Ernst Deuerlein über Johann Eberlin von Günzburg (1470-1533): „Seinem Vetter Jakob Wehe, Pfarrer in Leipheim an der Donau, hat er die Schrift zugeeignet: ‚Wie sich ein Diener Gottes in all seinem Tun halten soll und sonderlich gegen denen, welchen das Evangelium zuvor nicht gepredigt ist worden, dass sie sich nicht ärgern.‘ An die Christen in der Mark Burgau hat Eberlin eine ‚getreue Warnung‘ gerichtet. Auch dieses Sendschreiben enthält eine starke zeitkritische Unterströmung, wenn auch die theologisch-dogmatische Auseinandersetzung den Vorrang ein­nimmt.“

Johann Eberlin von Günzburg

Von Ernst Deuerlein

„Der Glockerthurn bin ich genannt / Und meld hie der von Güntzburg Schand.“ In diesen Versen sehen die Biographen des Reformators, Predigers und Publizisten Johann Eberlin von Günzburg einen unwiderlegbaren Ausweis seiner schwä­bischen Herkunft. Sie wird auch durch die Eintragung in der Matrikel der Universität Basel bestätigt, die Johann Eber­lin von Günzburg in der Liste des nach dem St.-Peter-und-Pauls-Tag des Jahres 1489 beginnenden Sommersemesters mit dem Vermerk „presbyter Augustensis dioecesis“ als Studierenden anführt. Die Baseler Universitätsmatrikel vermerkt am Tage „in angaria crucis“, dem 15. September des Jahres 1490, daß „Dominus Johannes Eberly de Gyntzburg Ingolstadensis“ von dem „consortium Baccalaureorum“ aufgenommen worden ist. Im gleichen Jahre hat er die Würde eines Magisters der philosophischen Fakultät erhalten. Der Zusatz „Ingolstadensis“ führt zu der Annahme, daß Johan­nes Eberlin vor dem Besuch der Universität Basel Student der Universität Ingolstadt gewesen ist. Die Richtigkeit die­ser Vermutung ist nicht zweifelsfrei zu beweisen, da die Matrikel der Universität Ingolstadt keine entsprechende Eintragung enthält.

Erst in Basel tritt der durch vielfache Begabung ausgezeich­nete Schwabe in den Bereich geschichtlicher Faßbarkeit. Nur kärgliche Hinweise auf Kindheit, Jugend und Studentenzeit sind in seinem reichen publizistischen Werk anzutreffen. Daß Günzburg seine Heimatstadt gewesen ist, bestätigen sein Beiname und seine wiederholt abgegebene Erklärung.

Unbekannt ist Eberlins Geburtsdatum (um 1470). Unbe­kannt sind seine Eltern, unbekannt die Wege seiner Kind­heit und Jugend. In einer seiner Schriften hat Eberlin über Jugend und Kindheit gesagt: „So hat mich Gott also geführt von meiner Kindheit bisher in viel Leiden und Trübsal, daß ich den Beleidigten wohl glauben kann und mag, und wo ich ihnen mag Nutz sein bei den Herren, da spar ich keinen Fleiß noch Arbeit.“ Unaufhellbares Dunkel liegt auch über dem Teil seines Lebens, in dem er vom Ufer der wissen­schaftlichen Laufbahn abstößt, um durch den Eintritt in den Franziskanerorden das Gestade klösterlicher Einsamkeit zu erreichen. Seine Biographen sind auch für dieses Ereignis auf Mutmaßungen angewiesen. Unbestreitbar ist jedoch die Tatsache, daß Eberlin erst ins Kloster gegangen ist, nachdem er die höchste akademische Würde erlangt hatte. Vieles, was in seinem späteren Leben un- oder nur schwer verständlich erscheint, ist in den der Betrachtung und Beurteilung ent­zogenen Jahren entstanden, angestoßen und ausgelöst wor­den. Die Jahre Eberlins vor seinem Anschluß an Luther können nicht übergangen und übersehen werden, auch wenn sie auf weite Strecken hin unbekannt sind und bleiben. Sie haben eigenständiges Gewicht, dessen Tiefgang aus der Be­wegtheit der bekannten späteren Jahre vermutbar ist.

Erst 19 Jahre nach der Eintragung der Baseler Universitäts­matrikel ist wieder eine schriftliche Aussage feststellbar. Johannes Eberlin weilt im Jahre 1519 als Prediger im Barfüßerkloster Tübingen, von wo aus er Predigtreisen in die nähere Umgebung unternimmt. Aber auch über diese Tätig­keit sind nur vereinzelte Zeugnisse überkommen. Ihnen ist zu entnehmen, daß seine rhetorische Fähigkeit alt und jung, Bauern und Bürger, Adelige und Bettler in den Bann ge­schlagen hat. Mit Allgewalt und Inbrunst hat er auf den Kan­zeln gepredigt und mitunter auch auf den Marktplätzen ge­sprochen. In kurzer Zeit ist ihm der Ruhm eines großen, wortgewaltigen Predigers vorausgeeilt: „Er hatte allweg einen großen Zulauf, wann er predigte, das gefiel ihm wohl und er meinte, was er sagte, solle angenommen werden.“ Worüber Eberlin gepredigt hat, ist wenigstens teilweise in seinen späteren Schriften angeführt. Er hat die Offenheit der Aussage nicht gescheut, im Sinne Luthers dem „Volke aufs Maul geschaut“, es verstanden und in seinem Innersten angerührt und bewegt. Die großen Sorgen und Nöte der Zeit sind ihm nicht fremd gewesen. Aber Eberlins Wort ist weit über Zeitkritik hinausgegangen. In seinen Predigten ist das Grollen und der Donner nahender Ereignisse vernehm­bar gewesen. Er selbst hat später von der ihn bewegenden Unruhe gesprochen. Seine Ohren sind geöffnet, sein Herz ist bereit gewesen für den Ruf Luthers. Er hat begierig und gierig die Worte aus Wittenberg aufgenommen. Trotzdem hat Eberlin zunächst entschieden gegen Luther ge­sprochen.

Wie vieles im Leben dieses Schwaben ist auch sein Über­tritt zur Reformation der geschichtlichen Erkenntnis ent­zogen. Ältere Biographen neigen zu der Ansicht, daß Eberlin unter dem Einfluß des Ulmer Arztes Wolfgang Rychard zum reformatorischen Bekenntnis gekommen sei. Neuere Biogra­phen widersprechen und vertreten die Ansicht, daß Eberlin während seines Aufenthaltes in Tübingen mit Philipp Me­lanchthon in nähere Beziehung gekommen seh Auch ist ein Anstoß von außen, vornehmlich durch Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (1520), denkbar. Erkennbare und nicht erkennbare Vorgänge und Ereignisse haben zusammengewirkt, um in Johannes Eberlin den Entschluß reifen zu lassen, sich der Reformation anzuschließen.

In Ulm vollzog Johannes Eberlin den endgültigen Schritt, der zu seiner Trennung von Kirche und Orden führte. In einer „Vermahnung“ an den Rat der Stadt Ulm sagte er dar­über: „Da ich zu euch kam, gab Gott einen großen Ernst in euer Herz, Gottes Wort durch mich zu lehren. Aber an mir war Gebrechen, einesteils wußte ich’s nicht, einesteils war ich zu furchtsam, die Wahrheit zu sagen. Aber doch ward ich täglich durch Doktor Luthers Büchlein gelehrter und ge­fertigter, die Wahrheit zu predigen. Da verhängte Gott dem Teufel, ein Spiel anzurichten durch meine gleißenden Brü­der, wodurch ich von euch getrieben wurde, wider dreifaches Bitten eines ganzen ehrbaren Rates zu Ulm, welcher ernst­lich, wie er dann im gemeinen Volke solche Begierde auch erfand, bei meiner Obrigkeit werben ließ, mich zu behalten. Aber dem Teufel ward sein Mutwille verhängt eine Zeitlang aus unergründlichen, aber guten und gerechten Urteil Got­tes. Doch ist also mit mir gehandelt worden, daß sich die Brüder und ihr Geist schämen müssen, falls ihre Handlung einmal an den Tag kommt.“ Der Schluß dieser „Vermahnung“ läßt die Annahme zu, daß Eberlin wegen seiner Hal­tung aus der klösterlichen Gemeinschaft ausgeschlossen wor­den ist. Lange nach seinem Klosteraustritt trug er noch die Kutte eines Bettelmönches.

Der Aufbruch zur Reformation führte Eberlin zu neuen Wirkungsbereichen. Bisher war er im schwäbisch-alemanni­schen Gebiet bis weit in die Schweiz hinein tätig. Am Peter-und-Pauls-Tag des Jahres 1521 hielt er in Ulm seine Abschiedspredigt. Wenige Tage später weilte er zu Oberbaden im Aargau. Ein Besucher seiner Predigten, der Pfarrer Gronimus, schrieb darüber: „Ich bin einmal bei ihm — Eberlin — gewesen zu Oberbaden im Schweizer Land, da predigte er ganz lutherisch und predigte wider Pfaffen und Mönche und Nonnen viel ernstlicher, als er vorher gepredigt hat. Er sagte, wie ihm leid wäre, daß er seinerzeit so heillose Dinge gepredigt hätte. Er hat mich auch fast (sehr) skrupulisch gemacht, daß ich so gar ungern Pfaff und Prediger bin. Er be­sprach etliche Punkte aus der ersten Epistel Pauli zu Timo­theus von dem Bischofsstand auf St. Ulrichs Tag.“ Anschlie­ßend hielt sich Johannes Eberlin einige Zeit bei seinem Oheim in Lauingen auf, wie das Vorwort seiner Schrift „Vom Mißbrauch christlicher Freiheit“ vom Jahre 1522 ausweist.

Eberlin wurde durch den Anschluß an die Bewegung Luthers tief ergriffen und beunruhigt. Die überall in seinem Leben transparente Vitalität machte ihm die Veränderung nicht leicht, auch wenn sie ihn mehr drängte als zurückhielt. Eberlin sprach in seinem Erstlingswerk leidenschaftlich und ernst von seinem inneren Frontwechsel. Pamphilus Gengenbach druckte 1521 zu Basel ohne Angabe von Druckort und Druckjahr, Verfasser und Drucker die erste Veröffent­lichung Eberlins. Es sind „Die 15 Bundesgenossen“, 1521 geschrieben und als Flugschriften in rascher Folge erschienen. „Der 1. Bundesgenosse“ ist kurz vor Beginn oder zu An­fang des Wormser Reichstags erschienen, in einem Augenblick also, wo Führer und Anhänger der reformatorischen Bewegung noch große Erwartung auf Karl V. setzten. Bereits im Oktober 1521 hat „Der 15. Bundesgenosse“ vorgelegen. Diese Flugschriften Eberlins haben vornehmlich in Süddeutschland, wo der Name des stimmgewaltigen Pre­digers bekannt gewesen ist, großes Aufsehen erregt. Die erste Auflage war rasch vergriffen. Weitere sind ihr gefolgt. In dieser Publikation, in der starke sozialkritische Töne zu vernehmen sind, hat Johannes Eberlin seine Absage an Kir­che und Kloster und sein Bekenntnis zu einem neuen, ihm nur den Umrissen nach bekannten Ziel niedergelegt.

Von Lauingen aus begab sich Eberlin vermutlich im Spät­sommer oder Herbst nach Wittenberg. Wahrscheinlich nahm er seinen Weg über Augsburg. Einer seiner Biographen ver­mutet, daß er auf der Reise in Leipzig erkrankt sei und den erzwungenen Aufenthalt zur Abfassung seiner Streitschrift gegen die Bischöfe „Wider die Schänder der Kreaturen Got­tes durch Weihen oder Segnen des Salzes usw.“ benützt habe. Ein anderer Biograph vertritt die Auffassung, daß diese Flugschrift unter Andreas Karlstadts Einfluß erst in Wittenberg abgefaßt worden sei. Unbezweifelbar ist Eberlin nicht vor der Rückkehr Luthers von der Wartburg am 7. März 1522 in Wittenberg eingetroffen. Über seine ersten Eindrücke schrieb er in der 1526 veröffentlichten „War­nung“ an die Christen in der Mark Burgau: „Ich kam gen Wittenberg vor 4 ½ Jahren und meinte, ich wüßte viel im Evangelio. Aber da ich mich mit den Wittenbergischen be­sprach, da kund ich nichts.“ Gespräch und Studium, Publizi­stik und Predigt machten den Inhalt der Wittenberger Jahre Eberlins aus. Er erlebte teilnehmend die klärenden Ausein­andersetzungen im Schoße der in Wittenberg versammelten Reformatoren. Seine Tätigkeit blieb niemals auf das Gespräch mit Freunden und Gleichgesinnten und auf die publi­zistische Tätigkeit beschränkt. Er nahm jede Predigtgelegen­heit wahr.

Leopold von Ranke würdigte Eberlin von Günzburg in dem der „Ausbreitung der Lehre“ gewidmeten Kapitel seiner „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“ so: „Von Eberlin sagten die Gegner, er könne wohl eine ganze Provinz verführen, so viel Eindruck mache er bei dem ge­meinen Mann.“ Über seine theologische Haltung stellt Ranke fest: „Indem Eberlin von Günzburg von Wittenberg her seine Augsburger Freunde ermahnt, sich das Neue Testa­ment anzuschaffen, selbst wenn sie sich den Preis an Kleidung oder Ernährung absparen müssen, erinnert er sie doch zugleich, nicht zu rasch zur Verwerfung der herkömmlichen Meinungen fortzuschreiten, es sei viel Gutes, was Gott in seinem Geheimnis sich Vorbehalten, wonach man nicht zu fragen brauche, z. B. das Fegefeuer oder die Fürbitte der Heiligen. Auch Luther verwarf nur das, was einen klaren Spruch der Schrift gegen sich habe.“

Eberlin unternahm auch von Wittenberg aus immer wieder Reisen, deren Ziel in erster Linie der Besuch seiner früheren Wirkungsorte war, Ulm und Oberbaden. Welchen Einfluß Eberlin dabei auf die Bevölkerung genommen hat, ist einer zeitgenössischen Niederschrift zu entnehmen, in der es über sein Auftreten in Rheinfelden heißt: „Kein Pfaff durfte sich regen, diweil Eberlin hier war. Aber gegen uns arme Leut trieben die Dorfpfaffen so viel Schmähworte, auch N und sein N hörten nicht auf, zu lästern Gottes Wort und alle, die daran glaubten. Das mußte manch frommes Herz hören mit Leid und Schmerzen. Aber zu Eberlin sagten sie kein Wort. Auch verbot uns Eberlin, wir sollten uns nicht rächen, son­dern alle Rache Gott anheim geben, der werde uns wohl be­schirmen.“ Den Rheinfeldern hat Eberlin zwei Schriften zu­gedacht: „Zuschreiben an alle Stände Deutscher Nation“ und „Ein schöner Spiegel eines christlichen Lebens usw.“ An seine Tätigkeit in Rottenburg am Neckar erinnert eine Kommunionsrede, die unter dem Titel erschienen ist: „Eine köstliche Predigt von zweierlei Reich — durch Joann Eberlin von Gintzburg gethan zu Rottenburg an dem Necker, in Andreas Wendelsteins Haus ob einem Nachtmahl, dabei etliche gute Christen versammelt gewesen sind. 1524.“ Es ist anzunehmen, daß Eberlin von Rottenburg aus über Brackenheim nach Ulm, dem Aus­gangspunkt seiner Rund­reise, zurückgekehrt ist. Von hier aus besuchte er seinen Vetter Hans Jakob Wehe, der Pfarrer in Leipheim war. Auf der Rückreise von Ulm nach Wittenberg kam Eberlin über Nürnberg, wo seine Schrift „Ein freundliches Zuschreiben an alle Stände Deutscher Nation“ entstand. Sie trägt als An­fangsdatum den 8. November und als Schlußdatum den 11. November, so daß die Annahme berechtigt ist, daß Eberlin die 18 Seiten umfassende Schrift in drei Tagen geschrie­ben hat. Ihr äußerer Anlaß ist der Umstand gewesen, daß am 13. November in Nürnberg ein neuer Reichstag eröffnet werden sollte. Dieser trat aber erst am 14. Januar 1524 zu­sammen. Über Coburg erreichte Johannes Eberlin wieder Wittenberg, wo er unverzüglich seine publizistische Tätig­keit mit der Bearbeitung neuer Flugschriften aufnahm. Zwi­schen seiner Rückkehr nach Wittenberg und seiner Berufung nach Erfurt heiratete er. Nach dem Ausweis der Wittenber­ger „Scripta publica“ entstammte seine Frau der Familie von Aurach.

Am 1. Mai 1524 hielt Eberlin in Erfurt seine Antrittspre­digt, die unter dem Titel: „Ein Sermon zu den Christen in Erfurt, gepredigt auf den Sonntag der Kreuzwoche 1524“ gedruckt erschien. Über Eberlins Berufung nach Erfurt sind verschiedene Vermutungen angestellt worden. Döllinger hat Eberlins Weggang aus Wittenberg mit der Feststellung erklärt: „In Wittenberg fand Eberlin keinen festen Platz und erhielt, weil er nicht auf den Papst und die Mönche schalt, als ein Mensch, der weder kalt noch warm sei, keine Beförderung.“ Ob die Berufung Eberlins von Luther angeregt und durchgesetzt wurde oder durch den Rat der Stadt Erfurt in Gang gesetzt worden ist, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Eberlin empfand seine Berufung als Auszeichnung. Er sah in ihr auch die lang gewünschte Anerkennung. In einem Sendschreiben an die Christen in der Mark Burgau schil­derte er den Anfang seiner Tätigkeit in Erfurt: „Ich kam gen Erfurt in Thüringen 1524 und predigte ein ganzes Jahr daselbst. Ich fing an zu sagen jeglichem Stand, was ihm Pau­lus und Petrus vorschreiben. Es war vielen seltsam, was ich lehrte, daß mehr gehört zu einem Christen als Pfaffen schel­ten, Fleisch essen, nicht opfern, nicht beichten. Ich tadelte auch des losen, sogenannten evangelischen Haufens Fressen, Saufen, Huren, Wuchern, Fluchen, Falschheit, Untreue usw. Dann sagte ich den Herren ihren Text in vier Punkten verfaßt, nämlich: sie sollten den losen, ärgerlichen, mutwilligen Pöbel strafen, oder Gott würde verhängen, daß sie von ihnen (den gemeinen Leuten) gestraft würden. Sie sollten sich der armen Witwen und Waisen getreulich annehmen, sie freundlich hören, ernstlich vertreten, doch so wenig das Recht biegen von der Armen als von der Reichen wegen. Sie sollten der Kranken in gemeinen Siechhöfen und Spitälern acht haben, daß ihrer getreulich gewartet würde; denn solche Leute wären nicht das mindeste Kleinod in einer christ­lichen Gemeinde. Sie sollten sich befleißen, daß durch sie dem gemeinen Nutzen kein Schaden entstände oder durch ihren Unfleiß, und kürzlich also handeln, daß sie vor Gott und vor frommen weisen Menschen bestehen möchten. Ob dann ihr Regiment nicht einem jeglichen Buben oder Narren gefiele, läge nicht viel daran; denn wer einer Gemeinde diene, müßte viel Arbeit und wenig Dank haben. Aber Gott werde es wohl belohnen. Auf solcher Bahn blieb ich für und für, von allerlei Ständen zu predigen, der eine lobte es, der andre fluchte; dazu schier in allen Predigten vermahnte ich das christliche Häuflein, sie sollten sich nicht unnütz machen durch Ungeduld gegen die Herren, Reichen oder andere, von welchen sie vermeinten, unbillig beschwert zu sein.“ Eberlin fand in Erfurt Beifall und Zustimmung. Das Jahr 1525 brachte auch ihm Erkenntnis und Erfahrung: „Da mir vorgebracht wurde der Zettel der Zwölf Artikel der Bauern­schaft in Schwaben, da warnte ich das Volk davor wie vor dem Tod. Und es wurde mir nicht von jedermann zugute gehalten, daß ich solche Artikel tadelte. Ich stand auch ohne alle Sorge, daß Aufruhr in Erfurt werden sollte. Es wäre auch nimmer dazu gekommen, hätte nicht der Teufel falsche Männer erweckt, die das erfurtische Landvolk in guten Schein erweckten und vor die Stadt bei 4000 führten. Als ich an einem Freitag früh (28. April 1525) bei den Herren war auf dem Rathaus von einer Sache wegen und jetzt abschei­den wollte, standen sie alle auf, so viel da waren, und baten mich kläglich und ernstlich, daß ich wollte ihnen beiständlich und tätlich sein. Ich fragte, was ihr Anliegen wäre. Da sag­ten sie, jetzt käme Botschaft, wie sich auch das Stadtvolk rottieret auf der Augstbrüche.“ Der Aufruhr in und um Er­furt traf Eberlin schwer. Unter Lebensgefahr beruhigte er die aufrührerischen Haufen vor der Stadt. In diesen stür­mischen Ereignissen ging auch die Tätigkeit Eberlins in Er­furt zu Ende.

Seine Bemühungen, Pfarrer bei St. Jakob in Rothenburg ob der Tauber zu werden, waren erfolglos. Ein neuer Tätig­keitsbereich eröffnete sich ihm beim Grafen Georg II. von Wertheim, der ihn zu seinem obersten Geistlichen machte. Der Tag seines dortigen Amtsantritts ist unbekannt. Die im Fürstlichen Archiv zu Wertheim aufbewahrte Übersetzung von Tacitus’ „Germania“ an Graf Georg trägt das Datum vom 8. Juli 1526. Vieles spricht jedoch dafür, daß Eberlin schon 1525 nach Wertheim gekommen ist. Bereits 1522 hatte sich Graf Georg II. an Luther mit der Bitte um Benennung eines Predigers gewandt. Dieser hatte ihm 1525 Eberlin empfohlen. Wertheim wurde dessen letzter Wirkungsort. In Wertheim senkte sich der Lebensbogen des Schwaben. Er schrieb seine letzten Flugschriften und brachte die Über­setzung der „Germania“ zum Abschluß. Mit ihr hatte er den Anschluß an den angewandten Humanismus in der Pflege der lateinischen und griechischen Sprache gefunden. Im übrigen versah Eberlin, ungebrochen in der bewegenden Kraft seines Herzens und in der beunruhigenden Sprache seiner Beredtsamkeit, sein kirchliches Amt mit Würde und Umsicht. Er überblickte jetzt den Weg nicht nur seines Lebens, sondern auch der reformatorischen Bewegung. Sein Tun stand auch unter vertrauender Hoffnung, obwohl es ein Tun besorgter Rastlosigkeit war. Arm an Möglichkeiten äußerer Einflußnahme, diente Johannes Eberlin in erster Linie der Verkündigung. Seine Stimme wäre aber nach­ruhmlos verhallt, läge nicht über seinen Schriften die Mor­genfrische reformatorischen Aufbruches. Sein rhetorischer Glanz wäre rasch verdunkelt, hätten ihm nicht seine Zeit­genossen ihre Bewunderung zum Ausdruck gebracht.

Eberlin von Günzburg hinterließ ein umfangreiches Schrift­tum, Ausweis für die Vitalität seines Lebens und Zeugnis für die Gesinnung seines Herzens. Die erste Veröffentlichung sind „Die 15 Bundesgenossen“ gewesen. „Sie zeugen von einem gewaltigen Gärungsprozeß, der im Innern Eberlins vor sich gegangen ist. Mit wahrer Hast bringt er die Ge­danken und Entwürfe, die ihn durchkreuzen, als ob er sie nicht länger verschließen könne, aufs Papier. Es ist ihm dabei weder um eine strenge Ordnung noch ausführliche Begründung zu tun. Indem sein Tadel immer schärfer wird und seine Anforderungen sich steigern, fehlt es auch nicht an Widersprüchen. Ein glücklicher Gedanke ist es gewesen, als Wortführer einen Kreis von 15 Männern aufzustellen, die sich eines großen Einflusses unter dem Volke rühmen und mit solchem Ernst ihre Aufgabe antreten, daß jeder sich eidlich verpflichtet, zuerst Gott vor dem Kruzifix um seine Eingebung und Hilfe zu bitten. Indem sie sich ferner an den jungen Kaiser selbst mit ihrem Anliegen wenden, nahen sie ihm nicht etwa als stürmische Dränger mit dem Schreckbild der Revolution, sondern mit vertrauensvoller Bitte und alles seiner Initiative überlassend. Den Löwenanteil der ganzen Schrift nimmt übrigens das Klosterwesen in An­spruch. Erörterungen wie ferner über das Fasten, die Tag­zeiten, die Jahrtage waren wenig geeignet, bei dem Kaiser ein besonderes Interesse zu wecken“ (Max Radlkofer). Die von Eberlin erkorenen „15 Bundesgenossen“ sind seine Mitstreiter für die Sache Luthers und gegen die Sadie der alten Kirche. Dem „1. Bundesgenossen“ ist als Losung vor­angestellt: „Eine klägliche Klage an den christlichen römi­schen Kaiser Carolum von wegen Dr. Luthers und Ulrichs von Hutten auch von wegen der Kurtisanen und Bettelmönche, daß kaiserliche Majestät sich nicht lasse von solchen Leuten verführen.“ Er vertritt sein Anliegen mit der Er­klärung: „Ich erster Bundesgenoß werde erfordert von mei­nen 14 Mitgesellen genug zu tun zu unserer Verbündnis, bedünkt mich nützlich zu sein alle meine Reden zu kehren auf das treue, adelige, christliche Herz unseres gnädigsten Kaisers Caroli in der Hoffnung, so s. k. Majestät als unser Haupt wohl berichtet würde, hätten alle andern Untertanen Glück und Heil.“ Der „1. Bundesgenosse“ erklärt, Gott habe zwei Boten nach Deutschland geschickt. Luther, der nur auf eine reine Darlegung evangelischer Lehre in den Schulen und auf den Predigtstühlen dringe, und Hutten, der Feder und Schwert zur Erweckung alter deutscher Ehrbarkeit führe. Christlich-evangelische Lehre sei Anfang alles Heils, die zu fördern sich Luther aufs höchste befleißige, der aber vor allem die Bettelmönche widerstreben. Hutten hingegen fordere nach Kräften deutsche Ehrbarkeit und Freiheit. Ihnen aber stünden die Kurtisanen im Wege, beide ge­schworene Papstknechte. An Kaiser Karl V. richtet Eberlins „1. Bundesgenosse“ die Frage: „Wer ist dein und deines Reiches großer Freund denn Luther und Hutten, die allein dein und deiner Untertanen Heil, Ehre, Glück und Seligkeit suchen — sie und all ihr Anhang? Leib, Ehre, Gut und Leben wollen sie bei dir lassen, weshalb sie sich oft in Todes­gefahr begeben haben und noch nicht ablassen auch trotz deines augenscheinlichen Zornes. Denn sie haben dich und die Wahrheit so lieb, daß sie, obschon du ihnen nimmer dankest, dir dennoch Gutes tun wollen.“ Ausführlich er­örtert der „1. Bundesgenosse“ die Gebrechen und Unzu­länglichkeiten von Kirche und Reich. Er wendet sich gegen Bischöfe und Pfarrer, gegen Fürsten und Kaufleute. Er empfiehlt, den Fuggern und dergleichen Gesellschaften einen Zaum ins Maul zu legen. Er erklärt den Zinskauf als das größte Unglück der deutschen Nation. Der „1. Bundesge­nosse“ ist der Beweis der jähen und leidenschaftlichen Be­geisterung Johannes Eberlins für die Lehre Luthers. Der „2. Bundesgenosse“ befaßt sich mit dem vierzigtägigen Fasten, das er für das arbeitsame deutsche Volk als zu hart betrachtet. Der „3. Bundesgenosse“ richtet an alle Eltern die eindringliche Mahnung, ihre Töchter nicht in die Klöster zu schicken. Er besteht auf der Forderung, daß einer Nonne, die austreten wolle, der Weg in die Welt nicht versperrt werden dürfe. Auch betont er, daß es ein heilsames Werk und keine Schande sei, eine Nonne zu heiraten. Der „4. Bundesgenosse“ spricht eine scharfe Sprache gegen die Tagzeiten der Klöster, in denen er unnütze Zeitverschwendung sieht. Der „5. Bundesgenosse“ ermahnt alle Obrigkeit der deut­schen Nation, um die Reform des Predigtstuhles besorgt zu sein. „Das beste und förderlichste Mittel zu christlichem Leben unter gemeinen Christen ist nicht in viel Statuten oder Landesrechten, in schweren Strafen, in häßlicher Härte, sondern mehr in ernstlicher Verkündigung des Wortes Got­tes durch die, welche dazu verordnet sind. Denn allein das Wort Gottes ist kräftig zu strafen die Übeltäter, zu bessern die Sünder, zu helfen den Guten.“ Im „5. Bundesgenossen“ vertritt Eberlin auch die lutherische Auffassung vom allge­meinen Priestertum, betont jedoch gleichzeitig, daß die Sorge für gute Prediger verdienstlicher sei als der Kampf gegen die Türken um des Glaubens willen. Auch der „6. Bun­desgenosse“ beteiligt sich an der Eberlinschen Polemik gegen Mönch- und Priestertum. Der Titel des „7. Bundes­genossen“ lautet: „Das Lob der Pfarrer. Von den unnützen Kosten, der gelegt wird von dem gemeinen, unverständ­lichen Volk auf Meßlesen, Folgerungen, Begräbnissen, Sie­benten, Dreißigsten, Jahrestag usw. Und vom Lob der Pfar­rer und ihrer nötigen Kaplane.“ Er setzt sich mit den Ge­pflogenheiten der Liturgie und gottesdienstlicher Ordnun­gen auseinander. Er richtet Mahnungen und Warnungen an die Geistlichen und beschließt seine Darlegungen mit den Worten: „Ich hoffe und harr.“ Der „8. Bundesgenosse“ be­antwortet die Frage, warum man die Werke Erasmus von Rotterdams ins Deutsche übersetzen solle und warum Luther und Hutten deutsch schreiben. Im „9. Bundesgenos­sen“ wird an die weltliche und geistliche Obrigkeit die Bitte gerichtet, den Klosterleuten in ihrer seelischen und leib­lichen Not zu helfen. Der „10. Bundesgenosse“ entwirft das Bild eines Zukunftsstaates, dem Eberlin den Namen „Wol- faria“ gibt. In ihm sind Richtlinien für das persönliche und öffentliche Leben aufgestellt. Diese Grundsätze werden mit der Feststellung eingeleitet: „Ich 10. Bundesgenosse will euch allen zugut fürhalten das ehrlich Regiment zu Wolfaria also lautet: Wir Hauptleute und Ringmänner des Lan­des Wolfaria tun kund allermänniglich, so dies unser Statut, Satzung und Ordnung lesen oder lesen hören werden, daß diese Stücke alle von uns verordnet sind worden und wohl­bedachtem Gemüt zu Nutz unserem Land, Städten, Dörfern, Flecken, zu denen wir euch alle verbinden bei Strafe des Schmähwortes eines zugeordneten, ungottsamen Bürgers.“ Eberlin gibt praktische Hinweise über Geistliche, Feiertag­gestaltung, Klöster, Ehe, Kirchen usw. Im „11. Bundesge­nossen“ setzt er die Beschreibung des Landes Wolfaria mit Anordnungen über das persönliche Verhalten des einzelnen fort. Karl Brandi hat auf die große und grundsätzliche Be­deutung der Ausführungen vornehmlich des „10. und 11. Bundesgenossen“ für die Frühzeit der Reformation verwie­sen: „Im Franziskanerorden wirkte von jeher ein starker Einschlag demagogischer Kraft, eine Vorliebe für das volks­tümlich Packende, Drastische, ohne Scheu vor dem Bur­lesken oder Geschmacklosen. Keiner bezeichnender als der auch schon bejahrte Eberlin von Günzburg. Bei ihm geht das Religiöse völlig im Sozialen auf, und seine „15 Punts- genossen“ gehören unter die ersten eben damals aufschie­ßenden Utopien; vor allem der elfte Bundsgenoß mit der „Ordnung des Landes Wolfaria“ von 1521. „Kein ehrlichere Arbeit und Nahrung soll sein denn Ackerbau; aller Adel soll sich nähren von Ackerbau.“ Deshalb sollen auch „in allen Räten als viel Edelleut als Bauersleut sitzen“. Aber „Ge- wildt, Vögel und Fisch soll jedermann gemein sein, für seine Not zu haben, wer es vermag. Holz soll jedermann gemein sein zu hauen, doch nützlich.“ „Kein Wein, der in unserm Land nit wächst, soll hereingeführt werden. Kein Tuch, das in unserem Land nicht gemacht wird, soll hereingeführt wer­den.“ So geht es von Handwerk, Spiel, Tanz, Baden; „alle Mann sollen bei großer Pein lang Bärt tragen, keiner soll sein Angesicht glatt haben wie ein Weib.“ Auch von der Geistlichkeit redet er seinen Spruch; „die Pfaffen sollen entweders Eheweiber haben, oder aber keine Weiber.“ „Nieman soll in Bann getan werden um Schuld; allein um öffentlich unaufhörlich Übertretung der Gebot Gottes sollen die Pfaffen ein bannen.“ Endlich auch: „Wer fürhin Ablaß verkündet oder leset, soll öffentlich gestraft werden. Das soll großer Ablaß sein, Guts tun seine nächsten Menschen und verzeihen dem Feind.“ Aber welche Überzeugungskraft lag nicht darin, wenn solche Männer den Kampf aufnahmen gegen Mönche und Pfaffen, die sie kennen mußten. „Mönche und Pfaffen“, sagt Eberlin, „haben in Sorge und Angst Tag und Nacht nachgedacht, wie sie uns betrügen möchten, die­weil wir Sorge und Angst gehabt haben um unsere Leibes­nahrung für uns, unser Kind und Gesind, und auch das wir uns nicht hatten versehen, daß unsere Seelsorger und Hei­ligenfresser unter einem guten Schein solch eine Seelenmörderei zugerichtet hätten. Durch die Lehren der hohen Schulen und der Bettelmönche sind die Deutschen ärger dann die Heiden und ärmer dann die Bettler worden.“ Das war die volkstümliche Fassung der Gravamina deutscher Nation. Solche Töne fanden ein lärmendes Echo im Volk. Buch und Bild, Zeitung und Volkslied trugen die Ideen er­regend, aufpeitschend ins Land. Johannes Eberlin hat daran wesentlichen Anteil. In seinem „10. und 11. Bundesgenos­sen“ geht er weit über die theologische Kontroverse und Polemik hinaus. Der „12. Bundesgenosse“ setzt sich wie­der mit den Zuständen in den Klöstern auseinander. Der „13. Bundesgenosse“ richtet an die Schweizer, denen sich Eberlin durch Reisen und Aufenthalte verbunden fühlt, eine Mahnung: „Ihr seid Schwyzer genannt, eure höchste Ehre soll sein, daß ihr auch Blut schwitzet in der Beschirmung der heiligen evangelischen Gesetze und seiner Lehre anhanget. Ihr sollt Schwyzer Schützer sein, Schirmer und Behälter der unbillig verfolgten frommen Christen. Ihr seid Eidgenossen gescholten, darum haltet an dem Eid, den ihr Gott in der Taufe getan habt.“ Der „14. Bundesgenosse“ trägt die Aus­lassungen Erasmus’ über die Bettelmönche vor, erklärt und erläutert sie. Im „15. Bundesgenossen“ gibt Johannes Eberlin allen christgläubigen Menschen eine heilsame Warnung, daß sie sich hüten vor neuen schädlichen Lehren. Er stellt dazu einen Katalog von 22 Irrtümern und Irrlehren auf.

Die „15 Bundesgenossen“ gehören zu den großen polemischen Streitschriften der Reformation, die die aufnahme­fähige Frühzeit bewegt haben. Sie zeigen Wünsche und Hoff­nungen auf, die im politischen und sozialen Bereich in den Bauernartikeln des Jahres 1525 wiederkehren. Ihre rauhe und im Zupacken kräftige Sprache zeigt den volksverbun­denen Prediger, der nicht nur der Kunst, den Leuten aufs Maul zu schauen, mächtig ist, sondern auch die Empfindun­gen ihrer Herzen kennt. In den „15 Bundesgenossen“ hat Johannes Eberlin der Sache Luthers ein streitbares und wohl gepanzertes Fähnlein zur Verfügung gestellt, das über­all im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation sich für die Sache der Reformation eingesetzt hat.

Eberlins zweite Schrift ist die nach allgemeiner Ansicht in Leipzig entstandene Mahnung an die Bischöfe: „Wider die Schänder der Kreaturen Gottes durch Weihen oder Segnen des Salzes usw.“ Der Anlaß ihrer Entstehung wird verschie­den gedeutet. Auch gilt sie als Beweis des Einflusses Karl­stadts auf Eberlin. Nach seiner Ankunft in Wittenberg befaßt sich Eberlin in seinem Traktat: „Wie gar gefährlich es sei, so ein Priester kein Ehweib hat usw.“ mit der Priester- ehe. Er vertritt darin die Auffassung: „Der Ehe entsagen, heißt sich freventlich selbst in Gefahr bringen.“ Er führt zur Begründung an: „Niemand mag herzlich reden von einer Sache, die ihm selbst zuwidrig ist.“ Dieser Streitschrift läßt Eberlin den Traktat „Vom Mißbrauch christlicher Freiheit“ folgen. Auf die darin enthaltenen Auslassungen nimmt er in späteren Schriften wiederholt Bezug.

Auch als Übersetzer betätigt sich Eberlin. So hat er den lateinischen Traktat des ehemaligen Augustinerpriors zu Antwerpen, Jakob Spreng aus Ypern, 1522 ins Deutsche übertragen. Er trägt den Titel „Eine schöne und klägliche Historie Bruder Jakobs usw.“. In der Schrift „Wider den Unvorsichtigen, unbescheidene Ausgänge vieler der Kloster­leute aus ihren Klöstern“ behandelt Eberlin die Beziehun­gen zwischen Klosterinsassen und Kloster unter der Erwä­gung, daß alle an Christus glaubenden Menschen frei sind. Trotz der Erfahrung mit seiner klösterlichen Gemeinschaft rät Eberlin von überstürzten und durch Gewalt erzwunge­nen Maßnahmen ab. Er legt ausgetretenen Klosterangehöri­gen nahe, demütig, vorsichtig, geduldig und züchtig zu sein, von ihren Klosterbrüdern wohlwollend zu reden und sich zu verehelichen. Die 1522 geschriebene Schrift ist erst 1524 im Drude erschienen.

Seiner letzten Veröffentlichung des Jahres 1522 hat er den Titel gegeben: „Eine freundliche tröstliche Vermahnung an alle frommen Christen von Augsburg.“ Sie ist eine Recht­fertigung Luthers, seiner Haltung und seiner Lehre. Eberlin rät seinen Landsleuten und Bistumsgenossen, dankbar zu sein für die Rückgewinnung des reinen Evangeliums. Seine Lehre sei nicht lutherisch, karlstädtisch, philippisch (nach Philipp Melanchthon), sondern göttlich. Luther sei ein Mensch wie alle und vermöge keine Lehre zur Erlangung des ewigen Lebens aus sich zu geben. Wolle er selig werden, müsse er sich gleich allen dem Evangelium unterwerfen. Eberlin erklärt mit spürbarem Nachdruck: „Ich habe des Luthers Bücher gelesen, seine Predigt oft und viel gehört, bei ihm lange gewohnt und habe erfahren, daß er ein ehr­bares, bürgerliches Leben führt, ein hochgelehrter Mann ist.“ Auch legt er dar, welche Bedeutung Luther dem Glauben zuweist. Er schließt mit der Mahnung, Kinder nicht ins Kloster zu schicken. „In dieser Schrift bewährt sich Eber­lin als treuer Anhänger Luthers, aber nicht unüberlegt, sondern in der festen Überzeugung, daß seine Lehre mit der des Evangeliums völlig übereinstimme. Seine Sprache ist eine sehr maßvolle, ja bescheidene, und wenn sich auch durch das Ganze ein gewisser wehmütiger Ton zieht, der aus der Wahrnehmung hervorgeht, daß die neue Lehre nur langsam und unter vielen Hindernissen vorwärtsschreite, so sieht er doch mit Zuversicht dem endlichen Siege entgegen“ (Max Radlkofer).

Als erste Veröffentlichung des Jahres 1523 hat Eberlin er­scheinen lassen: „Ein Büchlein, darin auf drei Fragen geant­wortet wird.“ Zur Beantwortung stellt er als erste Frage: „Warum das Evangelium so einen kleinen Fürgang — Fortschritt — habe.“ Die zweite Frage lautet: „Warum so viel Unruh und Leiden durch das Evangelium erweckt wird.“ Die dritte Frage lautet: „Ob man warten soll, solch neue Irrlehren (als man sie nennt) anzunehmen, bis daß sie be­währt werden durch ein Konzilium oder durch einen Reichs­tag.“ Die Antworten Eberlins zielen darauf ab, Beruhigung und Zuversicht unter den Anhängern der neuen Lehre zu verbreiten. Vor allem verwirft er die Mahnung, daß ein Reichstag oder ein Konzil über den Glauben zu entscheiden habe. Als Begründung führt er an, daß der Glaube kein menschliches Vernehmen, sondern göttliches Licht sei.

In seiner nächsten Schrift greift Johannes Eberlin erneut das angeschlagene Thema auf, indem er einzelne Fragen gegenüber den ihm teueren Bürgern der Reichsstadt Ulm zu beantworten versucht. Ihr Titel lautet: „Ein kurzer schrift­licher Bericht etlicher Punkte halber des christlichen Glau­bens, zugeschickt der heiligen Sammlung auserwählter Chri­sten zu Ulm in Schwaben usw.“ Eberlin erläutert 18 Thesen, die sich ausschließlich mit Fragen der kirchlichen Ordnung und der kirchlichen Lehre befassen. Zum Beschluß äußert er sich über Dr. Martin Luther mit der Feststellung: „Ich bin zu Wittenberg und habe dem Luther, Melanchthon und Karl­stadt selbst und durch andere aufgemerkt und nachgefragt und ich finde, daß sie fromme, ehrbare Leute sind, davon auch mißfällt solch unordentliche Weise und Mißbrauch, auch böse Sitten etlicher, die unter dem Namen des Evangelii Ehr, Nutz und fleischliche Freiheit suchen.“

Seine Überlegungen führt Eberlin in einer zweiten an die Bürger der Stadt Ulm gerichteten Schrift weiter, die den Titel trägt: „Die ander getreue Vermahnung Johannis Eber­lin von Günzburg an den Rat der löblichen Stadt Ulm usw.“ Auch hier sind es die bewegenden Fragen der Zeit, auf die er die allgemeine Aufmerksamkeit hinlenkt. Stark polemi­sche Züge sind in Eberlins nächster Schrift festzustellen: „Wider die falsch scheinenden Geistlichen unter dem christ­lichen Glauben, genannt Barfüßer- oder Franziskanerorden usw.“ Mit scharfen Worten verurteilt und verwirft er darin die Ordensregel Franziskus’ von Assisi, nach der er selbst sein Leben zu gestalten unternommen hat. Der Franziskaner Kaspar Schatzger hat in seiner am 15. März 1524 zu Mün­chen veröffentlichten Schrift „Von dem wahren christlichen Leben“ Eberlins Vorwürfe und Angriffe mit Entschiedenheit zurückgewiesen. Die Tormeisterin des unter der Leitung Caritas Pirkheimers, der Schwester Willibald Pirkheimers, stehenden Nürnberger Klarissenklosters, Felicitas Grund­herr, hat ihrem Vater, dem Nürnberger Ratsherren Leon­hard Grundherr, Schatzgers Verteidigung mit der Be­merkung geschickt, es sei „fast ein gutes, köstlich Ding und sehr nutz wider die verkehrten Lehren“.

In der zu Rottenburg am Neckar gehaltenen Kommunion­rede „Eine köstliche Predigt von zweierlei Reich“ versucht Eberlin, ein aus dem neuen Glaubensbegriff geformtes Welt­bild aufzuzeigen. Zugleich bekennt er sich darin als An­hänger der Prädestination. Die Schrift vom „Glockerthurn“ ist durch das Einschreiten des Günzburger Magistrats gegen Anhänger der neuen Lehre und durch die Angriffe des dor­tigen Pfarrvikars gegen Eberlin veranlaßt worden. Sie hat keinen Titel. Nur Verse sind ihr vorangestellt.

Während eines Aufenthaltes in Nürnberg — auf dem Weg von Günzburg nach Wittenberg — hat Eberlin „Ein freund­liches Zuschreiben an alle Stände deutscher Nation“ verfaßt. Es behandelt in vier Teilen: „I. Alle und jedlicher, wes Standes er ist, sei gewarnt, daß er keinen Pfaffen hindere am ehelichen Stand oder Mönche oder Nonnen am Ausgang aus den Klöstern oder am Annehmen ehelichen Standes, und das bei der höchsten Ungnade Gottes und auch zeitlichem Schaden an Leib, Gut und Ehre. II. Will jemand den Pfaffen- oder Klosterstand verändern, der tue es christlich und vor­sichtig, daß nicht der letzte Schaden ärger werde denn der erste. III. Die ehelichen Pfaffen und ausgelaufenen Kloster­leute sollen sich also halten im neuen Stand, daß ihr Wandel nützlich und leidlich, auch besserlich sei den andern. IV. Daß alle diejenigen, zu welchen das arme Völklein, eheliche Pfaffen, verlaufene Mönche und Nonnen kommen, sie freundlich empfahen möchten und handeln Christo zu Lob und Ehre.“

Die nächste Veröffentlichung trägt den Titel: „Mich wun­dert, daß kein Geld im Lande ist.“ Auch sie ist eine pole­mische Auseinandersetzung mit den bewegenden Fragen der Zeit. In der Behandlung der herrschenden Finanznot zeigt sich Eberlins soziale Neigung und soziale An­teilnahme, die nicht nur durch seine Kritik an der Zeit ausgelöst worden ist. Seinen Freunden, Bekannten und Anhängern in Rhein­felden hat er die Schrift „Ein schöner Spiegel eines christ­lichen Lebens usw.“ gewidmet. In ihr spricht er die Bitte aus: „Setzt diese meine Worte in eure Herzen und in euer Gemüt und henkent sie — tragt sie angehängt — zu einem Zeichen in den Händen und setzet sie vor eure Augen und lehret sie eure Söhne, daß sie sie betrachten!“ Seinem Vetter Jakob Wehe, Pfarrer in Leipheim an der Donau, hat er die Schrift zugeeignet: „Wie sich ein Diener Gottes in all seinem Tun halten soll und sonderlich gegen denen, welchen das Evangelium zuvor nicht gepredigt ist worden, daß sie sich nicht ärgern.“ Gedruckt überkommen ist auch: „Ein Sermon Johannis Eberlin von Güntzburg vom Gebet auf Sonntag vor der Auffahrt Christi Tag zu Erfurt in der Schotten Tempel Nachmittag vorgehalten dem christlichen Volk.“ Ihm sind die Worte zugrunde gelegt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, so ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird es euch gegeben“ (Joh. 16, 23). An die Christen in der Mark Burgau hat Eberlin eine „getreue Warnung“ gerichtet. Auch dieses Sendschreiben enthält eine starke zeitkritische Unterströmung, wenn auch die theologisch-dogmatische Auseinandersetzung den Vorrang ein­nimmt.

In das Jahr 1526 fällt die Übersetzung der „Germania“ des Tacitus, der eine Widmung an Graf Georg II. von Wertheim vorausgesetzt ist. Eberlin begründet diese Übersetzungs­arbeit mit der Feststellung: „Es ist schimpflich, daß ein deut­scher Mann so gar nichts weiß von seiner Nation zu sagen und gedenken, darum tue ein jeglicher Fleiß dieser löblichen Nation Anfang, Fürgang, redliche Handlungen und zufällige Schäden auch wider Wehre an Tag zu bringen, andern zur Unterweisung und Warnung.“ Der Übersetzung Eberlins liegt ein Text zugrunde, wie er vor der Edition Lipsius im Gebrauch gewesen ist. Eberlin übersetzt alle Kapitel der „Germania“, nimmt jedoch nach eigenem Ermessen Kür­zungen und Einschaltungen vor.

Eberlin beschließt seine umfangreiche — hier nur summa­risch gewürdigte — publizistische Tätigkeit mit einem Vorschlag zu einer Mahnung, „wie sie ein gutherziger und verständiger Herr und Vater seinem Sohne zur Schule be­fehlen solle“. Anlage und Aufbau dieser Schrift sprechen dafür, daß sie für den Grafen von Wertheim verfaßt worden ist. In ihr sind grundsätzliche Erwägungen und praktische Hinweise zusammengefaßt. Eberlin gibt eine Summe seiner Beobachtungen und Erkenntnisse ausgewählt und geläutert durch das Filter seiner Lebenserfahrung. Die Streitlust überläßt der Verständigung das Feld. Die Leidenschaft weicht der Einsicht, die Begeisterung der Besorgnis. Aber auch diese Schrift ist nur Ersatz für das gesprochene Wort, in dessen Handhabung Johannes Eberlin unstreitbar Meister gewesen ist. Max Radlkofer betont, daß das eigentliche Feld Eberlins die Predigttätigkeit gewesen sei. Diese ist dem Fassungsvermögen des gemeinen Mannes vollkommen an­gemessen, und indem alles, von dem er spricht, ihm aus dem Herzen kommt, findet er auch eine ebenso warme Auf­nahme. Wir müssen uns hier zugleich erinnern, wie damals der gemeine Mann noch mit hohem Grad naiv, einfach und einfältig, unbeholfen, ja ungeschlacht war. Der größte Teil der Deutschen konnte nicht schreiben, ja kaum lesen, die Leibeigenschaft war noch in vollster Blüte, die Buchdrucker­kunst in ihren Anfängen, der Verkehr schwierig, oft sogar gefährlich, auch erst durch den Handel mit den überseeischen Produkten dem Luxus in Kleidung und Nahrung ein Platz eingeräumt. Wer sich damals dem Volke verständlich zu machen und sein Vertrauen zu gewinnen wußte, an dem hing es auch mit kindlicher Zuversicht.

So groß und aufschlußreich das literarische Werk Eberlins ist, es ist nur ein Teil des Wirkens, mit dem er sich für die Ausbreitung und Vertiefung des reformatorischen Anliegens eingesetzt hat. „Soziale“ und „nationale“ Empfindungen haben sein Denken und Tun weitgehend beeinflußt und be­stimmt. Auch wenn er sich von den Idealen des Bettlers von Assisi losgesagt hat, ist in ihm ein starkes Gefühl für Not, Unterdrückung und Elend lebendig geblieben. In seiner Utopie „Wolfaria“ hat er Sehnsucht und Hoffnung auf ein besseres Jahrhundert bezeugt. Er hat es greifbar vor sich gesehen, obwohl ihm jeder antreibende oder bewegende Einfluß an dessen Verwirklichung verwehrt gewesen ist. Nicht minder groß ist Eberlins Erwartung auf die Erneuerung von Kaiser und Reich gewesen, wobei er den Anstoß von der deutschen Nation erhoffte: „Wo teutsche Nation wieder auf­gerichtet wird mit ihrem Kaiser, mögen sie darnach der ganzen Welt nützlich und behilflich sein zu erlangen die Wahrheit.“

Da der größere Teil des Lebensweges Eberlins der genauen Kenntnis entzogen ist, ist die Frage nach dem Grunde seines Anschlusses an die reformatorische Bewegung nicht in vollem Umfang und auch für den möglichen Teil nur mit behutsamer Zurückhaltung zu beantworten. Er ist jedoch nicht in opportunistischem Mitläufertum zu suchen. Er liegt aber auch nicht im eigenen Antrieb. Unzufriedenheit mit dem Bestehenden und Hoffnung auf das Kommende haben auch ihn bestimmt, über den Graben zu springen, den ein anderer gezogen hatte. Eberlins Eigenständigkeit liegt in der Eigenwilligkeit, mit der er die großen, brennenden Fragen seiner Zeit angesprochen hat.

Literatur: Brandi, Karl, Die deutsche Reformation, Leipzig 1941. — Endres, Ludwig, Johann Eberlin von Günzburg. Ausgewählte Schriften (3 Bde.), Halle a. d. S. 1896 ff. — Lortz, Joseph, Die Reformation in Deutschland (2 Bde.), Freiburg i. Br. 1940 ff. — Radlkofer, Max, Johann Eberlin von Günzburg und sein Vetter Hans Jakob Wehe von Leipheim, Nördlingen 1887. — Ders., Die älteste Verdeutschung der Germania des Tacitus durch Johann Eberlin, in: Blätter für das Bayer. Gymnasialschulwesen, Bd. 23 (1887) 1—16. — Schottenloher, Karl, Bibliographie zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Glaubensspal­tung 1517—1585, I. Band, Personen A—L, Leipzig 1933. Nr. 5144 bis 5167.

Quelle: Götz Freiherr von Pölnitz (Hrsg.), Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, Bd. 5, München: Max Hueber, 1956, S. 70-92.

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