Lob der Musik (Encomion musices, 1538)
Von Martin Luther
Martin Luther an die Musikliebhaber. Grüße in Christus.
Ich wünschte von Herzen, dass jenes göttliche und höchst vortreffliche Geschenk der Musik gepriesen und allen empfohlen wäre. Doch bin ich so überwältigt von der Fülle und Größe ihrer Tugend und Güte, dass ich weder Anfang noch Ende noch Maß für meine Rede finden kann und gezwungen bin, trotz des überreichen Stoffes an Lobpreisungen ein eher dürftiger und bescheidener Lobredner zu sein. Denn wer könnte alles erfassen? Und wenn man alles erfassen wollte, erschiene es doch so, als habe man nichts erfasst.
Betrachtet man die Sache selbst, so wird man finden, dass die Musik von Anfang der Welt an allen Kreaturen, einzeln und insgesamt, eingepflanzt oder miterschaffen wurde. Denn nichts existiert ohne Klang oder tönende Zahl, so dass selbst die Luft, an sich unsichtbar, unfühlbar und für alle Sinne unmerklich – und am wenigsten musikalisch, vielmehr völlig stumm und für nichts geachtet –, dennoch in Bewegung klangvoll und hörbar ist, ja sogar fühlbar. Dies offenbart wunderbare Geheimnisse des Geistes, von denen hier nicht der Ort ist, zu sprechen.
Doch noch wunderbarer ist die Musik in den lebendigen Geschöpfen, besonders in den Vögeln. So verkündet jener überaus musikalische König und göttliche Psalmist David mit großem Staunen und jubelndem Geist die erstaunliche Kunstfertigkeit und Sicherheit der Vögel im Gesang, indem er im 104. Psalm sagt: „Über ihnen wohnen die Vögel des Himmels, aus den Zweigen lassen sie ihre Stimme erklingen.“
Vergleicht man aber all dies mit der menschlichen Stimme, so erscheint alles andere fast unmusikalisch. So überreich und unbegreiflich sind die Freigebigkeit und Weisheit des besten Schöpfers in dieser einen Sache! Die Philosophen haben sich angestrengt, dieses wunderbare Kunstwerk der menschlichen Stimme zu verstehen: Wie es möglich ist, dass durch die leichte Bewegung der Zunge und noch leichtere Bewegung des Kehlkopfs die Luft angeschlagen wird und jene unendliche Vielfalt und Gliederung von Stimme und Worten hervorbringt – ganz nach dem Willen der Seele, die sie lenkt. So kraftvoll und stark ist sie, dass sie über große Entfernungen hinweg nicht nur von allen deutlich gehört, sondern auch verstanden werden kann. Doch die Philosophen haben sich nur abgemüht, ohne es zu erfassen, und sind schließlich voller Bewunderung in Staunen verfallen. Denn es hat sich noch niemand gefunden, der genau bestimmen und festlegen konnte, was jener Hauch ist, das eigentliche Alphabet der menschlichen Stimme oder deren Urstoff. Lachen zum Beispiel – vom Weinen will ich gar nicht reden – erstaunt die Menschen, doch sie können es nicht fassen.
Doch lassen wir diese Betrachtungen über die unendliche Weisheit Gottes in dieser einen Kreatur für andere, die mehr Muße haben. Wir streifen sie nur am Rande.
Hier sollte von der Anwendung dieser so großen Sache gesprochen werden. Doch auch sie übersteigt mit ihrer unendlichen Vielfalt und Nützlichkeit bei weitem die beredteste Beredsamkeit der Beredsamsten. Eines jedoch können wir jetzt festhalten, was die Erfahrung bezeugt: Die Musik ist eine der wenigen Dinge, die nach dem Wort Gottes mit Recht gefeiert werden sollte. Sie ist Herrin und Lenkerin der menschlichen Affekte (über die Tiere will ich jetzt schweigen), durch die aber gerade die Menschen, wie von ihren eigenen Herren, gelenkt und oft mitgerissen werden. Kein größeres Lob kann (von uns zumindest) der Musik erdacht werden!
Denn willst du Traurige aufrichten, Fröhliche erschrecken, Verzweifelnde ermutigen, Hochmütige demütigen, Liebende besänftigen, Hassende mildern – und zählst du alle diese Herrscher des menschlichen Herzens auf, nämlich die Affekte und Antriebe oder Geister, die alles antreiben, sei es zu Tugend oder Laster –, was findest du Wirksameres als die Musik selbst? Der Heilige Geist selbst ehrt sie als sein eigenes Werkzeug, indem er in der Heiligen Schrift bezeugt, dass durch sie seine Gaben in die Propheten einfließen – das heißt, alle edlen Affekte –, wie es bei Elisa zu sehen ist. Ebenso wird durch sie Satan ausgetrieben, also der Anstifter aller Laster, wie es am König Saul von Israel deutlich wird.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Väter und Propheten nichts enger mit dem Wort Gottes verbunden sehen wollten als die Musik. Daher gibt es so viele Lieder und Psalmen, in denen Wort und Stimme gemeinsam auf die Seelen der Zuhörer wirken, während in den übrigen Lebewesen und Körpern nur die Musik ohne Worte gestikuliert.
Schließlich ist dem Menschen allein unter allen Geschöpfen die Sprache mit der Stimme verbunden worden, damit er erkenne, dass er Gott mit Wort und Musik loben soll – das heißt mit tönender Predigt, verbunden mit süßer Melodie.
Und wenn du den Vergleich unter den Menschen selbst anstellst, wirst du erkennen, wie mannigfaltig und verschieden der glorreiche Schöpfer seine Gaben der Musik verteilt hat: Wie sehr sich ein Mensch vom anderen in Stimme und Sprache unterscheidet, so dass der eine den anderen wunderbar übertrifft. Man sagt sogar, dass sich niemals zwei Menschen finden lassen, die in allem völlig gleich klingen und sprechen – auch wenn sie einander oft nachzuahmen scheinen wie Affen.
Wo jedoch schließlich Fleiß und die künstliche Musik hinzukommen, welche die natürliche Musik korrigiert, veredelt und entfaltet, da erst darf man – wenn auch nicht begreifen – doch mit Staunen die vollkommene und absolute Weisheit Gottes in seinem wunderbaren Werk der Musik schmecken. Denn gerade in dieser Kunst zeigt sich eine besondere Vollkommenheit: Während eine einzelne Stimme ihren eigenen Tenor fortführt, spielen ringsum auf wundersame Weise mehrere Stimmen, jubeln, schmücken den Gesang mit den fröhlichsten Verzierungen und scheinen gleichsam einen göttlichen Reigen um sie zu führen. Dies erscheint jenen, die nur ein wenig dafür empfänglich sind, als das wunderbarste Phänomen in dieser Welt.
Wer aber von solcher Musik nicht bewegt wird, der ist wahrlich ein wahrer Kunstbanause und verdient es, stattdessen irgendeinen schlechten Dichter zu hören oder die „Musik“ der Schweine. Doch das Thema ist zu groß, als dass seine Nutzen in Kürze beschrieben werden könnten.
Du aber, vortrefflicher junger Mensch, halte dir dieses edle, heilsame und freudebringende Geschöpf wohl empfohlen, mit dem du deine Gemütsbewegungen zügeln kannst – gegen unzüchtige Begierden und verderbliche Gesellschaften. Sodann gewöhne dich daran, in diesem Geschöpf den Schöpfer zu erkennen und zu preisen.
Und vor allem hüte dich mit größtem Eifer vor verdorbenen Seelen, die dieses herrliche Geschenk, sowohl in seiner natürlichen als auch in seiner kunstvollen Gestalt, missbrauchen – wie es schamlose Dichter tun, um ihre törichten Liebschaften zu besingen. Sei dir gewiss: Der Teufel reißt sie wider die Natur an sich! Denn während dieses Geschenk allein dazu dienen soll, Gott, seinen Urheber, zu loben, missbrauchen diese unechten Söhne es, um mit einem aus Gottes Gabe geraubten Gut vielmehr den Feind Gottes und den Widersacher von Natur und Kunst zu verehren.
Lebe wohl in dem Herrn!
Encomion musices (1538)
Martinus Luther musicae studiosis. Salutem in Christo.
Vellem certe ex animo laudatum, et omnibus commendatum esse donum illud divinum et excellentissimum Musicum. Sed ita obrour multitudine et magnitudine virtutis et bonitatis eius, ut neque initium neque finem, neque modum orationis invenire queam, et cogar in summa copia laudum, ieiunius et inops esse laudator. Quis enim omnia complectatur? Atque si velis omnia complecti, nihil complexus videare. Primum, si rem ipsam spectes, invenies Musicam esse ab initio mundi inditam seu concreatam creaturis universis, singulis et omnibus. Nihil enim est sine sono, seu numero sonoro, ita, ut et aer ipse per sese invisibilis et inpalpabilis, omnibusque sensibus inperceptibilis, minimeque omnium musicus, sed plane mutus et nihil reputatus, tamen motus sit sonorus et audibilis, nunc etiam palpabilis, mirabilia in hoc significante spiritu mysteria, de quibus hic non est locus dicendi.
Sed mirabilior est Musica in animantibus, praesertim volucribus, ut Musicissimus ille Rex, et divinus psaltes David, cum ingenti stupore et exultante spiritu, praedicit mirabilem illam volucrum peritiam et certitudinem canendi, dicens Psalmo centesimo tertio. Super ea volucres coeli habitant, de medio rammorum dant voces.
Verum ad humanam vocem, omnia sunt prope immusica, tanta est optimi Creatoris in hac una re supereffusa et incompraehensibilis munificentia et sapientia. Sudarunt Philosophi, ut intelligerent hoc mirabile artificium vocis humanae, quo modo tam levi motu linguuae, leviorique adhuc motu gutturis, pulsus aer funderet illam infinitam varietatem et articulationem vocis et verborum, pro arbitrio animae gubernantis, tam potenter et vehementer, ut per tanta intervalla locorum, circulantur ab omnibus, distincte, non solum audiri, sed et intelligi possit. Sed sudant tantum, numque inveniunt et cum admiratione desinunt in stuporem. Quin nulli adhuc reperti sunt, qui definire et statuere potuerint, quid sit ille sibilus et alphabetum quoddam vocis humanae, seu materia prima, nempe risus (de fletu nihil dicam) mirantur, sed non complectuntur, Verum haec speculabilia de infinita sapientia Dei, in hac una creatura, relinquamus melioribus et otiosioribus, nos, vix gustum attingimus.
De usu tantae rei dicere hic oportuit. Sed et ille ipse sua infinita varietate et utilitate longe superat eloquentissimorum eloquentissimam eloquentiam. Hoc unum possumus nunc afferre, quod experientia testis est. Musicam esse unam, quae post verbum Dei merito celebrari debeat, domina et gubernatrix affectuum humanorum (de bestiis nunc tacendum est) quibus tamen ipsi homines, ceu a suis dominis, gubernantur et saepius rapiuntur. Hac laude Musicae nulla maior potest (a nobis quidem) concipi. Sive enim velis tristes erigere, sive laetos terrere, desperantes animare, superbos fragere, amantes sedare, odientes mitigare, et qui omnes illos numeres dominos cordis humani, scilicet affectus et impetus seu spiritus, impulsores omnium vel virtutum vel vitiorum? Quid invenias afficacius quam ipsam Musicam? Honorat eam ipse Spiritus sanctus, ceu sui proprii officii organum, dum in scripturis suis sanctis testatur, dona sua per eam Prophetis illabi, id est omnium virtutum affectus, ut in Eliseo videre est. Rursus per eandem expelli Satanam, id est omnium vitiorum impulsorem, ut in Saule rege Israel monstratur.
Unde non frustra, Patres et Prophetae, verbo Dei nihil voluerunt esse coniunctius quam Musicam. Inde enim tot Cantica et Psalmi, in quibus simul agunt et sermo et vox in animos auditoris, dum in ceteris animantibus et corporibus sola musica sine sermone gesticulatur. Denique homini soli prae ceteris, sermo voci copulatus, donatus est, ut sciret, se Deum laudere oportere verbo et Musica, scilicet sonora praedicatione et mixtus verbis suavi melodiae. lam si comparationem feceris inter ipsos homines, videbis quam multiplex et varius sit Creator gloriosus in donis Musicae dispertitis, quantum differat homo ab homine in voce et verbo, ut alius alium mirabiliter excellat, negant enim posse duos homines inveniri similes per omnia vocis et loquelae, etiam si saepius imitari alii alios videantur, velut alii aliorum simiae.
Ubi autem tandem accesserit studium et Musica artificialis, quae naturalem corrigat, excolat et explicet. Hic tandem gustare cum stupore licet (sed non comprehendere) absolutam et perfectam sapientiam Dei in opere suo mirabili Musicae, in quo genere hoc excellit, quod una et eadem voce canitur suo tenore pergente, pluribus interim vocibus circum circa mirabiliter ludentibus, exulantibus et iuncundissimis gestibus laudem ornantibus, et velut iuxta eam divinam quandam choream ducentibus, ut iis, qui saltem modico afficiunter, nihil mirabilius hoc saeculo exstare videatur. Qui vero non afficiuntur, ne illi vere amusi et digni sunt, qui aliquem Merdipoetam interim audiant vel porcorum Musicam. Sed res est maior, quam ut in brevitate utilitates eius describi queant. Tu iuvenis optime commendatam hanc nobilem, salutarem et laetam creaturam tibi habeas, qua et tuis affectibus interim medearis contra turpes libidines et pravas societates. Deinde assuescas in hac creatura Creatorem acnoscere et laudare. Et depravatos animos, qui hac pulcherrima et natura er arte abutuntur, ceu impudici poetae ad suos insanos amores, et summo studio caveto et vitato, certusque Diabolus eos rapiat contra naturam, ut quae in hoc dono vult et debet Deum solum laudare auctorem, isti adulterini filii, rapina ex dono Dei facto, colunt eodem hostem Dei et adversarium naturae et artis huius iuncundissimae. Bene in Domino vale.
WA 50, S. 368-374.