Von Maximilian Forschner
Das Gute gehört zu den zentralen Begriffen der Metaphysik und der praktischen Philosophie. Gleichwohl ist seine Bedeutung keineswegs eindeutig bestimmt. Im Sprachgebrauch der philosophischen Tradition kann man zwischen einer absoluten und einer relativen Bedeutung des Begriffs unterscheiden: das Gute wird einmal verstanden als Eigenschaft eines Gegenstandes, Zustands, Ereignisses, einer Handlung, einer Aussage, die diesen an sich zukommt; ein Seiendes ist gut, insofern es ist, was es sein kann. Seiendes wird als Zu-Seiendes verstanden, und sein Gut-sein bedeutet die Erfüllung der in ihm angelegten Möglichkeit, seine Vollendung.
„Gut“ wird ferner genannt, was gut zu oder für etwas anderes ist: das Gute meint dann das funktionale Tauglichsein von dinglichen Gegenständen, von Organen, Tieren, von Menschen für einen bestimmten Zweck.
Im Kontext einer objektiven Wesensmetaphysik, die Sein als teleologisch strukturierten, systematischen Ordnungszusammenhang interpretiert, führt der Begriff das Gute als Vollkommenheit und Zweckmäßigkeit zum Gedanken eines Systems des inneren wie funktionalen Gutseins der Dinge (omne ens est bonum), das abgeschlossen und begründet wird durch ein höchstes Gut (summum bonum), dem jedes Seiende nach Maßgabe seiner Partizipation an ihm sein Gut-sein verdankt. Sein heißt Gut-sein, jedes Seiende ist und ist gut in dem Maß, in dem es seinem vorgängigen Wesensbegriff entspricht; und dieser Wesensbegriff ist fundiert in einem letzten Prinzip, das jedem Seienden seinen Stellenwert im Ganzen zuweist. Die christliche Philosophie übernimmt die ontologische Vorstellung eines allen Gütern ihr Gutsein gewährenden Gute als Prinzip allen Seins und Erkennens und identifiziert sie mit ihrem Begriff eines persönlichen Gottes (Augustinus, Thomas v. Aquin u.a.).
Die Rede vom relativ Guten meint noch ein zweites: das Gute ist gut für jemanden, das Gute ist das, was von einem Subjekt um seiner selbst oder seiner Nützlichkeit für anderes willen erstrebt, begehrt, gewollt, geliebt wird. In dieser Bedeutung wird der Begriff zum Prinzip der Ethik und Politik. Die von Aristoteles begründete praktische Philosophie befaßt sich mit dem menschlich Guten (anthropinon agathon) als letztem Worumwillen menschlichen Wollens und Tuns, das allein um seiner selbst, alles andere aber um seinetwillen erstrebt wird: das Gute als absolutes Ziel und Prinzip der Stufenordnung des relativ Gute, das Gute als das, wodurch und worin der Mensch sein Seinsziel erreicht, also ganz er selbst wird (d.h. Eudaimonia, Glück qua Autarkie). Die aristotelische Antwort auf die Frage, worin dieses Gute für den Menschen der Sache nach bestehe, ist ambivalent: ein vollendetes Leben von Freien und Gleichen in politischer Gemeinschaft, dessen Struktur durch die verschiedenen praxisorientierten Tugenden bestimmt ist und (oder?) die als Seligkeit gedachte, von aller Potentialität befreite, in sich selber zusammengeschlossene Aktualität des reinen Denkens. Die rein formale Bestimmung das Gute als des Letzterstrebten, auch die enge Verbindung (wenn nicht Gleichsetzung) mit dem Begriff des Glücks war Gemeingut antiker und mittelalterlicher Strebensethik (kontrovers war stets seine materiale Qualifikation: Lust, Tugend, Wissen, Gottesgemeinschaft etc.). Entscheidend für die platonisch-aristotelisch-scholastische Tradition ist: die affirmative teleologische Ontologie bleibt Basis der Bestimmung auch des praktisch Guten; das menschlich Gute als Ziel des Strebens ist eingebunden in einen kosmologischen Rahmen, das allein befriedigende Ziel menschlichen Begehrens ist auch das objektive Ziel seiner aus Anlagen und Fähigkeiten erkennbaren Wesensnatur.
Die neuzeitliche Rede vom Guten ist von aller objektiv-teleologischen Interpretation des Seienden abgelöst. Die Auslegung des Seins als reiner, in raumzeitlicher Verlaufsgesetzlichkeit bestimmbarer Gegenständlichkeit entzieht dem objektiv Seienden seinen theoretisch erkennbaren und praktisch zielgebenden Wertcharakter. Das Gute wird definierbar nur im Rekurs auf ein Subjekt, das Gegenstände, Sachverhalte, Dispositionen, Handlungen etc. im Bezug auf sein Gefühl der Lust, sein Begehren, seinen Willen als angenehm, zweckmäßig, nützlich bzw. sittlich gut qualifiziert. Das Gute ist demnach nicht ein Prädikat, das eine objektive Eigenschaft des Seienden beschreibt, sondern ein Relationsbegriff, in dem die wertende Einstellung eines Subjekts zu diesem Seienden zum Ausdruck kommt. Da menschliches Begehren auch und primär in seiner Bedürfnisstruktur wurzelt, wird das (außermoralisch) Gute vielfach in jene Güter gesetzt, die der Befriedigung der Bedürfnisse dienen. Da menschliche Bedürfnisse gesellschaftlicher Vermittlung und geschichtlichem Wandel unterliegen, ist das so verstandene Gute relativ zu Person, Ort und Zeit (Th. Hobbes, Vom Menschen, 11, 4). Das moralisch Gute wird dann meist funktional interpretiert als die Anerkennung und Befolgung jener Normen, die der Realisierung der Bedürfnisse des einzelnen (ethischer Egoismus: Selbstinteresse) oder einer bestimmten Handlungsgemeinschaft (ethischer Partikularismus) oder der Menschheit (ethischer Universalismus: z. B. Utilitarismus) dienen. Verschiedene Theorien versuchten der Konsequenz dieses Ansatzes, der das Gute radikal relativiert und Moralität zu bloßer Zweckrationalität herabstuft, durch den Nachweis der Wahrheitsfähigkeit des Guten und des Selbstwerts der Moralität zu entgehen: (1) Das im moralischen Urteil anerkannte und geforderte Gute wird interpretiert als Ausdruck allgemeinmenschlicher Empfindungen, die den Rahmen der auf Selbsterhaltung und Selbststeigerung abzielenden Bedürfnisbefriedigung sprengen (J. Butler, D. Hume); (2) das in moralischen Wert- und Verpflichtungsurteilen wie in außermoralischen Werturteilen erkannte, anerkannte und geforderte Gute wird als objektiver, überzeitlicher Gegenstand einer spezifisch praktischen Erkenntnisweise verstanden (moral-sense-Philosophie von Shaftesbury, F. Hutcheson: Gefühl; das Wertfühlen der Wertethik von M. Scheler, N. Hartmann); (3) das Phänomen uneingeschränkter Achtung vor einem Handeln, das in der Befolgung eines kategorisch gebietenden Sittengesetzes alle Glückserwägungen zurückstellt, wird rekonstruiert als emotionaler Widerschein einer sich selbst zum letzten Ziel setzenden und als allein unbedingt gut anerkennenden praktischen Vernunft (Kant).
Lit.: Platon, Politeia VI, 503 e-509 d; Aristoteles, Nikomachische Ethik I, 4; Cicero, De finibus bonorum et malorum; Thomas v. Aquin, De malo; Summa contra gentiles, lib. III; Wilhelm v. Auvergne, De bono et malo; Th. Hobbes, Vom Menschen; Leviathan; I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; G. E. Moore, Principia Ethica; W. D. Ross, The Right and the Good; J. Pieper, Die Wirklichkeit und das Gute, München 51956; F. E. Sparshott, An Enquiry into Goodness and Related Concepts, Chicago 1958; B. Blanshard, Reason and Goodness, London 1961; Helmut Kuhn, Das Sein und das Gute, München 1962; G. H. v. Wright, The Varieties of Goodness, London 1963; W. Wieland, Platon und der Nutzen der Idee. Zur Funktion der Idee des Guten, in: Allgemeine Zeitschrift für Philososphie 1/1976; R. B. Brandt, A Theory of the Good and the Right, Oxford 1979; F. Ricken, Allgemeine Ethik, Stuttgart 1983, Kap. B III; M. C. Nussbaum, The Fragility of Goodness, Cambridge 1986; A. W. Müller, Wie notwendig ist das Gute?, in: L. Honnefelder (Hrsg.), Sittliche Lebensform und praktische Vernunft, Paderborn und a. 1992, 27-57.
Quelle: Otfried Höffe (Hg.), Lexikon der Ethik, 5. A., München: C.H. Beck, 1997, S. 121-123.
In Ergänzung Maximilian Forschners Artikel „Das Gute“ aus der 8. Auflage des Staatslexikons.