Von Frieder Harz
GEMEINSAM MIT KINDERN NEU BETEN LERNEN
Glauben und Beten gehören zusammen. Für viele Menschen ist das Gebet ein vertrauter und selbstverständlicher Ausdruck ihres Glaubens. Nicht wenige aber haben mit dem Beten Schwierigkeiten. In ihrer Kindheit war es noch fest verankert. Aber irgendwann riß der „Faden“ des eigenen Betens ab. Bei den einen ist das Beten eingeschlafen und wird nur noch in Notsituationen wieder aufgenommen. Andere haben sich ganz bewußt vom Beten getrennt. Es erscheint ihnen unnatürlich, ein Gegenüber anzureden, das man nicht sehen, mit dem man in keinen Gesprächskontakt treten kann. Nicht wenige schließlich begannen, an Sinn und Wirkung des Betens zu zweifeln, als sie mit dem Problem nichterfüllter Gebetswünsche zu kämpfen hatten.
Als junge Eltern, als Erzieherinnen oder auch als Mitarbeitende im Kindergottesdienst begegnen sie dann wieder dem Gebet. Mit ihrer Erziehungsaufgabe rücken die Erinnerungen an die eigene Kindheit, und damit auch die an das Beten, wieder näher. Die Bereitschaft ist groß, zusammen mit den Kindern diesen Faden wieder aufzunehmen. Aber auch Unsicherheit ist da:
- Ist es sinnvoll, mit den Kindern ein Beten zu praktizieren, über das man selbst irgendwann hinausgewachsen ist?
- Müßte die eigene Kritik am Beten nicht zu einer anderen, überzeugenderen Gebetspraxis führen, als man sie selbst als Kind erlebte?
Oft werden solche Bedenken zurückgestellt, weil die Probleme schwer lösbar erscheinen und weil die Kinder selbst das Beten unbefangen zu ihrer eigenen Sache machen. Ob aber solches Beten mit Kindern glaubwürdig sein kann?
Dieses Heft setzt besondere Akzente
Ein Heft zum Beten mit Kindern muß mehr anbieten als eine Sammlung überzeugend formulierter Kindergebete. Es muß helfen, die Probleme zu klären, die sich im Lauf der eigenen bisherigen Lebensgeschichte mit dem Gebet verbunden haben. Erst dann sind Anregungen für das Beten mit Kindern sinnvoll.
In der Praxis greift beides ineinander. Im Beten mit Kindern begeben wir uns auf einen gemeinsamen Lernweg. Wir nehmen wahr, daß Kinder in ihrem spontanen, unbefangenen Umgang mit Sichtbarem und Unsichtbarem besondere Zugänge zum Beten haben. Sie empfinden Beten als etwas, das gut für sie ist, das ihr Leben bereichert. Könnten wir an solchem Beten nicht manche Züge entdecken, die auch zu uns Erwachsenen passen, die wir nur inzwischen aus dem Blick verloren haben?
Zugleich lassen sich auch schon im Beten mit Kindern die Problemzonen aufspüren, die früher oder später bei ihnen zur Klärung anstehen werden. Im behutsamen Eingehen auf die Fragen der Kinder kommen auch wir mit unseren eigenen Fragen weiter, den Bruchstellen in unserer eigenen Geschichte des Betens näher.
In diesem Sinn setzen die folgenden Ausführungen ganz bestimmte Akzente:
- Dem besonderen Zugang der Kinder zum Beten wird von ihrem Erleben, Fühlen und Denken her ausführlich nachgegangen.
- Bei den theologischen Aspekten steht der Gedanke im Mittelpunkt, daß uns das Gebet von Gott geschenkt ist und daß es nicht eine Pflichtübung sein soll. Es will uns Halt geben und unseren Horizont weiten.
- Von diesem Blickwinkel wollen wir uns durch Beispiele zu einem unbefangenen und bedachten Beten mit Kindern anregen lassen.
Im ersten Teil stellen wir uns die Vielfalt all dessen vor Augen, was mit Beten gemeint ist. Bei vielen hat sich das Verständnis von Beten auf einen bestimmten Kreis von überlieferten Formulierungen oder kurzen Stoßgebeten eingeengt. Wir wollen umgekehrt den Blick für all das öffnen, was zum Beten auch wesentlich dazugehört: von den unausgesprochenen Gebeten angesichts beeindruckender Erlebnisse, der inneren Gebetshaltung, bis hin zu den vielen Möglichkeiten, in denen sich solche Haltung mit der Anrede Gottes in Freude und Dank wie auch Klage und Bitte verbinden kann. Wir suchen nach überzeugenden Anregungen, wie sich aufmerksames Wahrnehmen der umgebenden Welt zu Gebeten verdichten kann.
Im zweiten Teil fragen wir nach der Gewißheit, aus der heraus wir beten können. Wie steht es um die Glaubwürdigkeit des Betens und um dessen Bedeutung für unser Leben? Hier geht es also um wichtige Bedingungen des Betens, und hier klingen bereits die Probleme an. Kinder wollen nicht nur äußerliche Gebetsvollzüge nachahmen, sondern spüren, daß das Beten für sie gut und wichtig ist. Sie wollen dies der Gebetshaltung der Erwachsenen ablesen. Wie finden wir und damit die Kinder zu solcher Haltung?
Von den Bedürfnissen der Kinder führt der Weg zu den biblischen Quellen, in denen uns überliefert ist, wie Menschen früher zur Gewißheit des Betens kamen. Wir stoßen dabei auf die Person Jesu, der das Beten gelehrt hat, und den wir als den Auferstandenen auch im Gebet anrufen. Die praktischen Fragen richten sich in diesem Abschnitt darauf, wie der in den biblischen Überlieferungen verbürgte Sinn des Betens auch im Gebet selbst angemessenen Ausdruck finden kann.
Im dritten Teil schließlich stellen wir uns ausdrücklich dem Problem der unerfüllt gebliebenen Gebete. Am Verhalten der Kinder bedenken wir typische Bruchstellen und überlegen, wie mit der zunehmend realistischeren Sicht der Wirklichkeit auch die Einstellung zum Beten mitwachsen, „erwachsener“ werden kann. Das Problem der Nichterfüllung öffnet uns den Blick dafür, wie sich der im Verlauf der Jahre vollziehende Wandel der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern auch in Veränderungen der Beziehung zu Gott spiegelt.
Wir können das Problem der unerfüllten Gebetswünsche nicht lösen, aber der Umgang mit ihm, die Frage, wie wir überhaupt sinnvoll beten können, halten uns in Bewegung. In der theologischen Klärung stellen wir uns der Einsicht, daß Lernen im Glauben nie zu fertigen, zeitlos gültigen Ergebnissen führt, sondern daß scheinbar Vertrautes in veränderter Situation zerbrechen kann und muß, um neu gewonnen zu werden. Wir hoffen, daß Gottes Geist uns Neues aufschließt, uns immer wieder neu das Beten lehrt. Im Blick auf die Gebetspraxis der Kinder suchen wir hier nach Anregungen, um in den Kindern das Gebetsverständnis in angemessener Weise anzustoßen, sie zum Weiterdenken zu bewegen.
VON UNAUSGESPROCHENEN GEBETEN ZUR ANREDE GOTTES
Beten beginnt nicht erst mit formulierten Bitt- und Danksätzen. Es geschieht schon, wenn wir uns unausgesprochen von der Gewißheit tragen lassen, mit Gott in Verbindung zu sein. Wie äußert sich solches „indirekte“ Beten? Dieses unausgesprochene und doch wirksame Gegenüber zu Gott läßt uns im Alltagsgeschehen innehalten und zur Ruhe kommen. Wir gönnen uns Pausen, um sie mit bewußtem Erinnern, Nachdenken und Nachsinnen zu füllen. Wir nehmen angenehme, bereichernde Erlebnisse nicht als selbstverständlich hin, sondern öffnen uns für die Erfahrung, daß sie uns geschenkt, von Gott gegeben sind.
Allen Worten und Sätzen vorausgehend, ist Beten eine Haltung, eine bestimmte Einstellung zum Erlebten. Wir lassen es nicht nur an uns vorbeiziehen, sondern nehmen es bewußt auf, geben ihm Gewicht und rücken es – auch unausgesprochen – in die Beziehung zu Gott. Solches Beten ist nicht nur eine kurzfristige Unterbrechung des alltäglichen Geschehens, ein Rezitieren bestimmter Sätze, sondern es ist ein bedachtes Umgehen mit der uns umgebenden Welt und unseren Beziehungen zu ihr. Es ist eine Haltung des Bedenkens und Nachdenkens. Wir öffnen uns für die Ereignisse, indem wir dem nachspüren, was sie für uns wohl bedeuten, womit sie uns bereichern wollen, womit uns Gott durch sie beschenken will.
Manche, die mit gesprochenen Gebeten ihre Schwierigkeiten haben, finden zu diesem Beten oft leichter Zugang. Sie leiden unter der Verkümmerung unserer Erfahrungen, sofern sie sich nur noch im schnellen Aufnehmen von Vordergründigem erschöpfen, und wir zu wenig weiterfragen nach Herkunft und Ziel des Wahrgenommenen. Viele Eltern möchten ihren Kindern gern zu solcher Haltung der Nachdenklichkeit verhelfen. Dieser Beitrag zur Gebetserziehung kann ihnen selbst den Sinn des Betens näherbringen.
Auf der Grundlage dieser Haltung wird es dann auch leichter fallen, Gott direkt anzusprechen. In vielen, oft gedankenlosen Redewendungen ist das Du Gottes noch lebendig. In ihnen bleibt auch noch in der Entstellung aufbewahrt, daß wir auf ein Gegenüber jenseits unserer zwischenmenschlichen Bezüge verwiesen sind. In der Verbindung mit dem „indirekten“ Beten bekommt dieses Du Gottes sein Gewicht, gewinnt Beten eine Tiefendimension, die mit dem bloßen Aufsagen von Gebetstexten nichts mehr zu tun hat. Auf das Zusammenspiel von innerer Gebetshaltung und Gebetsanrede wird deshalb besonders zu achten sein.
Das Nachsinnen der Kinder als Zugang zum Beten
Kinder haben eine erstaunliche Gabe, „bei der Sache“ zu bleiben. Sie vergessen, was um sie herum geschieht, sind mit ihrer ganzen Person engagiert. Oft sind es gerade die von den Erwachsenen unbeachtet gebliebenen unscheinbaren Dinge, an denen die Kinder ihr Interesse festmachen. Kinder erleben auch unmittelbarer als Erwachsene das „Wunder der Sprache“. Sie spüren, wie sie mit dem Benennen der Dinge, mit dem Formulieren von Gedanken Wahrgenommenes in ihren Bannkreis ziehen können, in gewisser Weise Macht darüber bekommen. Sie erleben die Sprache als ein einmaliges Instrument, um an den Dingen dranzubleiben.
Wohl deshalb haben die Kinder auch eine ursprüngliche Fähigkeit, Erlebtes, das seine Eindrücke hinterlassen hat, auch weiterhin mit eigenen Gedanken zu umkreisen. Sie fragen mit erstaunlichem Tiefsinn nach dem Woher und Wohin der Dinge. Sie versuchen – im Rahmen ihrer Möglichkeiten -, den Dingen auf den Grund zu gehen, ihrem Ursprung und ihrem Sinn auf die Spur zu kommen. Dazu gehören auch die bohrenden Fragen angesichts des Bedrängenden, Beunruhigenden, das die Kinder erleben. „Warum verwelken die Blumen? Warum müssen Menschen sterben? Warum gibt es Krieg?“ – Fragen, die durch ein erschüttertes Vertrauen in Bewegung gekommen sind.
Kinder erleben in dem, was sie entdecken, noch nicht das Selbstverständliche, sondern es bleibt das Neue, Aufregende. Sie können staunen. Im Staunen öffnen sie sich mit ihrer ganzen Person dem Besonderen, Überraschenden. Das gibt dem Umgang mit den Dingen eine besondere Tiefenwirkung. Wie beim Dranbleiben an einer Sache und ihrem fragenden Umkreisen, sind auch beim Staunen Denken und Empfinden eine Einheit.
Mitgefühl, Besorgnis und Trauer und ebenso Zusammengehörigkeitsgefühl, Freude und Begeisterung drängen zum Nachdenken. Das Denken wird durch die geweckten Empfindungen in Bewegung gehalten. Eben dies ist auch bestimmend für das Beten: Das emotional Bewegende wird aufgenommen, zugleich nachdenkend umkreist und in einer verdichtenden Bewegung auf ein ganz besonderes Gegenüber hin ausgerichtet.
Kinder brauchen eine deutliche Gliederung ihres Tageslaufs. An wichtigen Übergängen – der bedeutendste ist der vom Wachsein zum Schlafen – muß der Fluß des Geschehens angehalten werden. Bevor das Neue beginnen kann, muß das Alte abgeschlossen sein.
Die Gedanken wenden sich zurück auf das, was war. Sie spüren dem nach, welches Gewicht, welche Bedeutung ihm für das eigene Leben zukommt. Dies sind im Ablauf der Tage immer wiederkehrende, in bekannten, vertrauten Vollzügen gestaltete Situationen des Innehaltens, Zur- Ruhe-Kommens, des Nachsinnens und Nachdenkens.
Ebenso, wie die Kinder mit ihrer beschriebenen „Nachdenklichkeit“ spontan und unmittelbar an den Ereignissen dranbleiben, so brauchen sie auch die festgelegten, durch vertraute Rituale geordneten Zonen ihres Nachsinnens. Hier kann sich ihre Besinnlichkeit aus dem Abstand zu den Ereignissen heraus entfalten.
Auch hier brauchen Kinder vertraute Bezugspersonen, die Zeit haben zum Zuhören, Mitempfinden, Mitdenken, Fragen und Suchen. Sie brauchen Gesprächspartner, die geduldig und behutsam mithelfen, damit das immer noch Auf- und Anregende, noch Ungeordnete seinen – vorläufigen – Platz finden kann, damit es aufgehoben ist.
Das Beten hat dementsprechend seinen Ort in verschiedenen Situationen: Es lebt spontan und unmittelbar in dem, was die Kinder bewegt und herausfordert, und in den durch vertraute Rituale gestalteten Zonen – besonders in der Phase des Übergangs vom Wachen zum Schlafen. Es lebt aber auch in den gemeinsam vereinbarten und eingeübten Unterbrechungen, die den Alltag in der Familie und Kindertagesstätte strukturieren.
Vom menschlichen „Du“ zum „Du“ Gottes
Vom ersten Tag an ist das Leben des Kindes durch ein „Du“ bestimmt, durch das Gegenüber der Bezugspersonen. Alles, was für sein Leben wichtig ist, wird ihm von diesem „Du“ her erschlossen. Eingebettet in solche Beziehung, entdecken Kinder ihre eigenen Fähigkeiten, ihre Welt. Schon mit den ersten Lebensäußerungen nehmen sie Kontakt zum Gegenüber auf. Mit der von beiden Seiten aktiv gestalteten „Du“-Beziehung entfaltet sich das kindliche Leben aus einem elementaren und tragenden Grund heraus. Diese frühen Erfahrungen werden in späteren menschlichen Beziehungen wieder aufgenommen und variiert, schließlich auch in der Beziehung zu Gott.
Wenn Eltern mit dem kleinen Kind beten, wird es in eine neue Beziehung mit hineingenommen. Es erlebt mit, wie über den Bezug zu Mutter und Vater hinaus eine neue, weiterreichende Beziehung mit ins Spiel kommt. Es spürt, wie dieses neue, unsichtbare Gegenüber für seine Eltern wichtig ist. Hinter dem „Du“ der Eltern taucht ein neues, umfassenderes „Du“ auf, das „Du“ Gottes. Am Anfang der Gebetserziehung wird „über“ dem Kind gebetet. Die gesamte, für das Kind so wichtige Elternbeziehung wird so in diese weiterreichende Beziehung mit hineingenommen. Nach und nach gewinnt das Kind dann selbst Anteil an der Beziehung zu Gott, es gestaltet sie aktiv mit.
Die Erfahrung, bei den elterlichen Bezugspersonen geborgen zu sein, die sich an so vielen wiederkehrenden, vertrauten äußeren Zeichen festmacht, wird in ebensolchen Zeichen und Gesten auf den Bezug zum „Du“ hin ausgeweitet. Die äußeren Zeichen, die das Beten begleiten, die Gesten, der Klang der Sprache helfen dem Kind, mit der Unsichtbarkeit des göttlichen Gegenübers zurechtzukommen.
Es sind also weniger die Gebetsworte selbst, welche die Beziehung zu Gott prägen, als vielmehr das ganze Umfeld, in dem Gott für das Kind zu einem ansprechbaren „Du“ wird. Es ist die emotional reiche Sprache, die spürbar macht, wie wichtig dieses größere „Du“ ist. Es sind die Gesten, mit denen sich Kinder an dem doch ziemlich geheimnisvollen Geschehen beteiligen können.
Die Dichte solcher frühen Gebetserlebnisse mit den ersten Bezugspersonen läßt sich in späteren Jahren kaum wiederholen. Günstig ist es, wenn wir auch im Kindergarten, Kindergottesdienst und in Kindergruppen an sie anknüpfen können. Sonst bleibt nur der Weg, in ähnlicher Weise in einer vertrauensvollen Atmosphäre die Kinder in unsere Beziehung zu Gott mit hineinzunehmen, damit sie dann von sich aus diesen Bezug für sich selbst annehmen und mitgestalten.
Glücklicherweise haben kleine Kinder viel weniger Schwierigkeiten damit, Unbekanntes unmittelbar anzureden, als wir Erwachsenen. Im frühkindlichen Weltbild ist alles belebt und damit ansprechbar: die Puppen und die Möbel im Zimmer, die Sonne, die Wolken und vieles andere mehr. Auch der Umgang mit der Dingwelt ist noch ganz von den frühen Beziehungserfahrungen her geprägt. So fällt es Kindern auch nicht schwer, diesen sehr persönlichen Umgang mit der Dingwelt auf Unsichtbares auszuweiten: auf Gott als unser unsichtbares Gegenüber. In späteren Jahren kommen uns die biblischen Geschichten zur Hilfe, in denen wichtige Erfahrungen mit Gott aufbewahrt sind (vgl. den folgenden Teil).
Wir sind von Gott beschenkte Menschen
Unsere Beziehung zu Gott ist von einer grundlegenden Erfahrung bestimmt: Nicht wir haben von uns aus diese Beziehung herzustellen, sondern sie ist uns schon von Gott her eröffnet, angeboten, geschenkt. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt!“ (Joh 15,16), so lautet eine der zentralen Aussagen der Bibel. Im Beten spüren wir, wie wichtig solche geschenkte Beziehung zu Gott für uns ist. Wir nehmen sie in Anspruch und erfahren dabei, daß sie unser Leben reich macht.
Es geht also keineswegs darum, bestimmte Gebetsleistungen zu erbringen, ganz bestimmte Anreden zu verwenden oder das Beten mit Opfergaben zu begleiten. Statt dessen soll die Gottesbeziehung unsere Sicht der uns umgebenden Welt bestimmen. Wir nehmen wahr, wie sehr wir in unseren alltäglichen Erfahrungen beschenkt werden, wie viel wir anderen verdanken. Glauben heißt dann: aus der Beziehung zu Gott heraus die Welt mit anderen Augen zu sehen.
Wir staunen über die Menschen und Dinge, die uns helfen, in unserer Welt zurechtzukommen, die das Vertrauen in unsere Welt stärken. Wir freuen uns über unsere eigenen Fähigkeiten, unser Können, in dem wir etwas von unserer Einmaligkeit entdecken. Wir nehmen bewußt wahr, wie sinnvoll vieles in der uns umgebenden Welt aufeinander bezogen ist. Staunende Nachdenklichkeit öffnet sich zum Beten hin, das Gebet gibt solchem Bedenken Raum.
Manche Gebetbücher für Kinder greifen zuerst Erfahrungen der Kinder auf, regen dazu an, ihnen nachzusinnen, um sie erst dann in einem Gebet auf Gott hin auszurichten.
Nach dem Regen bleiben oft Pfützen. Eine Regenpfütze ist etwas Schönes. Ich kann darin herumwaten, und wenn ich hineinspringe, spritzt das Wasser nach allen Seiten. Ich kann mit einem Stock darin herumwühlen oder Papierschiffchen schwimmen lassen.
Lieber Gott, ich freue mich immer, wenn ich durch eine Regenpfütze gehen kann.
(Annelies Dietl: Gott macht mich froh)
Auch in reinen Gebetssammlungen für Kinder kommt das Nachsinnen über das alltäglich Erlebte nicht zu kurz.
Gott, ich staune, wie du die Welt gemacht hast.
Vor dem Schlafengehen sehe ich manchmal die vielen, vielen Sterne über unserem Haus.
Wenn ich groß bin, möchte ich sie alle mit Namen kennen.
Auch die Erde ist ein schöner Stern mit Ländern und Meeren, blauer Luft und weißen Wolken.
Nebenan im Park steht meine Birke, auf die ich so gern klettere.
Oft freue ich mich auch über meinen Hamster. Zwei Jahre habe ich ihn schon.
Gut, daß es Bäume zum Klettern und Tiere zum Liebhaben gibt.
Lieber Gott, ich staune, wie schön du die Welt gemacht hast.
(Detlev Block)
Zuweilen gerät das Vertrauen ins Wanken, Zweifel an den eigenen Fähigkeiten machen sich breit, Wahrgenommenes beunruhigt, macht Angst. Auch das besorgte Nachsinnen gehört zum Beten, das Hoffen und Wünschen, daß die unguten Erfahrungen ihre Grenze finden. Beten heißt auch, das Belastende nicht bloß hinzunehmen, sondern es dem anderen, dem Staunenswerten, entgegenzustellen. Beten heißt so auch, am Bedrängenden dranzubleiben, ihm nicht auszuweichen, ihm Worte zu geben, mit seiner Begrenzung zu rechnen.
Viele Leute sagen mir:
Das darfst du nicht,
das verstehst du noch nicht, du bist noch ein Kind.
Du mußt erst noch wachsen und viel lernen.
Ich kenne auch Erwachsene, die Kinder unfreundlich behandeln, ihnen alles verbieten, sie anschreien und kommandieren.
Lieber Gott, sind wir Kinder noch keine richtigen Menschen?
(Detlev Block)
Das wache Erleben der umgebenden Welt, die Freude daran drängt zum spontanen Ausdruck, von Ausrufen bis zu nachdenklichen Einsichten. So kommt es zum unausgesprochenen und zum ausgesprochenen Gebet, das dann stark von eigenen Worten bestimmt sein wird.
Die Erfahrung, von Gott beschenkt zu werden, kann sich auch darin ausdrücken, daß wir unsere Gebete nicht mühsam selbst machen müssen, sondern daß wir in vorgegebene Formulierungen „eintauchen“ können. Bei den regelmäßig wiederkehrenden Übergängen im Tageslauf, vor allem zum Essen und zum Schlafen, ist es gut, sich zu vergewissern, daß wir nicht aus uns selbst heraus leben, sondern von einem Gegenüber her, das uns hält und trägt, dem wir uns anvertrauen können.
Solches Vergewissern hat eine besondere Nähe zu wiederkehrenden, vertrauten Gebetsgesten und -Worten, zu eingängigen, gereimten Sätzen. Bedingung ist freilich, daß sie nicht die Ernsthaftigkeit des kindlichen Nachdenkens ignorieren oder den Erfahrungen der Kinder entgegenstehen (z. B. „Jedes Tierlein hat sein Essen…“) oder zu bloßen Sprachhülsen entarten.
Von Gott behütet steh ich auf,
er leitet mich in meinem Lauf,
er bleibt bei mir auf allen Wegen
mit seiner Kraft und seinem Segen.
Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt,
o Gott, von dir, wir danken dir dafür.
Der Tag ist zuende.
Gott, dir in die Hände legen wir alles, was war.
Vergib alles Böse, von Angst uns löse
und schütze uns vor aller Gefahr
(Günther Kretzschmar)
Gebetsinhalte und die Anrede Gottes
Nach dem Bekenntnis der Bibel hat Gott uns Menschen zu seinem Ebenbild bestimmt. Er hat uns nach seinem Bild geschaffen (1. Mose 1,27). Das heißt auch, daß wir mit ihm so in Beziehung treten können, wie auch sonst Personen miteinander umgehen. Gott ist also anders als ein „höchstes Prinzip“, nach dem sich das Geschehen unserer Welt richtet. Gott ist kein „anonymer Ursprung aller Dinge“, kein abstraktes „Weltgesetz“, sondern unser personhafter Partner, der selbst die Ausübung eines freien Willens, aufmerksames Zuwenden zum anderen und verantwortungsvolles Engagement praktiziert. In dieser Weise ist Gott das „Du“, das wir im Gebet ansprechen.
Sicherlich schwingen beim Beten auch alle Vorstellungen mit, die wir uns von Gott gemacht haben, von seiner äußeren Gestalt und von seinen Eigenschaften. Dementsprechend werden beim Beten auch die Zweifel wach, ob denn solche Vorstellungen tragfähig sind. Deshalb konzentrieren wir uns in der Gebetsanrede Gottes auf das Zentralste an dem, was Gott für uns ist: ein aufmerksames und ansprechbares Gegenüber. Durch die Anrede werden die Vorstellungen von Gott gewissermaßen wieder auf ihren Ursprung zurückgeführt, darauf, daß Gott uns ein einzigartiges Gegenüber ist, daß wir uns vertrauensvoll an ihn wenden können.
Jesus nannte Gott „Vater“, „Abba“: Das ist ein Kosewort, wie es nur im engen Familienkreis verwendet wurde. Er rückt damit die Gebetsanrede in die Nähe der frühen Elternbeziehung. Das Gegenüber Gottes gewinnt so liebevolle, familiäre Züge. Wir füllen es mit den wohltuenden Erinnerungen aus unserer Kindheit. Schon in der Gebetsanrede darf zum Ausdruck kommen, wie sehr wir von Gott beschenkte Menschen sind.
In der Anrede Gottes müssen also keine besonderen Ehrerbietungen erbracht werden. Alle Menschen haben einen ganz unmittelbaren Zugang zu Gott. Beten ist damit so selbstverständlich wie der Umgang mit den Eltern. Es erfordert keine besonders herausgehobene, feierliche Sprache. So wie wir mit vertrauten Menschen über die alltäglichen und besonderen Dinge reden, die uns beschäftigen, so soll auch das Beten sein.
Besondere Schwierigkeiten bereiten häufig die Eigenschaften, mit denen Gott angeredet wird. In überlieferten Gebeten wird die Anrede oft mit dogmatisch-lehrhaften Eigenschaften Gottes verbunden, die den Kindern kaum zugänglich sind („allmächtiger, ewiger… Gott“). An ihre Stelle sollten Worte treten, welche die Beziehung zu Gott, seine Nähe zu uns ausdrücken. Damit finden auch die mütterlichen Wesenszüge Gottes Eingang in die Gebetsanrede.
Guter, freundlicher Gott, du hörst uns, das ist gut für uns. Darum sagen wir dir …
Gott, ich kann mit dir reden.
Du hörst mich, du verstehst mich.
Du verstehst alle Sprachen der Welt.
Alle Menschen dürfen mit dir reden.
Danke, lieber Gott!
(Regine Schindler)
Mit der Anrede Gottes als „Du“ werden die Gebetsinhalte auf dieses Gegenüber ausgerichtet. Im Gebet „fügt der Beter Gott und seine eigene Lebenswirklichkeit in einem und demselben Satz zusammen“. Deshalb könnte man das Gebet die „Sprachlehre des Glaubens“ (Gerhard Ebeling) nennen. Dieses Zusammenfügen hält beides fest: die Ausrichtung unseres Nachsinnens und das Gegenüber, das diese Ausrichtung annimmt.
Das staunende Bedenken wird auf diese Weise zum Loben und Danken. Die Psalmen der Bibel geben uns viele Beispiele dafür. In ihnen verbinden sich die bedenkenden Sätze mit dem an Gott gerichteten Lob und Dank.
Gott, du bist freundlich zu uns,
gib uns, Gott, deinen Segen.
Preisen sollen dich alle Menschen,
Gott, alle Menschen sollen dich preisen.
Sie sollen lachen und fröhlich sein,
denn du kennst den richtigen Weg,
was du willst, das hören die Menschen.
Danken sollen dir alle Menschen, Gott,
alle Menschen sollen dir danken.
Deine Erde schenkt für uns ihre Früchte,
Gott, du schaust freundlich auf uns,
alle Welt soll dich ehren.
Gott, du bist freundlich zu uns,
gib uns, Gott, deinen Segen.
(Willi Fährmann)
Auch das Klagen gewinnt durch die direkte Hinwendung zu Gott an Intensität.
Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist;
ich bin in tiefe Wasser geraten,
und die Flut will mich ersäufen.
(Psalm 69,2-3)
Aus solchem Hinwenden zu Gott kann die Wendung zur Hoffnung geschehen:
Dennoch bleibe ich stets an dir;
denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,
und nimmst mich am Ende mit Ehren an.
(Psalm 73,23-24)
Die besondere „Sprachlehre“ des Betens nehmen wir als pädagogische Anregung auf, um den Zusammenhang von Gebetsinhalten und Anrede Gottes bewußt zu gestalten. Kindern fällt es oft leichter, ein vorgegebenes Satzmuster aufzunehmen, als selbständig zu formulieren. Solche Satzmuster geben etwa die Gebetsanrede vor und öffnen sich für die konkreten Gedanken und Anliegen der Kinder.
Wir danken dir Gott, daß …
Wir bitten dich und hoffen …
Solche Anreden können auch als wiederkehrende Sätze oder Liedzeilen das gemeinsame Nachdenken vor Gott präzisieren:
Darum bitten wir dich Gott, darum bitten
Dafür danken wir dir Gott, dafür danken
wir dich, Gott, darum bitten wir dich, Gott!
wir dich, dafür danken wir dir, Gott!
(Wolfgang Longardt)
Auch in den verschiedenen Gesten, die das Beten begleiten, findet dieser Bezug auf das Gegenüber seinen Ausdruck. Das Falten der Hände weist auf das Besinnen: Die Hände werden festgehalten, zur Ruhe gebracht, damit der ganze Mensch zur Ruhe kommen, seinem Erlebten nachsinnen und nachdenken kann.
Wie passen das Knien und Sich-Niederwerfen samt den feierlich-ehrfürchtigen Gebetsanreden Gottes zu der vertrauensvoll-familiären Beziehung zu Gott? Wir sollten sie vor allem als Schutz vor deren Mißbrauch sehen. Was zu selbstverständlich wird, droht seinen Wert zu verlieren. Das Besondere, daß Gott sich von uns anreden läßt, sollte nicht in einem gedankenlosen Plappern oder in einem Verniedlichen dieses Gegenübers aus dem Blick geraten.
Im Gebet entdecken wir Einzelzüge, die sich gegenseitig begrenzen. Das indirekte Gebet wird durch das direkte begrenzt, damit sich das personhafte Gegenüber nicht verflüchtigt; das direkte durch das indirekte, damit das Schöpfen aus der Fülle unserer eigenen Alltagserfahrungen nicht an Bedeutung verliert.
Die familiäre Anrede begrenzt die ehrfurchtsvolle, damit die vertrauensvolle Beziehung zu Gott, die Natürlichkeit des Betens nicht verstellt werden. Dem vertrauensvollen Umgang mit Gott nach zwischenmenschlichem Muster stehen distanzierte Formen gegenüber, damit das Wunderbare und Geheimnisvolle, daß dieses unbegreifliche Gegenüber für uns ansprechbar ist, im Blick bleibt.
So gesehen, hat es seinen guten Sinn und wird zur Bereicherung des Betens, wenn wir die Kinder mit verschiedenen Weisen des Betens bekannt machen. Sie sollten Gebetshaltungen und Gebetsanreden aus verschiedenen Traditionen, Konfessionen und Religionen kennen- und verstehenlernen, um so zu berechtigten und wichtigen Akzentsetzungen Zugang zu haben.
VON DER GEWISSHEIT, DASS GOTT HÖRT
Gott als unser Gegenüber bleibt unsichtbar. Ins Beten mischen sich immer wieder Zweifel, ob Gott wirklich für uns ansprechbar ist, ob er uns wirklich hört. Zeitgenossen fragen nach stichhaltigen Beweisen. Ob wir nicht doch nur ins Leere reden oder bloß Selbstgespräche führen, wenn wir zu Gott sprechen? Wie kommen wir mit solchen Zweifeln zurecht? Sicher nicht durch anspruchsvolle Erklärungen, sondern indem wir uns samt unseren Zweifeln immer wieder in Erfahrungen von Gottes Hören hineinnehmen lassen.
Zum Einüben ins Beten gehört es dementsprechend auch, Erfahrungen mit Gott als hörendem Gegenüber zu vermitteln. Damit ist etwas anderes gemeint als die prompte Erfüllung der im Gebet geäußerten Wünsche (vgl. dazu den dritten Teil). Gemeint ist vielmehr das Erleben, wie Beten die Beter selbst verändert, die Kraft der Überzeugung, daß diese Worte nicht ins Leere gehen. Es geht um eine Gewißheit, die nicht aus greifbaren Beweisen resultiert, die man nicht an Ergebnissen festmachen kann.
Worauf Kinder besonders ansprechbar sind
Die Gewißheit, daß Gott wirklich das Gegenüber unserer Gebete ist, daß er uns hört, lebt auch aus der Erfahrung, bei anderen Menschen Gehör zu finden. Gerade Kinder erfassen noch mehr als Erwachsene das Gegenüber Gottes von den anschaulichen Bildern ihrer Beziehung zu anderen Menschen her. Deshalb muß es auch Teil der Gebetserziehung sein, daß Kinder erleben können, wie andere Menschen ein offenes Ohr für sie haben.
Wenn Kinder aus den Reaktionen anderer nur ständig herauslesen, daß ihre Sorgen nur geringfügig und unbedeutend seien, im Vergleich mit den Sorgen der Erwachsenen – wie soll da die Überzeugung wachsen, daß Gott auch ihren persönlichen Anliegen Gehör schenkt? Wir wollen doch die Überzeugung vermitteln, daß Gott für alles, auch für die „kleinen“ Sorgen aufgeschlossen ist. Deshalb gehört dazu, daß wir den erzählten Begebenheiten, Sorgen und Freuden das Gewicht zuerkennen, das ihnen in den Augen der Kinder zukommt.
Kinder sind darauf angewiesen, daß ihnen die Erwachsenen zu tragfähigen Deutungen helfen. Sie können deren Stichhaltigheit noch nicht überprüfen, denn es gibt viel zu viel, was sie noch nicht überschauen können. Sie können aber die Überzeugungskraft der Argumente spüren – bei sich selbst und noch mehr bei ihren erwachsenen Gesprächspartnern. Bei vielen Antworten sind sie darauf angewiesen, daß deren Wahrheit in der Vertrauensperson selbst verbürgt ist. Darum suchen sie die Überzeugungskraft der Argumente nicht so sehr in den Fakten selbst, sondern in der Person des Gegenübers, in deren Ernsthaftigkeit, Echtheit, Aufrichtigkeit. Und darum spüren sie auch sehr wohl die Irritation, wenn Aussage und innere Haltung nicht übereinstimmen.
Es müssen nicht nur leibhaftige Gegenüber sein, an deren Überzeugungen die Kinder ganzheitlich Anteil nehmen. Auch mit erzählten Gestalten können sich Kinder identifizieren. Bedingung dafür ist, daß sie diesen Personen wirklich begegnen: Sie müssen sich in deren Freud und Leid hineinfühlen können; sie müssen die Echtheit und Überzeugungskraft dieser Personen spüren können. Auf diese Weise lernen sie auch aus Geschichten, was für ihr Leben wichtig ist.
In der Gebetserziehung geht es um das Vermitteln der Überzeugung, daß das Sprechen zu dem „Du“ Gottes sinnvoll ist. Nur solche Überzeugung kann die in späteren Altersphasen notwendigerweise wachsenden kritischen Infragestellungen tragen. Darum sind wir mit unserer eigenen Überzeugungskraft und Aufrichtigkeit gefragt. Darum brauchen wir auch gute Geschichten von Menschen, denen man in der Erzählung ihre Überzeugung abspüren kann.
Schwierig wird es, wenn Kinder bei den Menschen, die sie schätzen, indifferenten oder gar negativen Einstellungen zum Beten begegnen. Damit steht Überzeugung gegen Überzeugung. Da hilft keine Beweisführung, weil sich der Glaube nicht beweisen läßt.
Es hat auch keinen Sinn, Überzeugungen gegeneinander auszuspielen. Das würde ja für die Kinder bedeuten, daß für sie wichtige Bezugspersonen in ihrer Glaubwürdigkeit in Frage gestellt werden. Es kann deshalb nur darum gehen, die Überzeugung so klar wie möglich an der eigenen Person festzumachen. Die Betonung des eigenen Ichs ist dabei wichtig. Sie gesteht auch den anderen – ausgesprochen wie unausgesprochen – die Aufrichtigkeit ihrer Überzeugungen zu. Sie hilft den Kindern dabei, das Übernommene im Festmachen an Personen zu ordnen.
Wie überlieferte Gebete frühere Erfahrungen von Gottes Wirken aufnehmen
Woher gewinnen wir die Überzeugungskraft, die das Beten erst sinnvoll macht? Indem wir uns selbst und die Kinder in die uns zugänglichen, überlieferten Erfahrungen und Zeugnisse der Bibel und der christlichen Tradition, die von Gottes Wirksamkeit künden, hineinnehmen lassen. In Erzählungen und Symbolen ist die Lebendigkeit und Echtheit dieser Zeugnisse aufbewahrt. Ihnen gilt es nachzuspüren, sie mit den Gebetsvollzügen zusammenzuschauen.
Damit stoßen wir wieder auf das entscheidende Grundmerkmal des christlichen Betens: Die Beziehung zu Gott brauchen wir im Gebet nicht von uns aus herzustellen, sondern sie ist von Gott schon geschaffen. Unser Beten ist bereits die Antwort darauf, daß wir vor all unserem Tun von Gott angesprochen worden sind. Damit hängt das Vertrauen in den Sinn des Betens nicht an der Qualität und Ernsthaftigkeit unserer Gebete. Die biblischen Zeugnisse bestätigen, daß Gott von sich aus die Beziehung zu allen Menschen eröffnet, daß er sich als der hörbereite Gott erwiesen hat.
Das Beten als Antwort gründet in dem, was von Gott her all unserem Beten vorausgegangen ist. Gewißheit in den Sinn des Betens bekommen wir, indem wir diesen Überlieferungen von Gottes Zusagen Glauben schenken und Wahrheit zuerkennen. Wir verfolgen mit, wie Gott Menschen begegnete, wie diese Begegnung ihrem Leben eine neue Ausrichtung gab und wie sie darauf im Gebet antworteten.
In die Frühzeit Israels weist Gottes Rettungstat am Schilfmeer und das antwortende Lob- und Dankgebet der Miriam: „Laßt uns dem Herrn singen, denn er hat eine herrliche Tat getan!“ (2. Mose 15,21). Gott gibt sich in seinem rettenden Wirken zu erkennen, und die damit Beschenkten antworten mit ihrem Gebet.
Diese Vorgeschichte unseres Betens kommt in den Gebeten selbst immer wieder zu Wort. Im Reden mit Gott erinnern sich die Betenden an Gottes Taten, geben ihrer Freude und ihrem Staunen darüber Ausdruck, daß dieses „Du“ Gottes so Großes getan hat und tut, daß er ein so guter und großer Gott ist. Das Element der Verehrung Gottes, der Anbetung, hat in den überlieferten Gebeten seinen festen Ort. Indem Gottes Taten und er selbst gerühmt werden, wird zugleich die Gewißheit bestärkt, daß die Beziehung zu Gott wirklich Bestand hat.
Was früher die Beziehung zu Gott bestätigte, gilt auch heute. Wofür ihm früher Dank gebührte, das festigt auch heute das Vertrauen auf Gott. Indem sich in der Verehrung Gottes der Blick ganz auf ihn, auf sein Wirken richtet, wird damit zugleich die Überzeugung von der Wirksamkeit des Betens gestärkt.
In den Psalmen können wir immer wieder beobachten, wie sich die feierliche Anrede Gottes mit der Erinnerung an seine Taten verbindet. Es ist für uns ein wichtiger Hinweis, die Verehrung Gottes besonders in der Erinnerung an sein Wirken auszudrücken und von dieser Erinnerung her die Anrede zu gestalten.
Jauchzet dem Herrn alle Welt!
Dienet dem Herrn mit Freuden …
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst
zu seinem Volk und zu Schafen seiner Weide …
(Psalm 100)
Mit der erinnernden Verehrung Gottes wendet sich der Blick auch in die Zukunft. Gottes Verheißungen werden aufgenommen und im Gebet weitergetragen. Sie begleiten das Gebet, das sich von der Verehrung Gottes aus bittend und hoffend in die Zukunft wendet.
Denn der Herr ist freundlich,
und seine Gnade währet ewig
und seine Wahrheit für und für.
(Psalm 100)
In den Klagen findet das Vertrauen auf Gottes Hören seinen Ausdruck, indem das Gebet in die erinnernde und hoffende Verehrung Gottes einmündet.
Wenn ich nur dich habe,
so frage ich nichts nach Himmel und Erde.
Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,
so bist du doch, Gott,
allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.
(Psalm 73,25-26)
Das Beten zu Jesus Christus erinnert an sein Wirken
In den Evangelien wird berichtet, wie Jesus das Beten lehrte. Im Wirken Jesu erlebten die Menschen um ihn, daß Gott nahe ist. Jesus verkündete Gottes heilsame Nähe, z.B. im Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15), und in seinen Taten gewann sie zeichenhaft Gestalt. Unter diesem Vorzeichen wurden die Menschen eingeladen, Gott im Gebet zu antworten, in Bitte und Klage, in Lob und Dank. Auf Jesu Taten antwortet die Menge nach den Evangelienberichten, indem sie Gott lobt. Vermutlich faßten auch die Leidenden angesichts solcher Heilszeichen mit der aufkeimenden Hoffnung zugleich neuen Mut, Gott ihr Leid zu klagen, ihn um Hilfe anzurufen.
Im Wirken Jesu verdichtet sich dieser Zusammenhang von Zuwendung Gottes und menschlichem Reden zu Gott in ganz besonderer Weise. In ihm nimmt Gottes Liebe sichtbar Gestalt an. So ist er in seiner Person ganz besonderer Anstoß zum Beten, zum Danken und Bitten. Er handelt gewissermaßen als der verlängerte Arm Gottes. So verkörpert er den hörenden Gott, der das Klagen und Loben der Menschen an sich herankommen, sich beeindrucken läßt. Gewißheit des Betens ist immer auch in diesem wirkenden und hörenden Jesus verankert, verbindet sich mit seiner Person. So werden uns die Menschen in den Jesusgeschichten, die in solchem Verhältnis zu Jesus, „unter seinen Ohren“ beten, zu ganz besonderen Vorbildern im Beten.
Mit Jesu Auferstehung und seiner Zusage, unter denen zu sein, die in seinem Namen versammelt sind, wird das Beten unter den Ohren Jesu zum Gebet zu Jesus Christus. Das Gewißmachende von Gottes Hören bleibt aufbewahrt, faßbar in der Gebetsanrede. Ob es freilich von den Kindern schon in der bloßen Gebetsanrede verstanden wird, ist die Frage. Die Anrede Jesu Christi im Gebet sollte deshalb immer den Bezug auf die Taten Jesu thematisieren, auf das, was auch unser Beten stützt, ihm festen Grund gibt.
Herr Jesus Christus, du hast den Jüngern die Angst genommen, als sie im Sturm so verzweifelt waren. Bitte nimm sie auch uns weg, wenn wir Angst haben vor dem Alleinsein.
Jesus,
zu dir wollen wir beten,
du bist zu den Menschen gegangen,
die niemand lieb hatte.
Zu den Menschen, die anders waren,
zu denen, die eine fremde Sprache redeten.
Du hast gesagt: Sie gehören auch dazu.
Das ist schwer.
Hilf uns! Amen.
(Regine Schindler)
Ob mit oder ohne Gebetsanrede – das Beten im Namen Jesu nimmt die Erfahrung auf, daß Gott sich in unserer Welt sichtbar gemacht hat, sich als der ansprechende Gott gezeigt hat. Es macht sich bewußt von diesen Erfahrungen abhängig, holt sich aus ihnen seine Kraft.
Mit Kindern den Zusammenhang von biblischer Zusage und eigenem Gebet gestalten
Viele Psalmverse sind ohne große Veränderungen auch Kindern zugänglich. Das gilt besonders für den 23. Psalm. Es muß nicht jedes Wort verstanden werden, denn das Gewißmachende wird auch von der Kraft der gesprochenen Worte getragen. Von den Psalmen werden wir zu den Lobliedern gewiesen. Das gewißmachende Loben in eingängigen alten und neuen Liedern wird durch die Musik verstärkt: das gemeinsame Singen, das Bekräftigen durch selbstgestaltete Instrumentalbegleitungen. Umgekehrt gilt es, vertraute Lieder auch wieder als Gebete zu erleben – gesprochen oder gesungen.
Lobt Gott, ihr Kinder,
wo ihr ihn findet:
in uns, um uns herum,
über uns, allüberall.
Er tut so wunderbare Dinge.
Lobt ihn, denn er hat große Macht.
Allen will er helfen.
Lobt ihn mit dem Xylophon.
Lobt ihn mit euren Flöten.
Lobt ihn mit dem Glockenspiel.
Lobt ihn mit der Trommel.
Lobt ihn mit Rasseln und Tamburin.
Lobt ihn mit dem Becken.
Lobt ihn mit eurem Singen und Tanzen.
Lobt ihn von Herzensgrund.
Alles, was lebt, das soll Gott loben,
alle Menschen in der Welt.
Alles, was atmet, lobe den Herrn.
Rühmt ihn! Halleluja.
(Dietrich Steinwede nach Psalm 150)
Lohnend ist es, dem Zusammenhang von biblischer Geschichte und Gebet nachzugehen. Wir begleiten die biblischen Gestalten bis in selbst formulierte Gebete hinein, in denen sie Gott auf das antworten, was sie erlebten. Wenn sich Kinder beim Zuhören in diese Personen hineinversetzt haben, fällt es ihnen nicht schwer, deren Erleben auch ins antwortende Beten hinein zu verlängern.
In einem liebevoll gestalteten Gebetbuch für Kinder wird jeweils auf der linken Seite in knappen Sätzen von einer biblischen Gestalt erzählt. Das Erzählte mündet dann in eine Gebetssituation, die zum eigenen Formulieren des Gebets einlädt. Zum Festhalten der entstandenen Gebete ist die rechte Seite im Buch vorgesehen
(Markus Hartenstein: Das mußt du unbedingt wissen, Gott. Mit Kindern beten lernen an biblischen Geschichten.)
Oft verdichtet sich die Erinnerung an Gottes Tun in besonders eindrücklichen Bildern. Sie halten zugleich die Erinnerung an eigene gute Erfahrungen wach, sprechen tief verborgene Sehnsüchte an und treffen so das Helfende und Rettende an Gottes früherem wie erwarteten Wirken ganz unmittelbar.
Du bist mein Schirm,
du wirst mich vor Angst behüten,
daß ich errettet gar fröhlich rühmen kann.
(Psalm 23,7)
Du bist mein Fels und meine Burg,
und um deines Namens willen
wollest du mich leiten und führen.
(Psalm 31,4)
Gott, meine Sonne, scheine für mich.
Sende mir deine Strahlen.
Gott, meine Sonne, leuchte für mich.
Sende mir dein Licht.
Gott, meine Sonne, wärme mich.
Gib mir Liebe ins Herz.
(Dietrich Steinwede)
Wichtig für die Gebetserziehung ist es, geeignete Symbole zu entdecken und sorgfältig zu erschließen, damit sie im Umkreis der Anrede Gottes ihren Platz finden können. Auf diese Weise wird ihre vergewissernde Kraft zugänglich.
Zwar können wir jederzeit und überall zu Gott beten, aber der Kirchenraum beispielsweise hält solche Erinnerungen an Gottes Wirken und Nähe besonders sinnenhaft wach. Die Kerze, die angezündet wird, verbindet die eigene Gebetstradition mit den vor ihr erzählten Gottesgeschichten. Auch das Kreuzzeichen könnte aus dieser Sicht im evangelischen Raum neu entdeckt werden.
Oder: Die Geschichte vom verlorenen Schaf kann in einem ansprechenden Poster lebendig bleiben und sich in der Gebetsanrede verdichten: „Gott, du guter Hirte!“
Zum Beten gehört auch die Gemeinschaft, in der im gemeinsamen Vollzug etwas von der Kraft des Betens erfahren werden kann. Herausragendes Beispiel ist das Vaterunser. Indem viele mit einstimmen, lassen sie sich zugleich mit in die Wirkung des Betens hineinnehmen. Auch wenn gottesdienstliche Gebetserfahrungen immer mehr abnehmen, so bleibt das Vaterunser doch ein Symbol der Gemeinsamkeit im Gebet.
Im Klagen Gottes Zusagen ernst nehmen
Die Gewißheit im Beten wird auch in der Eindringlichkeit der Klage spürbar. Es geht in ihr gar nicht so sehr um die Forderung, daß Gott die Not aufheben soll, sondern um das Erinnern daran und Pochen darauf, daß Gott sich unserem Reden stellt. Er soll die Klage anhören. Er soll sie aushalten. Gerade die Eindringlichkeit des Klagens, die bis an die Grenze des Beleidigenden gehen kann, nimmt das Gebet darin ernst, daß es Antwort auf Gottes Zusagen ist.
Dadurch entspricht sie der Überschwenglichkeit des Lobpreises. Gott muß nicht vor den menschlichen Klagen geschützt werden, nein, im Klagen wird Gott vielmehr in seiner zu uns gestifteten Beziehung ganz besonders ernst genommen. Gerade das Klagen nimmt diese Beziehung am stärksten in Anspruch. Damit gilt auch umgekehrt: Die Harmlosigkeit mancher Gebete, die in ihnen vorformulierten Beschwichtigungen, schwächen die Gewißheit, daß Gott hört. Gebete, die nur in netten Aussagen dahinplät- schem, nehmen Gott gerade nicht als ernstzunehmenden Gesprächspartner in Anspruch.
Die Formulierungen in den Gebetbüchern für Kinder sind da oft sehr verhalten. Auch die eindringlichen „Warum-Fragen“ sollten in den Gebeten ihren Ort haben.
Gott, warum nur mußte meine Oma sterben? Ich brauche sie doch so sehr! Sie fehlt mir so. Konntest du sie denn nicht wieder gesund werden lassen?
Streit ist schlimm, Gott.
Heute haben meine Eltern sich gestritten.
Ihre Gesichter waren ganz verzerrt.
Ihre Augen funkelten so böse.
Und sie haben so furchtbar geschimpft.
Gott, ich kann das nicht aushalten.
Muß das denn so sein?
Warum können sie nicht Frieden halten?
Sie sind doch so klug.
Sie sind doch erwachsen …
(Dietrich Steinwede)
WENN GEBETSWÜNSCHE NICHT IN ERFÜLLUNG GEGANGEN SIND
Ermutigen wir Kinder, Gott alles zu sagen, was sie beschäftigt und was sie sich von ihm erwarten, dann stellt sich uns auch die Aufgabe, Kinder mit den unerfüllt gebliebenen Gebeten nicht allein zu lassen. In ihren kritischen Fragen finden sich auch viele Erwachsene wieder, die selbst mit dem Problem nicht zu Rande gekommen sind.
Kinder wollen an der „Allmacht“ anderer Anteil gewinnen
Am Beginn des Lebens steht das – noch nicht bewußt wahrgenommene – Erleben, von den Bezugspersonen bedingungslos umsorgt zu werden. Das kleine Kind fühlt sich dabei anfangs in ungeschiedener Einheit mit ihnen. Es lebt in dem Gefühl, wohlig aufgehoben zu sein: Alles Bedrohliche kann ferngehalten, alles Unangenehme beseitigt werden.
Auch später noch behalten die Eltern manche Einzelzüge der Allmacht. Ihnen wird immer noch zugetraut, daß sie Bedrohliches abwenden, das eigene Leben sichern können. Allerdings hat das Empfinden, an der Macht der Bezugsperson Anteil zu haben, nun viel bewußtere Züge, und es wird viel aktiver gestaltet: im hartnäckigen Verfolgen von Wünschen, im Feilschen und Handeln, im Ausspielen der eigenen Machtmittel, die vom kindlichen Charme bis zum penetranten „Nerven“ reichen. In einem andauernden Wechselspiel zwischen Zugeständnissen und Verweigerungen muß das Kind lernen, seine eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten realistisch einzuschätzen.
Indem die Eltern zunehmend als fehlbar erkannt werden, bietet sich in Gott eine andere Person an, die unbegrenzt allmächtig und beeinflußbar zugleich bleiben kann. Von ihr kann weiterhin alles gefordert werden. Ihr gegenüber können anscheinend die kindlichen Wünsche nach Anteilhabe an der Mächtigkeit eines anderen uneingeschränkt aufrechterhalten bleiben. Und je intensiver das Kind an diesen Machtvorstellungen festhält, desto deprimierender werden die unvermeidlichen Enttäuschungen sein.
Das Einflußnehmen auf Gott geschieht nach ganz bestimmten Mustern:
In der Kindheitsphase, die von einem magischen Weltbild geprägt ist, erscheint die umgebende Welt der Dinge belebt und deren wechselseitiges Aufeinander-Einwirken von geheimnisvollen Kräften gelenkt. Wer sich solche Kräfte zugänglich machen kann, vermag auf andere Einfluß zu gewinnen, kann an ihrer Macht Anteil haben.
Auf Gott bezogen, bedeutet dies: Wenn das Gebet nur mit den richtigen rituellen Gesten und Handlungen begleitet wird, dann ist der Zugang zu Gottes Allmacht hergestellt, dann wird Gott mit Sicherheit zum gewünschten Handeln bewegt. Solange die Nichterfüllung mit „falschem“ Beten erklärt werden kann, bleibt die weiterführende Einsicht versperrt, daß wir auf solche Weise auf Gott eben nicht Einfluß gewinnen können.
In späteren Jahren wird die Beziehung zu Gott auf der Ebene des „Wie du mir, so ich dir“ auf eine realistischere, scheinbar wirklichkeitsgerechtere Basis gestellt. Für die Erfüllung eines Wunsches werden Gott Gegenleistungen angeboten: besondere Freundlichkeit gegenüber Eltern und Mitmenschen und anderes Anerkennenswerte. Wird die eigene Leistung ohne Gegenleistung erbracht, gerät Gott in ein schiefes Licht, er erscheint gewissermaßen als vertragsbrüchig.
Solche Vorstellungen des Einflußnehmens auf ein mächtiges Gegenüber sind entwicklungsbedingt unvermeidlich. Aber wo sich Kinder von ihnen nicht wieder lösen können, führen sie zu Fehlentwicklungen des Betens. Das Gebet wird so zu einem Mechanismus degradiert, um bei Gott nachdrücklich die Erfüllung eigener Wünsche zu bewirken. Es wird am greifbaren, ersichtlichen Nutzen gemessen – und es kommt in die unvermeidliche Krise, wenn sein Nutzeffekt ungünstig ausfällt.
Kinder beim Umgang mit Wünschen und Enttäuschungen begleiten, heißt auch, ihnen beim Beten helfen
Weiterführende Begleitung der Kinder kann sich auch an der Entwicklung der zwischenmenschlichen Beziehungen orientieren:
An und mit ihren Bezugspersonen lernen die Kinder nach und nach, ihre „großen“ Wünsche mit der Realität in Einklang zu bringen und mit Enttäuschungen zurechtzukommen. Dabei darf es aber nicht das Ziel sein, auf das Wünschen überhaupt zu verzichten, die Erwartungen von vornherein ganz und gar auf die vorfindliche Realität einzugrenzen.
Kennzeichnend für das Vertrauen zu den elterlichen Bezugspersonen sollte sein, daß immer noch für große Wünsche Raum ist, weil auch die Enttäuschungen gemeinsam verkraftet werden. Wichtig ist, daß die Erwachsenen im Wünschen und Bitten der Kinder genauso wie im Ertragen von Versagung und Enttäuschung, in „Höhenflügen“ wie in „Bruchlandungen“ mit ihnen im Gespräch bleiben.
Die elterliche Überlegenheit darf mit dem Vertrauen, das sie ausstrahlt, und den Zuwendungen, die sie gewährt, immer auch Anlaß zum Bitten und Wünschen bleiben. Kinder sollten dabei zugleich lernen, daß sie mit ihren Wünschen und mit ihrer vermeintlichen Willenskraft über die Macht der Bezugspersonen nicht verfügen können, sondern daß sie dabei auf einen anderen Willen stoßen.
Es ist für die Kinder hilfreich, wenn sie sich in ihren Wünschen ernstgenommen und angenommen wissen, wenn ihre Vorstellungen nicht zurückgewiesen oder lächerlich gemacht werden. Es ist für sie wichtig, daß zugleich auch Enttäuschung begleitet wird: wenn gemeinsam um die Einsicht gerungen wird, daß dieser Wunsch doch noch zu sehr vom Egoismus geprägt ist, daß die berechtigten Anliegen anderer dabei beschnitten würden.
Nach Trotzreaktion, nach Rückzug ins Schmollen gilt es, das Gespräch wieder aufzunehmen, dabei die eigene Position und Überzeugung darzustellen, die der Wunscherfüllung entgegenstanden. Ein wichtiger Anknüpfungspunkt der Kinder ist auch die allmählich wachsende Fähigkeit, die Sichtweisen, Interessen und Anliegen anderer in die eigene Sicht der Dinge mit aufzunehmen. Sie lernen, im Gedankenspiel die eigene Blickrichtung zu verlassen und den Sachverhalt aus der Perspektive einer anderen Person wahrzunehmen.
Es ist unvermeidlich, auch Einbrüche in die Vertrauensbeziehung zu ertragen, Unvermögen und Ohnmacht der Eltern zu erleben. Solche Erfahrungen gilt es, gemeinsam auszuhalten und durchzustehen. Auf diesem Hintergrund können wir dann auch das Geschehen mit den auf Gott gerichteten Wünschen begleiten. Der an und mit den Bezugspersonen gelernte Umgang mit Enttäuschungen wird auch die Beziehung zu Gott beeinflussen. Er kann helfen, überzogene Erwartungen an ihn zu korrigieren.
Beten nach biblischem Vorbild in der Spannung zwischen Erwartung und Enttäuschung
Biblische Einladungen und Aufforderungen zum Beten geben auf der einen Seite den Weg frei, ohne Scheu und Skrupel die eigenen Wünsche an Gott zu richten, kindlich zu beten, d. h. sich ganz von den eigenen Anliegen bestimmen zu lassen.
In seinen Gleichnissen schildert Jesus ein hartnäckiges Beten, das nicht gleich aufgibt, das Gott wie einen guten Freund beim Wort nimmt, ihm die Erfüllung regelrecht abtrotzt (vgl. Lk 11,5ff).
„Wer da bittet, der empfängt, und wer da sucht, der findet, und wer da anklopft, dem wird aufgetan“ (Lk 11,10) – diese Einladung zum Beten, dieses Versprechen der Gebetserfüllung läßt aufhorchen. Unsere Wünsche dürfen in der Beziehung zu Gott großes Gewicht haben, sie dürfen im Gebet ihren Platz beanspruchen. Gott ist in dieser Sicht zu großen Taten bereit, auch zu schier unglaublichen. Das ist die eine Seite.
Ihr steht eine andere gegenüber – die dunkle und unzugängliche Seite Gottes. Schlimmes geschieht auf unserer Welt, das Erhoffte bleibt aus, und alle Fragen nach dem „Warum“, nach einem Sinn solchen Geschehens gehen ins Leere. Auch dieser Erfahrungsstrang durchzieht die Bibel. Es ist die Ratlosigkeit angesichts der bedrückenden Erfahrung, daß Gott sein Gesicht, sein Ohr abgewandt hat, daß nur die Lasten zu spüren sind und keine Hilfe in Sicht ist.
Mein Gott, mein Gott,
warum hast du mich verlassen;
bleibst ferne meiner Rettung
und den Worten meiner Klage?
Mein Gott, ich rufe bei Tage,
und du antwortest nicht –
des Nachts und ich finde nicht Ruhe.
(Psalm 22,1-2)
Es bestimmt die Beziehung zu Gott, daß sie nicht auf ein Mittelmaß kleiner Wünsche und entsprechend auch oft kleiner Enttäuschungen beschränkt ist. Statt dessen lotet sie die Extreme aus, nimmt sie in diese Beziehung mit hinein. Der liebevoll zugewandte und der abweisende Gott – der Anbruch des Gottesreichs, das von Jesus überschwenglich beschrieben wird („Blinde sehen und Lahme gehen …“ Mt 11,5), und dessen Ausbleiben samt den Enttäuschungen darüber („Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde“ Lk 24,21): Beides gehört in seiner Gegensätzlichkeit zusammen und bleibt getragen vom Vertrauen auf Gott, der trotzdem Wunder tun kann.
In Jesu eigenem Beten werden solche Extreme spürbar. Er zeigt uns dabei, wie auch in der Extremsituation des einen Pols der andere doch noch im Blick ist. Im Gebet in Gethsemane angesichts des bevorstehenden Todes betet er, daß der Kelch doch vorübergehen, daß Gott das Unabwendbare doch noch abwenden möge. Aber sein großer Wunsch mündet in die Worte: „Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ (Mt 26,39). Die Begrenzung des eigenen Wünschens am Willen des anderen wird in das Gebet mit aufgenommen.
Im Bericht des Matthäus und Markus sind Jesu letzte Worte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In der tiefen Verzweiflung darüber, daß Gott in seiner Not fern von ihm ist, daß von seiner Hilfe nichts zu spüren ist, bleibt noch das „Mein Gott!“, das sich an den anderen Erfahrungen mit Gott festklammert, sie auch in dieser ausweglosen Situation noch festhält.
So ist es kennzeichnend für das Beten, daß im Gespräch mit Gott die großen Wünsche unverkürzt zur Sprache kommen und zugleich deren Begrenzung mit angenommen und akzeptiert wird. Die Wünsche und Hoffnungen dürfen in sich grenzenlos sein, weil die im Gegenüber Gottes, in dessen eigenem Willen gesetzte Grenze mitgedacht ist. Auch die Klage kann eindringlich werden, weil sie letztlich von der Erinnerung an die andere, die freundlich zugewandte Seite Gottes gehalten ist. Im Vollzug des Betens kann dieser Zusammenhalt der Gegensätze viel eingängiger erlebt werden als in jedem distanzierten Nachdenken über Gott. Das Erfahren dieser Spannung im Gebet kann Menschen verändern, innerlich voranbringen.
Daß wir in unserem Beten von Gott Beschenkte sind, hat sich bisher wie ein roter Faden durch die einzelnen Abschnitte gezogen. Gilt das auch für unseren Umgang mit unerfüllten Wünschen, hinsichtlich der Grenzen, an die unser Beten stößt? Angesichts tiefer Enttäuschungen ist unser Beten am stärksten von der Sprachlosigkeit bedroht. Bitten hat sich als unrealistisch erwiesen, ein hörender Gott hat sich nicht gezeigt. Was soll da noch gebetet werden?
Wir können nur weiter im Gebet bleiben, in der Spannung von Wünschen und Klagen, wenn uns Gott selbst neue Gedanken und Worte schenkt. Er selbst stärkt in uns die Beziehung zu sich. Nach dem Zeugnis der Bibel ist das Beten selbst Wirkung des Heiligen Geistes. Er gibt uns die rechten Worte, wo wir nicht (mehr) wissen, wie wir beten sollen (Röm 8,26).
Wenn wir im folgenden überlegen, wie wir mit Kindern angesichts erlebter Enttäuschungen das Gespräch mit Gott festhalten können, dann heißt das nicht, daß dies durch gute pädagogische Ideen bewirkt wird. Wir setzen darauf, daß Gottes Geist uns und den Kindern gute, weiterführende Worte schenken, daß er unseren Anregungen Wirkung geben wird.
Gott, Heiliger Geist,
komm in unser Leben,
gib uns einen offenen Blick,
damit wir über Hindernisse hinwegschauen können.
Gib uns klare Gedanken,
mit denen wir trotz der Widersprüche verstehen können.
Gib uns die Worte,
in denen wir sagen können,
wie wichtig du für uns bist.
Mit Kindern in der Spannung zwischen Wunsch und Enttäuschung beten
Beten mit Kindern braucht das Zusammenspiel von Kind und Bezugsperson. Wir Erwachsenen sagen Gebete vor, in die sich die Kinder hineinsprechen. Wir formulieren Rahmensätze, die den Kindern für deren eigene Assoziationen Raum geben, die ihr nach-denkendes Erzählen bündeln und ausrichten. In solch einem Rahmen können wir ganz bewußt den Gegenpol zur Unmittelbarkeit und dem Drängenden der kindlichen Wünsche zur Sprache bringen.
Gott, nimm unsere Bitten an und laß geschehen, was du für gut und richtig hältst!
Schenke uns Geduld, wenn wir auf deine Hilfe warten müssen!
Wenn auch Kinder ihre Bitten sehr direkt und unmittelbar formulieren („mache gesund“, „gib den Hungernden zu essen“, „schenke mir,..“) so sollten wir Erwachsenen behutsamer, umsichtiger formulieren, die „leiseren“ Töne des Bittens und Wünschens hörbar machen:
Herr,
wir haben Sorge.
Einer von uns ist krank.
Hilf ihm.
Laß den Arzt das Richtige entdecken und tun.
Laß die Tabletten, die er verschreibt, wirken.
Wir bitten dich für unsere Kranken.
Mach du alles gut.
(Detlev Block)
Was ist aber, wenn wir trotz unserer Bemühungen nicht verhindern können, daß bei unseren Kindern die Praxis des Betens abreißt, wenn enttäuschte Kinder sich den Anregungen zum Weiterdenken und -beten entziehen, wenn sich gegenläufige Einflüsse durchsetzen?
Hartnäckiges Drängen hat wenig Sinn, schon gar nicht der Versuch, gegen den Widerstand der Kinder am Beten festzuhalten. Ein Geschenk kann man nicht aufzwingen. In solchen Fällen bleibt uns das Gebet für die Kinder, daß Gottes Geist in ihrem Leben wirksam bleiben, daß er ihnen auch das Beten neu schenken möge.
Begleitende Gespräche sind wichtig, um den Kindern nötige Distanz zu ihren vorgebrachten Wünschen zu verschaffen. Dies können auch Geschichten leisten, in denen Menschen solche Distanz gewinnen.
Ein Apfel für Laura
Laura lebt in armen Verhältnissen und wird mit dem Gegensatz zwischen reich und arm konfrontiert. Sie entdeckt dabei Zusammenhänge, die diesen Kontrast in neuem Licht erscheinen lassen. Die Warum- Frage aber begleitet durch die ganze Geschichte hindurch ihre Gespräche mit Gott.
(Regine Schindler)
Varenka (nach einer russischen Legende)
Eine Witwe lebt in ihrem kleinen Haus tief im Wald. Sie hört, daß Krieg im Land ist und die Soldaten näher kommen. In ihrer Angst betet sie von Tag zu Tag inständiger, daß Gott eine Mauer um ihr Häuschen bauen möge, damit die Soldaten es nicht sehen können. Aber nichts geschieht. Statt dessen finden jeden Tag fliehende Menschen bei ihr Zuflucht.
Die Geschichte endet damit, daß in höchster Gefahr Schneefall einsetzt und das Haus so für die vorbeiziehenden Soldaten unsichtbar wird.
(Varenka, Nord-Süd Verlag)
Man brachte Kinder zu ihm, damit er ihnen die Hände auflegte. Die Jünger aber wiesen die Leute schroff ab.
Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sagte zu ihnen: Laßt die Kinder zu mir kommen: hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes.
Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.
Und er nahm die Kinder in seine Arme; dann legte er ihnen die Hände auf und segnete sie.
LITERATUR
Beten wie in Kindertagen? Elternbrief 25, hrsg. von der Bundesvereinigung Evang. Kindertagesstätten e. V., Stafflenbergstr. 76, 7000 Stuttgart.
Detlev Block: Gut, daß du da bist. Gebete für Kinder. Verlag Ernst Kaufmann, Lahr und Benziger Verlag, Zürich und Köln 1974.
Annelies Dietl und Rosemary Dorner-Weise: Gott macht mich froh. Ein Gebetbuch für Kinder von 3-6 Jahren. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 19852.
Dies.: Du verstehst mich, lieber Gott. Ein Gebetbuch für Kinder von 6-10 Jahren. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 19885
Dies.: Gott hat mich lieb. Ein Gebetbuch für die Kleinsten. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 19857.
Markus Hartenstein: Das mußt du unbedingt wissen, Gott. Mit Kindern beten lernen an biblischen Geschichten. Quell Verlag, Stuttgart 1989.
Mit Kindern beten. Kaufmann Verlag, Lahr und Rufer Verlag, Essen 1987.
(Ein kleines Gebetbüchleich, hauptsächlich mit kindernahen Reimgebeten)
Regine Schindler: Ein Apfel für Laura. Verlag Ernst Kaufmann, Lahr 1991.
Dies.: Erziehen zur Hoffnung. Mit Kindern unterwegs zu Gott. Theologischer Verlag Zürich und Verlag Ernst Kaufmann, Lahr 1977
Dies.: Gott, ich kann mit dir reden. Gebete, die uns begleiten. Für Kinder, Jugendliche und Eltern. Verlag Ernst Kaufmann, Lahr und Patmos Verlag, Düsseldorf 19883.
(Dieses Buch enthält auch etliche sprachlich anspruchsvollere, gereimte Gebetstexte)
Dies.: Gute Nacht, Anna. Verlag Ernst Kaufmann, Lahr 19912.
Renate Schwab: Kinder beten mit dem Herzen. Anregungen zu einer kindgemäßen Gebetserziehung. Verlag Neue Stadt, München 1989.
Dietrich Steinwede: Soweit der Himmel ist. Kindergebete für Tag und Jahr. Patmos Verlag, Düsseldorf und Verlag Ernst Kaufmann, Lahr 1989
Reinmar Tschirch: Mit Kindern reden – mit Kindern beten. Erfahrungen, Vorschläge, Beispiele. GTB 362, Gütersloher Verlagshaus G. Mohn, Gütersloh 1980.
Varenka, Nord-Süd Verlag, Mönchaltdorf und Hamburg 1989.
Heidi und Jörg Zink: Gebete für Kinder. Kreuz Verlag, Stuttgart 1985.
Dies.: Wie Sonne und Mond einander rufen. Gespräche und Gebete mit Kindern. Kreuz Verlag, Stuttgart 19865.
(In Verbindung mit formulierten Gebeten werden wichtige Fragen des Glaubens und Lebens erörtert)
Autor dieses Studienbriefs ist Dr. Frieder Harz, geboren 1943 in Ravensburg; 1963-70: Studium in München und Lehrer an Volksschulen im Kreis Heidenheim an der Brenz; 1970-79: wiss. Assistent für Religionspädagogik bei Prof. Fraas an der Universität Augsburg und Theologiestudium in München; 1979-82: Vikariat und Gemeindepfarrer in Wertingen bei Augsburg; 1982-89: Referent für Aus- und Fortbildung von Vikaren am Katechetischen Amt der bayerischen Landeskirche in Heilsbronn; seit 1989: Professor am Fachhochschulstudiengang für Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit in München Pasing (Dachstr. 19, 8000 München 40)
Quelle: Studienbriefe A36, hrsg. v. der Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste, Stuttgart 1992.