Walter Klaiber über heilig, Heiligkeit und Heiligung: „Es geht bei der Heiligung nicht nur um die innere Gesinnung, sondern um die praktische Tat, die Gottes Liebe in dieser Welt vergegenwärtigt. Rechtfertigung und Heiligung verhalten sich dabei kei­neswegs zueinander wie Indikativ und Imperativ. Beide Begriffe nennen zunächst Got­tes Heilshandeln an den Menschen, mit dem er sie in seine Gemeinschaft aufnimmt; dies wird einmal beschrieben mit Begriffen der Rechts- und Sozialordnung, das andere Mal mit einem Begriff aus dem Bereich des Kultischen.“

heilig, Heiligkeit, Heiligung – hermeneutische Überlegungen

Von Walter Klaiber

Die meisten biblischen Begriffe, die unsere Beziehung zu Gott beschreiben, stammen aus dem Bereich des sozialen Lebens (z.B. Gerechtigkeit und Rechtfertigung, Bund, Rettung und Erlösung). Die Begriffe heilig, Heiligkeit, Heiligung dagegen kommen aus dem kultischen Bereich, sind also auch von ihrem Ursprung her religiös geprägt. Heilig ist Gott und alles, was in besonderer Weise zu ihm gehört. Das Stichwort »heilig« um­schreibt Gottes Gottsein gerade in seiner den Menschen nicht zugänglichen, unbeschreibbaren, numinosen Dimension, benennt Gott als den »ganz anderen«. Was Gott für sich aussondert, seien es Personen, Orte oder Gegenstände, ist Zeichen für die Gegenwart des Göttlichen in dieser Welt und daher vom profanen Gebrauch ausgeschlos­sen. Das sind Strukturen, wie wir sie in den meisten Religionen der Menschheit vor­finden.

Als kultisch-religiöser Begriff ist die Kategorie des Heiligen dem modernen, säkula­risierten Menschen fremd. Gerade aber in dieser Fremdheit könnte auch die bleibende Leistungsfähigkeit des Begriffes liegen. Er signalisiert in einer durch und durch profa­nen Welt, daß es in der biblischen Botschaft um den Gott geht, dessen Wesen die den Menschen empirisch zugängliche Wirklichkeit transzendiert. Dabei zeigt sich, daß auch in einer säkularisierten Gesellschaft Menschen sich eine Ahnung vom »fascinans« und tremendum« des Numinosen (Rudolf Otto) bewahrt haben. Wie weit sie allerdings bereit sind, die biblische Auffassung von Heiligkeit als genügende Antwort auf ihre re­ligiösen Bedürfnisse zu sehen, ist eine offene Frage.

Obwohl auch nach dem biblischen Zeugnis Gottes Heiligkeit seine Unnahbarkeit be­gründet (Jes 6,1-7; vgl. Ex 19,10-25), so schließt sie doch zugleich auch seine unverbrüchliche Zuwendung zu seinem Volk ein (vgl. Ps 99; Hos 11,9). Das Heiligtum, das Gott als Ort gewählt hat, wo »sein Name wohnen soll«, ist Zeichen für seine Gegen­wart im ganzen Volk, und zwar sowohl als Zuspruch und Zusicherung seiner Heilshilfe als auch als Anspruch auf Gehorsam und Recht im Volk. Das führt in der Konsequenz dazu, daß das Volk als ganzes »ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk« sein soll (Ex 19,6). Und auch das hat wiederum Zeichencharakter: Daß Israel unter al­len Völkern Gottes besonderes Eigentum sein soll, bekräftigt den grundsätzlichen An­spruch Gottes: »Denn die ganze Erde ist mein!« (Ex 19,5). Der biblische Heiligkeitsbegriff ist also immer zugleich partikular (es geht um Aussondern für Gott) und universal (es geht um Gottes umfassenden Anspruch auf die Wirklichkeit dieser Welt).

Daß Personen oder Orte geheiligt werden, ist also zunächst Gottes Werk und Tat. Er wählt sich einen Ort, wo sein Name wohnt, und ein Volk, das sein besonderes Eigen­tum ist. Auch die Mahnung: »Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr, euer Gott« (Lev 19,2 u. ö.) ist erst als Konsequenz des heiligenden Handelns Gottes ausge­sprochen; vgl. Lev 22,32b.33: »Ich bin der Herr, der euch heiligt, der euch aus Ägyp­tenland geführt hat, um euer Gott zu sein.« Gottes rettendes Handeln begründet die Gemeinschaft des Volkes mit seinem Gott und damit seine »Heiligkeit«. Aufgabe des Volkes ist es, dieser geschenkten Heiligkeit in seinem Verhalten zu entsprechen und sie zu bewahren, und zwar in allen Lebensbereichen. Es ist eindrücklich, wie im sogenann­ten Heiligkeitsgesetz Lev 19ff nicht nur Gebote für den kultischen Bereich gesammelt sind, sondern auch soziale Forderungen erhoben werden, die in dem Gebot der Liebe zum Nächsten und zum Fremdling gipfeln!

Im Neuen Testament ist dieser Zusammenhang von Indikativ und Imperativ noch deutlicher zu erkennen. Die Christen sind »geheiligt in Christus Jesus« (1Kor 1,2). Ihre Zugehörigkeit zu Gott ist durch das begründet, was Gott in Jesus Christus getan hat und was er gegenwärtig durch den Heiligen Geist bewirkt (1Kor 6,11). Damit aber steht ihr Leben als ganzes Gott zur Verfügung und wird als Werkzeug für das Handeln Gottes in dieser Welt beansprucht und damit »geheiligt« (Röm 6,13.22; vgl. 1Thess 4,1-8).

Der Begriff der Heiligkeit hat eine wichtige Doppelfunktion. Er bezieht sich immer auf konkrete Dinge oder Personen und verweist zugleich auf eine dinglich nicht zu fas­sende Transzendenz, die durch die entsprechenden Gegenstände oder Personen nur svmbolisch dargestellt werden kann. Auch im Neuen Testament, das in der Gemeinde des Neuen Bundes keine heiligen Orte, Geräte oder besonders geheiligten Personen kennt, ist die­se Konkretion von Heiligkeit und Heiligung festgehalten, allerdings in einer veränderten Bedeutung: Christen werden ermahnt, ihre Glieder in den Dienst der Gerechtigkeit zu stellen, damit sie heilig werden (Röm 6,19) bzw. ihre Leiber als Opfer zu geben, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist (Röm 12,1). Es geht bei der Heiligung also nicht nur um die innere Gesinnung, sondern um die praktische Tat, die Gottes Liebe in dieser Welt vergegenwärtigt. Rechtfertigung und Heiligung verhalten sich dabei kei­neswegs zueinander wie Indikativ und Imperativ. Beide Begriffe nennen zunächst Got­tes Heilshandeln an den Menschen, mit dem er sie in seine Gemeinschaft aufnimmt; dies wird einmal beschrieben mit Begriffen der Rechts- und Sozialordnung, das andere Mal mit einem Begriff aus dem Bereich des Kultischen. Weil dieser aber stärker die Konkretion und Konsequenz der neukonstituierten Gemeinschaft mit Gott hervorhebt, eignet er sich bes. zur Beschreibung der praktischen Folgen und damit zur paränetischen Anwendung.

Zwei wichtige Überlegungen zu den Konsequenzen der neutestamentlichen Neuprägung des Heiligkeitsbegriffes sind noch anzufügen:

1) Im Neuen Testament ist nicht nur die Ausgrenzung bestimmter Orte, Gegenstände oder Perso­nen als kultisch heilig aufgehoben worden. Auch die Unterscheidung von Rein und Unrein, die für viele Religionen konstitutiv ist, wurde relativiert (Mk 7,15; Apg 15; Röm 14,14; 1Tim 4,4). Damit ging die Aufhebung der atl. Gebote über Sabbat- und Brachjahre und andere »Tabu«-Vorschriften einher, die den Menschen der Antike die Unverfügbarkeit der Schöpfung deutlich machten. Man hat dies als Befreiung des Menschen zur gottgewollten Herrschaft über die Erde gefeiert oder auch als zweiten Sündenfall beklagt, mit dem der Mensch die gottgesetzte Grenze überschritten hat und die Erde zu zerstören begann. Wir müssen in jedem Fall deutlich machen, daß es dem biblischen Zeugnis widersprechen würde, die Erde in dem Sinne als »profaniert« anzu­sehen, daß sie der Bestimmung Gottes entnommen und den Menschen zur willkürli­chen Ausbeutung überlassen ist. »Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist« (Ps 24,1) gilt auch für das Neue Testament. Brauchen wir neue Zeichen, die uns die Heilig­keit der Erde bewußt machen?

2) Sehr früh sind in der Geschichte der Christenheit wieder bestimmte Orte oder Gegenstände mit den Attributen kultischer Heiligkeit bedacht worden oder auch Men­schen, die das Zeugnis ihres Glaubens durch ein besonders entsagungsvolles Leben oder den Märtyrertod bekräftigt haben, als besondere Heilige verehrt worden. Für einen großen Teil der Christenheit bilden solche Vorstellungen einen wichtigen Aspekt ihrer Frömmigkeit. Zweifellos werden damit auch religiöse Grundbedürfnisse der Menschheit aufgenommen, für die Institutionen wie Priester, Altar, Opfer oder Heilig­tum stehen. Es wird im ökumenischen Gespräch noch klarer auszuloten sein, wie sehr solche Vorstellungen dem zeichenhaften Charakter von Heiligkeit Rechnung tragen, oder wie weit sie grundsätzlich unter der Kritik des NT stehen, für das es Heiligkeit nur noch »in Jesus Christus« gibt und daher nur in der Nachfolge dessen, der »draußen vor dem Tor« auf dem Schindanger gelitten hat; und zwar nicht dazu, daß wir dort alsbald ein neues Heiligtum errichten, sondern damit wir »zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen« (Hebr 13,12f). Das aber bedeutet, Gottes Heilig­keit als Zuspruch und Anspruch seiner Liebe in der Profanität des Alltags zu leben und an jedem Ort und in jeder Situation offen zu sein für jene Unmittelbarkeit zu Gott, die der Hebräerbrief denen zuspricht, die in Jesus Christus den wahren Hohenpriester Gottes gefunden haben (Hebr 10,19-22).

Quelle: Lothar Coenen/Klaus Haacker (Hg.), Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament, NA, Wuppertal-Neukirchen 1997, S. 908-910.

Hier der Text als pdf.

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