Gisbert Greshake über Ewigkeit und ewiges Leben: „Wer im Glauben und in der Nachfolge Christi steht, darf wissen, dass nicht nur seine Zeit und das, was in ihr geschieht, gerettet und bewahrt wird, sondern dass er schon jetzt einen ersten anfanghaften und dann einmal den vollendeten Anteil besitzt am ewigen Leben, das heißt an der alles umfassenden Seinsfülle Gottes.“

Ewigkeit/Ewiges Leben

Von Gisbert Greshake

1. Die „Zeit“ Gottes

Ewigkeit, ewiges Leben sind in der Hl. Schrift und in der Glaubenstradition zunächst einmal Prädikate Gottes, die etwas über die „Zeit“-Form des göttlichen Seins aussagen. Dabei erwecken manche Formulierungen der Hl. Schrift (und manche Vorstellungsweisen der Gläubigen) in ihrer Bildhaftigkeit den falschen Eindruck, als handle es sich bei der Ewigkeit um eine unendlich lange Zeitdauer („… von Ewigkeit zu Ewigkeit“; „… von Ewigkeit her“). Doch kommt man dem mit Ewigkeit Gemeinten näher, wenn man (im Anschluß an Augustinus) auf die spezifisch menschliche Zeiterfahrung blickt, die dazu veranlaßt, von einer ganz anderen „Zeit“ Gottes sprechen zu müssen.

2. Erfahrung der Zeit

Es gehört zum Wesen der Zeit, daß jedes Jetzt sofort vergeht und der Vergangenheit anheimfällt. Denn im eigentlichen Sinn hat nur die Gegenwart Sein und Bestand; nur von ihr kann man wirklich sagen; sie ist. Die Vergangenheit ist nicht mehr; die Zukunft ist noch nicht. Aber auch die Gegenwart ist nicht im Vollsinn, weil sie ungreifbar, geradezu ausdehnungslos ist; im nächsten Augenblick wird sie zur Vergangenheit und fällt ins Nicht-mehr-Sein zurück. So ist die Zeit eine Art „Vernichtungsgeschehen“; sie „frißt sich beständig auf“, wie es der griechische Mythos vom Gott Chronos zum Ausdruck bringt, der seine eigenen Kinder frißt. Philosophischer gesagt: In der Zeit steckt das „tendere ad non esse“, die Tendenz zum Nicht-Sein, zum Nichts. Deswegen ent-täuscht die Zeit den Menschen stets aufs neue, d. h., sie reißt ihn aus der Täuschung heraus, daß er sie oder etwas in ihr festhalten könnte. Und doch sehnt sich der Mensch im tiefsten nach einer Wirklichkeit, die von Dauer, die verläßlich und beständig ist und sich nicht fortwährend im vergehenden Nacheinander einzelner Augenblicke verflüchtigt. „Denn alle Lust will – Ewigkeit! … – will tiefe, tiefe Ewigkeit!“, ruft F. Nietzsche aus, und H. Hesse dichtet: „Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern! Danach ist unsre Sehnsucht ewig rege …“ Von dieser Sehnsucht des menschlichen Herzens her ist ein Verstehenszugang zur Ewigkeit Gottes gegeben: Sie ist – um deren berühmte Definition durch Boethius (6. Jh.) aufzugreifen – „der vollkommene, in einem einzigen, alles umfassenden Jetzt gegebene Besitz grenzenlosen Lebens“ („Interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio“), oder kurz: Ewigkeit ist vollkommener Besitz der Seinsfülle. Dies kommt nur Gott zu, denn der Mensch begegnet der Wirklichkeit des Seins stets nur punktuell, fragmentarisch, nie in ihrer Gänze.

3. Ewigkeit und Zeit

Und doch besteht zwischen Zeit und Ewigkeit nicht nur ein scharfer Kontrast, weder von der Ewigkeit Gottes (a) noch von der zeitlichen Verfassung des Menschen (b) her gesehen.

a) Von der Ewigkeit Gottes her gesehen, ist die Zeit nicht einfach das davon getrennte „ganz andere“. Denn Gott selbst erschafft und erhält dadurch, daß er Schöpfung setzt, die Zeit. Und dadurch, daß er zum Heil seines Geschöpfes handelt, läßt er sich mit der Zeit ständig ein, bis dahin, daß der ewige Gottessohn selbst ein zeit-verfaßter Mensch wird. Die Ewigkeit Gottes ist also nicht einfach Zeitlosigkeit, sondern Zeit gebende und Zeit gewährende Herrschaft über die Zeit sowie Treue und Beständigkeit in der Beziehung zum zeitlichen Menschen.

b) Auch von der menschlichen Zeit her gesehen, ist die Ewigkeit nicht einfach das schlechthin andere. Denn in der menschlichen Zeiterfahrung gibt es neben dem unter 2. genannten Moment der „Vernichtung“ noch ein weiteres Element, welches die Zeit zum „Bild“ der Ewigkeit macht: Wenn nämlich auch jeder gegenwärtige Augenblick durch den folgenden abgelöst wird, so wird die verfallende Gegenwart doch aufbewahrt in der Erinnerung, und sie streckt sich – einem Sprungbrett gleich – hoffnungsvoll auf die Zukunft hin aus, ja nimmt diese in Hoffnung vorweg. Indem die Gegenwart so mit Erinnerung und Hoffnung verknüpft ist, sind die drei Zeitphasen (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) zusammengehalten. In dieser ihrer Beziehungseinheit bilden sie die Ewigkeit Gottes in unvollkommener Weise ab. Damit aber stellt sich die Frage, ob die Zeit als unvollkommenes Bild der Ewigkeit dieser einmal ganz und gar ähnlich wird, nämlich so, daß Erinnerung nicht nur Erinnerung an Vergangenes ist, sondern Gegenwart bleibt und daß Zukunft nicht nur erhoffte Zukunft ist, sondern zum erfüllten und verwirklichten Präsens wird.

4. Ewiges Leben für den Menschen

Diese Frage wird vom Glauben her positiv beantwortet: Gott will dem Menschen sein eigenes ewiges Leben schenken, er will ihm Anteil geben an seiner Ewigkeit, d. h. an seinem Besitz der Seinsfülle. Diese Teilgabe ist bereits jetzt anfanghafte und verborgene Wirklichkeit. Denn: „Wer an mich glaubt, hat das ewige Leben“ (Joh 6,40; siehe auch Joh 3,36) genauso wie der „ewiges Leben hat“, der Christi Fleisch und Blut zu sich nimmt (Joh 6,54). Wer alles verläßt und Jesus nachfolgt, „gewinnt das ewige Leben“ (Mt 19,29); das Gleiche wird von dem gesagt, der Gott liebt (Lk 10,28). Und wer auf Christus getauft ist, hat einen Gewinn, der „ewiges Leben bringt“ (Röm 6,22). Kurz: Wer im Glauben und in der Nachfolge Christi steht, darf wissen, daß nicht nur seine Zeit und das, was in ihr geschieht, gerettet und bewahrt wird, sondern daß er schon jetzt einen ersten anfanghaften und dann einmal den vollendeten Anteil besitzt am ewigen Leben, d. h. an der alles umfassenden Seinsfülle Gottes.

LITERATUR: K. Barth, Kirchliche Dogmatik II/1, 685-764; K. Rahner, Ewigkeit aus Zeit, in: Schriften XIV, 422-432; R. Schulte, Zeit und Ewigkeit, in: CGG XXII (Freiburg 1982), 117-186.

Quelle: Christian Schütz (Hg.), Praktisches Lexikon der Spiritualität, Freiburg 1992, 363-366.

Hier der Text als pdf.

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