Dolf Sternberger, Vorbemerkung zum Wörterbuch des Unmenschen (1945): „Soviel und welche Sprache einer spricht, soviel und solche Sache, Welt oder Natur ist ihm erschlossen. Und jedes Wort, das er redet, wandelt die Welt, worin er sich bewegt, wandelt ihn selbst und seinen Ort in dieser Welt. Der Verderb der Sprache ist der Verderb des Menschen. Seien wir auf der Hut! Worte und Sätze können ebensowohl Gärten wie Kerker sein, in die wir, redend, uns selbst einsperren., und die Bestimmung, Sprache sei allein die Gabe des Menschen oder eine menschliche Gabe, bietet keine Sicherheit.“

Vorbemerkung zum Wörterbuch des Unmenschen (1945)

Von Dolf Sternberger

Sprache ist die Gabe allein des Menschen, das verwirrende und befreiende, verräterische und erhellende, ausgreifende und fesselnde, lösende und bindende, selige und gefährliche Medium und Siegel seines Wesens. Soviel und welche Sprache einer spricht, soviel und solche Sache, Welt oder Natur ist ihm erschlossen. Und jedes Wort, das er redet, wandelt die Welt, worin er sich bewegt, wandelt ihn selbst und seinen Ort in dieser Welt. Darum ist nichts gleichgültig an der Sprache, und nichts so wesentlich wie die façon de parier [Art zu wetten]. Der Verderb der Sprache ist der Verderb des Menschen. Seien wir auf der Hut! Worte und Sätze können ebensowohl Gärten wie Kerker sein, in die wir, redend, uns selbst einsperren, und die Bestimmung, Sprache sei allein die Gabe des Menschen oder eine menschliche Gabe, bietet keine Sicherheit. Denn der Begriff des Menschen schließt die Möglichkeit (und Wirklichkeit) des Unmenschen in sich; im anderen Falle ist er ein unzulänglicher Begriff, und eben daran können und müssen wir ihn prüfen, da wir das Unmenschliche kennen. So hat der Mensch auch als Unmensch seinen Wortschatz, seine eigentümliche Grammatik und seinen eigentümlichen Satzbau. Wir wollen hier seinem Wortschatz nachspüren und in der Sprache jeweils der Sache auf die Sprünge kommen, die sie bedeutet. Sie ist – leider – keine fremde Sprache, aber dieses Wörterbuch hat eine Aufgabe, die derjenigen der übrigen und gewöhnlichen Wörterbücher genau entgegengesetzt ist: es soll uns diese Sprache fremd machen …

Heidelberg, November 1945 d. st.

Quelle: Dolf Sternberger/Gerhard Storz/Wilhelm E. Süskind, Aus dem Wörterbuch des Unmenschen, Hamburg und Düsseldorf: Claassen, 1957, S. 9.

Hier der Text als pdf.

Hinterlasse einen Kommentar