Von Peter Blickle
Der Bauernkrieg gehört einerseits zu den herausragenden Ereignissen der deutschen Geschichte (Ranke nennt ihn das »größte Naturereignis des deutschen Staates«), andererseits zu den Markierungspunkten im welthistorischen Prozeß (Marx, Engels). Das hat dem Bauernkrieg über viele Forschergenerationen hinweg Aufmerksamkeit gesichert.
1. Verlauf
Die Anfänge des Bauernkriegs fallen – nach einem Vorspiel im Hegau im Sommer 1524 – in den Januar 1525 und liegen in Oberschwaben. Südlich von Ulm, am Bodensee und im Allgäu sammelten sich die Bauern verschiedener Herren und Obrigkeiten zu Tausenden. In diesem Raum entstanden im März 1525 die beiden programmatischen, mehrfach gedruckten Hauptschriften: Die »Zwölf Artikel der oberschwäbischen Bauern« und deren »Bundesordnung«, ein teils reformerischer, teils revolutionärer Forderungenkatalog das eine, ein militärisch-politisches Organisationsprogramm das andere. Von Oberschwaben aus verbreitete sich der Aufstand, unterstützt durch die 25 Auflagen der Zwölf Artikel, die häufig als Basisforderungen übernommen oder nur geringfügig modifiziert wurden, in die Nachbarregionen und darüber hinaus: Im März kam es zu Unruhen im Fränkischen und im Württemberg. Remstal; im April weitete sich der Aufstand auf ganz Franken und Württemberg aus, erreichte den Schwarzwald und das Elsaß, die Pfalz und sogar einige Städte (Frankfurt u.a.); im Mai und Juni schließlich griff die Erhebung auf Thüringen, Tirol und Salzburg über und erfuhr damit ihre umfassendste Ausdehnung.
Zum Erscheinungsbild des Bauernkriegs in allen Landschaften gehörten der Klostersturm und der Burgenbruch. Vielfach fanden die Bauern Zulauf aus den Landstädten (Württemberg, Tirol, Salzburg), gelegentlich von den mittleren und unteren Schichten der Reichsstädte (Heilbronn, Rothenburg, Straßburg u.a.), vereinzelt durch die Bergknappen (Salzburg, Tirol), so daß der Begriff Bauernkrieg heute eher zögernd verwendet, vielmehr die Trägerschicht häufiger mit dem zeitgenössischen Begriff »gemeiner Mann« umschrieben wird. Trotz spektakulärer Erfolge der Bauern – etwa der erzwungenen Verpflichtung des Kurfürstentums Mainz auf die Zwölf Artikel – geriet die Bewegung dort ins Stocken, wo sie besonders erfolgreich war. Der über ein »Bauernparlament« in Heilbronn vorgesehene Zusammenschluß der Aufständischen kam aufgrund der militärischen Gegenaktionen des Schwäbischen Bundes und der Reichsfürsten nicht mehr zustande. In wenigen großen Schlachten im Mai und Juni wurden die Bauern geschlagen. Von einem Nachspiel im Sommer 1526 in Salzburg abgesehen, war damit der Bauernkrieg beendet. Zeitgenossen rechnen mit 100000 im Bauernkrieg umgekommenen Aufständischen. In der Regel wurden (z.T. nur vorübergehend) die Bauern entwaffnet, die Kriegskosten der Fürsten durch hohe Reparationszahlungen (Brandschatzung) der Bauern aufgebracht, die sogenannten Rädelsführer hingerichtet.
2. Die »klassischen« Interpretationen
Der Bauernkrieg steht im Schnittpunkt vieler Entwicklungslinien, die mit den Stichworten Agrarkrise, Frühkapitalismus, Territorialstaatsbildung, Reichsreformbewegung, Reformation nur unvollständig angedeutet sind, jedoch die Schwierigkeiten der Deutung erklären. In sich geschlossene ältere Interpretationen, an denen sich die jüngere Debatte entwickelt hat, sind von Franz einerseits und der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft (Smirin) andererseits entwickelt worden. Franz sieht im Bauernkrieg eine Auseinandersetzung zwischen dem fürstlichen Territorialstaat und der bäuerlichen Gemeinde, folglich zielt der Bauernkrieg auf eine Beseitigung des Territorialstaats zugunsten der Gemeinde (und des Kaisers), nach seinem Scheitern siegt notwendigerweise das Fürstentum, der Bauer scheidet »für fast drei Jahrhunderte aus dem Leben unseres Volkes aus«. Der Franzschen Interpretation des Bauernkriegs als vornehmlich politisches Ereignis setzt die marxistische Forschung mit dem Begriff der »frühbürgerlichen Revolution« eine bewußt alternative Interpretation gegenüber, die ökonomische und soziale Entwicklungen in den Vordergrund rückt. In der Tradition von Engels wurden in der Forschung der DDR (A. Laube, M. Steinmetz, G. Vogler) Bauernkrieg und Reformation als zusammengehörende, im Jahr 1525 kulminierende Bewegung verstanden, die aus den Widersprüchen des Feudalismus (Adel-Bauer) und seinen Überlagerungen durch den Kapitalismus (ausgeprägt in Bergbau, Textilgewerbe etc.) entstand und objektiv (im theoretisch vorgegebenen Ablauf der Gesellschaftsformationen) eine »bürgerliche« Revolution sein mußte, angesichts des geringen Reifegrades der kapitalistischen Verhältnisse allerdings nur eine »frühe« bürgerliche, eine »frühbürgerliche« Revolution sein konnte. In Form der Theologie Thomas Müntzers sei eine den Ereignissen kongeniale Theorie ausgebildet, welche die Anstöße Luthers gegen die feudale »Überbau«-Institution Kirche zur Volksreformation weiterentwickelte.
3. Neue Perspektiven
In der für die 70er Jahre kennzeichnenden Auseinandersetzung mit der Soziologie und dem Marxismus, aber auch aufgrund einer vertieften empirischen Forschung der letzten Jahrzehnte (Agrargeschichte, Landesgeschichte etc.) sind seit etwa 1975 neue Interpretationen vorgelegt worden, die sich getrennt nach Ursachen (1), Zielen (2) und Folgen (3) skizzieren lassen.
3.1. Die Ursachen sind – entsprechend dem umfassenden und prinzipiellen Charakter des Bauernkriegs – wirtschaftlicher, sozialer, politischer und rechtlich-religiöser Natur. Das angenommene demographische Wachstum vor dem Bauernkrieg (Sabean), die Reaktivierung leibherrlicher Rechte zur Verhinderung der Abwanderung in die Städte, die Nutzungsbeschränkungen an Allmende und Forst (herrschaftliche Viehhaltung, hohe Holzpreise) sowie rapide steigende Steuern (Endres) führen zu einer angespannten Lage für den jeweiligen landwirtschaftlichen Betrieb. Das hat soziale Rückwirkungen insofern, als die Gegensätze zwischen Reich und Arm wachsen (unter Zunahme der dörflichen Unterschichten), die Heiratsschranken angesichts der oft kleinräumigen Herrschaften sehr eng gezogen werden und zur Durchsetzung der herrschaftlichen Maßnahmen die Autonomie der dörflichen Gemeinden eingeschränkt wird. Mit dieser Entwicklung kontrastiert eine politische Emanzipationsbewegung im Bauernstand während des Spätmittelalters, die in der Ausbildung von spätmittelalterlichen Dorfgemeinden und in der ständischen Repräsentation der Bauern auf Landtagen (Tirol, Salzburg, habsburgische Vorlande etc.) zum Ausdruck kommt (Blickle).
Verschärft werden diese gegenläufigen Entwicklungen durch die Reformation. Durch das von den Reformatoren betonte »Evangelium ohne menschlichen Zusatz«, das »reine Evangelium«, sehen sich die Bauern in die Lage versetzt, das bislang verbindliche, zur Konfliktlösung jedoch untauglich gewordene »Alte Recht« (dem sein Bestandteil der Billigkeit entzogen war) gegen ein neues, von ihnen so bezeichnetes »göttliches Recht« auszuwechseln. Mit der Annahme, das »göttliche Recht« ließe sich aus der Heiligen Schrift deduzieren, radikalisierten die Bauern die Vorstellung der christlichen Humanisten Zwingli und Butzer von der Praxisrelevanz des »reinen Evangeliums«. Nicht zufällig ist der Bauernkrieg eine überwiegend oberdeutsche Erscheinung.
3.2. Ziele. Das göttliche Recht bildete auch den Ansatzpunkt zur Entwicklung neuer Verfassungsmodelle. Sie fußten auf der Prämisse, das Evangelium könne den Parameter für weltliche Ordnungen abgeben, was den prinzipiellen Widerspruch Luthers hervorrief, wohingegen der konkrete politische Unterbau je nach den territorialen Vorgaben variieren konnte (Buszello). Gemeinsam ist allen Programmen, daß sie die Land- und Stadtgemeinden zur Basis des staatlichen Aufbaus machen und das Prinzip der Wahl für alle politischen Ämter durchsetzen wollen. So gelesen können die Programme insgesamt das Attribut »revolutionär« beanspruchen und der Bauernkrieg als solcher die Bezeichnung »Revolution des gemeinen Mannes« (Blickle). Strittig freilich ist, ob die regionalen Entwürfe soweit abstrahiert werden können, wie es ein solches Interpretationskonzept verlangt, und inwieweit die programmatischen Aspirationen nicht Äußerungen von Intellektuellen darstellen (Hubmaier, Hipler u.a.) und folglich nur wenig Verbindlichkeit reklamieren können.
3.3. Folgen. Trotz der militärischen Niederwerfung kam es, vornehmlich in den Alpenländern und in Teilen Oberdeutschlands, zu bemerkenswerten Kompromissen und Entlastungen für die Bauern, so daß von einem generellen Scheitern des Bauernkriegs nicht die Rede sein kann. Die Obrigkeiten waren vom Aufstand des gemeinen Mannes zutiefst irritiert und fürchteten, wie die Reichstagsverhandlungen (1526, 1529, 1530) hinreichend zeigen, einen neuerlichen Ausbruch der Unruhen. Umstritten sind die Folgen fiir die Reformation. Für Oberdeutschland scheint sich die ältere These, daß die Reformation als Volksbewegung einen Bruch erhält (Franz), zu behaupten (Maurer); die Gegenposition, die mit Verweis auf den Fortgang der Reformation in norddeutsche Städten entwickelt wurde (Lau), überzeugt mehr durch die Zahl ihrer Anhänger als durch ihre Plausibilität.
Unbestreitbar ist der Bauernkrieg ein Markstein zumindest der nationalen Geschichte, weil er eine Möglichkeit politisch-sozialer Gestaltung andeutet, die jenseits der alternativen Modelle Reich-Territorialstaat gelegen hat und Deutschland im Erfolgsfall eine der schweizerischen Eidgenossenschaft verwandte politische Ordnung hätte geben können.
Lit.: Franz, G.: Der Deutsche Bauernkrieg, München 1933 (198412) – Smirin, M.M.: Die Volksreformation des Thomas Münzer und der große Bauernkrieg, Berlin 1952 (19562) – Lau, F.: Der Bauernkrieg und das angebliche Ende der lutherischen Reformation als spontaner Volksbewegung, LuJ 26 (1959) 109–134 – Steinmetz, M.: Die frühbürgerliche Revolution in Deutschland (1476–1535), ZfG 8 (1960) 113–124 – Buszello, H.: Der Deutsche Bauernkrieg als politische Bewegung, Berlin 1969 – Sabean, D.: Landbesitz und Gesellschaft am Vorabend des Bauernkriegs, Stuttgart 1972 – Endres, R.: Der Bauernkrieg in Franken, Blätter für die Landesgeschichte 109 (1973) 31–68 – Laube, A./Steinmetz, M./Vogler, G.: Illustrierte Geschichte der deutschen frühbürgerlichen Revolution, Berlin 1974 – Oberman, H. (Hg.): Deutsche Bauernkrieg 1525, ZKG 85 (1974) Heft 2 – Blickle, P.: Die Revolution von 1525, München/Wien 1975 (19812) – Blickle, P. (Hg.): Revolte und Revolution in Europa, HZ Beiheft 4, München 1975 (Positionsstand der Forschung 1975) – Wehler, H.-U. (Hg.): Der Deutsche Bauernkrieg 1524–1526, Geschichte u. Gesellschaft, Sonderheft 1, Göttingen 1975 (sozialgeschichtl. u. anthropologisch orientiert) – Brendler, G./Laube, A. (Hgg.): Der Deutsche Bauernkrieg 1524/25, Berlin 1977 (jüngster Positionsstand der marxistischen Forschung) – Maurer, J.: Prediger im Bauernkrieg, Stuttgart 1979 – Maron, G.: Art. Bauernkrieg, TRE Bd. 5 (1980) 319–338 – Buszello, H. u.a. (Hgg.): Der Deutsche Bauernkrieg, Paderborn 1984 (regional-syst. Gesamtdarstellung, vornehmlich für den Lehrbetrieb) – Blickle, P. (Hg.): Der Deutsche Bauernkrieg, Darmstadt 1985 (enthält als Band der WdF die wichtigsten Arbeiten der letzten 50 Jahre).
EKL3, Bd. 1/2 (1985), Sp. 838-842.