Martin E. Marty (1928-2025) über Dietrich Bonhoeffer (1906–1945): „Bonhoeffer wird heute vor allem für seine Interpretation der modernen Geschichte in Erinnerung behalten, die er auf Grundlage dieser Beobachtungen sowie seines Bibelstudiums während der Gefangenschaft entwickelte. Aus christlicher Perspektive betrachtete er die Säkularisierung als einen weitgehend positiven Prozess. In einer viel beachteten historischen Analyse erkannte er, dass der ‚Gott der Erklärung‘ allmählich aus der europäischen Geschichte verschwand – und mit ihm das, was er das ‚religiöse Apriori‘ nannte. Mit diesem Begriff meinte er die Vorstellung, dass ein Mensch eine bestimmte Metaphysik, eine spezifische Sicht auf Transzendenz oder eine besondere Form der Frömmigkeit und kirchlichen Existenz übernehmen müsse, bevor er Christ werden könne. All dies, so Bonhoeffer, gehöre zur spirituellen Adoleszenz der Menschheit.“

Am 25. Februar ist Martin E. Marty, „the Dean of American Church Historians“ (Grant Wacker) im Alter von 97 Jahren verstorben. Hier Martys Lexikonartikel über Dietrich Bonhoeffer aus der Encyclopedia of Philosophy (1967/2005):

Dietrich Bonhoeffer (1906–1945)

Von Martin E. Marty

Dietrich Bonhoeffer war ein deutscher Theologe und religiöser Führer während der Zeit, in der der Nationalsozialismus vorherrschte. Er war aktiv im Widerstand gegen Hitler, und seine anti-nationalsozialistischen Aktivitäten führten zu seinem Tod in einem Konzentrationslager. Der heldenhafte Charakter seines Todes lenkte die Aufmerksamkeit auf sein Leben und Denken, doch allein die Dramatik seines Lebens erklärt nicht das anhaltende Interesse, das Bonhoeffer im theologischen Diskurs des 21. Jahrhunderts erregt hat. Er wird wegen der Substanz seines Denkens, seines Beispiels des Widerstands gegen Unterdrückung und seiner provokativen Darstellung säkularer Kontexte, die den Rahmen vieler theologischer Untersuchungen bilden, intensiv rezipiert.

Das nationalsozialistische Umfeld verhinderte, dass Bonhoeffer zu Lebzeiten einen nachhaltigen Einfluss auf die akademische Welt ausüben konnte. Er wurde damals hauptsächlich für sein Engagement in der aufkommenden ökumenischen Bewegung, für seine Leitung eines geheimen Predigerseminars in Finkenwalde und natürlich für seinen Anteil am Widerstand gegen Hitler anerkannt. (Dank der Arbeit von Theologen wie John de Gruchy inspirierte Bonhoeffers Denken einen bedeutenden Teil des südafrikanischen Widerstands gegen die Apartheid, und er wurde auch von Kritikern repressiver politischer Systeme in anderen Teilen der Welt aufgegriffen.)

PHILOSOPHIE UND THEOLOGIE

Nur eines von Bonhoeffers Werken, Akt und Sein, ist vollständig den formalen Fragen des Verhältnisses von Philosophie und Theologie gewidmet. Akt und Sein war seine Antrittsdissertation, und sie zeichnet sich durch eine gewisse Anspruchshaltung sowie eine schwerfällige systematisch-theologische Herangehensweise aus. Gelegentlich verdeckt ihr Fachjargon die Argumentationslinie des Autors. Es ist fraglich, ob dieses Werk für sich genommen von großem Wert ist, losgelöst von Bonhoeffers Leben. Allerdings ist es von Interesse, weil es viele Themen vorwegnimmt, die er später ausführte, ohne sich explizit auf die Philosophie zu beziehen.

In Akt und Sein führte Bonhoeffer eine verdeckte Auseinandersetzung – einerseits gegen diejenigen, die das Christentum entweder auf eine Philosophie der Transzendenz (Akt) oder des Seins (Sein) reduzieren wollten, andererseits gegen diejenigen, die glaubten, dass sich christliche Theologie unabhängig von philosophischen Fragestellungen ausdrücken lasse. Seine eigenen Interessen waren in vielerlei Hinsicht synthetisch. Während er philosophische Versuche, die christliche Offenbarung vollständig zu erklären oder zu erschöpfen, kritisch betrachtete, erkannte Bonhoeffer die allgemeine Notwendigkeit an, Theologie und Philosophie in Beziehung zu setzen.

Er schätzte die kantianische Akt-Philosophie, die den Denker oder Erkennenden „in Relation zu“ dem Erkannten betont, kritisierte jedoch ihr mangelndes Interesse am Problem des Erkannten, insbesondere in der weltlichen Realität. Mit gewissem Interesse wandte er sich den Sein-Philosophien zu, die sich auf Gott als das Erkannte konzentrieren, jedoch möglicherweise ein angemessenes Interesse an den konkreten historischen Ereignissen vermissen lassen, in denen Gläubige die Offenbarung Gottes erkennen. Diese Philosophien kategorisierte Bonhoeffer zeitlebens wiederholt als „Theologien der Herrlichkeit“, die versuchen, die Natur des Göttlichen auf einer philosophischen Grundlage zu erklären.

Hauptsächlich befürwortete er das, was in seiner lutherischen theologischen Tradition stets als „Theologie des Kreuzes“ bezeichnet wurde, weil sie ein historisches Ereignis in den Mittelpunkt stellt – nämlich die Kreuzigung Jesu Christi.

Falls das wichtigste literarische Werk Bonhoeffers philosophisch einzuordnen ist, müsste es als Geschichtsphilosophie verstanden werden. In all seinen Schriften zeigt er ein aktives und positives Interesse am konkreten Charakter göttlicher Offenbarung. Oft äußerte er eine agnostische Position zur Möglichkeit, sinnvolle Aussagen über Gott unabhängig von der Offenbarung in Jesus Christus zu machen.

In seinen 1932 gehaltenen Vorlesungen über die Christologie, die in Form veröffentlichter Mitschriften vorliegen, konzentrierte er sich konsequent auf den historischen, konkreten und bedingten Charakter der Offenbarung in Jesus Christus und der Kirche – im Gegensatz zu Philosophien der Transzendenz.

ETHIK

Bonhoeffers Ethik ist sein systematischstes Werk (obwohl es nur in Fragmenten aus den Jahren seiner Gefangenschaft überliefert ist). Während es von philosophischen Debatten profitiert, stellt Ethik weitgehend eine Ablehnung der philosophischen Ethik dar. In diesem Buch nimmt Bonhoeffer eine kritische Haltung gegenüber der ontologischen Ethik der römisch-katholischen Tradition ein, die von allgemeinen abstrakten ethischen Aussagen zu spezifischen christlichen Prinzipien übergeht. Obwohl er dem Existenzialismus näherstand, betrachtete er auch diese Philosophie als eine Abstraktion von den offenbarungsgeschichtlichen Ereignissen in Jesus Christus. Bonhoeffer wurde – zusammen mit seinem Lehrer Karl Barth – dafür kritisiert, eine übermäßig christologische Philosophie und Ethik zu vertreten, doch diese Kritik hätte ihn keineswegs gestört.

SPÄTERES DENKEN

Während seiner letzten Haftzeit vor seiner Hinrichtung nahm Bonhoeffers Denken eine überraschende – manche würden sagen radikale – Wendung. Angesichts des Zusammenbruchs der kontinentalen humanistischen Traditionen durch die Nazis und andere totalitäre Kräfte richtete er seine Aufmerksamkeit auf die unbekümmerten Weisen, in denen viele seiner Zeitgenossen die überlieferten Frömmigkeitstraditionen hinter sich ließen, selbst wenn sie weiterhin Christen blieben. In seinen Augen schlossen sie sich freigeistigen Nichtgläubigen an, indem sie sich nicht mehr mit Schuld und religiösen Konventionen beschäftigten. Bonhoeffer wird heute vor allem für seine Interpretation der modernen Geschichte in Erinnerung behalten, die er auf Grundlage dieser Beobachtungen sowie seines Bibelstudiums während der Gefangenschaft entwickelte. Aus christlicher Perspektive betrachtete er die Säkularisierung als einen weitgehend positiven Prozess. In einer viel beachteten historischen Analyse erkannte er, dass der „Gott der Erklärung“ allmählich aus der europäischen Geschichte verschwand – und mit ihm das, was er das „religiöse Apriori“ nannte (Bonhoeffer 1953). Mit diesem Begriff meinte er die Vorstellung, dass ein Mensch eine bestimmte Metaphysik, eine spezifische Sicht auf Transzendenz oder eine besondere Form der Frömmigkeit und kirchlichen Existenz übernehmen müsse, bevor er Christ werden könne. All dies, so Bonhoeffer, gehöre zur spirituellen Adoleszenz der Menschheit.

Nach Bonhoeffer rechnen moderne Menschen immer weniger mit einer transzendenten und hypothetischen Gottheit, die außerhalb des empirischen Bereichs existiert. Er schätzte jene biblischen Texte und Aspekte der theologischen Tradition, die Transzendenz im Zentrum des menschlichen Lebens verorteten – insbesondere in der Geschichte Jesu Christi. In diesem historischen Kontext stellte Bonhoeffer fest, dass die Rolle der Philosophie zunehmend säkularisiert wurde, indem sie sich auf die menschliche Autonomie konzentrierte (Bonhoeffer 1953).

In seinen Augen hatte René Descartes begonnen, die Welt als Mechanismus zu betrachten. Benedict de Spinoza war ein Pantheist. Immanuel Kant stand nach Bonhoeffers Ansicht den Deisten nahe, da er sich philosophisch nur ungern mit Gott als dem Offenbarten in der Geschichte befasste. Bonhoeffer kommentierte, wie auch Johann Gottlieb Fichte und Georg Hegel Spielarten des Pantheismus entwickelten, die sie von der historischen Einbindung Gottes in die säkulare Welt entfernten.

All diese Entwicklungen, so behauptete er in den Briefen aus dem Gefängnis, offenbarten die „wachsende Tendenz, die Autonomie des Menschen und der Welt zu behaupten“ (Widerstand und Ergebung, Bonhoeffer 1954, S. 163). Er wurde später als ein Vorläufer einer Schule antimetaphysischer Theologen angesehen, die darauf bestanden, dass das christliche Leben und die christliche Sprache am freiesten seien, wenn sie nicht auf einer Seinsphilosophie oder dem Ausdruck von Transzendenz basierten. Einige ihrer Schriften wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren zu Bestsellern, als Elemente von Bonhoeffers Denken in dem umstrittenen Buch Honest to God (1963) von Bischof John A. T. Robinson sowie in mehreren radikalen theologischen Werken auftauchten, die teilweise mit dem Konzept vom „Tod Gottes“ in Verbindung gebracht wurden.

In den darauffolgenden Jahren führten kulturelle Veränderungen in Europa dazu, dass sowohl Nichtchristen als auch viele Christen die Kraft von Mythen und Symbolen neu entdeckten – Aspekte, die Bonhoeffer zuvor minimiert hatte. Dies führte dazu, dass ein späterer Kreis von Theologen, die von ihm beeinflusst wurden, jene Quellen in seinem Denken neu erkundete, die nicht durch sein Zeugnis von einer „mündig gewordenen Welt“ und von einer Kirche, die sich nahezu unbeschwert mit säkularen Philosophien auseinandersetzte, erschöpft waren.

Ein Teil dieser Neubetrachtung führte einige Theologen dazu, den lange übersehenen Einfluss von Martin Heidegger auf den jungen Bonhoeffer, der Akt und Sein schrieb, erneut zu untersuchen. In diesem Werk wurde nur Martin Luther häufiger zitiert als Heidegger. Die ausführlichste Darstellung dieser Auseinandersetzung stammt vom amerikanischen Theologen Charles Marsh in Reclaiming Dietrich Bonhoeffer (1994). Marsh erkannte, dass Heidegger, ein Anhänger des Nationalsozialismus, und Bonhoeffer, der sein Leben im Widerstand gegen ihn gab, politisch völlig entgegengesetzt waren. Zudem zitierte Bonhoeffer Heidegger nach diesem frühen Werk nur noch selten. Dennoch sah Marsh in Bonhoeffers späteren Überlegungen zur Transzendenz Spuren von Heideggers Einfluss. In Marshs Worten:

„In dem Versuch, das Nachdenken so zu gestalten, dass es nicht durch die Totalität des selbstreflexiven Subjekts bestimmt ist, sondern aus einer Quelle entsteht, die vor dem Individuum liegt und außerhalb von ihm existiert, findet Bonhoeffer bestimmte Themen in Heideggers fundamentalontologischer Philosophie, die mit seinen theologischen Anliegen übereinstimmen. Bonhoeffer unterzieht diese Themen einer christologischen Umdeutung“ (Marsh 1994, S. 112).

Er blieb also nicht bei der existenziellen Analyse stehen. Dennoch argumentierte Marsh:

„Heideggers Konzepte von Seinsmöglichkeit, Authentizität und Mitsein drängten Bonhoeffer dazu, in seinem Denken über menschliche Selbstheit und Sozialität spezifische sozial-ontologische Unterscheidungen und Konzepte zu erkennen, die für seine sich entwickelnde Christologie von entscheidender Bedeutung waren“ (Marsh 1994, S. 112).

Selbstverständlich blieb eine solche Interpretation der Verbindung und des Einflusses nicht unwidersprochen. Der deutsche Theologe Ernst Feil griff in seiner Arbeit das auf, was Marsh als die „konventionelle Weisheit“ bezeichnete. Nach Feil war Heideggers „aus dem Menschlichen abgeleiteter Existenzbegriff für Bonhoeffer theologisch unbrauchbar“ (Feil 1985, S. 31). Er stimmte zu, dass Bonhoeffer Heideggers Fundamentalontologie letztlich aus theologischen Gründen verwarf, doch er warnte davor, dass diese Ablehnung „Bonhoeffers Bewunderung für Sein und Zeit und dessen Versuch, die Geschichte der Ontologie zu ‚destruieren‘, nicht in den Schatten stellen sollte“ (Marsh 1994, S. 31). Dieser Versuch, Heideggers Einfluss auf Bonhoeffer neu zu bewerten, zeigt zwar eine frühe Abhängigkeit, schränkt jedoch nicht die kreative Weite ein, mit der Bonhoeffer christologische Themen in einer Welt neu durchdachte, die er als „mündig geworden“ beschrieb (Bonhoeffer 1953, S. 327).

BIBLIOGRAPHIE

WERKE VON BONHOEFFER

  • Nachfolge. München: C. Kaiser, 1937. Übersetzt von Reginald H. Fuller als The Cost of Discipleship (New York: Macmillan, 1959).
  • Ethik. München: C. Kaiser, 1949. Übersetzt von Neville Horton Smith als Ethics (New York: Macmillan, 1955).
  • Widerstand und Ergebung, hrsg. von Eberhard Bethge. München: C. Kaiser, 1951. Übersetzt von Reginald H. Fuller als Letters and Papers from Prison (London: SCM Press, 1953; New York: Macmillan, 1971) und als Prisoner for God (New York: Macmillan, 1954).
  • Gesammelte Schriften. 4 Bände. München: C. Kaiser, 1958–1961.
  • Akt und Sein. Übersetzt von Bernard Noble als Act and Being (New York: Harper, 1962).
  • Sanctorum Communio. Übersetzt als The Communion of Saints (New York: Harper & Row, 1963).

WERKE ÜBER BONHOEFFER

  • DeGruchy, John W. Bonhoeffer and South Africa: Theology in Dialogue. Grand Rapids, MI: Wm. B. Eerdmans, 1984.
  • Feil, Ernst. The Theology of Dietrich Bonhoeffer. Übersetzt von Martin Rumscheidt. Philadelphia: Fortress, 1985.
  • Marsh, Charles. Reclaiming Dietrich Bonhoeffer: The Promise of His Theology. New York: Oxford, 1994.
  • Robinson, John A. T. Honest to God. London: SCM Press, 1963.

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