Werner Schmauch, Unser Auftrag zum Dienst an der Welt. Predigt über Matthäus 28,16-20 (1958): „Die Jünger haben den Auftrag, hinzugehen zu den Menschen, zu den Völkern, zu den Heiden. Das heißt aber, die An­erkennung der Königsherrschaft Jesu Christi kann niemals darin bestehen, dass die Christen ein Dasein der Selbstgenügsamkeit führen, ihr Herr schenkt ihnen nicht ein Leben in einem heiligen Bezirk außerhalb der Schöpfung, nein, Er befreit sie zum frohen, freien Dienst an seinen Ge­schöpfen, an den Völkern, an den Heiden.“

Unser Auftrag zum Dienst an der Welt. Predigt über Matthäus 28,16-20

Von Werner Schmauch

Elf Männer wandern gemeinsam auf den Berg, auf den Jesus sie gewiesen hatte. Eine ganz kleine Schar, nicht qualifiziert für das Geschehen, das ihrer wartet. Jünger ihres Meisters, aber Jünger, die schwach geworden, geflohen sind und ihren Herrn verleugnet haben. Sie haben die Botschaft von seiner Auferstehung vernommen, aber entschieden sind sie immer noch nicht. Als sie Ihn sahen, fielen sie vor Ihm nieder. Etliche aber zweifelten. Sind sie geeignet für die Offenbarung, die ihrer wartet, für das Werk, das ihnen verordnet wird? Nicht das, was sie erlebt haben, ist entscheidend. Entscheidend ist, daß Er in ihre Mitte tritt und mit ihnen redet und diese unqualifizierten Jünger zu seinem Dienst sich erwählt. Mit diesem Evan­gelium, mit dieser frohen Botschaft an uns beginnt dieser Sonntag, beginnt diese Konferenz, zu der wir hier zusammengekommen sind. Und aller Se­gen wird daran hängen, daß Er, der Erhöhte, auch in unsere Mitte tritt und daß er auch mit uns redet.

Dann aber geschah es, auf dem Berge in Galiläa: Er trat zu ihnen und sprach: „Gegeben ward mir alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“ Mit diesen Worten macht Er kund, daß seine Thronbesteigung zur Rechten des Vaters vollzogen ist. Und diesem Wort müssen wir standhalten. Ihm ge­hört alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Brüder und Schwestern, der Kosmos hat seinen Herrn! Wir Christen sind bereit, ihm die Herrschaft im Himmel zuzugestehen, wir sind vielleicht auch noch bereit, ihm die Herrschaft über seine Gemeinde zuzubilligen, vielleicht auch noch über unsere Herzen, aber alle Vollmacht über den Kosmos, über Himmel und Erde? Vielleicht erwarten wir seine Herrschaft, wenn Er kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Toten. Aber jetzt? Wo doch die Welt von ganz anderen Mächten und Gewalten regiert wird. Hier aber werden wir anfangen müssen, unsere Schuld zu bekennen. Auch wir Christen ur­teilen immer wieder nur nach dem Augenschein, wir vergleichen die Kräfte­verhältnisse, wir blicken auf die geringe Einflußsphäre des Evangeliums und nehmen doch damit unserem Herrn die Ehre, die Ihm gebührt. Er hat den Thron bestiegen, und keine Macht der Welt kann ihn Ihm streitig machen. Denn gegeben ward Ihm alle Macht im Himmel und auf Erden.

Hier sind wir zur Buße und Umkehr gefordert. Die Anerkennung der Kö­nigsherrschaft Jesu Christi vollzieht sich nicht in einem Fürwahrhalten, nicht in einer theoretischen Begründung dieses Faktums, erst recht nicht in einem gesteigerten Selbstbewußtsein der Kirchen, ihrer Amtsträger und ihrer Glieder. Die Anerkennung dieser Königsherrschaft Jesu Christi voll­zieht sich in einem ganz bestimmten Gehorsam gegenüber seinem Befehl: Darum gehet hin! Das ist die Konsequenz aus der Kundmachung seiner Inthronisation. Und hier werden wir einen Schritt tiefer in die Umkehr geführt.

Hingehen, das ist das Wort, das die Wanderungen Jesu während seines Erdenlebens bezeichnet, es ist das Wort, das das Leben des Volkes Israel in der Wüste kennzeichnet und das schon in dem Befehl Gottes an Abra­ham erklingt: „Gehe aus deinem Vaterlande und aus deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“ Schon Martin Luther hat diesen Befehl auf die Kirche gedeutet. Das ist es, was den Jüngern von dem Herrn Himmels und der Erden zugemutet wird: Darum gehet hin. Die Jünger ihres Herrn dürfen nicht an ihrem Ort blei­ben, sie müssen sich auf den Weg machen, sie müssen immer wieder her­ausgehen aus ihrer Umgebung, aus der Tradition, auch aus der Institution und Organisation ihrer Gemeinschaft, sie müssen herausgehen aus gewohn­ten Vorstellungen und hergebrachten Ordnungen, denn ihr Herr will, daß sie ihre Sicherheit nicht bei sich haben, sondern nur bei dem, der ihr Herr ist.

Christenmenschen sind darum die einzigen Leute, die in einer totalen Ungesichertheit ständig unterwegs sein können. Unterwegs sein aber heißt, nicht nach rückwärts, sondern nach vorwärts schauen. Es ist darum auch ein schwerer Irrtum, wenn Christen und Kirchen meinen, an bestimmten Gesellschaftsordnungen festhalten zu müssen. Es ist ein ebensolcher Irr­tum, wenn sie meinen, sie müßten die Menschen zu sich in ein Gebäude hereinholen, das sie von der Welt trennt. Wie wäre dann ihr Herr der Herr Himmels und der Erde?! Die Jünger haben den Auftrag, hinzugehen zu den Menschen, zu den Völkern, zu den Heiden. Das heißt aber, die An­erkennung der Königsherrschaft Jesu Christi kann niemals darin bestehen, daß die Christen ein Dasein der Selbstgenügsamkeit führen, ihr Herr schenkt ihnen nicht ein Leben in einem heiligen Bezirk außerhalb der Schöpfung, nein, Er befreit sie zum frohen, freien Dienst an seinen Ge­schöpfen, an den Völkern, an den Heiden.

Wo immer vom Christsein gesprochen wird, da geht es um diesen Dienst, der nicht nur als außergewöhnlicher der Mission, sondern jedem einzelnen aufgetragen ist. Jüngertum gibt es nur in dem Bemühen um diejenigen in der Nähe und in der Ferne, in der Weite der Welt, für die Jesus Christus ge­storben und auferstanden ist und sich gesetzt hat zur Rechten des Vaters. „Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker!“ Dieses Gebot unseres Herrn nötigt uns, noch weiter umzudenken und umzukehren. „Alle Völker“, das verbietet uns, unseren Dienst auf Grund politischer Erwägungen oder persönlicher Rücksichten einzuschränken. Das Evangelium kennt keine Völker, die bevorzugt wären, oder solche, die des Dienstes nicht würdig wären. Das Evangelium kennt keine Rassenunterschiede und keine eiser­nen Vorhänge. Zur Anerkennung der Königsherrschaft Jesu Christi gehört es, daß wir bereit sind, uns aufzumachen zu allen Völkern.

„Gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker!“ Brüder und Schwestern, das heißt doch, daß alle werden dürfen, was wir selber sind: Jünger dieses einen Herrn. Wie aber geschieht das? Das geschieht nicht so, daß die einen als die Besitzenden zu den andern kommen, die nichts haben, die Gläubi­gen zu den Ungläubigen. „Machet zu Jüngern alle Völker, indem ihr sie taufet und sie halten lehret, was ich euch befahl.“ Die Christen haben den sogenannten Ungläubigen nichts Eigenes zu bringen und haben auch keine eigenen Forderungen an sie zu stellen, so wie auch die Kirchen keine An­sprüche an die Welt haben. Denn Jünger kann man nicht sein, sondern immer nur von neuem werden. „Was ich euch befahl“, das gilt für die, die das Wort weitergeben, wie für die, die es hören. Beide sind gefragt, ob sie der Lehre dieses einen Herrn gehorsam sein wollen.

Dieser Gehorsam aber ist gleich schwer für die Gläubigen wie für die Ungläubigen. Denn er fordert, von sich selbst abzusehen und nur dem Herrn zu trauen. Allen ruft Er zu: „Selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr. Selig sind die Friedensstifter, denn sie werden Gottes Söhne heißen. Liebet eure Feinde, segnet, die euch fluchen, bittet für die, so euch verfolgen. Denn Gott läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ Alle Menschen ohne Unterschied sind gefragt, ob sie sich diese Worte des Herrn Jesus Christus gefallen lassen. Alle sind ohne Unterschied gefragt, ob sie ihre Schuld anerkennen wollen und in Jesu Namen sprechen: „Ver­gib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.“

Jünger werden heißt, sich ganz und gar hingeben an den Nächsten, an den Fernsten, im Vertrauen darauf, daß Jesus Christus nicht nur Herr ist im Himmel, sondern auch auf Erden. Jünger werden heißt, sich sein Wort sagen lassen: „Ihr wißt, daß die weltlichen Fürsten herrschen und die Mächtigen üben Gewalt. So aber soll es unter euch nicht sein; denn wer unter euch will groß werden, der sei euer aller Diener, und welcher will der Vor­nehmste sein, der sei euer aller Knecht. Denn auch des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele.“ Brüder und Schwestern, die Anerken­nung der Königsherrschaft Jesu Christi auf Erden geschieht gerade in dem Verzicht auf allen Herrschaftsanspruch und in der Überwindung der Welt durch die Hingabe an sie.

Das freilich ist eine Aufgabe, unter der wir verzagen müßten, wenn wir sie ernst nehmen. Ebenso aber müssen wir verzagen, daß wir sie bisher so wenig ernst genommen und unseren Herrn damit verleugnet haben. Das aber ist unser Trost und unsere Freude, daß Er in unserer Schwachheit und in unserer Schuld uns zuruft: „Und siehe: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ So wie dem Volke Israel auf seiner Wanderung durch die Wüste der heilige Gott des Tages in einer Rauchsäule und des Nachts in der Feuersäule voranzog, so hat er sich nun an den gebunden, dem er die Vollmacht gegeben hat im Himmel und auf Erden. Der Gekreuzigte, Auf- erstandene und Erhöhte ist mit seiner Gegenwart bei uns und mit uns un­terwegs an jedem Tag bis an der Welt Ende.

Brüder und Schwestern, laßt uns darum beten, daß wir es glauben, Ihm ward gegeben alle Gewalt nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden. Laßt uns darum beten, daß wir seine Herrschaft auf Erden anerkennen, indem wir jeden Tag aufs neue uns rufen lassen zum Dienst und Hingehen zu den Menschen, zu den Völkern, zu den Heiden.

Lasset uns beten, daß wir an keinem Tage verzweifeln oder verzagen, son­dern immer wieder getrost und ganz froh werden und es heute und bei der Konferenz niemals vergessen, daß Er bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende. Amen.

Gehalten in der Salvatorkirche zu Prag am Trinitatisfest 1958 anläßlich der Eröffnung der 1. Christlichen Friedenskonferenz.

Quelle: Werner Schmauch, … zu achten aufs Wort. Ausgewählte Arbeiten, hrsg. v. Werner-Christoph Schmauch, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1967, S. 132-135.

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