Über die Freude (Kirchliche Dogmatik III/4)
Von Karl Barth
Freude! Wir haben damit ein Stichwort ausgesprochen, das nun auch in seinem eigenen Zusammenhang aufgenommen werden und uns einen Schritt weiterführen soll. Wille zum Leben heißt auch Wille zur Freude, zur Lust, zum Glück. Es hätte keinen Sinn, die Frage nach dem dem Menschen gebotenen Gehorsam nicht auch auf diese Determination seines Lebenswillens anzuwenden, ihr gewissermaßen verschämt den Rücken zu kehren und also vorauszusetzen, daß von Gehorsam erst da die Rede sein könne, wo es zu einer Ausschaltung dieser Determination gekommen sei. Wille zum Leben ist in jedem wirklichen Menschen auch Wille zur Freude. In Allem, was er will, will er auch das, meint er, daß es auch für ihn auch das in irgend einer Form geben sollte, erstrebt er Dieses und Jenes in der ausgesprochenen oder unausgesprochenen, ihm selbst vielleicht nicht einmal bewußten, aber sehr bestimmten Absicht, sich eben das zu verschaffen: Freude. Er möchte nicht nur seine Triebe befriedigen, nicht nur gesund sein: auch das primitivste Menschenkind möchte wirklich nicht nur das. Und er möchte auch durchaus nicht nur arbeiten und für allerlei Gutes, Wahres und Schönes sich einsetzen. Und wenn es aufs Höchste kommt: er möchte auch durchaus nicht nur «Gott und Menschen herzlich lieben» – auch der sachlichste Tatmensch, auch der strengste Gelehrte, auch der ernsteste Theologe, auch wer sich in Askese oder Wohltätigkeit zu verzehren scheint, möchte in Wahrheit nicht nur das, um von den Künstlern, die in dieser Sache in der Regel die Aufrichtigsten sind, schon gar nicht zu reden. Nein, der Mensch möchte entweder in und mit dem allem oder doch irgendwo nebenbei, in gewissen Pausen und Unterbrechungen – sagen wir es offen: auch ein wenig (oder vielleicht auch gar nicht ganz wenig) lustig sein. Es wäre Heuchelei, sich das zu verbergen. Und die Heuchelei ginge auf Kosten der ethischen Wahrheit: Er soll nämlich auch lustig sein wollen – genau so, wie er auch essen, trinken und schlafen, genau so wie er gesund sein, wie er arbeiten und für das Rechte sich einsetzen, wie er in der Gemeinschaft mit Gott und dem Nächsten leben wollen soll. Ein Mensch, der sich gegen die Freude absperren wollte, wäre bestimmt kein gehorsamer Mensch. Und die Frage: Was das heißt, im Gehorsam fröhlich sein zu wollen? ist an ihrem Ort ebenso ernst, ihre rechte Beantwortung ebenso wichtig und übrigens ebenso wenig selbstverständlich, wie das von allen ethischen Fragen zu sagen ist.
Es ist ja geradezu erstaunlich und braucht hier gewiß nicht durch Zitate belegt zu werden, wie viel im Alten und Neuen Testament von Lust, Freude, Wonne, von Jubeln, Jauchzen und Frohlocken die Rede ist und mit welchem Nachdruck eben dazu – von den Psalmen bis zum Philipperbrief – auch ausdrücklich aufgefordert wird. Der ganze verpflichtende Ernst des Bundesverhältnisses zwischen Jahve und seinem Volk, die ganze Düsterkeit der gegen dieses Volk immer aufs Neue erhobenen Anklage, das ganze Entsetzen der ihm verkündigten und an ihm vollzogenen göttlichen Gerichte, aber auch der abschließende Bußruf Johannes des Täufers, der das Neue Testament einleitet und in dessen Mitte die Finsternis des Tages, an dem der Sohn Gottes ans Kreuz geschlagen wird – das Alles bedeutet nicht Unterdrückung der Freude, von der da immer wieder die Rede ist, und so auch nicht die des Aufrufes: Freuet euch! sondern im Gegenteil: eben von diesen dunklen Orten scheint diese Freude und scheint der Aufruf zu ihr auszugehen, Frohbotschaft scheint zu sein, was gerade von jenem biblischen Zentrum aus zu melden ist. Warum? Weil Gott der Schöpfer und Herr des Lebens dort am Werk ist und das Wort führt, des Menschen verlorene Sache aus dessen Hand nimmt und zu seiner eigenen macht, majestätisch, barmherzig und weise für ihn eintritt. Es ist klar: es handelt sich bei dem, was dort seinen Grund und Ursprung hat, nicht um die erste beste, zufällig entstehende und willkürlich auszulebende, nicht um eine unqualifizierte, sondern um eine höchst qualifizierte Freude. Was «man» so für Freude hält und Freude heißt, das ist hier offenkundig durch einen Katalysator hindurchgegangen: auf der einen Seite abgebaut bis auf den Grund und auf der andern ganz neu wieder aufgebaut. Aber eben: auf der andern Seite wieder aufgebaut, in Kraft gesetzt und sogar zum Gebot erhoben. Christus ist auferstanden: Er ist wahrhaftig auferstanden! Freude vor dem Herrn, an ihm oder in ihm heißt sie jetzt, Freude an seinem Heil, seiner Gnade, seinem Gesetz, seinem ganzen Tun, aber echte, irdische, menschliche Freude ist sie jetzt erst recht: Erntefreude, Hochzeitsfreude, Festfreude, Siegesfreude – Freude nicht nur des inneren, sondern auch des äußeren Menschen: Freude, in der nicht nur Brot gegessen, sondern auch Wein getrunken, nicht nur geredet, sondern auch gesungen und gespielt, nicht nur gebetet, sondern auch getanzt werden darf und muß. Der Katalysator, ohne den sie die gebotene, die gehorsame Freude nicht sein kann, darf nicht vergessen werden. Aber auch dies ist nicht zu übersehen, daß es dem Menschen, der die biblische Botschaft hört und beherzigt, nicht erlaubt, sondern klar verboten ist, ein unfroher Mensch sein zu wollen.
Was heißt Freude? Gehen wir davon aus, daß Leben Bewegung in der Zeit ist: die Bewegung eines immer erneuten, von bestimmten Vorstellungen, Wünschen, Bindungen, Verpflichtungen, Hoffnungen geleiteten Erstrebens und Begehrens bestimmter kleiner oder großer Zwecke, naher oder ferner Ziele. Freude ist eine von den Formen, in denen diese Bewegung für einen Moment oder für einige Momente zum Stillstehen kommt: nicht nach ihrer objektiven, aber nach ihrer subjektiven Seite, im Lebensgefühl, das heißt in dem Gefühl, in welchem der Mensch sich selbst im Vollzug jener Bewegung empfindet, in seinem Dransein, in welchem er den Verlauf seines Daseins gewissermaßen begleitet, in seiner Stellungnahme zu den Ereignissen und Zuständen, die der Lauf seines Lebens mit sich bringt. Ein solches inneres Stillstehen kann zum Beispiel die Gelassenheit sein, in der ein Mensch sich wenigstens vorübergehend in bestimmte Wendungen und Verhältnisse seines Lebens ergibt, sich tant bien que mal, in der Erkenntnis, daß er keine andere Wahl hat, mit ihnen abfindet. Freude ist auch ein solches vorübergehendes Stillstehen. Aber Freude ist natürlich mehr und etwas Anderes als Gelassenheit. Jenes Stillstehen könnte auch das der Zufriedenheit sein, in der ein Mensch seinem Dasein gegenüber in bestimmter Lage so dran ist, daß er es sich unter Zurückstellung von allerhand Fragen, Sorgen und Einwänden für einmal recht sein lassen, es so wie es ist, in Ruhe und Aufrichtigkeit bejahen kann. Aber Freude ist mehr und etwas Anderes als Zufriedenheit. Freude ist die eigentlichste Form alles solchen inneren Stillstehens. Freude hat der Mensch nämlich dann, wenn es in seinem Leben zu einer großen oder kleinen Erfüllung seines bewußten oder unbewußten Wünschens, Begehrens, Strebens kommt, wenn ein Ereignis oder eine Wendung eintritt, ein Zustand Wirklichkeit wird, den er darum begrüßen und willkommen heißen kann, weil er offen oder heimlich eben darauf gewartet hatte. Freude hat der Mensch, wenn er für einmal am Ziel oder doch an einem Ziel ist. Sein Leben als Bewegung in der Zeit hat ihn an einen Punkt geführt, auf dem es ihm fürs erste keine Mühe mehr macht, auf dem es sich selbst vielmehr als Geschenk darstellt und darbietet, und zwar als das Geschenk dessen, was er selbst sich als Leben (wenn auch nicht als dessen Totalität, so doch unter einem bestimmten Gesichtspunkt) gedacht oder doch erahnt und erträumt, was er sich vom Leben versprochen hatte. Das Leben lacht ihn an, und zwar nicht höhnisch, nicht ironisch (wie es das auch tun kann), sondern freundlich, und nicht unbekannt, sondern irgendwie sehr bekannt, weil er es von sich aus irgendwie so gemeint hatte, wie es nun kam, so daß fürs erste auch er einmal lachen darf. Freude ist eigentlich die einfachste Form der Dankbarkeit. Wenn Einer sich freut, dann steht für ihn die Zeit einen Augenblick oder auch ein paar Augenblicke still, weil sie ihren Sinn als Raum seiner Lebensbewegung zunächst erfüllt hat, weil er, in seiner Lebensbewegung begriffen, zunächst, wenigstens in bestimmter Hinsicht, dort angelangt ist, wo er hinstrebte. Und je größer seine Freude ist, desto unnötiger wird es ihm erscheinen, daß es nachher noch mehr Zeit und Bewegung geben soll. Er freut sich eigentlich schon nicht mehr, wenn er es natürlich findet, daß es nun dennoch weitergehen soll. Sofern und solange einer sich freut, möchte er eigentlich nur die Dauer jener Erfüllung, jener Geschenkgestalt seines Lebens und also die Dauer des freudigen Augenblicks. Das gibt es nun freilich nur in einem einzigen Fall von Freude, nämlich in dem dessen, was in der heiligen Schrift die ewige Freude und Wonne in der vollendeten Gemeinschaft mit Gott heißt. Aber gerade dieser eine, einzige Fall ist exemplarisch für Alles, was Freude heißt. Eben das Verlangen nach Dauer ist nämlich – auch wenn es nur in jenem einen einzigen Fall zur Verwirklichung führt – aller Freude als solcher wesensmäßig eigentümlich. Warum? Ganz einfach darum, weil Freude die Dankbarkeit für eingetretene Erfüllung ist.
Faust verschmäht und verschwört es zwar bekanntlich, zum Augenblicke je zu sagen: «Verweile doch, du bist so schön!» Aber Faust ist in dieser Sache kein legitimierter Zeuge. Er weiß ja notorisch nicht, er soll es jedenfalls nach seines Schöpfers Goethe Vision und Darstellung durchaus nicht wissen dürfen, was Freude ist. Und man wird ja auch nicht übersehen dürfen, daß es im Zuge eines Kontraktes mit dem Teufel geschieht, wenn Faust es verschwört, jenes «Verweile doch!» auszusprechen, und daß er dann endlich und zuletzt im zweiten Teil doch zu erfahren scheint, was Freude ist, das Verschworene dennoch ausspricht und also hinsichtlich des Verlangens aller Freude nach Dauer Schiller doch recht bekommt: «Den Glücklichen schlägt keine Stunde» und diesmal sogar Nietzsche: «Alle Lust will Ewigkeit».
Aber daß die Freude nach Dauer begehrt, das hat uns nun nur um ihres Wesens willen interessiert. Unsere Frage lautet: Gibt es einen Willen zur Freude? und wenn ja: wie ist er beschaffen und nicht beschaffen, wenn er ein rechter, guter, gehorsamer Wille, wenn die begehrte Freude in den Grenzen, in denen sie das sein kann, Erfüllung und also von einer eitlen, leeren, bösen Lust verschieden, wenn sie vielmehr der echte Akt jener einfachsten Dankbarkeit ist?
Es läge sehr nahe, es wäre aber doch voreilig, zu sagen, daß man Freude nicht wollen, sondern eben nur haben könne. In Wirklichkeit ist es vielmehr so und muß es auch so sein, daß der Mensch ganz selten – und dies nun wirklich nur in fliehenden Momenten – Freude hat: Freude an etwas nämlich, das Erlebnis der Erfüllung selbst und als solches. Er wäre ein armer Tropf, wenn er darauf angewiesen wäre! «Ich freue mich» heißt vielmehr in der Regel – und das ist denn auch ganz in der Ordnung – «ich freue mich auf». Freude ist in der Regel Vorfreude. Sie pflegt sich sogar im Erlebnis der Erfüllung selbst alsbald – und gerade, wenn dieses Erlebnis echt ist – in Vorfreude, das heißt in die Freude auf weitere Erfüllungen zu verwandeln. Sie pflegt insofern in der Regel so etwas wie einen eschatologischen Charakter zu haben. Und eben insofern ist es durchaus am Platz, nach dem rechten Willen zur Freude zu fragen.
Das Erste, was dazu zu sagen ist, ist dies, daß es bestimmt vom Menschen gefordert ist, sich für die Freude immer wieder in Bereitschaft zu halten.
Was in den biblischen Imperativen: «Freuet euch!» gesagt ist, ist freilich mehr als das. Sie verkündigen den Einbruch, das Ereignis, die Gegenwart der Freude selbst, und zwar der vollkommenen, ewigen Freude. Sie stellen sie auf den Plan. Sie werden eigentlich nur dann recht gehört und verstanden, wenn sie und indem sie den Menschen in die Freude – diese Freude – unmittelbar hereinreißen. Sie greifen damit über alle Ethik weit hinaus. Sie haben aber doch auch ethischen Gehalt und besagen insofern eben dies: daß der Mensch sich für die Freude bereithalten soll.
Es ist wirklich auch das Gebot der Ehrfurcht vor dem Leben, in welches dieses Gebot eingeschlossen ist. Es geht jetzt darum, daß das Leben ein uns von Gott gemachtes Geschenk ist: kein bloßes Faktum, kein Schicksal, geschweige denn ein über den Menschen verhängtes Unheil, sondern als Werk Gottes des Schöpfers eine Gabe seiner Gnade, seines Wohlmeinens, seiner überaus herrlichen Absicht mit dem Menschen. Wie könnte er es im Gehorsam leben, wenn er es gewissermaßen nur sich abrollen lassen, wenn er es nur als jene Bewegung in der Zeit durchexerzieren und nicht darauf gefaßt sein wollte, daß es sich als das göttliche Gnadengeschenk, das es ist, je und je auch offenbaren und erweisen, darstellen und darbieten möchte, wenn er sich nicht immer wieder auf etwas freuen wollte? Das «etwas» sind aber die Augenblicke, in denen sein Leben sich ihm als Gottes Gnadengeschenk bekannt macht, in denen mitten in der von ihm erlebten und vollzogenen Bewegung etwas aufblitzt an Erfüllung, in denen durch alles Laufen, alle Anstrengung, allen Kampf und Krampf, in welchem er es leben muß, hindurchbricht die Dankbarkeit dafür, daß er es leben darf. In der Ehrfurcht vor dem Leben kann es nicht anders sein, als daß er ihm solches zutraut, daß er auf das Eintreten solcher Augenblicke und also auf die Freude gefaßt und für sie bereit ist – also gerade nicht nur bereit zum Weitereilen im eigenen Werk des Lebens, sondern auch zum Stillstehen in der Dankbarkeit für das, was das Leben als Gottes Gabe vor und nach und über allen seinen eigenen Werken in Wahrheit ist.
Freude hat insofern eine Affinität zu dem, was wir in einem früheren Zusammenhang als den die Arbeitswoche unterbrechenden, beschließenden und vor allem eröffnenden Feiertag kennengelernt haben. Und die dem Menschen gebotene Bereitschaft zur Freude könnte insofern auch einfach als eine Applikation eben des Sabbatgebotes verstanden werden.
Man kann sich gegen die Freude verschließen, abstumpfen, verhärten. Man kann sich auf das Leben in der Bewegung versteifen wollen. Man kann nur noch geschäftig sein wollen und eben damit in der Erwartung von Erfüllungen träge werden. Man kann das Leben für eine so feierliche Sache halten, daß man durchaus nicht feiern will. Man kann einen gläsernen Ernst für die höchste Pflicht und Tugend halten. Man kann es mit der Berufung auf irgendwelche erlebte Enttäuschungen begründen wollen, daß man zur Verbitterung – denn darum geht es – geradezu ein Recht habe. Es ist klar, daß man dann tatsächlich auch nie Freude haben wird. Wie sollte man schon, da ja die Freude ihren eigentlichen Sitz gerade in der Vorfreude hat! Aber daß man dann tatsächlich ein freudloser Mensch wird, ist nur das Symptom dafür, daß man sich, indem man sich verbittert, am Leben selbst und an Gott als seinem Schöpfer vergeht. Dies ist es, was hier vor allem nicht geschehen darf.
Aber nun ist weiter zu bedenken, daß es sich bei der uns gebotenen Bereitschaft wirklich um die Bereitschaft zur Freude handeln muß. Sich freuen heißt: erwarten, daß das Leben selbst sich als Gottes Gnadengeschenk offenbare, in vorläufigen Erfüllungen dessen, was es als Bewegung meint, sich selbst darstellen und darbieten möchte. Sich freuen heißt: ausschauen nach herbeikommenden Gelegenheiten zur Dankbarkeit. Sich im gebotenen Sinn freuen unterscheidet sich schon dadurch von einer eitlen, leeren, bösen Lust, daß es die Hoffnung auf ein Empfangen ist, nicht der gierige Ausblick auf ein Nehmen, auf ein Ereignis, das man selbst herbeiführen und in Szene setzen, auf einen Zustand, den man selbst so und so konstruieren, mit diesem und diesem Apparat auf bauen wird. Wir stehen hier vor der gefährlichen Klippe aller gewollten Freude. Ohne irgendwelche große oder kleine Unternehmungen der Ermöglichung, Herbeiführung und Zubereitung wird es ja, wenn Einer sich auf Etwas freut, nie ganz abgehen. Und gerade in solcher inneren und wohl auch äußeren Zubereitung pflegt sich ja die Freude als Vorfreude am intensivsten auszuleben. Aber man sehe wohl zu und bedenke genau: die wirkliche Freude kommt und ist da wie der Heilige Geist – und es ist wohl wirklich jedesmal der Heilige Geist, der kommt und da ist, wo es zu wirklicher Freude kommt. Das heißt aber: sie kommt und ist da, wie sie will, und man weiß nicht, von wannen sie kommt, noch wohin sie fährt. Man kann ihr wohl in der Vorfreude Gelegenheiten schaffen, man kann sie aber weder machen, noch konstruieren noch herbeiführen, noch gar herbeizwingen durch allerhand Pläne und Maßnahmen. Die ohne dieses Bedenken zubereiteten Freuden sind, wenn sie endlich da sind und erlebt werden sollten, wenn kein Wunder geschieht, immer schon verdorbene Freuden, Tot- oder Mißgeburten, kein Stillstehen vor dankbar zur Kenntnis genommenen und erlebten Erfüllungen, sondern unruhige Fortsetzungen des Lebens als Mühe und Anstrengung, nicht süßen, sondern bitteren Geschmackes, nicht nach Dauer, sondern im Grunde nur nach raschem, gnädigem Vorbeigang rufend, keine Oasen in der Wüste, sondern selber nur Wüste.
Hier wäre Vieles zu sagen über Feste: Familienfeste, Vereinsfeste, Volksfeste, individuelle und private Feste, die der einzelne Mensch sich in aller Stille allein oder zu zweit oder zu dritt zu gönnen pflegt, nicht zu vergessen auch die christlichen Feste, mit denen die Kirche – ob sie wohl wußte, was sie damit tat? – das sogenannte Kirchenjahr im Wettlauf mit den Festen der Weltkinder so reichlich ausgestattet hat. Müssen alle diese Feste wirklich gefeiert werden: weil da wirkliche Freude, dankbare Entgegennahme irgend einer Erfüllung erwartet ist? Müssen sie aber nicht gefeiert werden, weil diese Erwartung im Grunde gar nicht besteht, weil vielleicht die Wenigsten unter den Beteiligten auch nur wissen, was Freude ist, auch nur die richtige Vorfreude haben, warum werden sie dann gefeiert? Feste sind vorgesehene und entsprechend organisierte Freuden. Warum sollte es keine Feste geben? Warum sollten sie – angenommen, Freude sei dabei wirklich vorgesehen – nicht geplant, vorbereitet, veranstaltet werden? Aber warum sind sie nur so oft gar nicht lustig? Warum muß man sich dabei so oft nur einreden, vielleicht den Anderen zuliebe einreden, daß sie lustig seien? Warum ist man oft so herzlich froh, wenn alles ohne allzu großen Schaden, Unfug und Verdruß wieder einmal vorüber ist, das gewöhnliche Leben wieder aufgenommen werden darf? Warum pflegen die Feste die gelungensten zu sein, die man gar nicht vorgesehen und vorbereitet hat, die man nur eben feiert, wie sie fallen – wirklich gewissermaßen vom Himmel fallen? Offenbar darum, weil es nun einmal kein noch so eifrig, noch so kunstvoll unternommenes Werk, keinen noch so wohlausgesonnenen und reich ausgestatteten Apparat gibt, mit dem man die Freude herbeiholen könnte! Weil nicht einmal die echte Vorfreude, in der man einen solchen Apparat vielleicht tatsächlich in Bewegung gesetzt hat, eine Garantie dafür ist, daß die Freude dann auch wirklich kommt und da ist! Geschweige denn die unechte! Es ist mit den Festen wie mit den ja auch regelmäßig wiederkehrenden und planmäßig durchzuführenden Ferien, mit denen sie ja auch begrifflich Vieles gemeinsam haben. O wie kann man sich die Ferien durch die ihnen voranlaufenden Überlegungen und Sorgen über ihr Wo? und Wie? im voraus zerreden, zur Mühsal und schließlich kaputt machen, wo doch auch sie wie ein von Engeln getragenes Gefäß mit köstlichem Inhalt einfach zu uns herunterkommen, sich selbst frei gestalten und dann wirklich fröhlich gefeiert werden könnten! Nun, es gibt trotz aller Vorbereitungen auch wirkliche Ferien und so auch wirkliche Feste, wer wollte das leugnen? Aber es müßte vielleicht noch einmal eine Radikalkur in Form einer entschlossenen Abschaffung oder doch Demontage der meisten üblichen und besonders der regelmäßig wiederkehrenden Feste ins Auge gefaßt werden, wenn die arme Menschheit und besonders auch die arme Christenheit es wieder allgemein lernen sollte, wirkliche Freudenfeste zu begehen und dann auch die entsprechende Festfreude zu erleben.
In weiterer Überlegung der Frage nach der gebotenen Freude wird dann gewiß auch dies zu sagen sein: daß man Freude nur haben kann, indem man auch Freude macht, daß man sie also auch nur wollen kann, indem man sie auch machen will. Wie die Gesundheit, so ist auch die Freude jedenfalls auch eine soziale Angelegenheit. Es mag Fälle geben, wo einer einmal auch ganz allein für sich lustig sein kann. Aber das sind gefährliche Grenzfälle. Das Leben ist wohl ein einem Jeden für sich, es ist aber eben als solches auch ein ihm in seiner Beziehung zum Mitmenschen gemachtes Geschenk. Und wie er es nicht für sich leben kann, so kann er auch die Manifestation seines Charakters als göttliches Gnadengeschenk grundsätzlich nicht für sich haben, er kann für seine Erfüllungen grundsätzlich nicht in irgend einer Einsamkeit und Ichbezogenheit dankbar sein. Es wäre für den Charakter seiner Freude als wirkliche Freude mindestens verdächtig, wenn er nicht – «Freuet euch mit mir!» – wollte, daß der Andere (mindestens ein Anderer oder mehrere, vielleicht auch viele, als die Repräsentanten aller übrigen) auch dabei wären. Und es wäre mehr als verdächtig, wenn er sie etwa gar nicht dabei haben wollte. Man kann es sich leisten, sich solche ausschließlich eigene Freude verschaffen zu wollen, aber man sehe wohl zu: sie wird, wenn kein Wunder geschieht (und Wunder zu diesem Zweck sind schwer denkbar!), in keinem Fall wirkliche, helle, aufrichtige Freude sein. Um nicht zu reden von der Freude, die sich, bekannt unter dem Namen der Schadenfreude, geradezu gegen die Anderen richtet! Will man aber den oder die Anderen dabei haben, so heißt das, daß man Freude nicht nur haben, sondern eben auch machen, schenken, verbreiten will. Man macht sich selbst dann verantwortlich dafür, daß die Anderen auch Freude haben. Das ist aber gar nicht so einfach. Damit ist es nämlich nicht getan, daß man ihnen an dem, was einen selber freut, auch Anteil gibt. Das ist zwar lobenswert, aber was weiß ich, ob eben das, was mich freut, nun wirklich auch sie freut? Und es ist auch damit nicht getan, daß man irgend etwas aussinne und ins Werk setze, von dem man zu wissen meint, daß es für diesen und jenen Menschen ein Anlaß zur Freude sein könnte. Wie, wenn solches scheinbar großmütige Unternehmen im Grunde doch nur eine neue Form wäre, in der ich selbst ganz unbekümmert um die Anderen, meine Freude haben will? Was gefordert ist, ist schon dies, daß ich mich gewissermaßen vom Anderen her frage, was nun gerade ihm Freude machen könnte, und daß ich dann eben dies bedenke und ins Werk setze. Gerade hier fallen in dieser Sache wichtigste Entscheidungen, kann größte Freude, kann aber auch tiefste Enttäuschung Ereignis werden. Freude zu zweit, oder Freude in Gesellschaft, in der man sich wirklich gegenseitig Freude machen will, ist eine köstliche Sache und eben darauf, daß es dazu kommt, beruht wohl das Geheimnis eines gelungenen Festes als eines wirklichen Freudenfestes. Es kann aber auch alle Freude für Jeden und Jedermann eben daran zuschanden werden, daß man zwar miteinander, aber nun doch bei aller scheinbaren Gemeinsamkeit und vielleicht auch bei aller gegenseitigen Anstrengung Jeder nur seine Freude haben will. Die gebotene Freude ist es dann nicht, die man will, und man darf sich dann auch nicht wundern, wenn die Freude in dem Augenblick, wo es nach langem Kochen zum fröhlichen Schmaus kommen sollte, die wirkliche Freude nicht, sondern nur deren Gespenst sein kann.
Ein Kriterium des richtigen Willens zur Freude ist ferner seine Souveränität gegenüber deren Anlässen, Gelegenheiten und Gegenständen. Wer die rechte Freude suchen will, der ist nicht gebunden an bestimmte Arten von Freude, so daß er diese immer auf den gleichen Linien erwarten und aufsuchen müßte, sondern er ist fähig zu vielerlei Freuden. Er weiß ja um die große Freiheit des Lebens selbst, das seine Erfüllungen jetzt so, jetzt so aufleuchten läßt. Er ist darum einfach dankbar für das, was kommt und für jede Art, in der es kommt. Er will weder dem Leben, noch der Freude, noch sich selbst ein Gesetz auferlegen. Er ist offen, er ist erfinderisch nach allen Seiten. Er kann springen und tut es: nicht eigenmächtig, sondern indem er sich an das hält, was ihm jetzt hier, jetzt dort entgegenkommt. Es muß nichts sein. Aber wie vieles darf sein, wenn es nur um die echte Dankbarkeit für echte Erfüllung geht! Indem er sich in diesem Sinne auf Vieles freuen kann, ist er gerade auf diesem Feld, wo es so viel blöde Tradition, Routine, Zwang, allgemeine und individuelle Vorurteile und darum so viele Enttäuschungen, so viel verpaßte und verpfuschte Gelegenheiten gibt, ein freier Mann. Man erkennt die rechte, gebotene Freude also schon daran, daß sie die Freude des in diesem Sinne freien Menschen ist.
Es ist vielleicht doch gut, hier auch das Banalste ausdrücklich zu erwähnen: daß der Wille zur Freude sich natürlich nicht nach der Quantität seiner möglichen Anlässe und Gegenstände richten kann, sondern Bereitschaft auch für die kleinen und kleinsten Freuden sein muß, weil, wer die kleinen nicht ehrt, auch der großen nicht wert ist und weil es sehr wohl sein kann, daß im gegebenen Fall gerade eine ganz kleine Freude, die man sich nicht entgehen läßt (oder auch einem Anderen zuwendet!), die im Augenblick vielleicht für lange höchstmögliche Erfüllung sein könnte.
Es gibt auch materielle Freuden, und es besteht kein Anlaß, ihnen, wenn sie nun eben kommen, grundsätzlich aus dem Weg zu gehen oder hochmütig so zu tun, als ob sie keine Freuden wären. Es besteht aber immerhin Anlaß zu der warnenden Erinnerung, daß sie auch in Kreisen und bei Personen, bei denen man es nicht vermuten würde, ein unheimliches, ein etwas beschämendes Schwergewicht gewinnen können. Der Mensch kann sehr schnell trivial werden – vielmehr: die tiefe Trivialität, die in jedem Menschen steckt, kann sehr schnell an die Oberfläche kommen, wenn er sich nach dieser Seite – in der Richtung des Tellers und der Flasche! – gehen oder vielmehr gefangennehmen läßt. Man versteht darum schon, daß Viele sich hier große Reserven meinen auferlegen zu sollen, und wenn es dabei ohne Übertreibungen nicht abgehen sollte, so sind sie jedenfalls immer noch besser als die in der entgegengesetzten Richtung.
Wohl dem, dessen Augen und Ohren nach der ästhetischen Seite des Daseins offen sind. Man kann seine Aufnahmefähigkeit und seinen Geschmack nach dieser Seite übrigens auch vertiefen, entwickeln, schulen, bilden und wird dann an Anlässen und Gegenständen der Freude nie ganz arm sein können. Warum sollte der Wille zur Freude nicht sehr wohl in einer kleinen oder auch größeren Anstrengung gerade nach dieser Seite bestehen können? Wiederum gibt es einen Exklusivismus und Totalitarismus des Ästhetischen, dessen Vertreter in der Regel nicht gerade den Eindruck glücklicher, gelöster, heiterer Menschen machen und denen man jedenfalls darum gerne aus dem Weg geht, weil sie in ihrer Umgebung meist wenig oder keine Freude zu verbreiten vermögen.
Man kann an der Natur und man kann im Verkehr mit den Menschen Freude erleben, und es stimmt etwas nicht, wenn Jemand entweder für beide oder, sei es für die Natur, sei es für die Menschen, blind und taub ist, oder wenn er sich auf der Suche nach der Freude vielleicht abwechselnd auf der Flucht vor der Natur in die Gesellschaft der Menschen oder umgekehrt auf der Flucht vor den bösen Leuten zu der angeblich reinen Natur befindet. Wie denn überhaupt alle auf solcher Flucht gesuchten und vermeintlich erhaschten Freuden etwas tief Verdächtiges haben und zu wirklichen Freuden schwerlich werden dürften.
Man vergesse aber schließlich nicht, daß ein in dieser Hinsicht wirklich unter keinem Zwang stehender, sondern freier Mensch die Freude gar nicht nur irgendwo abseits, in Form irgend einer Sonntags- oder Feiertagsfreude, sondern auch mitten im Alltag seiner Arbeit suchen wird. Und wer weiß, ob sie nicht eben hier sogar am Reinsten und Stärksten zu finden ist. Es ist wahr, daß heute lange nicht alle Arbeit angetan ist, Freude zu machen. Die Wissenschaft und die Kunst aber, und so auch das Handwerk und so auch die Arbeit des Bauern sind weite Felder, auf denen der Mensch vielleicht nicht immer, aber doch oft genug mit Freude arbeiten kann, und die er als ein offenbar Untauglicher schamvoll verlassen sollte, weil er sie verunehrt, wenn er da wirklich gar keine Freude erleben sollte. Und ist es nötig, zu sagen, daß das vor allem auch von der Arbeit des Pfarrers gelten muß?
Ein weiteres Kriterium der rechten Freude ergibt sich aus ihrer Beziehung zu den übrigen Determinationen des menschlichen Lebens. Wenn Freude dankbar wahrgenommene und genossene Erfüllung ist, dann ist sie als außerordentliches Ereignis, als jenes vorübergehende Stillstehen im Laufe des Lebens, als das Erreichen eines kleineren oder größeren Daseinshöhepunktes, eine Intensivierung, Stärkung, Vertiefung und Erhöhung des ganzen Lebensgefühls, das ja als solches nicht nur Freude sein kann. «Alle Tage Sonnenschein» wäre und ist bekanntlich zu viel, könnte sogar ein Versiegen des Grundwassers und der Quellen und also Wassermangel nach sich ziehen. Wir leben auf keinen Fall von den Erfüllungen, die uns das Leben jetzt und hier zu bieten hat. Wir können nur mit ihnen leben. Sie können uns nur zur Erquickung, zum Trost, zur Ermunterung dienen. Und eben das ist ein weiteres Kriterium ihrer Echtheit: ob sie uns diesen Dienst leisten oder nicht leisten? Es gibt – und das will beim Willen zur Freude, bei der Auswahl dessen, was man sich als Freude zu gönnen gedenkt, wohl bedacht sein – auch solche Freuden, die für das übrige Leben nichts als Verwirrung und Störung bedeuten, von denen Ermüdung, Überdruß und Langeweile ausgeht, die das Lebensgefühl schwächen, veräußerlichen, herunterdrücken, die den nach Genuß Begehrenden nicht fröhlicher, sondern im Grunde nur noch trauriger, nicht mutiger, sondern nur noch ängstlicher, nicht ruhiger, sondern nur noch unruhiger machen. Es ist klar, daß dies keine wirklichen, sondern dämonische Pseudofreuden sind. Man sehe auch unter diesem Gesichtspunkt wohl zu, auf was man sich nun eigentlich freut, was für Gelegenheiten zur Freude man sich nun eigentlich schaffen will!
Man kann zum Beispiel nicht auf Kosten seiner Gesundheit Freude haben wollen, weil ihre Erhaltung als die Kraft zum Menschsein jedenfalls eine Voraussetzung ist, mit deren Gefährdung und Preisgabe man den Ast absägen würde, auf dem man sitzt, durch deren Bedrohung und Verlust alle weitere Freude in Frage gestellt würde.
Man kann sich auch nicht auf Kosten seiner Arbeit freuen, das heißt man kann auch, indem man sich freuen will, sein Werk nicht etwa aus den Augen verlieren, es nicht etwa vergessen wollen. Sein vorübergehender Stillstand ist eine Wohltat. Seine Mühe und Sorge mag und soll man für einmal auch hinter sich lassen wollen: das Werk selber aber muß gegenwärtig und wichtig bleiben, gerade auch als Mahnung hinsichtlich dessen, was einem zur wirklichen Freude werden kann. Wer nachher nicht erst recht wieder gern arbeiten mag, der hat sich gewiß umsonst und nur illusionär gefreut. Und der muntere Fortgang der Arbeit ist ja auch eine Voraussetzung dafür, daß man sich jetzt nicht etwa zum letzten Mal freut, sondern weiterer Freude entgegensehen darf.
Daß man sich auch nicht auf Kosten seiner Mitmenschen, sondern eigentlich nur mit ihnen. eigentlich sogar nur so freuen kann, daß man auch ihnen Freude macht, haben wir schon berührt: es gibt einen ganzen Ozean von angeblicher Lust, die nur schon darum unmöglich wirklich lustig sein kann, weil man dabei allerlei Anderen zu viel Unlust bereitet und also selber zu unmenschlich denkt, vorgeht und handelt, als daß man eine effektive, ernstliche Erholung auch nur seines eigenen Lebensgefühls davon erwarten könnte.
Und hier faßt sich natürlich Alles zusammen in der Erinnerung, daß man sich nicht auf Kosten seines Gewissens, seiner συνείδησις, das heißt seines Einverständnisses mit Gott freuen wollen kann, nicht in Zufallsund Willkürakten, nicht auf Konto künftiger Sündenvergebung, als ob man eine Anweisung auf solche in der Tasche habe, sondern nur in der Freiheit seiner Verheißung, die den Menschen gilt, die sich schlecht und recht an sein Gebot halten, die sich ihm verantwortlich wissen, die sich zuerst und zuletzt an ihm selbst als dem Schöpfer und Herrn des Lebens, als dem Geber und Offenbarer auch aller seiner vorläufigen Erfüllungen freuen wollen.
Wir kommen zu einer vorletzten Erwägung: Weil unser Leben als ein geschöpfliches Leben gar nicht uns selbst, sondern, indem Gott es uns gibt, ihm gehört – weil wir es überdies als die Rebellen gegen ihn, die wir sind, verwirkt haben und nur in der Kraft seiner Barmherzigkeit leben können, darum kann es offenbar gar nicht an uns sein, eindeutig und abschließend darüber befinden zu wollen, was nun eigentlich unseres wirklichen Lebens wirkliche Lust ist, in was nun jene uns zur Dankbarkeit aufrufenden Erfüllungen eigentlich bestehen sollen. Wir meinen sie hier, wir meinen sie dort suchen zu sollen, weil uns jetzt Dieses, jetzt Jenes als Licht oder doch Erheiterung erscheint, als Wärme, als Wohltat, Erquickung, Trost und Ermunterung, weil wir uns jetzt von Diesem, jetzt von Jenem Erholung versprechen: Heraufholung dessen, was uns in all unserem Tun und Lassen als das eigentlich Gemeinte vorschwebt. Aber was wissen wir schon, was dieses eigentlich für uns Gemeinte und also unsere wahre Lust ist? Gott weiß es. Gott entscheidet darüber. Das bedeutet aber, daß unser Wille zur Freude, unsere Bereitschaft für sie, auch nach dieser Richtung – in der Richtung seines uns unbekannten, ja dunklen Verfügens – weit offen werden muß, um die in dieser Sache gebotene, die rechte und gute Bereitschaft zu sein. Sie darf am Leid des Lebens nicht ihre Grenzen haben, weil auch des Lebens Leid (oder was wir dafür halten) von Gott kommt, von demselben, der uns aufruft, uns zu freuen. Er hat dem Kosmos und so auch unserem Leben einen Tages- aber auch einen Nachtaspekt gegeben, und wir haben zu bedenken, daß seine Güte als Schöpfer und Herr auch in des Lebens Nachtaspekt dieselbe und nicht geringer ist als in seinem Tagesaspekt. Und ferner: er richtet die Welt und so auch unser Leben. Er hat das in Jesus Christus ein für allemal getan und hat dem Kosmos eben damit seine Hoffnung, unserem Leben eben damit seine Verheißung gegeben. Aber noch steht der Kosmos und noch verläuft auch unser Leben im Schatten des Kreuzes, an dem dieses Gericht zum Heil der Welt und zu unserem Heil vollstreckt worden ist. Wir dürfen uns nicht wundern und ärgern, in diesem Schatten zu leben. Wir dürfen uns nicht weigern, die Manifestationen der Herrlichkeit Gottes und unserer eigenen Lebensherrlichkeit auch in der Verborgenheit dieses Schattens aufsuchen zu müssen. Wir müssen uns ja sogar darüber klar sein, daß all das vorläufige Licht, das wir als solches erkennen und genießen zu können meinen, in Wahrheit aus diesem Schatten hervorbricht, daß alle die kleinen Erfüllungen, derer wir uns freuen dürfen, nur Ausstrahlungen sind der großen Erfüllung, die eben dort, in der Finsternis, Ereignis geworden ist, in die Gott selbst in seinem Sohn sich für uns begeben wollte, und alles Erkennen und Erleben solcher Erfüllungen nur ein Vorschuß auf die umfassende und endgültige Offenbarung dieser großen Erfüllung. Das bedeutet aber praktisch: daß die eigentliche Bewährung unserer Lebenslust als einer gebotenen und also rechten und guten Lust darin stattfinden muß, daß wir dem Schatten des Kreuzes Jesu Christi nicht ausweichen, daß wir nicht unwillig sind, uns auch im Tragen des uns verordneten Lebensleides als echt und recht freudige Menschen durchzusetzen. Wie, wenn auch die eigentlichen, die stärksten, erquickendsten und dauerhaftesten zeitlichen Erfüllungen nun eben dort auf uns warteten, wo wir sie in unserer Einfalt, die übrigens auch unsere Verblendung sein könnte, nun gerade nicht suchen möchten: in den uns widerfahrenden Versagungen, Hemmungen und Störungen, unserer Konfrontierung mit des Lebens Nachtaspekt – und darüber hinaus: in unserer Konfrontierung mit dem durch die Sünde in die Welt gekommenen Tod, mit Gottes Gericht, kurz: in dem großen Ja, das Gott tief verborgen in und unter seinem Nein gesprochen und verwirklicht hat? Es geht also nicht um eine Begrenzung der Freude, nicht darum, daß wir uns statt nur auf Freude auch darauf gefaßt machen müßten, gelegentlich auch jene Apathie der Stoiker zu bewähren. Es geht nicht um die Bereitschaft zu bloßer Gelassenheit oder auch zu bloßer Zufriedenheit. Die mögen auch gute Tugenden sein, sind aber doch mehr heidnische, als christliche Tugenden. Es geht um die Fortsetzung eben der Freude selbst mitten ins Leid hinein. Es geht um die Erprobung unserer Freude, die darin besteht, daß unsere Genußfähigkeit als solche sich auch als Leidensfähigkeit erweist, als Bereitschaft, das Geheimnis und Wunder des uns von Gott gegebenen Lebens, seine Schönheit, seinen Glanz und seine Wärme, die Wohltat, die Erquickung, den Trost, die Ermunterung, die es als Gottes Gabe ausstrahlt, auch da in Ehrfurcht und also in Dankbarkeit und also freudig entgegenzunehmen, wo es sich uns in seiner Fremdgestalt darstellt und darbietet. Ob unsere Bereitschaft zur Freude die Reife hat, in der sie auch in dem durchhält, was wir für des Lebens Tiefen halten zu müssen meinen, das ist unter diesem Gesichtspunkt das Kriterium in der Frage, wie es mit ihrem Gehorsamscharakter dort bestellt ist, wo wir des Lebens Höhen sehen zu dürfen meinen. Wenn sie dort, indem sie durchhält, Gehorsam ist, dann – aber auch nur dann – ist sie es auch hier, gibt es eine Freiheit zur Freude auch da, wo es uns nicht schwer, sondern leicht fällt, uns zu freuen. Der Mensch wird sich dann sicher auch hier an das halten, was nicht er selbst, sondern Gott für seine wahre Freude hält.
Und nun noch ein letztes Wort, mit dem wir auf unsere Definition der Freude als eine in Dankbarkeit entgegengenommene, vorläufige Lebenserfüllung zurückkommen. Alles, was wir als Freude jetzt und hier erkennen und erleben, ob leicht oder schwer, ob auf der Tages- oder auf der Nachtseite des Lebens, ob als Gnade im Gericht oder ob als Gericht in der Gnade – ist vorläufige Erfüllung. Das ist der theologische Grund der Tatsache, daß unsere Freude ihren eigentlichen Sitz immer in der Vorfreude hat. Alle unsere Freude ist tatsächlich, auch wenn sie da ist und scheinbar aufs Höchste da ist, Vorfreude. Wie sollte sie darum weniger Freude sein, weniger als solche erkannt und erlebt werden dürfen? Das Ganze unseres Lebens ist vorläufig, kann nur in Erwartung des ewigen Lebens, das heißt in Erwartung der Offenbarung seiner Verbundenheit mit dem ewigen Leben Gottes gelebt werden. Eben so auch die großen und kleinen Erwartungen, in denen wir uns je und je auf etwas freuen dürfen, so auch deren mehr oder weniger vollständige Erfüllungen. Wir brauchen uns jetzt und hier nicht umsonst zu freuen. Wir haben schon jetzt und hier Anlaß dazu. Es gibt schon jetzt und hier auch Lebenserfüllungen, die dann als solche in Dankbarkeit entgegengenommen werden dürfen. Wir haben uns die Ethik dieser Entgegennahme klarzumachen versucht: die Kriterien, die zu bedenken sind, wenn es dabei mit rechten Dingen zugehen soll. Aber auch diese Erfüllungen sind vorläufig. Das erweist sich schon darin, daß sie zwar trotz Faust nach Dauer rufen und dann faktisch doch vorübergehen, dann doch auch nach neuen Erfüllungen rufen und, wenn sie recht aufgenommen sind, die Voraussetzungen weiterer Erfüllungen bilden. Das erweist sich aber auch an der Beschränktheit, Teilhaftigkeit und Gebrechlichkeit, die ihnen allen und die auch unserem Begehren nach ihnen eigentümlich ist. Und das erweist sich nicht zuletzt darin, daß zu ihrer rechten Entgegennahme so viel Ethik nötig ist. So kann denn auch alle Ethik, gerade als Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben in dieser besonderen Zuspitzung nur vorläufige, nur Interimsethik sein. So muß sie mit ihrem letzten Wort über sich selbst hinausweisen: Wille zur Freude muß in all den vorläufigen Gestalten, in denen wir ihn jetzt und hier betätigen mögen, der Wille zu jener ewigen Freude und Wonne sein, die unter allen Fällen von Freude der einzige ist, in welchem sie dauernde und vollkommene Freude sein kann: die abschließende Offenbarung der von Gott für uns vollbrachten und uns zugewendeten Lebenserfüllung. Aber was heißt hier Wille zur Freude? Hier kann er nur der durch die Hoffnung getragene Glaube sein, der sich an das Vollbrachte hält als das in jeder Gegenwart Zukünftige – an den Gott selbst, der der Quell alles Guten ist, der es von Ewigkeit her und in alle Ewigkeit und eben darum auch in der Zeit, jetzt und hier, gut mit uns meint, gut mit uns gemacht hat, macht und machen wird und dem wir eben dafür dankbar sein dürfen: jetzt und hier gerade weil alles Jetzt und Hier der große Vorlauf ist zu dem, was einst und dort offenbar werden und das Ziel sein wird.
Paul Gerhardt hat recht: «Geh aus mein Herz, und suche Freud!» Sein ganzes Lied müßte hier zitiert werden, von Strophe zu Strophe. Man lese sie wieder einmal nach und nehme sie zu Heizen! Aber die eine soll nun im Blick auf das zuletzt Gesagte doch angeführt sein:
Ach, denk ich, bist du hie so schön,
Und läßt du uns so lieblich gehen
Auf dieser armen Erden,
Was will doch wohl nach dieser Welt
Dort in dem reichen Himmelszelt
Und güldnen Schlosse werden?
Quelle: Karl Barth, Kirchliche Dogmatik, Bd. III/4, Zollikon-Zürich: EVZ, 1951, § 55, S. 426-439.