer heutigen Häufigkeit des Gottesdienstbesuchs. Das bedeutet: Solange kein unerwartetes Ereignis oder keine Kraft eintritt, die diese starken Dynamiken durchbricht, gibt es aus soziologischer Sicht keinen Grund zu glauben, dass die traditionelle Religion aus ihrer Obsoleszenz heraus zu neuer Vitalität finden wird.
Wir fragten die Teilnehmenden auch direkt, ob sie glaubten, in den nächsten fünf Jahren religiöser, weniger religiös oder etwa gleich religiös zu werden. Die meisten antworteten, sie erwarteten keine Veränderung: 65 % der Boomer, sowie jeweils 58 % der Gen X und Millennials. Da die jüngeren Generationen ohnehin schon weniger religiös sind, bedeutet das: Wenn sie bei ihren Erwartungen bleiben, werden sie auf diesem niedrigeren Niveau bleiben. Nur 5 % der Boomer erwarteten, weniger religiös zu werden – im Vergleich zu 8 % der Gen X und 10 % der Millennials. Bezüglich eines möglichen Anstiegs an Religiosität sagten 24 % der Boomer, 26 % der Gen X und 21 % der Millennials, dass sie glauben, religiöser zu werden. Wieder zeigt sich: Je jünger die Generation, desto häufiger lautet die Antwort „Weiß nicht“.
Solche Vorhersagen sind natürlich nicht unbedingt verlässlich. In einer nationalen Studie, die ich 2005 durchführte, sagten 53 % der Millennials, sie würden im Alter von 30 Jahren regelmäßig Gottesdienste besuchen. Doch im Jahr 2023 besuchten nur 21 % der Millennials zweimal im Monat oder häufiger einen Gottesdienst. Die jungen Millennials hatten also ihre zukünftige Religiosität massiv überschätzt.
Kurz gesagt: Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner erwartet nicht, in den kommenden Jahren religiöser zu werden. Und die Minderheit der nach-Boomer-Generationen, die das vielleicht doch tun wird, startet von einem relativ niedrigen Niveau aus. Selbst wenn sie religiöser werden, bewegt sich das wahrscheinlich nur in den Bereich „mäßig religiös“ – zu wenig, um die traditionelle amerikanische Religion auf ein früheres Niveau zurückzuführen.
Fazit: Die beste Vermutung darüber, wie die kommenden Jahrzehnte für die traditionelle Religion aussehen werden, ist: ziemlich genau wie die letzten – nur noch ausgeprägter.
Weniger schwierig als die Vorhersage der Zukunft der Religion ist es, einige der wahrscheinlichen sozialen Folgen ihrer Obsoleszenz abzuschätzen. Beobachter haben bereits auf ein zunehmendes Gefühl der Isolation und Einsamkeit unter Amerikanern hingewiesen – was auf viele Faktoren zurückzuführen ist, unter anderem auf den Rückgang der Teilnahme an religiösen Gemeinden. Soziales Kapital und Vertrauen in den Vereinigten Staaten werden vermutlich weiter erodieren, wenn sich die Folgen der religiösen Obsoleszenz entfalten – und zwar auf Weisen, die gemeinhin nicht als gut für Menschen und Gesellschaften gelten. In der Vergangenheit war Religion eine zentrale Ressource für viele Menschen beim mentalen und emotionalen Bewältigen von Krisen, bei der Sinnstiftung und als soziales Unterstützungsnetz – auch wenn sie für andere unter dem Schlagwort „religiöses Trauma“ und „spiritueller Missbrauch“ durchaus auch Schaden angerichtet hat.
Wir sollten also nicht überrascht sein, wenn die religiöse Obsoleszenz mit einer Zunahme von psychischen Gesundheitsproblemen einhergeht – was unter jungen Generationen bereits in „epidemischem“ Ausmaß berichtet wird. Soziologen haben vielfach gezeigt, dass Religion zahlreiche prosoziale Wirkungen entfaltet, daher ist es wahrscheinlich, dass auch andere gesellschaftlich nachteilige Konsequenzen dem fortschreitenden Bedeutungsverlust der Religion folgen werden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass es sinnvoll wäre, wenn die „Gesellschaft“ versuchen würde, die traditionelle Religion allein zur Aufrechterhaltung dieser positiven Effekte künstlich zu stärken. Genau diese instrumentelle Selbstlegitimation hat Religion überhaupt erst in die Lage gebracht, obsolet zu werden.
Zukünftige Entwicklungen vorherzusagen gehört nicht zum Berufsbild des Soziologen. Die Geschichte ist voller Überraschungen. Aber nichts, was sich aktuell soziologisch abzeichnet, weist auf etwas anderes hin als auf die fortschreitende Obsoleszenz der traditionellen Religion in den kommenden Jahren – begleitet vom zunehmenden Einfluss einer wiederverzauberten Spiritualität und Okkultur. Religion wird nicht aussterben. Aber sie wird vermutlich eine marginalisierte Spezies bleiben – in einem amerikanischen soziokulturellen Ökosystem, das ihr zunehmend ungünstig gesinnt ist.
Zu den eher unwahrscheinlichen, aber nicht unmöglichen Überraschungen der Geschichte würde es gehören, wenn die amerikanischen traditionellen Religionen ihr schwieriges Dilemma in eine Gelegenheit zur selbstkritischen Gewissenserforschung verwandelten. Was genau wollen sie eigentlich erreichen – und warum? Was ist für die Identität und Mission ihrer Traditionen wesentlich – ohne das sie nicht sie selbst wären – im Unterschied zu kulturellen Positionen, die zwar unantastbar erscheinen mögen, in Wahrheit aber belastend sind? Soziologisch betrachtet ist das verzweifelte Festhalten am Status quo, kombiniert mit dem Versuch, irgendwie „relevanter“ zu werden – vor allem nach Maßstäben, die nicht aus den religiösen Traditionen selbst stammen – ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen. Gleiches gilt für defensive Rückzugsgefechte und die Verknüpfung von „Treue“ mit dem Kampf in Kulturkriegen – ganz zu schweigen vom religiösen Nationalismus. Und auch bloße „Liberalisierungen“ der traditionellen Religion haben bisher keine beeindruckenden Erfolge hervorgebracht.
Vielmehr empfehlen sich unter den gegebenen Umständen brutal ehrliche Bestandsaufnahmen – eine echte „Komm zu Jesus“-Konfrontation (wenn ich das so sagen darf) mit dem Ausmaß der heutigen Krise traditioneller Religion. James Baldwin bemerkte einst: „Nicht alles, was man konfrontiert, kann verändert werden. Aber nichts kann verändert werden, solange man es nicht konfrontiert.“ Was aus solch einer tiefen Gewissenserforschung hervorgehen könnte, ist völlig offen. Jede Form grundlegender Transformation wäre riskant, würde kurzfristig sicher zu weiteren Verlusten führen – und könnte durchaus scheitern. Und doch – um es mit einem biblischen Bild auszudrücken – ist vielleicht eine Zeit gekommen, in der die verbleibenden Samen traditioneller Religion in die Erde fallen und scheinbar sterben müssen, damit daraus ein viel fruchtbareres Leben erwachsen kann.
Auszug aus Why Religion Went Obsolete: The Demise of Traditional Faith in America von Christian Smith. Copyright © 2025 bei Oxford University Press.