Über die verschiedenen Formen des Atheismus
In der Spätantike hatten die Kirchenväter dem Vorwurf zu begegnen, dass das Christentum atheistisch sei; átheos zu sein bezog sich hierbei auf die entschiedene Ablehnung der paganen, polytheistischen Götterverehrung. Wo allein der Gott Israels und Vater Jesu Christi angebetet wurde, musste man sich gegenüber anderen Göttern eben als gottwidrig zeigen. Seit Ende des 16. Jahrhunderts wird jedoch Atheismus als Absage an einen biblisch-christlichen Monotheismus verstanden. Der Atheismus kann in verschiedene Kategorien eingeteilt werden:
1. Methodischer Atheismus – die Nichtzulassung von „Gott“ als Erklärungshypothese in den Wissenschaften
Methodischen Atheismus kennzeichnet die modernen Naturwissenschaften. Als empirische Wissenschaften treffen sie keine Aussagen jenseits gegenständlicher Erfahrung. „Gott“ kann daher nicht als Erklärungshypothese für empirische Sachverhalte gelten. Im Sinne empirischer Wissenschaft „gibt“ es keinen Gott, was nicht ausschließt, dass Wissenschaftler sehr wohl an Gott glauben und diesen Glauben auch rational vertreten können.
2. Praktischer bzw. alltäglicher Atheismus – das fehlende Erfordernis Gottes für das Leben
Der praktische Atheismus bestreitet nicht aktiv die Existenz Gottes, sondern sieht darin kein Erfordernis für das eigene Leben. Die moderne Welt scheint sich aus sich selbst zu erklären und bedarf daher keine Gottesvorstellung mehr. Wo sich frühere Generationen im Gebet auf göttliche Hilfe ausgerichtet haben, verlässt sich der moderne Mensch auf technologische Machbarkeit sowie auf ein selbstgeschaffenes Sicherungssystem, um sich vor Unglück und Not zu schützen.
3. Theoretischer Atheismus – die Ablehnung Gottes im Namen einer Vernunft
Der theoretische Atheismus ist die bewusste und begründete Ablehnung Gottes. Die Existenz Gottes ist für ihn eine realitätsfremde Illusion. So will er an die Stelle des Gottesglaubens eine vermeintlich aufgeklärte Lebenshaltung setzen: Ein vernunftgemäßes und eigenverantwortliches Leben allein ermögliche die wahre Humanität des Menschen und führe zur Verwirklichung einer besseren Welt. Der theoretische Atheismus zeigt sich wiederum in verschiedenen Ausrichtungen:
a) Akkusarischer Atheismus – die Ablehnung Gottes im Namen des Leides: Der akkusarische (anklagende) Atheismus ist wohl die häufigste Form des theoretischen Atheismus. Er bestreitet die Existenz Gottes, weil es mit seiner Güte und Allmacht unvereinbar ist, dass er so viel Leid in der Welt zulässt.
b) Humanistischer Atheismus – die Ablehnung Gottes im Namen des wahren Menschseins: Der humanistische Atheismus sieht in der Religion eine Illusion, die den Menschen über seine Entfremdung und sein eigenes Elend hinwegtäuschen will („Opium des Volkes“). Nicht Gott, sondern der Mensch ist das höchste Wesen für den Menschen. Die Vorstellungen eines Gottes hält den Menschen von seiner Aufgabe ab, zu seinem wahren Menschsein zu finden bzw. die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Glück aller zu gestalten.
c) Materialistischer Atheismus – die Ablehnung Gottes im Namen der Materie als einzige Wirklichkeit:Der materialistische Atheismus geht auf die französische Aufklärung zurück. Unter dem Postulat, dass nur sicht- bzw. messbare Materie existiert (Materialismus), kann ein nicht beobachtbarer Gott keine Realität besitzen.
d) Neuer Atheismus: Die weltanschauliche Grundlage des neuen Atheismus ist eine materialistische Weltsicht auf Grundlage der modernen Evolutionstheorie (auch als Naturalismus bezeichnet). Der neue Atheismus, vertreten durch Richard Dawkins, Sam Harris, Daniel Dennett und Christopher Hitchens, hält nicht nur den Glauben an Gott für falsch, sondern sucht diesen bzw. die Religion aktiv zu bekämpfen.
Ausgeklammert sind marxistischer, existenzialistischer, vitalistischer und psychoanalytischer Atheismus.