Jürgen Roloff, Die Christen und der Staat nach Offenbarung 13: „Die Apokalypse dagegen entwirft ein Bild faktischer staatlicher Wirklichkeit in ihrer schlimmsten denkbaren Form: Es ist ein Staat, der zum Werkzeug des organisierten Widerstandes der gottfeindlichen Menschheit gegen den Schöpfer geworden ist. Für den Christen gibt es ihm gegenüber nur eines: entschlossenen Widerstand.“

Die Christen und der Staat nach Offenbarung 13

Von Jürgen Roloff

Man kann den innerhalb des Neuen Testaments einzigartigen Aussagen über das Verhältnis der Christen zu Staat und staatlicher Macht nur gerecht werden, wenn man ihren konkreten zeitgeschichtlichen Hintergrund mit im Auge hat: Das Römische Weltreich auf dem Höhepunkt seiner äußeren und inneren Macht schickt sich an, die Einwohner aller seiner Provinzen durch ein kultisch-religiöses Einheitsband noch stärker als bisher an sich zu binden. Allenthalben, vorab in Kleinasien, wird mit den Mitteln einschüchternder Prachtentfaltung und massiver Propaganda staatlicher Stellen der Kaiserkult als sichtbarer Ausdruck der offiziellen Reichsideologie durchgesetzt. Die Christen, die die Anbetung des Kaisers verweigern, sehen sich allen Arten gesellschaftlicher und staatlicher Repression ausgesetzt; hier und dort kommt es bereits zu Ausschreitungen gegen die Gemeinden, und einzelne ihrer Glieder haben ihre Standfestigkeit bereits mit dem Tode bezahlen müssen (2,13; 6,9). Größere Bedrängnisse und Schikanen, bis hin zur staatlich angeordneten Verfolgung, scheinen sich anzukündigen. Es gibt zwar kein staatliches Verbot der Ausübung des christlichen Glaubens; wohl aber gibt es die Forderung des Staates, daß alle seine Bürger aktiv am offi-[146]ziehen Reichskult teilnehmen. Damit hat sich dieser Staat als weltanschaulich-totalitärer Staat erwiesen, der das für sich beansprucht, was allein Gott und Jesus Christus gehört. Nach dem Urteil des Sehers ist er das irdische Abbild und Ebenbild des Satans (V. 1f.), die Verkörperung der widergöttlichen Macht schlechthin. Darum gibt es für die Christen nur eines, nämlich den Widerstand bis zum Äußersten. Schon ihre ohnmächtige äußere Lage erlaubt den Christen freilich nichts anderes als bloßen passiven Widerstand. Die Möglichkeit, die dämonische Herrschaft mit Gewalt abzuschütteln, steht nicht entfernt zur Debatte. Ja, die Glaubenden müssen sich darauf einrichten, daß sie von der staatlichen Machtmaschinerie zermalmt werden. Johannes stellt ihnen keine innerweltliche Rettung in Aussicht (V. 9f.). Was ihnen bleibt, ist einerseits die Gewißheit, daß Gott selbst durch sein machtvolles Eingreifen die ihm widerstreitende Macht vernichten wird, andererseits die Hoffnung auf die Teilhabe an der von Gott zugesagten zukünftigen Vollendung.

So situationsbezogen die Aussagen über den Staat in Apk. 13 sind, so wenig lassen sie sich auf die damalige Situation des Verhältnisses der Christen zum römischen Imperium eingrenzen. Hier liegt vielmehr eine prophetische Schau vor, die im Bild des das Römerreich verkörpernden Tieres bestimmte Wesenszüge und Entartungserscheinungen staatlicher Macht in scharfen Konturen herausstellt. Nicht umsonst ist ja das Tier aus dem Meer in V. 1-3 als die Zusammenfassung aller bisherigen Weltreiche (Dan. 7) dargestellt. Es ist für Johannes das Bild des hybriden, seine Macht totalitär als Selbstzweck feiernden Staates schlechthin. Die negative Wertung läßt sich nämlich nicht auf den Kaiserkult und seine unmittelbaren Begleiterscheinungen eingrenzen; dieser ist vielmehr nur ein besonders ausgeprägtes Symptom für das Selbstverständnis der den römischen Staat tragenden Gesellschaft, und zwar aller ihrer Schichten (V. 3f.). Indem sich in ihm das Imperium selbst als göttlich zum Gegenstand der Anbetung macht, wird er zum Ausdruck eines gesellschaftlichen Machtbewußtseins, das keine Grenzen mehr anerkennt und sich durch nichts in Frage stellen läßt.

Dieser dämonische, totalitäre Staat erscheint als ein verzerrtes Gegenbild zum Bereich Gottes und zur Kirche. Damit kommt zum Ausdruck, daß seit dem Herrschaftsantritt Jesu im Himmel überall da, wo Menschen, Staaten und Gesellschaften absolute Machtansprüche erheben, versucht wird, etwas zu okkupieren und zu mißbrauchen, was eigentlich nur Gott und Christus zugehört. Mehr noch: Seit dem Herrschaftsantritt Christi wird die Geschichte der Welt, ob offen oder verborgen, von der Auseinandersetzung mit ihm bestimmt. Aber noch in ihrem entschlossensten Nein zu Gott und seiner Herrschaft bleiben Völker und Machtsysteme in einer geheimnisvollen Weise von ihm abhängig: Die Gewalt, die sie ausüben, beruht auf Gottes Zulassen, und selbst die Rituale und äußeren Formen, mit denen sie sich ihrer unbegrenzten Macht versichern, sind nichts Eigenes, sondern schlechte Nachbildungen dessen, was in Gottes Heilsbereich geschieht.

Wie aber verhält sich dieses extrem gezeichnete Bild staatlicher Macht zu dem scheinbar ganz anderen, das Paulus in Röm. 13 entwirft? Man wird beide nicht gegeneinander ausspielen dürfen, auch nicht in der Weise, daß man [147] in Röm. 13 «normale» urchristliche Sicht des Staates sucht und Apk. 13 zum Grenzfall erklärt. Eher verhält es sich so, daß Paulus in Röm. 13 den Staat so zeichnet, wie ihn sich der Christ im günstigsten Fall erhoffen und wünschen kann: Es ist ein Staat, der sachlich und korrekt in seinen Organen handelt, friedliche und gute Möglichkeiten für das Zusammenleben von Menschen schafft und Bedrohungen abwehrt. Einem solchen Staat können und sollen die Christen gehorchen, weil sie in ihm ein Werkzeug des gnädigen Erhaltungswillens Gottes für seine gefallene Schöpfung sehen können. Die Apk. dagegen entwirft ein Bild faktischer staatlicher Wirklichkeit in ihrer schlimmsten denkbaren Form: Es ist ein Staat, der zum Werkzeug des organisierten Widerstandes der gottfeindlichen Menschheit gegen den Schöpfer geworden ist. Für den Christen gibt es ihm gegenüber nur eines: entschlossenen Widerstand. Die faktische staatliche und gesellschaftliche Wirklichkeit, mit der es Christen zu tun bekommen, wird zumeist irgendwo zwischen diesen beiden neutestamentlich markierten Grenzpunkten liegen. Apk. 13 wird darum zu einem Appell an die Christen, sich nicht kritiklos mit jeder staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung abzufinden, sondern da kritisch und warnend ihre Stimmen zu erheben, wo Staat und Gesellschaft totalitäre Züge entwickeln und der stets gegenwärtigen Versuchung eines Kults der Macht nachgeben.

Quelle: Jürgen Roloff, Die Offenbarung des Johannes, ZBK.NT 18, Zürich: TVZ 21987, 145-147.

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