Predigtmeditation zu Hiob 2,1-10
Von Gerhard von Rad
Eine Szene aus der Prosageschichte von Hiob. Der Erzähler läßt bekanntlich wie in einem Drama sehr verschiedene Schauplätze sehen und sich abwechseln, den irdischen und den des himmlischen Thronsaales. Hiob auf Erden weiß freilich nichts von der Vorgeschichte, von den himmlischen Hintergründen seiner Leiden. Wer ist Hiob? Er lebt merkwürdig an der äußersten Peripherie des Gottesvolkes; das Land Uz liegt im östlichen Ostjordanland, und seine Zeit ist aus der Erzählung vollends nicht zu bestimmen. Man kann nicht sagen, daß die Gestalt in der Dichtung sehr konkret und individuell hervortrete. Sie hat etwas ungreifbar Typisches; das Ganze ist ja keine eigentliche Geschichte, sondern eher eine Lehrerzählung, die demgemäß auch in einem gewissen Schematismus einhergeht. Hiob war ein exemplarisch frommer und reicher Mann. Aber gerade in die (von den Menschen für so normal gehaltene!) Einheit von Wohlverhalten und Wohlergehen war ein rätselvoller Riß getreten. Wie war es dazu gekommen?
An einem himmlischen Audienztag war es zwischen Gott und dem Verkläger zu einem Gespräch gekommen. Satan ist ein Amtsbegriff und (wegen des Artikels) kein Eigenname; deswegen sollte man nicht von „dem“ Satan reden. Er ist eines der himmlischen Wesen, allerdings von Gott mit besonderer Funktion betraut. Seine Aufgabe — etwa die eines Staatsanwaltes — ist es, verborgenes Unrecht in dem weiten Reich des himmlischen Königs aufzuspüren. Und wenn einer lebenslang als fromm gilt und es im Grund nicht ist, so gehört auch das in seinen Amtsbereich. Nun bezweifelt er freilich auf Gottes Frage hin Hiobs Frömmigkeit an sich nicht, sondern er stellt die Frage nach den Motiven: „Ist Hiob umsonst gottesfürchtig?“ (1,9). Damit ist das Problem der Rahmenerzählung gestellt, nämlich, ob es eine Frömmigkeit „sonder Lohne auch in der allergrößten Not“ gebe. Dieser Frage wird von Gott ihr Recht gegeben; offenbar wahrt der Verkläger mit ihr ein Interesse Gottes. So wäre also einer Predigt das Problem des Dualismus Gott-Teufel nach Kräften fernzuhalten. Es ist ja auch zu beachten, daß sowohl die Initiative des Gesprächs bei Gott lag, und daß auch der Verkläger vorgeschlagen hatte: „strecke deine Hand aus“, und Hiob hat dann am Ende auch nicht gesagt: „der Satan hat es genommen“. Deshalb sollte sich die Predigt auch nicht mit einem Problem belasten, das der Text nicht aufwirft oder beantworten will. (Der Dualismus Gott-Verkläger ist fast mehr eine erzählerisch-technische Notwendigkeit, die die Funktionen spaltet.) So ist auch der Vorwurf 2,3 b für das Verständnis des Ganzen nicht von entscheidendem Gewicht; er treibt nur die Handlung weiter: die Skepsis des Verklägers war in diesem einen Fall unbegründet.
Anders aber verhält es sich mit dem Einwand des Verklägers V. 4. Der Sinn des derben Satzes — er klingt wie ein Sprichwort — ist nicht ganz scharf zu fassen. Etwa: „Wurst wider Wurst“, für den Menschen ist alles Geschäft (Hölscher); oder: geht es dem Menschen erst an die Haut, dann geht er auch aufs Letzte und läßt alle Rücksichten fallen. Jedenfalls zeugen beide Worte des Verklägers (1,9; 2,4) von einer profunden und völlig illusionslosen Menschenkenntnis: in der letzten Krise wirft der Mensch doch allen Ballast über Bord. Und Gott gibt auch dieser Frage Raum. So ist es gekommen, daß Hiobs Leiden sidi ins fast Unerträgliche gesteigert haben. Diesmal reagiert Hiob anders als beim ersten Prüfungsgang, nicht mit einem Bekenntnis (1,21); aber — der Erzähler rechnet hier mit aufmerksamen Lesern — er tut etwas: er geht stumm und ohne Aufbegehren aus der Gemeinschaft der Menschen heraus auf den Aschenhaufen vor der Siedlung und nimmt ergeben das Aussätzigen- los auf sich. Fast, so könnte man denken, könnte hier mit diesem Höhepunkt in V. 8 die Erzählung schließen. Aber seine Anfechtungen steigern sich noch. Hiob bekommt da draußen Besuch. Was wird die Frau angesichts des Menschen auf dem Kehrichthaufen sagen? Der Sinn ihres Satzes ist doch wohl nur deshalb unklar geworden, weil die Kommentare zu subtil die Frage nach den psychologischen Motiven der Frau stellen, die doch für den Erzähler ohne Interesse ist. (Unannehmbar z.B.: Fluche „damit …, also gar vom Mitleid eingegeben.) Auch will es scheinen, als gingen die alten Ausleger — Calvin nennt sie „infernalem furiam!“ — in ihrem Eifer zu weit. Ist sie nicht vielmehr der Typus der Durchschnittsfrommen, so wie sie der Verkläger kennt, die in ihrem Heiligsten verletzt auffahren, wenn das Ausbleiben des Segens sie an der naiven Ausbreitung ihres menschlichen Wesens hindert? Hiob weist diese Zumutung mit Schärfe zurück, („töricht“, „närrisch“, ist im AT mehr als in unserer Sprache, es ist ein moralischer oder glaubensmäßiger Defekt = „schändlich“, „gemein“. In V. 10 ist das ’t nach gam versehentlich haplographiert, es muß gelesen werden gam ’att, um dann mit ’et haṭṭob den nächsten Satz zu beginnen.) Der Satz: „Haben wir …“ ist aber nicht mit großem religiösen Pathos gesprochen, sondern er enthält vielmehr eine ganz nüchterne Überlegung, ja fast eine primitive Logik des Glaubens: Wir haben Gott ja schon soundsooft als Geber bejaht und ihm gedankt. An diesem unseren Bekenntnis zu Gott als dem Herrn unseres Lebens hat sich doch jetzt nichts geändert! Vor allem aber ist wichtig, daß wir den Satz (und den von 1,21) nicht etwa als eine Höchstleistung der Selbstbeherrschung verstehen; 1,20 hat es gezeigt: Hiob ist ganz Mensch, verwundbar und preisgegeben, und die Äußerung seines Schmerzes hält sich weithin im Rahmen des Gewöhnlichen. Es ist mißverständlich in ihm „ein würdiges Bild gefaßter Ruhe“ zu sehen (Duhm). Nicht als einen Menschen müssen wir ihn verstehen, der viel mehr als andere die Zähne aufeinander beißen kann, sondern das Bemerkenswerteste ist die Sicherheit, ja leichte Selbstverständlichkeit seines Bekenntnisses. Die rhetorische Frage in 2,10 zeigt, daß hinter diesem Bekenntnis eben nicht eine heroische Kraftanstrengung steht; nein, Hiob ist völlig problemlos in seinem Glauben geborgen. — Auch darin — so bemerkt der Erzähler wie ein Epilogist nach einem Aktschluß — hat Hiob sich nicht versündigt „mit seinen Lippen“.
Ist die Hioberzählung eine Lehrerzählung, so müßte sich wohl ihre Lehre knapp formulieren lassen; das ist aber gar nicht leicht. „Die Leiden der Frommen sind Prüfungsleiden“ würde den Gehalt allzusehr verkürzen, denn die schwere Frage 1,9 käme so ja nicht zu ihrem Recht. Aber formulierte man: „Gibt es eine uneigennützige Frömmigkeit?“ — so würde auch das nicht genügen. — „Mit seinen Lippen“ war der Schluß unseres Textes (V. 10 b). Offenbar ist es vor Gott etwas Letztentscheidendes, was die Menschen vor ihresgleichen zu dem Leiden sagen (fast wichtiger noch als die Frage ihrer innerlichen, seelischen Einstellung)! Sehr gut Herder zu unserer Erzählung: „Oben (im Himmel) wird gehandelt, unten wird gesprochen.“ Die Höhepunkte in der Prosaerzählung Hiob sind die Worte, die die Menschen finden, also in unserem Textzusammenhang die der Frau und des Mannes, beide von höchster typischer Bedeutung. Und hieran sollte sich die Predigt vor allem halten. Beide wissen ja nichts von dem himmlischen Vorspiel, das diese aufregende Geschichte hatte. (Ihre Hintergründe sind weder unpersönliche Mächte oder Gesetze noch Willkür!) Gefährlichkeit der Worte der sich nächststehenden Menschen! Es kommt also beinahe genau so, wie es der Verkläger vorausgesagt hatte! — Bei Hiob ist nun aber zu bedenken, daß Gott sich vorher für ihn verbürgt hat; alle Engel, die doch das Gespräch mit dem Verkläger mit angehört haben, blicken nun mit Spannung auf ihn: wird er Gottes Urteil bestätigen? Er leidet, „das Ehrenwort des Schöpfers über ihn zu bewahren“ (Herder); er ist also Märtyrer im ntl. Sinne, d.h. nicht des Leidens, sondern des Zeugnisses wegen.
Das AT antwortet also auf die schwere Frage 1,9 mit: Ja, es gibt diesen Mann. Aber diese Antwort ist nun doch merkwürdig theoretisch und etwas vage. (Lehrerzählung!) Wer ist denn dieser Hiob? Ist er wirklich der Typus einer in Israel weitverbreiteten Frömmigkeit? Wir sahen oben; er ist ein „Außenposten“ (Kierkegaard), und seine Zeit vermag der Erzähler überhaupt nicht anzugeben. Sagten wir, die Gestalt Hiobs sei vom Erzähler stark typisiert, so wäre jetzt noch von der an das Wunder grenzenden typologischen Bedeutung zu reden: Der aus großem Reichtum in die Armut Gestoßene — der als Unreiner die Gemeinschaft der Menschen Verlassende — der, an dem das allwissende Auge des Verklägers nichts findet — der Gottesknecht (V. 3) — der, der „ohne Ursache“ gelitten hat (3 b) — der ganz sicher und problemlos im Glauben Geborgene (die Dialoge zeigen demgegenüber den von der Verzweiflung der Gottverlassenheit überfluteten Hiob!). So wird diese Hioberzählung auch für die, die auf Christi Tod getauft sind, typische Bedeutung haben. Und das „doch schone seines Lebens“ (V. 6 b) ist in einem viel umfassenderen als dem atl. Sinn auch über ihren Leiden von Gott gesprochen.
Quelle: Gerhard von Rad, Predigtmeditationen, Göttingen 1973, 57-61.