Der bevorstehende 450. Todestag des Ulmers Leonhard Fronsperger (1520-1575) und dessen provokante Schrift ‚Vom Lob des Eigennutzens‘ (1564): „Betrachtet weiter mit inneren Augen und Herzen die anderen beiden Stände der Welt, nämlich die Geistlichkeit und die Regierung, so werdet ihr deutlich erkennen und erfahren, wie sehr der Eigennutz dem menschlichen Leben zu Hilfe kommt. Denn wer würde sich freiwillig in einen dieser beiden Stände begeben, angesichts der großen und schweren Verantwortung, die jeder, der sich ihrer annimmt, vor Gott auf sich laden muss, und all dessen, was solche Stände sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber der Welt erfordern? Wenn ich, der Eigennutz, nicht wäre, müsste man wohl, um einen einzigen Papst, Bischof oder einen anderen Amtsträger, ebenso Kaiser, König, Fürsten oder Herren zu finden, bis zum Ende der Welt suchen und sie mit Schwert und Kerker dazu zwingen.“

Am 23. Mai 1575 verunglückte Leonhard Fronsperger tödlich, als dieser – vom Rat der Reichsstadt Ulm zum militärischen Sachverständigen bestellt – die Waffen der dortigen Büchsenschützen inspizierte. Fronsperger gilt als der bedeutendste deutsche Militärschriftsteller des 16. Jahrhunderts. Was ihn jedoch in der Gegenwart interessant macht, ist seine Schrift „Von dem Lob des Eigen Nutzen“, die er – in Anlehnung an Erasmus von Rotterdam als satirisches Lobgedicht (Enkomion) verkleidet – 1564 in Frankfurt bei Sigmund Feyerabend hat publizieren lassen.

Das Lob des Eigennutzes als egoistisches Einsacken wird auf dem Titelblatt „holzschnitzartig“ ins Bild gesetzt, wo in freier Landschaft ein prassender Mann auf einem Hügel im Wind sitzend in der rechten Hand eine Ente und in der linken eine Schweinshaxe hält. Weinflasche und Brote liegen zu seinen Füßen, und auf seinem Bauch prangt die Aufschrift: „Alls in Mein Sack.“

Ökonomisch war diesem Büchlein mit 112 Oktavseiten kein allzu großer verlegerischer Erfolg beschieden. Nur eine weitere Auflage ist 1565 gedruckt worden. Und doch kann „Von dem Lob des Eigen Nutzen“ als programmatische Schrift des frühneuzeitlichen Wirtschaftsliberalismus gelten, die vieles vorweggenommen hat, was 212 Jahre später der schottische Moralphilosoph Adam Smith mit „An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations“ als eigenökonomisches Wohlstandscredo populär gemacht hat. So schreibt eben schon Fronsperger:

„Und zunächst frage ich also, ob man auch nachweisen oder fragen könne, dass je ein Bauer gefunden wurde oder noch zu finden sein wird, der aus Rücksicht auf das Gemeinwohl vor allem und mit dessen Betrachtung die Äcker bestellt hat oder der einen Pflug ins Feld geführt hätte, wenn ihn nicht der Eigennutz dazu gedrängt oder veranlasst hätte.

Ebenso verhält es sich mit Kaufleuten und Handwerkern. Denn welcher Kaufmann ist je über das Meer gefahren, hat Leib und Leben riskiert, um Gewürze oder andere Handelswaren, die den Menschen nicht nur zur Nahrung, sondern auch zur Gesundheit sehr dienlich sind, aus Indien herüberzubringen, aus Rücksicht auf das Gemeinwohl, wenn ihn nicht der Eigennutz oder die Habgier dazu getrieben hätten?

Welcher Handwerker hat je aus eigenem Antrieb gearbeitet, um dem Gemeinwohl zu dienen oder aus Liebe zu demselben, wenn ihn nicht entweder der Mangel oder das Fehlen von Nahrung oder aber die niemals zu befriedigende Habgier dazu gebracht hätten?“

Was die Schrift für Theologen interessant macht, sind die umfangreichen biblischen Bezüge und der explizite Gottesbezug in der Argumentation. So heißt es bei Fronsperger:

„Gott wollte nicht, dass alles gleich ist – er hat die Welt nicht so erschaffen. Wäre dies der Fall, würde die Welt nicht bestehen oder erhalten bleiben. Weder im Himmel noch auf Erden wird es jemals absolute Gleichheit geben. Stattdessen sind alle Geschöpfe in Ungleichheit erschaffen, und sie befinden sich in einem stetigen Widerstreit. Doch durch diese Ungleichheit und den gegensätzlichen Streit kommt die größte Gleichheit hervor, und die schönste Harmonie und Einigkeit, die kein Mensch je ganz aussprechen oder begreifen kann – wie bei einer Orgel, in der verschiedene Töne, groß und klein, lang und kurz, unterschiedliche Klänge erzeugen, die sich ergänzen. Denn ohne diese ungleichen Töne würde keine Musik entstehen.“

Hier eine Übertragung in heutiges Deutsch:

Vom Lob des Eigennutzens

Den Eigennutzen bin ich genannt,
Hohen und niedrigen Ständen wohl bekannt.
Doch nicht so bös, als man mich macht,
Wo man die Sachen recht betracht.
Manchem viel Guts durch mich geschicht,
Hergegen man mir kein Lob vergicht

Mit vielen schönen Exempeln und Historien aus heiliger göttlicher Schrift zusammengezogen.

Durch Leonhard Fronsperger herausgegeben.

Gedruckt zu Frankfurt am Main bei Merten Lechler.
In Verlegung Sigmund Feierabends und Simon Hüters.

1664

Vorrede

Es war schon seit langer Zeit Brauch, dass all das, was einem zum Nutzen und Wohlstand angeboten wurde, nicht beachtet wurde. Stattdessen war man bemüht, das zu tun, was verboten war, egal wie schlecht es war. Der Mensch neigt also von Natur aus eher zum Schlechten als zum Guten. So zeigt sich auch ein Gegensatz zwischen dem persönlichen und dem allgemeinen Nutzen. Der persönliche Nutzen wird oft von vielen Menschen kritisiert und schlecht gemacht, vor allem von denen, die durch ihn viel Reichtum, Ehre und Güter erlangt haben. Auf der anderen Seite wird der Gemeinnutz überall hoch gepriesen, obwohl niemand dadurch einen Pfennig verliert oder Schaden erleidet.

Über diese Art der Welt, ihre Gebräuche und Sitten habe ich früher mit einem guten Bekannten und Freund, Doktor Oswald Gut, seligen Angedenkens, viel gesprochen. Er war Kanzler des Markgrafen und noch zu Lebzeiten sehr an alten Geschichten und Erzählungen interessiert. Wir haben oft über den Gemeinnutz diskutiert und festgestellt, dass dieser kaum Beachtung fand, und dass, seit jeher, die Menschen fast nur aus Eigeninteresse handelten. Es war immer das Ziel, dass man so viel wie möglich bekommen konnte – am liebsten all das, was der Nachbar hatte oder bekommen könnte.

Aus diesen Gründen hatte sich mein geschätzter Herr Kanzler zu seiner Zeit vorgenommen, einen Unterschied zwischen Eigen- und Gemeinnutz in einem Werk zu beschreiben, und er bat mich, ihm dabei zu helfen. Zu der Zeit plante ich, meine Kriegsordnung neu drucken zu lassen, und wollte ihm bei seinem Werk beistehen, damit es veröffentlicht werden konnte. Ich bot ihm meine Hilfe an. Doch kurz darauf wurde der genannte Herr Kanzler von Gott durch eine Krankheit aus dem Leben gerufen und entschlief in Christus, unserem Herrn. Viele meiner Freunde und Weggefährten haben mich ermutigt, mein Versprechen zu halten und dieses Werk zu vollenden, was ich als meine Pflicht anerkenne.

Obwohl es in dieser schnelllebigen Welt schwierig war, das Werk im Druck zu veröffentlichen, wollte ich es nicht versäumen, dem Kanzler zu einem ewigen und ehrwürdigen Andenken zu verhelfen. So habe ich die Gelegenheit genutzt, es nach meinem geringen Verständnis in eine Ordnung zu bringen. Ich wagte es besonders, weil es passend war und ich die Möglichkeit dazu hatte. Schließlich sollte jeder, als Beispiel für andere, etwas gegen den Müßiggang tun, indem er an nützlichen Dingen arbeitet. So dachte ich, es sei besser, dies zu tun, als das Leben nur mit Essen und Trinken zu verbringen, was nur dazu führt, dass man mit Freude ins Grab hinabsinkt und vergessen wird.

Damit dies aber nicht als unnützlich oder gar als Schande aufgefasst wird, hoffe ich, in Zukunft ebenfalls das Gemeinwohl in seiner Würde und Ehre weiter hervorzuheben. Es ist wahr, dass auf dieser Welt nichts als gut und recht anerkannt wird, das nicht auch mit eigenem Nutzen verbunden ist. Aus diesem Grund hat sich der Brauch gefestigt, dass nichts, sei es auch noch so gering oder unbedeutend, was aus gutem und treuem Willen geschieht, verachtet wird, solange es zum persönlichen Nutzen beiträgt. Was ich jedoch vielleicht sprachlich oder stilistisch nicht richtig oder schön ausgeführt habe, möge man eher meinem guten Willen als meinem Verstand zuschreiben.

Der Eigennutz. Das Erste Kapitel

Die vergänglichen Menschen neigen gewöhnlich dazu, das zu loben, was ihnen angenehm ist, woran sie hängen und was sie lieben. Im Gegensatz dazu schelten und tadeln sie das, was ihnen missfällt oder als unpassend erscheint und was sie als feindlich empfinden.

Aber mit mir (dem Eigennutz, der auf wunderbare Weise verachtet wird) verhält es sich genau umgekehrt. Denn obwohl die Menschen seit der Schöpfung der Welt an mir mit Leib und Seele, Haut und Haar gehangen haben, mich auch über alles geliebt und verehrt haben, und nichts ohne meinen Rat und mein Zutun angefangen, beendet oder getan haben, sogar so weit, dass der erste von Gott geschaffene Mensch auf Anraten der Schlange das Wissen von Gut und Böse begehrte und der erste Bruder seinen Nebenmenschen ermordete, nichts anderes als ihren eigenen Nutzen, Ruhm und Ehre suchten, so habe ich doch nie Lob von ihnen erhalten. Vielmehr musste ich bisher erdulden, dass sie sich meiner schämten und mich verleugneten, mich auch aufs Höchste und Ärgste verleumdeten, verspotteten, schmählich behandelten und beschimpften, als wäre ich ein Landverderber, ein Zerstörer aller guten Politik, Anständigkeit, Sitten, Einigkeit, Frieden, Komfort und Ruhe, und als ob von mir niemals etwas Gutes käme oder kommen könnte.

Deshalb haben sie mich überall angeprangert, große und lange Dichtungen gegen mich verfasst, alle Bücher mit meiner Verunglimpfung gefüllt und Verse gegen mich verfasst: „Eigennutz, du böser Kerl, wo du regierst …“ Ebenso wurde in jüngster Zeit behauptet (das Evangelium wäre nicht so schwer, wenn der Eigennutz nicht wäre). Es wird mir auch als besondere Schmach zugerechnet, dass ich zusammen mit dem verborgenen Neid und dem kindischen Rat die mächtige Stadt Troja zerstört haben soll. Deshalb sind zwei Verse beinahe in aller Munde umhergegangen: „Eigennutz, verborgener Neid und kindischer Rat haben Troja zerstört.“ Ebenso andere Verse, sodass jeder, der kein besonderes Schmähwort gegen mich, den Eigennutz, erfinden oder vorbringen konnte, sich selbst geringer achtete und meinte, dass er der Ehre und Anständigkeit desto ferner sei.

Die Menschen haben sich damit jedoch nicht zufrieden gegeben, sondern mir auch einen Gegenpart gemacht, um mich zu ärgern und zu schaden. Sie haben sich bemüht, gegen mich den sogenannten „gemeinen Nutzen“ zu verherrlichen und sich diesem anzuschließen, um mich durch ihre vielfältigen Wohltaten zu vertreiben, zu verfolgen und schließlich ganz zu verbannen. Diesen „gemeinen Nutzen“ haben sie hochgehalten, obwohl ihn nie jemand gesehen, gekannt oder gewusst hat, noch weiß, woher er kommt oder wie er aussieht. Und das haben gerade diejenigen getan, die sich mir mit Haut und Haaren ergeben und anhängig fühlten, nicht weniger Lust zu mir hatten als zu dem sogenannten „gemeinen Nutzen“, ob dieser je existiert hat oder existieren wird, was eine nicht geringe Undankbarkeit gegenüber mir ist. Doch die Wahrheit ist, wie ich später mit bedeutenden und verständlichen Argumenten beweisen und darlegen werde, dass ich nicht nur nicht so böse bin, wie meine undankbaren Kinder mir vorwerfen, sondern auch, dass die ganze Welt durch mich in guter Ordnung, Frieden und Bestand gehalten wird und von Anfang an gehalten wurde, und ohne mich weder bestehen könnte noch möchte.

Die Worte klingen hart und sind schwer und seltsam zu hören. Das kommt daher, dass ich überall so schlecht gemacht und in meiner Verteidigung nie gehört worden bin, und sich auch niemand dafür eingesetzt hat. Aber wenn ihr die Sache selbst gerecht bedenkt, werdet ihr erkennen, dass ich recht und wahr spreche. Denn viele Dinge werden von den Menschen für böse gehalten, die in sich selbst nicht böse sind (so ist das menschliche Urteil verkehrt und verfälscht). Ebenso gibt es viele Dinge, die an sich nicht böse sind, aber durch den falschen oder übermäßigen Gebrauch schädlich werden. Denn wie Horaz sagt: „Alle Dinge haben ihr Maß und Ziel, welche, wenn sie überschritten werden, zur Schande führen.“

Wie der Wein eine edle Kreatur ist, wenn man ihn richtig gebraucht. Das zweite Kapitel.

Ebenso, wie wir beim Wein deutlich sehen können, welcher die edelste Kreatur ist, die Gott unter den wachsenden Dingen auf Erden erschaffen hat. Und wer könnte aufzählen, welche großartigen, überaus vielen Tugenden und Nützlichkeiten er für die Gesundheit des Menschen, ein langes Leben, Erquickung und Freude des Gemüts und Herzens mit sich bringt, worüber alle Bücher voll sind? So sehr, dass sich auch der Psalmist nicht enthalten konnte, das Lob des Weines zu besingen, indem er spricht: „Der Wein erfreut das Herz des Menschen.“

Wenn jedoch der Wein, diese edle Kreatur, zu viel und übermäßig eingenommen und gebraucht wird, wer könnte dann aufzählen, welchen großen Nachteil, Schaden und unheilvollen Verlust an Leib, Seele, Leben, Gesundheit, Ehre und Gut er dem Menschen zufügt? So sehr, dass im richtigen Gebrauch des Weins nicht so viel Nutzen liegt, wie durch seinen Missbrauch noch viel mehr Schaden und Verderben entsteht. Doch das liegt nicht am Wein selbst, der in sich gut ist, sondern am Missbrauch, und so verhält es sich mit allen Dingen in der ganzen Welt: Nichts ist so gut, dass es nicht durch Missbrauch oder übermäßigen Gebrauch in vielerlei Hinsicht Schaden und Nachteil bringen könnte. Umgekehrt ist nichts so schlecht, dass es nicht durch geschickten und richtigen Gebrauch in gewissem Maße zu Nutzen und Gutem gereichen und dienen könnte. Und ich werde dies im Folgenden noch deutlicher darlegen, wie es gehört werden soll.

Von der Schmeichelei, warum sie manchmal besser ist als die Wahrheit. Das dritte Kapitel.

Wer weiß nicht, dass Schmeichelei als das Beste gilt, während die Wahrheit, die im Gegensatz zur Schmeichelei steht (wie wir hier von der Wahrheit sprechen wollen), als das Höchste, Beste und Kostbarste der Welt angesehen und geachtet wird, worüber die Bücher der Weisen und Gelehrten voll sind? Aber wenn man die Sache im Grunde betrachtet, so kann auch die Schmeichelei, wenn sie richtig und gut gebraucht wird, zu etwas Gutem führen, während die Wahrheit zu etwas Schlechtem führen kann. Noch erstaunlicher ist, dass Schmeichelei in keiner Weise mit eitler Wahrheit gleichgesetzt werden kann.

Dass dies so ist, zeigt sich daran: Würde jeder dem anderen frei heraus in Wahrheit sagen, was er im Herzen trägt und wie er ihm in Wahrheit gegenübersteht, hilf Gott, was für ein Leben, wie viele Totschläge, Verwundungen, Neid, Hass, Kriege, Streit, Aufstände, Widerwär­tigkeiten und unendliches Übel daraus erwachsen würden! Und wie könnte man dann beieinander bleiben oder miteinander wohnen?

Mancher wünscht dem anderen einen guten Abend oder Morgen und bietet ihm seine Dienste und vieles Gute an, was auch der übliche Brauch ist. Dabei wünschte er eigentlich, dass dem anderen alles Unglück widerfährt. Viele geben dem anderen süße, freundliche Worte, doch sie würden ihn lieber am Hals packen.

Nun urteilt selbst: Ist da die Schmeichelei nicht besser als die Wahrheit? Denn durch die Schmeichelei wird die Freundschaft zwischen den Menschen erhalten, Unfriede und Feindschaft werden vermieden. Durch Schmeichelei wird wahrlich viel Gutes getan: Die Jugend wird damit erzogen und belehrt, der Vater schmeichelt dem Kind, das Kind dem Vater, der Herr dem Untergebenen und der Untergebene dem Herrn, ein Freund, Gefährte und Nachbar dem anderen. Durch solche Schmeichelei werden alle Dinge in Ordnung, Frieden, Disziplin und Bestand erhalten. Hingegen würde durch die Wahrheit (wie wir hier davon reden, und ich muss dies oft wiederholen, damit meine Worte nicht falsch verstanden werden) oft Widerspruch, Streit, Zwietracht, Unordnung, Zerstörung und großer Schaden entstehen.

Denn Schmeichelei hat eine wunderbare Kraft: Auch wenn derjenige, dem geschmeichelt wird, erkennt, dass es Schmeichelei ist, so ist er dennoch damit zufriedener als mit der groben Wahrheit. Denn er hält es für eine Ehre, von seinem Schmeichler in solch hohem Ansehen zu stehen, dass dieser es nicht wagt, ihm die nackte Wahrheit ohne Verhüllung der Schmeichelei zu sagen. Darum hat Terenz auch nicht ohne Grund gesagt: „Gefälligkeit macht Freunde, aber Wahrheit bringt Hass hervor.“

Aus all dem muss man schließen, dass Schmeichelei von der Natur in uns gepflanzt ist, wie man dies auch an den unvernünftigen Tieren beobachten kann. Deshalb, wenn Schmeichelei von Weisen und Gelehrten getadelt und gescholten wird, so soll und muss man dies nicht von aller Schmeichelei im Allgemeinen verstehen, sondern von der bösen, schädlichen Schmeichelei, mit der man dem anderen Schaden und Nachteil zufügt. Nicht jedoch von der guten Schmeichelei, durch die Frieden, Liebe und Einigkeit gepflanzt und erhalten werden. Ebenso, wenn die Wahrheit gelobt wird, dann nicht die, welche Streit und Zwietracht sät, unnötig ist, keinen Nutzen bringt und zu nichts Gutem führt, sondern die Wahrheit, die zu etwas Gutem dient und notwendig ist.

Mariamne, die schönste und geliebteste königliche Gemahlin des großen Herodes, hatte nicht Unrecht, als sie ihrem Mann, dem König, vorwarf und erklärte, dass er von niederer und barbarischer Herkunft sei. Aber was nützte diese Wahrheit ihr oder anderen? Ja, war sie überhaupt notwendig? Dadurch versetzte sie den mächtigen und gewaltigen König Herodes so sehr in Zorn, dass er sie wegen ihrer frechen Worte hinrichten ließ, woraus später viel Übel entstand.

Ihr und anderen, ja dem ganzen Land, wäre es viel nützlicher und dazu lobenswerter gewesen, wenn sie ihm geschmeichelt, ihn geliebkost und diese Wahrheit verschwiegen hätte, die zu nichts Gutem, aber zu großem Schaden führte. Wer könnte oder möchte nicht das höchste Lob für den überragenden Mut und die Rechtschaffenheit des größten aller von Frauen Geborenen, Johannes, aussprechen, der dem anderen Herodes seine große Missetat aufzeigte und ihm offen die Wahrheit sagte, dass es ihm nicht zustehe, die Frau seines Bruders zu haben?

Dies war notwendig, Teil seines Amtes und diente der Beendigung und Bestrafung der Sünden. Es gebührte ihm als dem Vorläufer und Wegbereiter Christi, diese Wahrheit zu sagen und keinesfalls zu verschweigen, auch wenn ihn dies sein irdisches Leben kostete, wie es schließlich geschah. Also muss man bei den Dingen einen Unterschied machen.

Auch in den kaiserlichen Gesetzen wird zwischen zweierlei Betrug unterschieden, nämlich einem bösen und einem guten Betrug, und der gute Betrug ist nicht strafbar oder zu tadeln. Ich wünschte, ihr hättet das Werk des hochgelehrten Mannes Lucian gelesen, in seinem schönen und kunstvollen Buch mit dem Titel: „Dass Schmeichelei die beste Kunst auf Erden sei.“ Er spricht in diesem Sinne darüber, und ich weiß, ihr werdet mir hierin nicht widersprechen können. Denn alle Dinge in der Welt haben ein doppeltes Erscheinungsbild und Wesen, wie die Silene des Alkibiades, und können sowohl gut als auch schlecht sein, je nachdem, ob sie schlecht oder gut gebraucht werden, wie oben erwähnt.

Von der Göttin Narrheit, die sich dem Eigennutzen zum Lob unterzogen hat. Das vierte Kapitel.

Aber um wieder zu meinem Vorhaben zurückzukehren: Ich weiß wahrhaftig, dass ich, als der Eigennutz, eine gute Sache habe, die kaum einer Verteidigung bedarf, besonders bei denen, die nur mit Worten gegen mich sind und gänzlich den Taten anhängen. Wäre das nicht der Fall, würde ich mich unglücklich schätzen, da ich keinen so herausragenden Fürsprecher an meiner Seite hätte. Diese Fürsprecherin ist die Göttin Narrheit, die – obwohl sie zunächst nur als eine Göttin wahrgenommen wird – mich jedoch zu meinem Lob gewählt hat.

Diese Göttin Narrheit, die früher ganz verachtet und verspottet wurde, ist jedoch durch den hochgelehrten, herausragenden und redegewandten Mann Erasmus von Rotterdam derart gelobt und hervorgehoben worden, dass man nun glaubt, sie bringe der Menschheit nicht nur geringe Einsicht und Nutzen, und deshalb wird sie nicht wenig geehrt. Dabei hat Erasmus, ähnlich wie andere undankbare Kinder, fast all das Lob der genannten Göttin Narrheit zugewiesen, das eigentlich mir gebührte, und es mir zu Unrecht entfremdet. Dies wundert mich nicht wenig. Was könnte die Ursache dafür sein, dass es nichts so Verachtenswertes auf Erden gibt, das nicht jemanden fände, der es versteht, es mit Lob zu preisen?

So lobte Erasmus die Narrheit, Hutten das Fieber, und selbst Kahlheit – an sich eine verächtliche Eigenschaft – wurde von einem berühmten Dichter namens Absopenus gepriesen. Ebenso verhält es sich mit der Trunkenheit in unseren verdorbenen Zeiten. Viele Dinge, die an sich geringwertig sind, werden durch findige Gelehrte hochgehalten.

Und ich, als der arme Eigen-Nutzen, werde im Gegensatz zu meinen vielfältigen Wohltaten, durch die die ganze Welt in ihrem Bestand und Wesen erhalten wird, nicht nur von niemandem gelobt, sondern von vielen meiner eigenen Anhänger und Verehrer aufs Höchste verschmäht, verachtet und getadelt. Dennoch tröste ich mich mit dem Gedanken, dass es der Brauch der Gelehrten und herausragenden Männer ist, die verächtlichsten Dinge für sich zu beanspruchen und zu loben, um damit ihren scharfsinnigen Verstand und ihre Kunst zu zeigen – dass sie aus nichts etwas machen können und eine Sache, die von allen verachtet wird, zu etwas Erhabenen erheben. Je mehr sie dies tun, desto mehr beweisen sie ihre Fähigkeiten.

Daraus wächst mir, als dem Eigen-Nutzen, ein stillschweigendes Lob, so wie Hannibal einst anerkannt wurde. In einem Gespräch wurde Scipio als erster der drei bedeutendsten Heerführer eingestuft, aber er schloss sich selbst höflich aus und meinte, wenn Hannibal gesiegt hätte, hätte er sich nicht als den dritten, sondern als den ersten Heerführer betrachtet. Ebenso halte ich es für angemessen, dass die Gelehrten es für eine geringe Kunst hielten, mich, den Eigen-Nutzen, zu loben, und sich deshalb nicht dieser Aufgabe unterzogen, da sie damit keinen großen Ruhm zu erlangen hofften. Das ist jedoch ein nicht geringes stillschweigendes Eingeständnis meines großen und unermesslichen Lobes.

Vom eigenen Nutzen, Lob und guten Taten. Das fünfte Kapitel.

Mir selbst, dem Eigenen Nutzen, fällt es schwer, all die oben genannten unsachlichen und grausamen Schmähworte zu ertragen – obwohl ich sehe, dass der große Lehrer Augustinus sagt: Wer den guten Ruf seiner Taten vernachlässigt oder gering achtet, handelt grausam. Und weil ein jeder grausamer Mensch einen besonders scharfen Verstand braucht, um mein Lob in dieser Sache überhaupt zu begreifen oder zu verstehen, habe ich mir vorgenommen, zur Abwehr täglicher Schmach ein wenig von meinen guten Taten zu meinem eigenen Lob zu erzählen.

Ich will mich dabei auf das alte Sprichwort berufen: „Wer sich selbst zu Recht lobt, den soll niemand schelten.“ Und da ich, Eigen Nutzen, mich selbst lobe, darf mir das wohl weniger verübelt werden als einem anderen – schließlich bin ich ja selbst der Eigene Nutzen. Deshalb halte ich es auch nicht für unnötig, zu Beginn meiner Rede um eure Gunst und ein williges Gehör zu bitten. Denn ich weiß wohl, dass ihr mir in Wahrheit wohlgesinnt und anhänglich seid – und euch nur in Worten gegen mich stellt, ohne es ernst zu meinen.

Deshalb zweifle ich auch nicht daran, dass ihr meine Rede gut aufnehmen werdet. Doch urteilt gerecht: Lasst euch nicht dazu hinreißen, mich vorschnell zu verurteilen, nachdem ihr mich angehört habt, entgegen eurer eigenen Gedanken und Gefühle. Ich zweifle nicht, dass ich euch mit meiner, wenn auch einfachen Rede und klaren Argumenten dazu bringen werde zu erkennen und einzugestehen: Ihr habt mich bisher, wenn auch nur mit Worten, unrechtmäßig verspottet und beschimpft. Denn alles Gute, das auf Erden ist – außer natürlich dem allmächtigen, ewigen Gott, von dem letztlich alles stammt – muss doch vor allem mir, dem Eigenen Nutzen, zugeschrieben werden.

Um euch nicht mit einer langen Einleitung aufzuhalten oder mein Anliegen unnötig in Zweifel zu ziehen, will ich nun gleich zur Sache kommen.

Wie die Welt bisher durch Ehe und Eigenen Nutzen erhalten wurde. Das sechste Kapitel

Wenn man anfangs fragen würde, wodurch die Welt seit ihrer Erschaffung bis heute erhalten und vergrößert wurde und noch immer wird, bis zu ihrem Ende, dann könnte es keine andere Antwort geben als diese: durch den Ehestand. Wollte man etwas anderes behaupten, würde man nicht nur von der Heiligen Schrift, sondern auch von der natürlichen Vernunft sofort widerlegt. Denn die Heilige Schrift zeigt klar: Nachdem der allmächtige ewige Gott Himmel und Erde und alles, was darin ist, geschaffen hatte, ordnete er nichts so vornehm und herrlich wie den Ehestand. Und er befahl durch sein göttliches Wort und Gesetz, dass durch die Ehe die Welt vermehrt werden solle – denn Gott wusste in seiner Weisheit, dass die Welt ohne den Ehestand nicht bestehen oder erhalten bleiben könnte.

Denn was wäre es nütze, wenn zwar aus natürlichem Antrieb Kinder geboren würden, diese aber nicht ernährt, erzogen und versorgt würden? Auch aus menschlicher Vernunft kann jeder erkennen: Ohne Ehe wäre eine ordentliche Erziehung der Kinder unmöglich, da dann alles wild und ungeordnet durcheinander ginge. Also muss man bekennen – nicht nur aus Zwang der Heiligen Schrift, sondern auch durch Vernunft –, dass der Ehestand der eigentliche Erhalter und Erweiterer des Menschengeschlechts ist.

Doch nun wollen wir tiefer blicken: Wollen wir den göttlichen Willen, dem eigentlich alle Geschöpfe Gehorsam leisten müssen, betrachten und überlegen, aus welchen Beweggründen die Menschen überhaupt in den Ehestand treten und was sie darin suchen. Da wird man bald finden: Ich, der Eigennutz, bin unter den Menschen der größte Beweggrund für die Ehe.

Denn aus welchen Ursachen kommen die Menschen zusammen und heiraten? Nicht etwa aus reiner Absicht, dem göttlichen Gebot zu folgen und Kinder zur Ehre Gottes zu zeugen und zu erziehen – so, wie es in Heiratsurkunden und schönen Worten oft geschrieben steht – sondern meist geschieht es aus persönlicher Neigung, aus Anmut, aus Nützlichkeit und aus natürlicher Begierde, die in ihnen eingepflanzt ist.

Wenn diese Begierde auf anderem Wege als durch die Ehe gestillt werden könnte, würde so mancher auf die Ehe verzichten. Und selbst wenn jemand gute Gründe für eine Heirat hat, so geschieht es dennoch hauptsächlich, weil er durch die Ehe seinen eigenen Haushalt und sein Leben besser regeln kann – letztlich sucht jeder darin seinen eigenen Nutzen.

Auch in höheren Ständen hat jeder seine eigenen Überlegungen, und ein jeder handelt dabei anders, je nach seiner Lage und seinem Gemüt. Aber grundsätzlich bleibt es dabei:
Ohne den natürlichen Eigennutz, ohne die natürliche Begierde und das Streben nach Vorteil, würden wohl nur wenige oder gar keine Menschen heiraten.

Darum wird in der Ehe auch in erster Linie nach Vorteil geschaut: Wie viel Besitz, Macht, Land oder Leute bringt die Verbindung? Wie viele Kriege, Bündnisse und politische Intrigen sind aus Hochzeiten entstanden, wo ein Fürst dem anderen das versprochene Gemahl streitig machte – allein um der Macht willen!

In niedrigeren Ständen geht es ähnlich zu: Da wird bei Heiraten fast nur auf Besitz und Vermögen geachtet – Ansehen, Frömmigkeit oder Schönheit spielen eine geringere Rolle. Deshalb kommt es auch, dass ein alter, runzeliger Mann eine junge Frau bekommt oder eine alte Frau einen jungen Burschen – wenn der Eigennutz nicht wäre, wäre das nie geschehen.

Wie der Eigennutz das menschliche Leben erhält. Das siebte Kapitel

Da der Eigennutz die größte Triebkraft und Beweggrund für die Ehe ist – und in ihr hauptsächlich bedacht wird –, kann man mit gutem Recht sagen: Ich, der Eigennutz, bin ein Hauptgrund und Stütze des menschlichen Lebens und seiner Vermehrung. Wenn ich meine Hilfe nicht leisten würde, würde das menschliche Leben, das Geschlecht und die ganze menschliche Existenz bald zerfallen und untergehen. Was könnte also zu meinem Lob Größeres gesagt werden, als dass ich der Ursprung, Begründer, Vergrößerer und Erhalter des menschlichen Lebens und Wesens bin? Nebenbei will ich auch anmerken, dass ich nicht nur der Stifter und Begründer der ehelichen Gemeinschaft bin, sondern auch aller anderen Freundschaften zwischen Menschen.

Und ich weiß sehr wohl, dass auch dies nicht wenig zu meinem Lob beiträgt – denn Cicero sagt (sinngemäß), dass es nicht anders wäre, als würde jemand die Sonne von der Erde wegnehmen, wenn er die Freundschaft unter den Menschen aufheben würde. Damit zeigt er klar: Ohne Freundschaft könnte das menschliche Leben nicht bestehen und wäre nichts wert.

Da ich aber bewiesen habe, dass die eheliche Freundschaft – die höchste Form der Freundschaft – ihren Ursprung im Eigennutz hat, so kann niemand leugnen, dass auch alle anderen Freundschaften aus demselben Ursprung fließen.

Wie Cicero die Notwendigkeit der Freundschaft so hoch lobt, zeigt er damit eigentlich nur, dass der Eigennutz die wahre Ursache und der wahre Ursprung aller Freundschaft ist. Daraus könnt und sollt ihr leicht erkennen: Ich bin der wahre und beinahe einzige Ursprung aller Freundschaft.

Wie die Welt durch den Eigennutz mit Nahrung und Regierung erhalten wird. Das achte Kapitel

Nun, alles bisher Gesagte wäre noch kein ausreichender Beweis, wenn ich nicht auch darlegen und beweisen würde, dass Nahrung, Kleidung, Regierung und alles Gute, womit der Mensch nach seiner Geburt, Erziehung und während seines ganzen Lebens erhalten wird, neben Gott allein aus meiner Gnade, nämlich aus dem Eigennutz, kommt, und dass damit klar ersichtlich wird: Würde ich, der Eigennutz, nicht wirken, dann würden nicht nur keine Menschen geboren werden, sondern auch, wenn sie geboren würden, müssten sie ohne alles dastehen und aller Dinge entbehren.

Um dies mit klaren und einleuchtenden Beweisen zu zeigen, sei daran erinnert, dass alles menschliche Leben und die Ordnung in der Gesellschaft vornehmlich durch zwei Dinge erhalten wird: erstens durch die Nahrung und zweitens durch die Regierung. Unter Nahrung versteht man dabei nicht nur Essen und Trinken, sondern auch Kleidung, Wohnung, Medizin und alles, was der Mensch zur Erhaltung seines Körpers benötigt. Die Regierung wiederum teilt sich in geistliche und weltliche Aufgaben, das heißt in die Erkenntnis gegenüber Gott und in die zeitliche Ordnung. Darum haben die Alten die menschliche Gesellschaft treffend in drei Stände eingeteilt: in Kaiser, Priester und Bauern, wie man es auf alten Gemälden mit der Aufschrift sehen kann: „Der Papst soll beten, der Kaiser beschützen und der Bauer arbeiten.“ Unter „Beten“ verstand man allgemein die Verkündigung des göttlichen Wortes, das Gebet und alles, was das Verhältnis des Menschen zu Gott betrifft. Unter „Beschützen“ verstand man alles, was zur Erhaltung des menschlichen Lebens notwendig ist.

Wenn es bei dieser Ordnung geblieben wäre und jeder sein Amt und seinen Beruf, wie ihm zugewiesen, mit Ernst und Eifer wahrgenommen hätte, so stünde gewiss alles in der Welt in guter Ordnung. Wenn aber der Papst, als Vertreter des geistlichen Standes, das Gebet und den Gottesdienst vernachlässigt und sich der weltlichen Regierung annehmen will, wenn der Kaiser den Schutz, also das weltliche Regiment, vernachlässigt und sich geistlichen Dingen zuwendet, und wenn schließlich der Bauer sich beider Aufgaben anmaßen will, so müssen zwangsläufig alle Dinge durcheinandergeraten, in Unordnung und Zerfall geraten, wie es in unseren Zeiten offenbar geworden ist und wie es noch viel schlimmer und böser werden würde, wenn ich, der Eigennutz, nicht wenigstens auf gewisse Weise helfend eingreifen würde. Damit ihr aber noch besser versteht, auf welche Weise und wie sehr ich helfe und welchen großen Dienst ich dem menschlichen Geschlecht bisher erwiesen habe und noch erweise, wollen wir uns einen der drei Stände, nämlich den der Bauern, näher ansehen, gerade weil man dort am wenigsten vermuten würde, dass meine Gnade bei ihnen so groß wäre.

Das Feld wird nicht um des Gemeinwohls, sondern um des Eigennutzes willen bebaut. Das neunte Kapitel

Anfangs frage ich also: Kann jemand zeigen oder sagen, dass jemals ein Bauer gefunden worden sei oder künftig gefunden werde, der aus Liebe zum Gemeinwohl und in Betrachtung desselben die Felder bestellt hätte oder bestellen würde, der also freiwillig einen Pflug auf das Feld geführt hätte, wenn ihn nicht der Eigennutz dazu gedrängt oder veranlasst hätte? Wahrlich, ihr müsstet alle den Hungertod sterben, wenn ihr nur das Brot essen dürftet, das ausschließlich um des Gemeinwohls willen angebaut worden wäre. Wenn man aber sagen wollte, dass durch die Arbeit der Bauern alle Stände erhalten werden, so könnte man dennoch nicht behaupten, dass die Bauern nicht auch zu allgemeinem Nutzen beitrügen. Ich gebe zu, dass dies wahr ist, doch sage ich, dass es nicht freiwillig geschieht, sondern aus einem inneren Zwang. Denn wenn man einem Bauern erlauben würde, dass er nur für sich selbst anbaut oder ihm nichts anderes als sein eigener Bedarf am Herzen läge, so würde man bald merken, wie wenig er den allgemeinen Nutzen liebt.

Genauso verhält es sich mit Kaufleuten und Handwerkern. Denn welcher Kaufmann ist je über das Meer gefahren und hat dabei Leib und Leben aufs Spiel gesetzt, um Spezereien oder andere Waren, die nicht nur der Nahrung, sondern auch der Gesundheit sehr dienlich sind, nach Europa zu bringen, wenn ihn nicht sein Eigennutz oder Geiz dazu getrieben hätte? Welcher Handwerker hat je aus Liebe zum Gemeinwohl zu arbeiten begonnen oder sein Handwerk erlernt, wenn ihn nicht entweder der Mangel an Nahrung oder ein unstillbarer Geiz dazu gezwungen hätte?

Ich spreche hier allgemein davon und will damit nicht abstreiten, dass es wohl auch ehrliche Menschen gibt, die anders gesinnt sind, auch wenn ich schwer glauben kann, dass je jemand gefunden wurde, der aus reinem Gemeinsinn etwas getan oder gearbeitet hätte, ohne dass ihn wenigstens in irgendeiner Weise der Eigennutz dazu bewegt hätte. Es macht ja auch ein einziger Schwalbenvogel noch keinen Sommer, wie es im Sprichwort heißt.

Also seht ihr nun: Nicht nur euer Leben selbst, sondern auch alles, was danach das Höchste und Größte ist – Essen, Trinken, Kleidung, Häuser und alles andere, was der Mensch notwendig braucht –, all das habt ihr aus meiner Gnade, denn wenn es den Eigennutz nicht gäbe, so müsstet ihr all dessen entbehren. Und wie hart wäre dieses Entbehren, da ihr doch ohne diese Dinge nicht leben könntet.

Deshalb kann und soll ich mit einem Wort alles zusammenfassen: Ihr könntet ohne mich nicht leben, ja ihr könntet nicht einmal einen einzigen Tag ohne mich bestehen.

Um des Eigennutzes willen wird auch nach hohen geistlichen und weltlichen Ständen gestrebt. Das zehnte Kapitel

Betrachtet weiter mit inneren Augen und Herzen die anderen beiden Stände der Welt, nämlich die Geistlichkeit und die Regierung, so werdet ihr deutlich erkennen und erfahren, wie sehr der Eigennutz dem menschlichen Leben zu Hilfe kommt. Denn wer würde sich freiwillig in einen dieser beiden Stände begeben, angesichts der großen und schweren Verantwortung, die jeder, der sich ihrer annimmt, vor Gott auf sich laden muss, und all dessen, was solche Stände sowohl gegenüber Gott als auch gegenüber der Welt erfordern? Wenn ich, der Eigennutz, nicht wäre, müsste man wohl, um einen einzigen Papst, Bischof oder einen anderen Amtsträger, ebenso Kaiser, König, Fürsten oder Herren zu finden, bis zum Ende der Welt suchen und sie mit Schwert und Kerker dazu zwingen.

Nun aber bedarf es zu dieser Zeit (wofür ihr billig danken solltet) keines großen Zwanges mehr, sondern es ist durch meine Hilfe so weit gekommen, dass solche Stände nicht nur gern und willig angenommen werden, sondern dass man sich sogar mit höchstem Eifer danach drängt. Dabei wird mit allen Mitteln gearbeitet, alle brüderliche Liebe, Freundschaft, Recht und Billigkeit werden hintangestellt und überschritten, ja, es wird nicht geachtet, ob deshalb Kriege und Aufstände entstehen, Länder und Völker vernichtet, Witwen und Waisen gemacht, Blut vergossen und allerlei Unheil und Unglück angerichtet werden, wie sich das besonders bei den vielen Aufständen unter den Menschen zeigt, die sich um Herrschaft und Regierungsgewalt erheben.

Und obwohl der hochgelehrte Erasmus von Rotterdam in seinem feinen und kunstvollen Büchlein „Das Lob der Torheit“ das meiste solcher Erscheinungen der Torheit zuschreibt, als ob sie deren Ursache wären – dass nämlich niemand bedenkt, welche schwere Last die hohen Stände der Regierung mit sich bringen, und darum sich desto weniger davor scheut –, so mag es auch sein, dass ein Teil davon auf die Torheit zurückgeht. Doch halte ich dafür, dass der Eigennutz die nächste Ursache ist und mir das Hauptlob dafür zukommt. Denn auch wenn die Menschen verstehen könnten, welche große Gefahr diese Stände in sich bergen – und es kann nicht sein, dass sie es nicht wenigstens teilweise verstehen, zumal ganze Bücher darüber geschrieben wurden und selbst hohe kirchliche und weltliche Herren, wenn es ihnen nützt, davon sprechen und die Beschwerden im Einzelnen aufzählen könnten –, so bewirke ich doch, dass sie diese Gefahr und alle damit verbundene Mühsal nicht nur nicht beachten, sondern sich vielmehr mit Aufbietung aller Kräfte, ja sogar mit Preisgabe von Leib, Leben, Ehre, Blut und Gut um diese Ämter bemühen.

In Summe gesagt: Derjenige hat nicht ohne Grund ausgerufen: „Wer wird noch die Tugend um ihrer selbst willen lieben, wenn die Belohnung ausbleibt?“ Der Hirte hütet die Schafe nicht um der Schafe willen, sondern um seines eigenen Nutzens willen; nichtsdestoweniger haben die Schafe ihren Nutzen von mir, solange sie auf die Weide geführt und vor Wölfen und anderen wilden Tieren geschützt werden. Darum: wenn man warten wollte, bis einer käme, der die Schafe aus reiner Liebe zu ihnen hütete, wüsste ich nicht, ob ein solcher je unter den Menschen gefunden würde. Nur Christus, der Erlöser der Welt, ist der einzige wahre und gute Hirte gewesen. Unter den Menschen aber wird vergeblich danach gesucht, denn es gilt das Sprichwort: „Niemand hütet das heilige Grab umsonst.“ Dieses Sprichwort wurde nicht im Hinblick auf das Grab an sich, sondern zur Bekräftigung der Wahrheit gebraucht: Niemand tut etwas ohne eigenen Nutzen, und auch der Hüter des heiligen Grabes erwartet für seine Mühe einen Lohn, so heilig das Grab auch sei.

Es ist niemals ein allgemeiner Nutzen, sondern immer nur ein Eigennutz gewesen. Das elfte Kapitel

Damit ich nun wieder zu meiner vorherigen Rede zurückkehre: Die Welt hat mir, dem Eigennutz, in erster Linie zu danken, dass sie versteht, geistliche und weltliche Rechte zu handhaben, ohne die sie weder bestehen kann noch mag. Es ist sogar überflüssig zu sagen, dass es meine Gnade ist, dass niemand darauf achtet, wie viel Aufwand die Verwaltung eines Bistums, Königreichs oder Landes erfordert. Ja, wenn man es einem nicht überträgt, wird doch mit höchstem Eifer danach gestrebt. Ich vermag es süß und leicht erscheinen zu lassen, diese schweren Lasten zu tragen, und wenn man das Schwere bei Licht betrachtet (wie man sagt), so hat es sich seit Anbeginn der Welt nie anders verhalten, und es ist wohl zu befürchten, dass es sich auch künftig nicht ändern wird.

Ich habe auch nicht vergeblich gesagt, dass es kein allgemeiner Nutzen gewesen ist. Ich weiß wohl, dass ihn niemand je gesehen hat, obwohl viel von ihm geredet und geschrieben wurde und noch wird. Ja, ich kann wohl sagen, dass sich nicht ein einziges Fünkchen eines allgemeinen Nutzens auf Erden finden lässt, in keinem Stand, wohin du dich auch wenden magst. Und um dies zu beweisen, muss man nicht weit abschweifen oder auf anderes verweisen, von dem es unzählige Beispiele gäbe, sondern nehmt nur für euch den römischen Staat, den man doch als Spiegel und Vorbild der ganzen Welt hält. Die Römer, so Cicero und viele andere, haben den römischen Staat als einen Ort des allgemeinen Nutzens bezeichnet, allerdings zu Unrecht und ohne Grund. Denn wenn man den sogenannten allgemeinen Nutzen richtig und sorgfältig prüft, wird man erkennen, dass Rom nichts anderes gewesen ist als eine einzige Stadt, die durch Eigennutz, Hochmut und Habgier alle ihre Nachbarn unterdrückt und beraubt hat, ja, die ganze Welt belastet und bedrückt hat, nur um selbst zur Herrscherin der Welt aufzusteigen, was ihr auch zum großen Teil gelungen ist.

Was Rom an Nutzen und Aufstieg erreicht hat, das war gleichzeitig der Verlust, Schaden und Untergang der anderen. Wenn man ehrlich darüber sprechen wollte, müsste man offen bekennen, dass Rom nichts anderes war als reiner Eigennutz. Und wenn man ihre Nachbarn und die gesamte Welt im Verhältnis zu Rom betrachtet, wird man sehen, dass Rom nie dem allgemeinen Nutzen gedient hat, sondern immer nur dem eigenen Vorteil.

Was ich von Rom gesagt habe, das will ich von allen Städten und Ständen der ganzen Welt verstanden wissen. Denn wenn es ein allgemeiner Nutzen sein sollte, dass wenige Menschen einer einzigen Stadt die Herrschaft, Regierung, Länder, Leute, Freiheiten und Reichtümer der anderen an sich reißen und dies auf Kosten und zum Schaden ihrer Nachbarn tun, so müsste daraus folgen, dass auch ein einfacher Hausvater mit seinen Kindern, wenn er durch Wucher, Raub und Betrug seine Nachbarn unterdrückt und sich deren Besitz aneignet, im Namen des allgemeinen Nutzens handeln würde. Es gibt keinen wirklichen Unterschied zwischen einem einzelnen Hausstand und einer ganzen Stadt, außer der Größe. So wenig Unterschied besteht auch zwischen einem kleinen Seeräuber, der mit einem Schiff plündert, und Alexander dem Großen, der mit Heeresmacht die ganze Welt eroberte – und doch wird Alexander als König und Herrscher gefeiert.

Genauso könnte man hier sagen: Wenn man es genau ausrechnet, wird sich zeigen, dass Mutius Scaevola, die Decier, Brutus, Scipio, Cato, Metellus, Fabius und alle anderen berühmten Römer zwar im Ansehen der Menschen so erschienen, als hätten sie aus allgemeinem Nutzen gehandelt, in Wahrheit aber haben sie alles nur um ihrer eigenen Ehre, ihres Ruhmes und ihres Vorteils willen getan. Besonders in späteren Zeiten, etwa bei Sulla, Marius, Caesar und Pompeius, zeigte sich dies ganz offen: Sie handelten nur, weil ihre Macht so groß geworden war, dass sie sich nicht mehr zu verbergen brauchten.

Daher war es entweder die Scham, die Furcht oder der Eigennutz selbst, die sie veranlasste, sich äußerlich zurückzuhalten und ihre eigennützigen Absichten unter dem Deckmantel des allgemeinen Nutzens zu verbergen.

Der Eigennutz hat auch einst bei den Gelehrten seine Wohnung gehabt und hängt ihnen noch ziemlich an. Das zwölfte Kapitel

Wahrlich, wenn man vom allgemeinen Nutzen gründlich reden will, muss man meines Erachtens viel tiefer und weiter ausholen. Doch ich weiß nicht, ob es mir, dem Eigennutz, überhaupt ansteht, über den allgemeinen Nutzen allzu viel zu disputieren. Obwohl ich aber bei den Gelehrten von Anfang an meine ständige Wohnung gehabt habe, kann ich nicht leugnen, dass ich aus ihren Reden, Disputationen und Schriften – die sie täglich und oftmals ohne echten Ernst verfassen – allerlei Einsicht gewonnen habe. Und da ich nun nicht zu befürchten brauche, dass ich mir dadurch Feindschaft zuziehen oder jemand sich wegen meiner Rede vom Eigennutz abwenden und dem allgemeinen Nutzen zuwenden könnte, will ich mich nicht scheuen, meine Meinung – soweit ich sie durch ständige Beobachtung der Gelehrten begriffen habe – darzulegen.

Der wahre, allmächtige und weise Gott, Schöpfer aller Dinge, hat die Welt so erschaffen, dass alles, was innerhalb ihres Kreises liegt, eine einzige Gemeinschaft und gleichsam eine einzige Stadt bildet. Cicero hat dies aus dem natürlichen Licht der Vernunft in seinem feinen ersten Buch „Über die Gesetze“ bestätigt. Dort wird erzählt, dass Solon – der bei den Heiden als Inbegriff der Weisheit galt – auf die Frage, woher er sei, antwortete: „von der Welt“, als wolle er damit anzeigen, dass die ganze Welt eine einzige Gemeinschaft, eine Ehe und ein einheitliches Wesen sei.

Und damit Gottes Wille und Wohlgefallen hierin noch klarer und deutlicher erkannt würde, hat der Schöpfer durch seine ewige Weisheit alle Dinge so eingerichtet, dass ein Land das andere notwendig braucht – so notwendig, dass niemand ohne das, was ein anderes Land bietet, bestehen oder leben kann. Kein Mensch kann ohne die Hilfe und Unterstützung des anderen existieren. Daher seht ihr, dass es kein so rohes Land gibt, dem Gott nicht etwas verliehen hätte, das einem anderen Land fehlt, sodass dieses sich davon ernähren und erhalten kann. Ebenso gibt es kein so reiches Land, dem es nicht an irgendetwas mangeln würde, sodass es gezwungen ist, etwas von anderswoher zu beziehen.

Wie einer des anderen Hilfe braucht und der Höchste nicht ohne den Niedrigsten sein kann. Das dreizehnte Kapitel

Es gibt auf Erden keinen Menschen, der so hoch oder mächtig wäre, dass er nicht doch die niedrigsten und verachtetsten Menschen brauchte oder auf sie angewiesen wäre. Deshalb hat Brison, der Grieche, zu Recht gesagt, dass die Menschen miteinander verbunden sind wie die Glieder einer Kette, die ineinandergreifen und einander folgen. Wenn du einen Teil davon zu dir ziehst – gleich, welchen – so folgt die ganze Kette mit. Ebenso wirst du feststellen, dass alles, was du bei den Menschen für dich allein unternehmen willst, die Hilfe und das Mitwirken anderer notwendig macht und in einer festen Ordnung zusammenhängt.

Zum Beispiel: Wenn sich jemand dem Ackerbau widmet, braucht er zuvor die Kunst der armen Handwerker und Schmiede, die wiederum auf die Kunst des Erzschürfens angewiesen sind. Die Erzgräber aber, damit sie im Feld arbeiten können, müssen geschützt sein, wozu wiederum Weber und Hausbauer notwendig sind. So bedingt eines das andere, immer weiter fort, und wenn du dies untersuchst, wirst du finden, dass alle Dinge miteinander verbunden sind.

Gott hat durch seine ewige Weisheit alles so geordnet, damit die Menschen einen Grund hätten, einander zu lieben, und dass sie gleichsam gezwungen würden, einander zu achten, weil niemand ohne den anderen etwas vermag. Da Gott selbst die Liebe ist, verlangt er von den Menschen nichts anderes als Liebe, und will, dass sie ihm ähnlich werden, da er sie zu seinem Ebenbild erschaffen hat.

Der allmächtige Gott hat alles um seiner selbst willen und zu seinem Lob und Preis erschaffen, da er das höchste und einzige Gut ist. Deshalb hat er den Menschen nichts anderes geboten als die Liebe. Und da keiner ohne des anderen Hilfe leben oder bestehen kann, fordert auch die Liebe unausweichlich und ohne jede Ausrede, dass ein Mensch dem anderen dienen soll. So sollen sie helfen, die große Stadt und Ordnung Gottes zu erhalten und zu vollenden und damit den Willen Gottes zu erfüllen, denn kein Mensch ist für sich selbst, sondern um des anderen willen erschaffen worden.

Eigennutzen und das Gemeinwohl. Das vierzehnte Kapitel

Aus diesem folgt nun schließlich, dass die Welt ein einziges System und Wesen ist. Wie Cicero im oben genannten Werk bezeugt, gehören alle Güter der Welt dem Gemeinwohl. Doch nicht wie der grobe „Pöbel“ in früheren Zeiten in einer Art Gemeinschaft, die sie zwar gehörten, aber nicht verstanden haben. Sie taten dies alles nur zu ihrem eigenen Nutzen.

Dennoch haben sie falsch geglaubt, dass man die Güter der Welt gleichmäßig und gerecht aufteilen kann, als ob ein perfektes Gleichgewicht oder Maß gefunden werden könnte. Doch Gott wollte nicht, dass alles gleich ist – er hat die Welt nicht so erschaffen. Wäre dies der Fall, würde die Welt nicht bestehen oder erhalten bleiben. Weder im Himmel noch auf Erden wird es jemals absolute Gleichheit geben. Stattdessen sind alle Geschöpfe in Ungleichheit erschaffen, und sie befinden sich in einem stetigen Widerstreit. Doch durch diese Ungleichheit und den gegensätzlichen Streit kommt die größte Gleichheit hervor, und die schönste Harmonie und Einigkeit, die kein Mensch je ganz aussprechen oder begreifen kann – wie bei einer Orgel, in der verschiedene Töne, groß und klein, lang und kurz, unterschiedliche Klänge erzeugen, die sich ergänzen.

Denn ohne diese ungleichen Töne würde keine Musik entstehen. Ähnlich verhält es sich bei den Menschen: Es soll unter ihnen eine Gemeinschaft bestehen, in der jeder weiß und erkennt, dass nichts sein eigenes ist, sondern dass alles, was er besitzt – ob Adel, Macht, Reichtum, Verstand, Weisheit, Stärke, Kunst oder was auch immer – ihm von Gott gegeben wurde, damit er es nutzt, um dem Nächsten zu dienen und ihm zu helfen. So vollführt er das große Gemeinwohl Gottes, trägt es weiter und erhält es.

Jeder Mensch sollte sich als Verwalter und nicht als Herr seines Besitzes verstehen, der Gott, dem Herrn, verantwortlich ist für das, was er hat. Und am Ende wird er über sein Leben und seine Taten Rechenschaft ablegen müssen.

Von der Verwaltung eines großen Herrenhofs. Das fünfzehnte Kapitel

Es geht hier also darum, wie ein großer Königshof oder das Haus eines Herrn verwaltet wird. Einem gehört das Geld des Herrn, einem anderen das Silbergeschirr, einem dritten die Kleider, einem vierten der Wein, einem fünften das Korn und der sechste erhält die Essensvorräte. All diese Dinge sind zu verwalten und zu verteilen. Keiner von denen, der diese Aufgaben übernimmt, darf sich darüber erheben, weil er weiß, dass er zwar Verantwortung dafür trägt, aber es letztlich nicht sein Eigentum ist. Er muss auch Rechenschaft ablegen über das, was er verwaltet hat. Sollte er etwas davon behalten oder verschenken, muss er dafür verantwortlich gemacht werden.

So ist es auch bei allen Menschen. Wenn sie über ihre Besitztümer und deren Verwaltung nachdenken, müssen sie verstehen, dass alles, was sie haben, nicht ihr Eigentum im wahren Sinne ist. Ob es sich nun um Reichtum, Macht, Stärke, Kunst oder Weisheit handelt, sie sind dazu da, dem Nächsten zu dienen. Was kann sich ein Reicher an seinen Gütern überheben, wenn er weiß, dass er sie nicht wirklich besitzt? Vielmehr ist er verpflichtet, mit seinem Reichtum anderen zu helfen. Ein mächtiger oder edler Mensch, der solche Macht oder Adel besitzt, gehört ebenfalls dem Gemeinwohl. Es ist seine Pflicht, das Regiment zu führen und anderen zu helfen: Witwen und Waisen zu schützen, den Armen beizustehen, das Recht zu wahren und gegen Unrecht zu kämpfen. Er kann sich nicht von dieser Verantwortung befreien, auch wenn er es vielleicht möchte, denn er hat diese Verantwortung nicht von sich selbst oder von anderen erhalten, sondern durch das, was ihm von Gott gegeben wurde, um der Gemeinschaft zu dienen.

Es gibt Menschen, die ein ruhiges Leben führen wollen, ohne Verpflichtungen oder Verantwortung. Sie möchten frei von Arbeit oder Mühen leben. Doch solche Einstellungen widersprechen dem Gemeinwohl. Sie können nicht wirklich zur Gesellschaft gehören oder deren Nutzen dienen, da sie sich nur auf ihr eigenes Wohl konzentrieren und den Dienst am Nächsten vermeiden.

Was echter Gemeinnutz ist. Das sechzehnte Kapitel

Wenn man richtig und gründlich vom Gemeinnutz sprechen will, dann ist der wahre Gemeinnutz, dass alle Dinge in der Welt – sei es Macht, Kunst oder Besitz – gemein sein sollen und müssen, damit alles einander dient und somit Gott, dem Schöpfer, zur Ehre und zum Lob dient. Dies hat Christus, der Sohn Gottes und Erlöser der Welt, als der wahre Lehrer des Gemeinnutzes klar und deutlich gezeigt.

Er hat dies insbesondere in zwei Bereichen erklärt: Zum einen, als jemand fragte, was er tun müsse, um selig zu werden. Christus antwortete ihm, dass er Gott und den Nächsten lieben solle. Doch der junge Mann fragte weiter, was er noch tun müsse, und Christus zeigte ihm, dass er alles verkaufen solle und ihm nachfolgen müsse. Der junge Mann ging traurig fort, weil er sehr reich war. Daraufhin erklärte Christus, dass es für einen Reichen leichter sei, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Himmelreich komme. Dies zeigt, wie schwer es für Reiche ist, den wahren Gemeinnutz zu verstehen.

Ein großer Teil der Menschen interpretiert diesen Text so, dass jemand, der vollkommen sein möchte, alles verkaufen und Christus nachfolgen muss. Doch meiner Ansicht nach geht es hier weniger um den physischen Akt des Verkaufs, sondern um die geistliche Bedeutung dahinter: Es geht darum, Gott und den Nächsten so zu lieben, dass man keine eigenen Ansprüche stellt und alles zum Wohl der anderen und zur Ehre Gottes einsetzt.

Der wahre Gemeinnutz ist geistlicher Natur. Es geht darum, Gott und den Nächsten zu lieben und alles Gemein werden zu lassen, um Gott zu loben und dem Nächsten zu dienen. Wenn man alles verkauft, geht es nicht nur um den materiellen Besitz, sondern darum, sich selbst und alles, was man hat, zu verleugnen, um im Dienst an Gott und den anderen zu leben.

Wenn jemand alles, was er besitzt, verkaufen und sich selbst sowie alles, was ihm gehört, verleugnen soll, dann entspricht das der Lehre von Paulus, der in 1. Korinther, Kapitel 8, betont, dass die wahre Bedeutung des Glaubens nicht im Besitz liegt. Auch wenn jemand äußerlich alles verkauft, so muss er dies im Geist tun, wie es Christus und die Apostel gelehrt haben. Paulus hat das sehr deutlich gemacht.

Es geht nicht nur um den materiellen Besitz, sondern auch um die innere Haltung. Wenn jemand sich von den äußeren Dingen der Welt trennt und sich nicht mehr mit ihnen identifiziert, dann ist er dem wahren Geist des Glaubens näher. So wie die Philosophen, die oft ihren Besitz abgaben, um frei und ungebunden zu leben – es geht darum, das Herz und den Geist von der weltlichen Anhaftung zu befreien, auch wenn die äußeren Handlungen der Welt oft missverstanden werden.

Die wahre Bedeutung von „alles verkaufen“ ist nicht der materielle Akt des Gebens, sondern die geistliche Haltung des Verzichts auf das, was die Welt bietet. So hat auch Christus gelehrt, dass das wahre Reich Gottes in einer inneren Armut besteht, die der Welt fremd ist. Er sagte: „Selig sind die Armen im Geist“, was bedeutet, dass wahre Armut nicht der Mangel an materiellen Gütern ist, sondern das Loslassen von Eigenem und das Streben nach geistlichem Reichtum.

So lehrt Christus, dass wahre geistliche Armut bedeutet, alles zu verkaufen und ihm nachzufolgen, wie es bereits oben erklärt wurde. Dabei geht es darum, dem allgemeinen Nutzen zu dienen, indem man nichts für sich selbst beansprucht oder sich an irgendetwas anhaftet, sondern alle Dinge als gemeinsam betrachtet und ihnen ihren Wert zuschreibt.

Es bedeutet, dass man bereit ist, alles zu teilen, was Gott einem gegeben hat – sei es Körper, Verstand, Fähigkeiten, Ehre oder andere Gaben, die man besitzt. Alles soll im Dienst an Gott und den anderen Menschen verwendet werden.

Gott billigt den Müßiggang nicht – sondern lobt den, der seine Gaben vermehrt. Das siebzehnte Kapitel

An einer anderen Stelle, bei Matthäus im 25. Kapitel, vergleicht Christus das Himmelreich mit einem Menschen, der auf Reisen gehen wollte. Er rief seine Knechte zusammen und gab einem fünf Talente (Geldstücke), dem anderen zwei und dem dritten eines. Als er zurückkam, rief er sie erneut und fragte, was sie mit den Talenten gemacht hätten. Diejenigen, die mit den ihnen anvertrauten Talenten gewirtschaftet und sie vermehrt hatten, lobte er sehr und belohnte sie reich. Aber denjenigen, der sein Talent nur vergraben hatte, schalt er als schlechten und faulen Knecht. Er ließ ihm das eine Talent wegnehmen und gab es dem, der schon fünf Talente hatte.

Aus diesem Gleichnis versteht man klar, dass Gott will, dass man seine Gaben nutzt und vermehrt – also keinen Müßiggang betreibt –, sondern mit dem, was man empfangen hat, dem Nächsten dient und handelt. Das nennt Christus hier „rechtmäßigen Gewinn“.

Auch der fromme heidnische Philosoph Seneca, der vor Christi Ankunft lebte, hat dies durch das natürliche Licht der Vernunft erkannt. In seinem Buch über die Wohltaten schreibt er sinngemäß:

„Warum hütest du etwas, als wäre es dein Eigentum, wo du doch nur ein Verwalter bist? Alles, was euch anvertraut ist und euch über eure menschliche Natur hinaushebt, soll euch daran erinnern, wie zerbrechlich ihr seid. Die Dinge, die ihr mit Gewalt erringt, in eisernen Truhen verwahrt und mit eurem Blut verteidigt, sind letztlich nicht euer Eigentum. Alles, wofür ihr Krieg führt, Bündnisse brecht und Freundschaften zerstört, ist nur geliehen. Es wird schnell einem anderen gehören – entweder einem Feind oder einem habgierigen Erben.“

Seneca fragt weiter:

„Willst du es wirklich zu deinem machen? Dann gib es weg oder verschenke es. Dadurch sicherst du es dir auf bessere Weise.“

Er sagt also: Wenn ihr euer Leben so führen wollt, wie es wirklich richtig ist, dann betrachtet euch nur als Verwalter dessen, was Gott euch anvertraut hat – genau wie es auch die christliche Lehre verlangt.

Und so auch: Wenn du zwei Röcke hast, dann gib einem davon dem, der keinen hat. Ebenso, wenn du mehr Essen und Trinken besitzt, als du für deinen Bedarf brauchst, teile es mit dem, der Mangel leidet. Lass alles, was du hast, dem Gemeinwohl dienen. Arbeite Tag und Nacht, diene deinen Mitmenschen und bleibe nicht untätig – auch wenn Gott dir große Güter geschenkt hat. Du sollst dich nicht als Eigentümer, sondern nur als Verwalter betrachten, der alles um Gottes und des Nächsten willen aus rechter, reiner Liebe verwendet.

Überlege also, was du auf Erden wirklich begehrst oder was du zu haben wünschtest – ob es nicht besser wäre, alles in rechter Weise einzusetzen, um Gott und den Menschen zu dienen.

Niemand hat den Gemeinnutz je erkannt oder gesehen. Das achtzehnte Kapitel

Fragt euch auch, ob der Gemeinnutz jemals auf Erden von den Menschen erkannt oder geliebt worden ist und ob es je welche gab, die ihm wirklich angehangen und nachgefolgt sind. Wie lange blieb das Feld unbebaut liegen, bevor es jemals aus reinem Gemeinnutz bestellt wurde? Kurz gesagt: Wie lange würde die Welt ohne geistliche und weltliche Regierungen bestehen, wenn niemand mehr regieren oder führen wollte, außer aus reinem Gemeinsinn? Ich will um der Liebe Gottes willen davon sprechen, wie man es nebenbei auch an den oben erwähnten Personen sieht: an allerlei Geistlichen, Mönchen, Priestern und Predigern des Wortes Gottes. Gibt man einem Prediger in einer anderen Stadt nur zehn oder zwanzig Gulden mehr Jahresbesoldung, so verlässt er seine alte Gemeinde und nimmt die neue, die ihm besser bezahlt. So kommen die Pfaffen nur noch in die Kirche, wenn man ihnen dafür Geld gibt. Das Land müsste ohne Obrigkeit und die Fürsten ohne Rat, Hofmeister, Kanzler, Amtleute und andere Diener, auch die Welt ohne Pfarrer, Seelsorger und Prediger ewig dastehen, wenn es nicht den eigenen Nutzen gäbe.

Von den anderen verachteten und schmachvollen Ämtern und Handwerken will ich gar nicht erst sprechen: Wer würde sich freiwillig hergeben, Henker, Abdecker, Wasenmeister, Totengräber, Schornsteinfeger oder ähnliches zu werden, wenn nicht aus eigenem Nutzen? Wie lange müsste man wohl warten, bis jemand sich um des Gemeinnutzes willen dazu entschließen würde, wo man doch solche Menschen kaum finden oder erkennen kann, genauso wenig wie man den Gemeinnutz selbst fassen kann. Nun aber schaffe ich – der Gemeinnutz – nicht nur keinen Mangel daran, sondern sogar Streit und Undankbarkeit. Darum habe ich oben gesagt – und muss es oft wiederholen –: Man spricht zwar vom Gemeinnutz, aber niemand kennt ihn, niemand hat ihn je gesehen oder wirklich erkannt. Dennoch schimpft jeder gegen mich, und doch lebt und wird die ganze Welt durch mich erhalten und regiert. Ich aber bekomme dafür weder Dank noch Lohn, obwohl ich unter den Menschen alles Gute bewirke und tue. Und wenn es auf Erden einen Gemeinnutz gibt oder geben kann, dann stammt er von mir. Darum dürfte ich mit Recht der Vater des Gemeinwohls genannt werden.

Alles kommt durch den eigenen Nutzen zustande. Das neunzehnte Kapitel

Recht und wohl ist es gesagt, und es kann auch nicht anders sein: Alles geschieht letztlich durch den eigenen Nutzen. Ich wirke und tue in Wahrheit alles; durch mich wird das Feld bebaut zur allgemeinen Nahrung der Menschen. Städte und Burgen hat der Eigen­nutzen erbaut, zum Schutz und Schirm der Menschen, zur Unterhaltung, für gemeinsames Regiment und Polizei. Durch den eigenen Nutzen wird die Welt mit geistlicher und weltlicher Ordnung versehen, und nichts geschieht, außer es geschieht aus Eigen­nutz. Durch Eigen­nutz fährt der Kaufmann in fremde Länder, was wiederum allen Menschen zugutekommt. Der Eigen­nutz hat viele wesentliche Handwerker hervorgebracht und viele Künste und Wissenschaften zum allgemeinen Gebrauch und Nutzen der Menschen erfunden und hervorgebracht, sodass den Menschen auf Erden nichts mangelt.

Und damit ich es einmal zusammenfasse: Es mag zunächst abschreckend klingen, aber wenn man es recht bedenkt, wird man meines Erachtens erkennen, dass selbst durch den Eigen­nutz Gott gelobt und gepriesen wird. Denn wie viele Werke würden von den Menschen getan werden, wenn nicht der Eigen­nutz dabei wäre – wenn sie also nicht hofften, dadurch den Himmel und das ewige Leben zu erlangen? Wie David in den Psalmen spricht: „Ich habe mein Herz geneigt zu deiner Gerechtigkeit, um der Vergeltung willen.“ Und Christus selbst verbindet überall in seinen Geboten die Verheißung des ewigen Lebens, um die Menschen zu sich zu ziehen. Und obwohl dies nicht die wahre Gottesfurcht oder Liebe ist – denn Gott soll nicht aus Eigen­nutz, also knechtischer Gesinnung, sondern weil er das höchste Gut und der einzige wahre Schatz ist, geliebt und gefürchtet werden –, so ist es dennoch nicht völlig zu verwerfen.

Daher gilt auch das altbekannte Sprichwort: „Wenn man keine Falken hat, muss man mit Eulen jagen.“ Kann man den vollkommenen gemeinen Nutzen nicht erreichen, so soll man sich doch dessen erfreuen, den man haben kann – und dieser entspringt dem Eigen­nutz, stammt von mir und hat in mir seinen Ursprung. Wie jenes Männlein einst zur Priorin sagte.

Gott helfe uns allen! Zwar sind alle Menschen gebrechlich und unvollkommen, und alles, was sie tun, sprechen, wissen oder wirken, ist Sünde und Ungerechtigkeit vor Gottes Angesicht. Denn sie verfehlen den Preis und Ruhm, den Gott von ihnen fordert, und müssen um seine Gnade bitten.

Der Eigen­nutz begehrt nicht, jemanden vom Gemeinnutz zu vertreiben. Das zwanzigste Kapitel

Darum ist mein treuer Rat: Lasst uns miteinander leben, wie es von Anfang der Welt an gewesen ist. Bleibt dabei, stets nach dem Besten zu streben, nach eurem besten Vermögen, und bemüht euch so viel ihr könnt um den gemeinen Nutzen. Denn so eigennützig bin ich nicht – auch wenn ich der Eigen­nutz selbst bin –, dass ich euch davon abbringen wollte. Im Gegenteil: Ich bekenne offen, dass allein Gott Wohlgefallen daran hat, wenn die Menschen sich zum höchsten Ziel danach ausrichten und verlangen, und dass er will, dass die Menschen, um Gottes willen, einander lieben sollen.

Aber daneben lasst mich, den Eigen­nutz, auch bestehen und versucht nicht, mich völlig zu vertreiben, denn ich lasse mich nicht so einfach vertreiben. Ich bin zu lange und zu tief verwurzelt. Ich bin von Anfang der Welt an da gewesen. Und soweit es den Adel betrifft, der von alters her einen bedeutenden Stand auf Erden innehat, kann dieser sich nicht einmal mit mir messen – denn der Adel gründet sich großenteils auf Alter und Dauer, und ebenso bin ich alt und beständig. Ich bin nicht böse, wie man mich oft ausschreit, sondern – wie schon gesagt – wird durch mich die Welt in ihrem Bestand erhalten. Zwar geschieht auch durch mich mancher Schaden oder Nachteil, aber ich will mich deshalb nicht meines Lobes berauben lassen. Vielmehr entsteht solcher Schaden allein durch den Missbrauch meiner Natur, wie es auch in anderen Dingen ist.

Ich will nicht für jene Herren sprechen oder sie verteidigen, die in meiner Gemeinschaft Böses wirken, ihren Nächsten betrügen, morden, rauben und stehlen. Ich habe oben im Anfang gesagt, dass durch Missbrauch alle Dinge zu Schaden geraten können. So können sie aber auch, an sich selbst betrachtet, zum Guten dienen – wie auch der Eifer eines sonst lasterhaften Zorns dann lobenswert sein kann, wenn er um Gottes Ehre und der Gerechtigkeit willen geübt wird.

Auch ist nicht jede Melancholie, wie die Philosophen lehren, verwerflich, sondern es gibt eine lobenswerte und gute Art von Melancholie, wie sie Helden eigen ist. Ebenso kann es geschehen, dass jemand durch zu viel und unzeitgemäße Weisheit eher Schaden anrichtet – wie zum Beispiel die unzeitige Weisheit des Cato mehr das römische Reich zerstörte und umstürzte als der Tyrann Julius Caesar. Habt ihr nicht gesehen, wie auch besonders in unseren Zeiten das heilige, seligmachende Wort Gottes und das Evangelium missbraucht worden sind, und wie unter dessen Anschein Zwietracht und Hass zwischen den Menschen gewachsen sind? Darum – wie oben schon erwähnt – hat alles eine doppelte Erscheinung und Gestalt. Doch über all dies hinaus gehört es sich nicht und ist schlecht, dass diejenigen, die mir mit Haut und Haaren ergeben sind, deswegen verdammt werden.

Dass ihr mit mir umgeht und mir mit Worten und Taten eifrig dient, Ehre, Macht, eigenen Reichtum, Land und Leute durch mich habt, und mich dann undankbar, heimlich oder öffentlich mit Worten tadelt, schlecht über mich redet, schmäht und verspottet – das sollte eigentlich nicht sein. Wenigstens müsstet ihr anerkennen, dass ich ein großer Herr auf Erden bin, mit großer Macht und Gefolgschaft, und dass die übermächtigen Götter Plutus und Mammon meine nächsten Verwandten sind, die ihr eigentlich mit Schonung behandeln solltet.

Ich beklage mich nicht über eure Taten – darüber habe ich keinen Grund zu klagen –, sondern allein über eure Worte. Denn die großen Herren wollen nicht nur, dass man ihnen mit Taten, Gehorsam und guten Werken Ehre erweist, sondern sie verlangen auch, dass man nicht schlecht über sie redet.

Jeder ist verpflichtet, seinen eigenen Nutzen zu suchen, aber dabei auch den Nutzen seines Nächsten im Blick zu behalten – er soll den anderen jedoch nicht daran hindern. Das einundzwanzigste Kapitel

Das schreibt auch Cicero und erklärt: Es ist nicht unbillig, dass einer seinen eigenen Nutzen eifriger sucht als den seines Nächsten. Dennoch erlaubt es die Natur nicht, dass wir unseren Reichtum oder unsere Macht auf Kosten anderer, durch Schaden oder Beraubung, vermehren. Denn es ist nicht nur ein Gebot des natürlichen Rechts, dass sich alle Menschen mit Billigkeit und Ehre begegnen; auch die geschriebenen Rechte der Völker fordern, dass in jeder Gemeinschaft darauf geachtet wird, dass niemand dem anderen aus Eigennutz Schaden zufügt. Weiter schreibt er, dass wir nicht verpflichtet sind, unseren eigenen Vorteil aufzugeben und anderen das zu geben, was wir selbst nötig hätten.

Der Philosoph Chrysippus hatte ein bekanntes Sprichwort und sagte: Ein Wettläufer soll stets nach besten Kräften laufen und sich bemühen, dem anderen zuvorzukommen – aber er soll ihn dabei nicht behindern, weder mit der Hand noch auf andere Weise. Genauso soll auch im Leben jeder Mensch das suchen, was ihm nützt und seinem Stand entspricht, ohne den anderen dabei zu behindern oder ihm etwas zu entziehen.

Deshalb ist immer der eigene Nutzen oder die eigene Notwendigkeit ein berechtigter Grund für Ausgaben oder für Erwerb, doch die Regel bleibt, dass das Maßhalten das Beste ist, wie der Weise spricht: „Was man auch für einen Heller kauft und nicht wirklich braucht, ist zu teuer.“

Alle Regierenden sollen fleißig den Nutzen der Gemeinschaft fördern und für alle notwendigen Dinge Vorräte anlegen. Wie man aber diese Vorräte erwerben soll, ist hier nicht nötig ausführlich zu erörtern; es genügt, dass man sagt: Man soll die notwendigen Dinge mit angemessenen Mitteln und Fleiß beschaffen, bewahren und mehren – doch stets nach dem Befehl des Herrn, wie es im Folgenden kurz dargestellt werden soll.

Nachdem der allmächtige und ewig gütige Gott die Menschen nach seinem göttlichen Ebenbild, aus seinem Willen und Wohlgefallen, erschaffen hat, gab er ihnen Gebote und Anweisungen, wie sie sich in allen Dingen, besonders im Umgang mit den zeitlichen, vergänglichen Gütern (von denen einem Menschen mehr als einem anderen aus Gottes Gnade und Vorsehung zuteilwerden kann), verhalten sollen. Sie sollen diese Gaben, deren wir nur Verwalter und Diener sind, maßvoll und dankbar gebrauchen – zur notwendigen Versorgung, nicht zum Überfluss. Wer von Gott reichlich und übermäßig an irdischen Gütern beschenkt ist, soll davon seinem armen bedürftigen Mitbruder in Christus helfen und diese Gaben sinnvoll einsetzen.

Im Evangelium bei Lukas lesen wir im 16. Kapitel vom reichen Mann, dessen Name im Buch des Lebens nicht geschrieben stand. Er war durch seinen großen Reichtum und seine Pracht abgelenkt und bedachte weder den armen Lazarus noch andere Bedürftige mit Almosen. Nach seinem Tod wurde er in die Höllenpein geführt, während Lazarus in Abrahams Schoß aufgenommen wurde Der reiche Mann wurde nicht wegen seines Reichtums verdammt, sondern wegen seines Eigennutzes und seiner Unbarmherzigkeit. Er hatte seinen Überfluss lieber unnütz vergeudet, als ihn mit den Armen zu teilen. Hätte er Gottes Gebot beachtet und den Überfluss an die Armen verteilt, wäre er unzweifelhaft nicht verdammt, sondern selig geworden. Leider finden sich bis heute viele Menschen, die von Gott reichlich mit Gütern gesegnet sind, diese aber nur zum eigenen Überfluss und unnützen Prunk gebrauchen, die Armen vergessen und meinen, sie hätten alles aus eigener Kraft erworben – was doch nicht wahr ist, denn alles, was wir haben, ist uns allein von Gott gegeben, wie die Heilige Schrift klar bezeugt.

Lukas beschreibt weiter im 12. Kapitel einen reichen Mann, der große Ernten eingefahren hatte, seine Scheunen erweitern ließ und zu sich selbst sprach: „Nun will ich ruhen und gut leben.“ Doch in dieser Nacht kam eine Stimme vom Himmel und forderte seine Seele – und so geschah es. Daraus ist klar zu erkennen, dass niemand sich zu sehr auf zeitliche Güter verlassen soll. Denn gewöhnlich, wenn einer lange sammelt und anhäuft und große Reichtümer erlangt, meint er, er habe nun Sicherheit. Wird er aber plötzlich aus diesem Jammertal abgerufen (es sei denn, er habe gottselig gelebt), so muss er sich der ewigen Güter stellen.

Man soll arbeiten und schaffen, als würden wir ewig leben, aber mit Gott versöhnt sein, als müssten wir augenblicklich sterben. Das zweiundzwanzigste Kapitel

Es geht darum zu verstehen, dass wir nicht mehr nur nach leiblichen, sondern vor allem nach geistlichen Gütern streben und brüderlich miteinander leben sollen. Christus hat nicht umsonst gesagt: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes, und alles andere wird euch zufallen.“
Deshalb sollen wir nach der Lehre Christi und nicht nach dem Mammon, dem Götzen des Bauches und der weltlichen Lust, streben.

Matthäus im 16. Kapitel und Lukas im 9. Kapitel berichten im Evangelium, dass der Herr spricht: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber Schaden an seiner Seele leidet?“ Darum sollen wir uns keine Schätze auf Erden sammeln, die von Rost oder Motten zerstört oder von Dieben gestohlen werden, sondern Schätze im Himmel, wo unser Herz dann auch sein wird – was der beste Nutzen ist.

Aus all dem wird klar, dass Christus den irdischen Besitz nicht grundlos verurteilt, sondern darauf hinweist, dass wir ihn richtig verwenden sollen. Hätte er das nicht gesagt, würden viele nur ihren eigenen Nutzen suchen und nicht auf Gottes Ehre und das Heil der Menschen achten.

Matthäus im 4., Markus im 1. und Johannes im 1. Kapitel berichten, wie Christus zu Simon Petrus und Andreas, seinem Bruder, kam, während sie Fischer waren. Er rief sie auf, ihm zu folgen. Da verließen sie sofort ihre Netze, ihren Besitz und folgten Christus – wie auch Philippus, Matthäus der Zöllner und viele andere. Ohne Zweifel hätten sie ihren eigenen Nutzen gesucht und das zeitliche Gut lieber behalten, hätten sie Christus nicht gefolgt. In der Apostelgeschichte, Kapitel 5 lesen wir, wie Ananias und seine Frau Saphira durch Betrug mit dem Verkauf eines Ackers lieber das Zeitliche als das Ewige wählten und deswegen vom Tod ereilt wurden.

Darum können wir klar verstehen: Wir sollen Gott und nicht dem Mammon nachfolgen. Doch wenn ein Reicher die ihm von Gott anvertrauten Güter als treuer Verwalter richtig nutzt, indem er seinem Mitmenschen davon hilft, dann steht sein Reichtum dem ewigen Leben nicht im Weg, sondern wird ihm sogar zum Vorteil. Gott will, dass wir seine verliehenen Gaben und Wohltaten richtig gebrauchen, seine göttlichen Gebote so gut wir können befolgen und ihm für alles stets dankbar sind.

Wir lesen bei Markus, Kapitel 12 und Lukas, Kapitel 21 von einer armen Witwe, die nur einen kleinen Geldbetrag hatte und diesen in den Opferkasten legte. Auch Lukas im 3. Kapitel berichtet: Der Herr spricht, wer zwei Röcke hat, gebe einem, der keinen hat. Johannes, Kapitel 4 erwähnt: Einer sät, ein anderer erntet. In der Apostelgeschichte, Kapitel 4 lesen wir, wie die Christen aus Liebe zu Christus ihren Besitz verkauften und miteinander teilten. Diese Menschen hatten zu ihrer Zeit keinen Mangel, sondern erlangten ewige Herrlichkeit, wo sie jetzt sind. Auch Paulus schreibt, dass wir, wenn wir genug zu essen, zu trinken und Kleidung haben, damit zufrieden und Gott dafür loben und danken sollen. Matthäus, Kapitel 3 berichtet: „Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen, und die Axt ist schon an die Wurzel der Bäume gelegt.“

Schluss

Darum, liebe Christen: Nachdem ihr nun in diesem Schluss, wie auch zuvor in meiner Schrift, deutlich vernommen habt, wie der Herr an vielen Stellen der Heiligen Schrift den weltlichen, zeitlichen Prunk, Hochmut und den Missbrauch der uns verliehenen Güter streng verbietet, soll es uns stets ein Anliegen sein, die geistlichen Güter den zeitlichen vorzuziehen. Wir sollen uns nicht durch den Missbrauch des Eigennutzes und durch übermäßige Habgier überwältigen lassen, damit wir nicht – wie der reiche Mann und viele andere – dadurch die ewigen Güter verlieren. Denn wahrhaftig: Wir haben hier in diesem vergänglichen Jammertal nur eine kurze Zeit zu leben. Darum sollen wir – dem Gebot Gottes und dem Heil unserer Seelen gemäß – gottesfürchtig und brüderlich miteinander leben, damit wir nach diesem vergänglichen Leben die ewige Freude und Seligkeit besitzen, die Gott uns bereitet hat. Amen.

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