Prädestination, Erlösung und Verdammnis im wirklichen Leben
Die Lehre von der Prädestination zum Heil oder zur Verdammnis enthält Aussagen, die zu hochproblematischen Missverständnissen führt. Wird abstrakt von einem göttlichen Willen gesprochen, der vorbestimmt, ob Menschen gerettet oder verdammt werden (doppelte Prädestination), ergeben sich daraus Anfragen an die göttliche Gerechtigkeit bzw. Barmherzigkeit: Wie kann der Gott willkürlich die einen Menschen retten und die anderen zur Verdammnis vorbestimmen? Wenn Menschen keinen freien Willen haben, sondern ihr Heilsglaube selbst vorbestimmt ist, scheint am Ende ein unbarmherziges göttliches Schicksal bzw. Weltgericht zu stehen. Eine solche Vorstellung muss den Glauben an das Evangelium Jesu Christi zerstören, da Willkür kein Vertrauen finden kann.
Martin Luthers Schlüsselsatz aus seiner Auslegung zum dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses in seinem Kleinen Katechismus lautet:
„Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten; gleichwie er die ganze Christenheit auf Erden beruft, sammelt, erleuchtet, heiligt und bei Jesus Christus erhält im rechten, einigen Glauben.“
Mein Glaube verdankt sich nicht meiner eigenen Entscheidung, ich kann ihn auch mir nicht selbst bewahren, sondern er ist Wirkung des Evangeliums im Heiligen Geist. In der Konsequenz darf ich darauf vertrauen, dass nicht meine eigene Glaubensstärke mich bei meinem Retter Jesus Christus halten kann. Falls ich meinen Glauben verlöre (Abfall vom Glauben), wäre ich für Christus verloren. Dagegen steht das eigene Vertrauen in die Wirkung des Heiligen Geistes „im rechten Glauben geheiligt und erhalten“. Ich verdanke mein Heil nicht meiner eigenen Entscheidung, sondern göttlichem Vertrauen.
Schnell kommen wir dennoch zu der Frage: Was ist mit den Menschen, denen eben nicht so ein vertrauensvoller Glaube in das Evangelium gegeben ist? Warum hat ihnen der Gott offensichtlich seinen Heiligen Geist vorenthalten? Theoretisch lässt sich mit keiner Prädestinationstheorie erklären, warum es unverschuldete Unterschiede bei den Menschen in Bezug auf das ewige Heil gibt.
Das Problem der Prädestinationslehre ist, dass sie abstrakt außerhalb des tatsächlichen Glaubensgeschehens nachfragt. Man nimmt vermeintlich eine Position über den Dingen und über dem eigenen Leben ein. Als könne man im Buch des Lebens lesen und das „Ende vom Lied“ in der Theorie vorab begreifen. Tatsächlich stellt uns das Evangelium jedoch auf eine Lebensbühne, wo Anspruch und Wirklichkeit aufeinandertreffen, wo Gläubige Zweifel und Frage haben, mitunter den Kontakt zur Kirche verlieren, ihn neu finden, wo sie zum dem Gott scheinbar vergeblich beten und andersherum unverhoffte Gebetserhörung erfahren. Es ist die Pilgerschaft des Glaubens, die in einer Prädestinationslehre nicht vorweggenommen bzw. in den Status „gerettet“ eingedampft werden kann. Keine Theorie mit genereller Begrifflichkeit kommt dem wirklichen Geschehen von Menschen mit ihrem je eigenen Namen gleich. Wir können uns eben nicht von der Bühne stehlen und in einen göttlichen Regieraum gehen, um das Drama von oben zu übersehen. Die Zusage des Heils in Jesus Christus, also das Evangelium ist uns gegenwärtig, nicht aber eine Zukunftserzählung, wer wie wann wo warum sich zum Evangelium stellen wird und es dabei auf dauerhafte Annahme oder Ablehnung stoßen wird.
„Verlorenheitserörterungen“ sind hoch problematisch und stehen Christen nicht zu. Wir können und dürfen weder über den Glauben noch Unglauben von anderen Menschen im Hinblick auf Heil oder Verdammnis urteilen. Vielmehr solidarisieren wir uns in der Kirche mit Menschen, die den Glauben an das Evangelium Jesu Christi teilen stellen oder bezeugen den anderen Menschen eben dieses Evangelium als rettende Heilsbotschaft. Da das Christusgeschehen in der Menschwerdung des Gottessohnes, seinem Tod am Kreuz von Golgota und seiner Auferstehung aus dem Grab mit dessen Erhöhung allem Menschen gilt, also menschheitsumfassend gilt, können wir andere Menschen von der Wirklichkeit des Christusgeschehens nicht ausschließen. Wir müssen (und können) als sogenannte „Gläubige“ bzw. „Ungläubige“ es miteinander auf der Erde aushalten, in der Erwartung, dass am Ende der Tage in der apokalyptischen Wiederkunft Christi eine göttliche Vereinnahmung der Schöpfung mit einer Neuschöpfung stattfindet, an deren Ende die seherischen Worte aus dem Buch der Offenbarung im 21. Kapitel stehen:
„1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; 4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!
6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst. 7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein. 8 Die Feigen aber und Ungläubigen und Frevler und Mörder und Unzüchtigen und Zauberer und Götzendiener und alle Lügner, deren Teil wird in dem Pfuhl sein, der mit Feuer und Schwefel brennt; das ist der zweite Tod.“
Ja, in der Tat sind die Prädestionationslehren völlig abstrakt. Sie haben keine Hand und keinen Fuß. Deshalb können wir sie auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen: https://www.academia.edu/44621183/Die_Widerlegung_kirchlicher_Pr%C3%A4destinationslehren