Kocku von Stuckrad über Dämonen: „Die Aufwertung der Dämonen als göttliche Gegenspieler zieht sich als roter Fa­den durch die gesamte Geschichte der europäischen Christentümer. Auf kollektiver Ebene behindern Dämonen die endzeitliche Erneuerung der Welt, auf individueller Ebene sabotieren sie (durch ‚Einflüsterungen‘ oder ‚Verfüh­rung‘) das gottgewollte gute Leben des Einzelnen. Die Kontrolle der Dämonen wird vor diesem Hintergrund zu einem wichtigen Element christlichen Lebens­welten.“

Dämonen

Von Kocku von Stuckrad

Der Begriff „Dämon“ hat eine lange und wechselvolle Geschichte, die bis in die griech. Antike zurückgeht. Die heutige, meist negativ auf­geladene Konnotation erhielt der Begriff v. a. durch die frühchristliche Um­wertung antiker Konzeptionen. Deshalb gehört die Rede von Dämon heute ebenso in das Feld religiöser Polemik wie eine theologisch ausformulierte Dämonologie. Weil „Dämon“ ein Begriff der (theologischen) Objektsprache ist, verwendet ihn religionswissenschaftliche Analyse nicht als eigene Katego­rie, sondern beschreibt seine je unterschiedliche Funktion in wechselnden religiösen Zusammenhängen. Um eine problematische Gegenüberstellung von Dämonen und Engeln zu vermeiden, findet sich in religionswissenschaftli­cher Literatur heute oft die Kategorie „Zwischenwesen“ oder „Grenzgän­ger“ als Vermittler zwischen Transzendenz (göttlicher Welt) und Imma­nenz (irdischer Welt).

Gewöhnlich leitet man das altgriechische Wort daimon vom Verb daimonai: teilen, zerteilen, ab. Ein daimon ist demnach ein Verteiler oder Zuteiler, und zwar von Schicksal und persönlichen Erfahrungen. In der griechischen Tradition werden die daimones deshalb als übernatürliche Wesen gese­hen, die als Glücksbringer oder auch als Unheilskünder in das Schicksal von Menschen eingreifen. In einer frühen Phase (bis zu Hesiod) wurde daimon auch synonym zu theos (Gott) verwendet und bezeichnete eine Gottheit, die durch ihre Unvorhersagbarkeit den Charakter von anonymen Schicksalsmächten annahm. Zudem konnte ein „guter Daimon“ (eudaimon) als „Geleitdaimon“ einem Menschen von den Göttern oder dem Schicksal zugeordnet sein und für ein glückliches Leben (Glück) sorgen – oder ein unglückliches, wenn es sich um einen „schlechten Daimon“ (kakodaimon oder dysdaimon) handelte.

Platon greift die älteren Konzepte auf und verändert sie im Rahmen sei­ner Philosophie. Auch Platon spricht von „Wächterdaimones“, die die Menschen auf ihrem Lebensweg begleiten und nach ihrem Tod als An­walt oder Ankläger auftreten können. Sie sind „Geistführer“ und als solche Verkörperungen des transzendenten rationalen „Ich“ des Menschen, mit­hin ein göttliches Element im Menschen, das von den Göttern verliehen wurde und das den Menschen dereinst in den Himmel erheben wird. Im Timaios (90a-c) begegnet auch die Rede vom Daimon als „Schutzgeist“ und Metapher des transzendenten Seelenanteils des Menschen. Doch im Symposion (202d-203a) bringt Platon einen neuen Gedanken ins Spiel. Am Beispiel des Eros, des „großen Daimon“, führt er aus, dass die Daimones „zwischen dem Sterblichen und dem Unsterblichen“ stehen, al­so zwischen den Göttern und den Menschen. Da eine direkte Kommuni­kation zwischen Göttern und Menschen nicht möglich ist, erhalten die Daimones die Funktion von „Dolmetschern“ (hermeneuon) zugewiesen, die v.a. im kultischen Bereich die Verständigung zwischen den Ebenen gewährleisten und so den Kosmos in seinem Bestand sichern.

Die Rezeption der Dämonenlehre Platons beginnt bereits mit dessen Schülern Philippos von Opus und Xenokrates, welche die Funktion jener „Zwischenwesen“ präzisieren und in ein Lehrmodell integrieren. Xenokrates ist auch der Erste, der die Existenz böser Daimones annimmt. Die Dämonologie der Stoa hat Platons Konzeptionen ebenso übernommen wie die Akademie und die mittel- und neuplatonischen Philosophien. In den Philosophien der Plotinschüler Porphyrius und Jamblich kommt die nichtchristliche Dämonologie zu einem Abschluss. Beide bauen die Daimones als „Zwischenwesen“ (mesai ousiai) in eine komplexe transzendente Hierarchie ein. Ihre Aufgabe besteht darin, die beiden polaren Seinsstufen, Gott und Mensch, miteinander zu verbinden. Anders als bei Plotin und den meisten älteren Autoren wird hier, besonders bei Porphyrios, unter Rück­griff auf die Chaldäischen Orakel, die Existenz böser Daimones postuliert. Porphyrius ist es auch, der den Gedanken eines „Oberhaupts der Daimones“ formuliert, einer Kraft, die dem Guten diametral entgegengesetzt ist (De abstinentia 2,37-43).

Was sich in der mittel- und neuplatonischen Dämonologie andeutet, ist eine zunehmende „Monotheisierung“ von Philosophie und Theologie, welche die Transzendenz des Höchsten Guten (Gott) betont und deshalb eine Hierarchie von Zwischenwesen benötigt, um die Kommunikation zwischen Absolutem und Menschlichem kon­zipieren zu können. Hinzu kommt, dass mit Hilfe der Daimones eine Antwort auf drängende Fragen der Theodizee gefunden wurde: nicht Gott selber ist für das Böse in der Welt verantwortlich, sondern eine zwar untergeordnete, aber doch göttliche Instanz von bösen Daimones.

Eben diese Kosmologie steht auch hinter den antiken jüdischen und christlichen Dämonologien. Das griechische daimon begegnet latinisiert als daemon erst­mals bei Apuleius, mit Tertullian setzt sich sodann die interpretatio Chris­tiana als „Dämon“ durch. Die bösen Kräfte werden nun beschrieben als „gefallene Engel“, die damit einerseits von Gott unabhängig werden, andererseits jedoch – unter der Führung eines obersten Repräsentanten – geradezu zum Antagonisten Gottes aufsteigen können. Christliche Autoren gehen nun einen Schritt weiter und „reorganisieren“ den nichtchristlichen Pluralismus von Geist- und Zwischenwesen. Zwar bleibt deren letztlich positiv kon­notierte Mittlerstellung erhalten, doch findet eine Scheidung statt zwischen den „guten Wesen“ (fortan „Engel“) und den „bösen Wesen“ (fortan Dämonen). Engel garantieren den Fortbestand der von Gott gewollten Schöpfungsord­nung, während die Dämonen eine Bedrohung jener Schöpfungs­ordnung verkörpern, was ihnen auch heilsgeschichtlich einen bedeutenden Rang verleiht. Waren die Daimones lediglich betei­ligt bei einzelnen Schicksalsschlägen etc., sind die christlichen Dämonen substanziell für das Böse verantwortlich, das v.a. „in dieser Welt“ zu finden ist, das jedoch in der eschatologisch bestimmten „kommenden Welt“ überwunden wird. Die christliche Dämonologie, die die Funktion der Dämon letztlich aufwertet, spielt eine wichtige Rolle in einem polemischen Dis­kurs: indem man einerseits unterstellt, dass alle Dämonen böse sind, und anderer­seits die alten Götter als Daimones bezeichnet, degradiert man die nichtchristlichen Gottheiten zu „falschen“ und „untergeordneten“ Göttern.

Die Aufwertung der Dämonen als göttliche Gegenspieler zieht sich als roter Fa­den durch die gesamte Geschichte der europäischen Christentümer. Auf kollektiver Ebene behindern Dämonen die endzeitliche Erneuerung der Welt, auf individueller Ebene sabotieren sie (durch „Einflüsterungen“ oder „Verfüh­rung“) das gottgewollte gute Leben des Einzelnen. Die Kontrolle der Dämonen wird vor diesem Hintergrund zu einem wichtigen Element christlichen Lebens­welten. Während der Exorzismus eine – bis heute im Katholizismus – theologisch sanktionierte Form von Dämonenkontrolle darstellt, haben andere magische Traditionen unterschiedlichste Formen von Kommunikation und Kontrolle hervorgebracht, von der Offenbarung transzendenten Wissens durch hoch stehende Dämonen bis hin zur Dienstbarmachung von Geistern für persönliche Zwecke.

Die christliche Aufladung des Dämonenbegriffs hat ihre Wirkung auch auf wissenschaftliche Deutungen nicht verfehlt. Missionswissenschaft und Re­ligionsphänomenologie stehen in einer problematischen Tradition, wenn sie bspw. Gottesvorstellungen in Stammesgesellschaften mit dem Dämo­nenbegriff zu fassen suchen, weil damit eine polemische Entwertung nichtchristlicher Gottheiten als „falsche Götter“ verbunden ist. Beschreibt man in kulturvergleichender Perspektive auf den ersten Blick ähn­liche Vorstellungen mit dem Instrumentarium christlicher Dämonologie, so wird man dem logischen Zirkel religiöser Polemik nicht entkommen kön­nen. Dies gilt bspw. in Bezug auf die Dakini des Tantrismus, die Rolle der Djinn im Islam, die asura/sura in vedischen und nachvedischen Tradi­tionen sowie die reichhaltige Mythologie japanischer Religionen. Bei all diesen Konzeptionen gilt es, einerseits die je unterschied­lichen Bezeichnungen jener Wesen zu respektieren und andererseits neu­trale Begriffe wie „Zwischenwesen“ in eine vergleichende Analyse auf­zunehmen.

Lit.: Colpe, C. u. a., Art. Geister (Dämonen), Reallexikon für Antike und Christentum 9, 1976, 546—797; Ferguson, E., Demonology of the Early Christian World, 1984; Levack, B.P. (Hg.), New Perspectives on Witchcraft, Magic and Demonology, 2001.

Quelle: Friedrich Wilhelm Horn/Friederike Nüssel (Hrsg.), Taschenlexikon Religion und Theologie, Bd. 1 (52008), S. 239-241.

Hier der Text als pdf.

Hinterlasse einen Kommentar